Die Antike
Ohne die zum größten Teil nur in Ruinen erhaltenen Bauten der Griechen und Römer hätte es keine europäische Architektur in der Form gegeben, wie sie in den vergangenen Jahrhunderten bis heute Gestalt angenommen hat.
Griechische Baukunst
Der griechische Tempel
Griechische Architektur ist für uns gleichbedeutend mit griechischem Tempelbau.
Der griechische Tempel war das Haus eines Gottes, der in Gestalt seines Kultbildes in der Cella anwesend war. Sterbliche hatten keinen Zutritt. Ihre Opfer brachten sie an einem vor dem Tempel stehenden Altar dar.
Er zeigt sich als ausgewogenes System von tragenden und getragenen Bauteilen. Die tragenden sind die Säulen, die sich in einzelnen Ordnungen zu erkennen geben: der dorischen, ionischen und korinthischen. Die getragenen Teile bestehen im Gebälk und dem abschließenden Dreiecksgiebel, wobei das Gebälk wiederum zu einem tragenden Teil wird.
Für fast zwei Jahrtausende war er, und zwar ausschließlich sein Außenbau, gleichsam der ideelle Steinbruch für jegliche europäische Baukunst. Seine Säulen, Kapitelle, Friese, Gesimse und Giebel wurden zu kanonischen Elementen von Sakral- und Profanarchitektur. Schließlich übernahmen ihn neuzeitliche Baumeister in ganzer Gestalt, von seinen Göttern entvölkert, und führten ihn anderen Bestimmungen zu. Kirchen, Museen und Börsen glichen nun einem Tempel des Zeus, der Athene, der Artemis.
Die dorische Ordnung
3 Dorischer Tempel mit einfachem Umgang (Peripteros).
Nach A. Palladio
Der klassische dorische Tempel ist der Peripteros über rechteckigem Grundriss. Der Kern, die Cella, ist von einem Kranz frei stehender Säulen umgeben.
4 Dorischer Tempel, Front. Idealdarstellung
Auf einem meist dreigliedrigen Stufenbau (Krepis) über dem im Boden liegenden Unterbau stehen die Säulen, die einen steinernen Balken tragen, den Architrav, über dem ein Fries liegt. Der an einer der Stirnseiten gelegene Eingang der Cella fällt im Schatten der Vorhalle kaum ins Auge.
An den Schmalseiten erhebt sich über dem Fries der dreieckige Giebel, der das Satteldach abschließt.
Dieser Aufbau gilt auch für Tempel der ionischen und der korinthischen Ordnung (s.u.).
5 Dorische Säule. Idealdarstellung
Die dorische Säule hat keine Basis. Der sich nach oben verjüngende oder mit einer Schwellung (Entasis) versehene Schaft ist mit 18 bis 20 Kanneluren versehen. Er ist aus mehreren bossierten „Trommeln“ zusammengesetzt (ein technisch bedingtes Motiv, dem in neuzeitlicher Architektur meist ästhetische Bedeutung zukommt).
6 Dorisches Kapitell. Idealdarstellung
Das Kapitell, das über einem schmalen Einzug am Säulenhals ansetzt, ist ein einfaches rundes Kissen (Echinus) mit einer darüber liegenden rechteckigen Platte (Abakus).
7 Dorisches Gebälk und Giebel. Idealdarstellung
Über den Deckplatten der Kapitelle liegt der schmucklose Architrav, darüber ein Fries mit Triglyphen und Metopen, die häufig mit Reliefs geschmückt sind, und schließlich ein vorspringendes Gesims (Geison). Der dreieckige Giebel ist mit Reliefs oder vollplastischen Figuren in einem szenischen Kontext versehen.
8 Halbsäulen. Akragas, Tempel B, Olympieion
Schon im antiken Griechenland setzte man Halbsäulen gegen eine Wand, wie hier am Tempel B, dem Tempel des Olympischen Zeus, in Akragas (nach 480 v. Chr.).
9 Tempel mit doppeltem Umgang (Dipteros). Schematische Darstellung
Dieser Typus des Tempels ist vor allem im ionischen Kleinasien verbreitet. Die Cella ist von einer doppelten Säulenstellung umgeben. Um 200 v. Chr. baute der Architekt Hermogenes auch Pseudodipteroi, bei denen die innere Säulenstellung entfiel, sodass sich eine den ganzen Bau umgebende weite Wandelhalle ergab.
Die ionische Ordnung
10 Ionische Ordnung. Didyma, älteres Didymaion. Rekonstruktion.
Während Grund- und Aufriss des Tempels im Prinzip jenen des dorischen Tempels entsprechen, unterscheidet sich die ionische Säule wesentlich von der dorischen. Anders als jene besitzt sie eine Basis und ist merklich höher und schlanker. Die Kanneluren sind erheblich zahlreicher als die der dorischen Säule (in der Frühzeit bis zu 48).
Die Basis kann in der Abfolge von Wülsten und Hohlkehlen vielfach variieren. Häufig ist die Säule in ihrem unteren Teil mit Reliefs geschmückt, mitunter mit lebensgroßen Figuren, oder die Kanneluren sind mit Rundstäben gefüllt.
11 Ionische Säule. Nach A. Palladio
Insgesamt ist die ionische Ordnung wesentlich reicher ornamentiert als die dorische.
Charakteristisch für das ionische Gebälk ist ein Architrav, der aus drei flachen, abgetreppten Streifen (Faszien) besteht. Der darüberliegende Fries ist mit einem Eierstab (Kyma) verziert. Unter dem Gesims (Geison) reihen sich kleine „Zähne“ (Zahnschnitt), ursprünglich die Stirnseiten einer engen Balkenlage. Wegen seiner dekorativen Wirkung wurde das Motiv von Architekten der Neuzeit, vor allem im Klassizismus, häufig verwendet.
12 Ionisches Kapitell. Nach A. Palladio
Der Säulenhals schließt mit einem ionischen Kyma (Blattstab, Eierstab) ab, darüber folgt der Echinus, der sich zu beiden Seiten zu einer Volute einrollt. Auf dem Echinus liegt ein niedriger Abakus in Gestalt einer dünnen Platte.
Die korinthische Ordnung
Sie ist die jüngste der drei klassischen Ordnungen. Das Kapitell wurde gegen Ende des 5. Jahrhunderts erfunden. Zunächst fand es nur in der Innenarchitektur und bei kleineren Bauten Verwendung. Erst in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. wird es in der monumentalen Tempelbaukunst am Außenbau eingesetzt.
Es gibt zunächst keinen korinthischen Kanon zusammengehöriger Formen von Säule, Kapitell und Gebälk.
Die Säule hat wie die ionische eine Basis und ist kanneliert. Das Gebälk entspricht entweder dem dorischen mit glattem Architrav und Metopenfries oder dem ionischen mit Faszien, Eierstab und Zahnschnitt zwischen Fries und Gesims (Geison).
13 Korinthisches Kapitell. Nach A. Palladio
Um den Körper des Kapitells legen sich zwei Reihen von Akanthusblättern so übereinander, dass die Blätter versetzt erscheinen. Nach oben wachsen Stängel hervor, die sich zu Voluten einrollen, und zwar zwei kleinere, einander zugeneigte in der Mitte, zwei größere, nach außen gewandte an den Ecken, die den Abakus mit seinen eingezogenen Kanten stützen.
Erst zu Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. kommt es zu einer kanonischen Ordnung (s.u.), die sich allerdings als umso langlebiger erweisen sollte.
Römische Baukunst
Um 300 v. Chr. begann der Niedergang des griechischen Tempelbaus. Im frühen 1. Jahrhundert traten in den östlichen römischen Provinzen römische Auftraggeber auf den Plan. Deren Baumeister orientierten sich zunächst an griechischen Vorbildern, die sie sowohl im Vorderen Orient wie in den griechischen Kolonien auf italienischem Boden vorfanden. So unterscheiden sich die frühen römischen Tempel nicht von den griechischen.
Doch mit der Zeit geht die römische Baukunst ihre eigenen Wege. Dabei entwickelt sie einen besonderen Sinn – nicht für die Säule – sondern für die Wand. Sie ist wuchtig und massiv, vertikale Wände werden mit Nischen versehen, Räume mit Gewölben gedeckt.
14 Verschiedene Formen des Antentempels. Schematische Darstellung
Die Baumeister griffen hierbei auf die älteste Tempelform Griechenlands zurück: den Tempel ohne Säulenumgang, der nichts anderes war als das Haus eines Gottes. Später bildete es den Kern des Peripteros (s. S. 12). Auch die üblichen Schatzhäuser hatten die Gestalt eines Antentempels.
In seiner schlichtesten Form ist auch der römische Antentempel ein rechteckiger gemauerter Bau mit einer überdachten Vorhalle, die aus den vorgezogenen Längswänden (den Anten) und zwei zwischen sie gestellten Säulen besteht. Mit der Zeit bildeten sich verschiedene Spielarten...