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Die großen Seher und Propheten

Von Kassandra über Nostradamus bis Rasputin.   

AutorMathis Christian Holzbach
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783843803229
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Ist das Schicksal berechenbar vorherzusehen? Die Frage hat die Menschheit seit jeher beschäftigt und das Denken maßgeblich beeinflusst. Von der Antike bis zur Gegenwart gab es in allen Kulturkreisen viele Zukunftsdeuter, welche die Bestimmung des Unbestimmten, der Zukunft, versprachen und den Menschen durch ihr oft charismatisches Auftreten in Krisenzeiten einen Halt gaben. Jede Epoche hat ihren Zeitgeist, ihr Weltbild - und ihre Zukunftskünder, die für die Geschichtsbetrachtung noch heute von Bedeutung sind und nach wie vor auf lebhaftes Interesse stoßen. Von Kassandra, deren Rufe ungehört verhallen, über Merlin , der eine Johanna als Retterin Frankreichs vorausgesagt haben soll, bis zu dem Naturforscher und Mystiker Emanuel Swedenborg, der eigenwillige Visionen vom Jenseits hatte, und dem sagenumwobenen Rasputin widmet sich das Buch der Beschreibung jener Propheten in Bezug zur jeweiligen historischen Epoche und geht dabei auch dem kulturellen Phänomen der Zukunftsbeschreibung nach. Das Werk bietet rund 20 Porträts der bedeutendsten Seher und Propheten, die die Geschichte kennt.

Dr. Mathis Christian Holzbach, geboren 1971 promovierte bei Prof. Dr. Detlev Dormeyer mit dem Thema 'Galba-Otho' von Plutarch und das lukanische Doppelwerk - ein Gattungsvergleich. Er hat Lehraufträge an den Universitäten Dortmund und Gießen, und veröffentlicht vor allem auf dem Gebiet der Bibelwissenschaft und zu historischen Altbeständen von Bibliotheken.

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Leseprobe

1.
GRIECHISCHE UND RÖMISCHE
SEHER


Das Unterfangen, den göttlichen Willen ermessen zu wollen, gehört seit jeher zum Bedürfnis, die bestehende Lebensqualität halten zu können (vgl. Cic. div. 1, 2ff.). Während das von dem Menschen ausgehende Schicksal berechenbar ist, ist die überirdische Vorherbestimmung, die den menschlichen Willen im Glauben an die Wahrsagekunst nachhaltig beeinflusst, vom Menschen selbst zu erwägen. Ausgänge von Kriegen, das Wohl des Staates sowie des Einzelnen im positiven wie negativen Sinne, stehen schon seit jeher im Interesse des Menschen. Denn das Leben ist veränderlich, da das Glück sich rasch zu wechseln pflegt, wie der Dichter Plautus in seinem Schauspiel Truculentus schrieb (Plaut. Truc. 219). Und auch Cicero stellte fest, dass Glück und Unglück nicht in einer bestimmten Menschenführung ihre Ursachen hätten (Cic. nat. 3,89). Jedoch bemerkte er auch zugleich spöttisch, dass wohl die Vögel nur des Vogeldeutens da wären (Cic. nat. 2,54) und sieht auch überhaupt keinen Nutzen darin, das Zukünftige zu wissen (Cic. nat. 3,6). Damit rückt Cicero ins Bewusstsein, dass die Techniken des Wahrsagens auf menschliche Erfindungen zurückgehen und nur in ihrer Annahme existieren, über das bevorstehende Schicksal Auskunft zu geben.

Die Zukunftsdeutung in dieser Epoche ist mit dem antiken Weltbild verknüpft zu sehen. Dämonen gehören zu den Unheilsverursachern. Sie treten in der Vorstellung der Griechen als Zeichen übermenschlicher Macht in Erscheinung, insbesondere in ihrer Philosophie, nicht als ein Gegensatz göttlicher Macht; vielmehr wird unter dem Wort δαμων („zuteilende Gewalt“; „Unheilsgeist“) die bei einer bestimmten Gelegenheit sich äußernde göttliche Kraft verstanden (vgl. lat. numen). Damit sind im hellenistischen Verständnis alle unnennbaren Mächte gemeint, die fördernd und hemmend in das menschliche Leben eingreifen. Sie erhalten somit erst durch das Geschehen Individualität. So nennt Homer Götter gelegentlich Dämonen (Hom. Il. 6,407) und weist damit auf die Götter in ihrem übermenschlichen Wirken hin. Im antiken Glauben waren daher Dämonen nicht an einen Kultgott gebunden, sodass auch Verstorbene Dämonen genannt werden konnten (Aischyl. Pers. 642). Erst dadurch erwuchs die Vorstellung, dass Dämonen (gute oder böse) Zwischenwesen, Wesen niederen Ranges seien. Die Schutzfunktion hingegen kam von bestimmten Göttern, deren Schutz man sich durch gewisse Kulte zu erwerben dachte. Während der Dämon also in der Vorstellung der Antike das persönliche Schicksal bedeutet, ist das allgemeine Schicksal im Willen der Götter als Herrscher über das Böse und Gute zu begreifen, den es zu ergründen gilt.

In der Göttin Themis kann man das Modell des mystischen Ratgebers für den Staatenlenker erkennen. Anders als die irdischen Seher und Zukunftsdeuter, die den göttlichen Willen zugunsten der Menschen zu erahnen bzw. auszulegen hatten, deutete Themis für die Götterwelt die Ausgänge eines drohenden Schicksals, in das sich vor allem Zeus allzu leichtfertig begab. Wie Pindar berichtet, warnte sie ihn und auch Poseidon, sich mit Thetis zu vermählen, um ein Ungleichgewicht der Mächte zu vermeiden, das letztendlich durch die daraus entspringende Nachkommenschaft entstehen würde (Pind. I. 8,33). Darin zeigt sich, wie es ERWIN ROHDE ähnlich feststellte, dass die Seher nicht nur die Zukunft einfach voraussagten, sondern auch mit Rat und Tat beiseite standen, um ins drohende Schicksal einzugreifen und sich sogar vom Schicksal mitbetroffen zeigten. So war der Seher Aristandros ein ständiger Begleiter von Alexander dem Großen, der besonders bei seinen Feldzügen dem bedeutenden Feldherrn Mut zusprach (Plut. Alex. 14.25.33.52). Oder man denke an den Seher Astyphilos von Poseidonia, der dem athenischen Feldherrn und Staatsmann Kimon einen schwer zu deutenden Traum auslegte (Plut. Ki. 18). Die „Gabe oder Kunst der Wahrsagung, der Reinigung des „Befleckten“, der Heilung von Krankheiten“, schienen „aus Einer Quelle zu fliessen“.5

TEIRESIAS, DER BLINDE SEHER


Teiresias Ruhm als Seher war in der gesamten antiken Welt ein Begriff. Dazu, wie er zu seiner Sehergabe gekommen ist, gibt es die aberwitzigsten Geschichten, die aber allesamt dem Bild des blinden Sehers verpflichtet sind. Aus diesem Grund wurden sie vermutlich oft erzählt und müssen ob ihrer Erbaulichkeit wohl sehr populär gewesen sein. Nach einer Erzählung, die zu der Sammlung der Melampodeia gehörte, hat Teiresias als Kind Schlangen6 bei der Paarung beobachtet und je einmal selbst das Geschlecht gewechselt. Mit dieser Kenntnis musste er einen Streit zwischen Zeus und Hera schlichten, indem er ihnen beantworten musste, ob eine Frau oder ein Mann beim Beischlaf mehr Genuss empfinden könne. Teiresias soll geantwortet haben, dass die Frau einen höheren Genuss habe. Daraufhin blendete Hera ihn. Seine Blindheit glich Zeus damit aus, dass er ihm die Sehergabe verlieh und ihm eine über sieben Generationen sich erstreckende Lebensdauer bewilligte (Hes. fr. 161ff.; Hyg. fab. 75; vgl. auch Ovid. met. 3,316ff.). Nach einem anderen Bericht, der auf Pherekydes von Athen zurückgehen soll, hat Teiresias sein Augenlicht verloren, weil er Athena während des Badens nackt gesehen habe. Auf Zuspruch Chariklos, einer Nymphe und Begleiterin der Athena, erhielt Teiresias die Gabe des Volgelflugdeutens (Pherek. 5,77ff.). Wieder eine andere Geschichte führt den Verlust des Augenlichts darauf zurück, dass Teiresias seine Sehergabe dazu benutzt habe, göttliche Geheimnisse zu verraten (Apollod. 3,69.84). Ganz gleich wie Teiresias zur Seherkunst gekommen ist, bleibt er in der antiken Literatur eine wegweisende Sehergestalt.

Besonders in der berühmten Ödipus-Sage steht Teiresias nach dem Theaterstück von Sophokles im Mittelpunkt. Auf der Suche nach dem Mörder des Königs Laios erhält Ödipus von Teiresias die Erkenntnis, dass er der Mörder seines Vaters sei und mit seiner Mutter Kinder habe. Zuerst sträubt sich der greise Seher, die Wahrheit zu sagen („Ihr alle wißt ja nicht; ich aber sage nun nichts weiter, daß ich nicht dein Leid enthüllen muss. […] Ich will mir selbst und dir nicht wehtun. Warum forschst du vergebens nach? Von mir erfährst du’s nicht.“ (Soph. Oid. T. 328–334; übers. v. W. Willige, K. Bayer). Dann gibt er die Wahrheit preis: „Den Mörder des Mannes nenn’ ich dich, nach dem du forschst. […] Nichts ahnend, sag’ ich, pflegst du mit den Teuersten in Schanden Umgang, tief im Argen unversehens. (Soph. Oid. T. 362f, 366f; übers. v. W. Willige, K. Bayer – vgl. auch: 447–462).

Teiresias ist es auch, der als warnender Ratgeber Kreon davon abbringen will, sein Todesurteil gegen Antigone und Ismene aufzuheben. Nachdem in einem Machtkampf um die Herrschaft zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes beide ums Leben gekommen waren, kam Kreon, der Bruder Iokastes, der Frau des Ödipus, an die Macht. Das Bestattungsverbot gegen Polyneikes verkündet Kreon in einer Staatsrede und begründet seinen Beschluss damit, dass er in ihm einen Usurpator sieht, der seinem Bruder Eteokles die göttlich legitimierte Herrschaft streitig machen wollte. Während der Rede erfährt er, dass Antigone Polyneikes bestattet hat und wittert Verrat. Am Schluss tritt schließlich Teiresias auf, der ihn mit diesen Worten ermahnt:

TEIRESIAS:

… die Opfer zeichenlos, die Deutung bleibt verwehrt!

Denn mir ist dieser Führer, andren bin ich’s selbst. –

Und nur durch deinen Willen duldet dies die Stadt.

Denn Feuerstätten und Altäre sind uns jetzt

besudelt durch der Vögel und der Hunde Fraß

am Leib von Ödipus’ gefallnem Unglückssohn.

Die Götter nehmen Opfer und Gebete schon

nicht mehr von uns entgegen, nicht der Schenkel Brand.

[…]

Nur Eigensinn verfällt der Schuld des Unverstands.

Gib nach dem Warner: stich nach dem Erschlagenen nicht!

Den Toten nochmals töten – welcher Heldenmut!

(Soph. Ant. 1013–1030, übers. v. W. Willige, K. Bayer)

Doch die Einsicht des Kreon kam zu spät – zu dem Zeitpunkt, als alle Beschuldigten sich das Leben nahmen.

Teiresias’ Grab befindet sich laut Pausanias dort, wo er auch gestorben ist, und zwar an der Quelle Tilphousa, von der er noch getrunken haben soll, bevor er starb (Paus. 9,33,1). Er erhielt sogar göttliche Ehren (Diod. 4,67; Plut. mor. 434c), sodass er auch im Hades das Bewusstsein behalten und Odysseus preisgeben konnte, wie er den Poseidon versöhnen kann (Hom. Od. 19, 492ff.; 11,90ff.).

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