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E-Book

Die Habsburger ohne Reich

Geschichte einer Familie seit 1918

AutorDieter Kindermann
VerlagVerlag Kremayr & Scheriau
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783218008662
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Die Geschichte der Habsburger im 20. Jahrhundert: Dieter Kindermann ist ein persönlicher Freund der Familie Habsburg, er kennt ihre Geschichte und auch persönliche Details aus ihrem Leben wie kaum ein anderer. In diesem Buch spannt er den Bogen von 1918, als die kaiserliche Familie von Eckartsau ins Ausland floh, bis heute: Er blickt zurück auf das Leben von Ex-Kaiserin Zita, bei deren Rückkehr nach Österreich auch er eine Rolle spielte. Er porträtiert den leidenschaftlichen Europäer Otto Habsburg, Sohn des letzten Kaisers. Er erzählt von dessen Kindern, etwa Walburga Habsburg-Douglas, Abgeordnete im schwedischen Parlament, und Gabriela Habsburg, georgische Botschafterin in Deutschland, von Beruf Bildhauerin. Und natürlich von Karl Habsburg, Chef des heutigen Hauses Habsburg, und seiner Frau, der Kunstmäzenin Francesca Thyssen-Bornemisza. Entstanden ist ein Buch, das ein facettenreiches, noch kaum erforschtes Bild der heutigen Familie Habsburg zeichnet und in Rückblenden ein Stück österreichischer Geschichte erzählt.

Dieter Kindermann, 40 Jahre lang politischer Redakteur der 'Kronen Zeitung', verfasste fast tausend Reportagen mit namhaften Zeitzeugen und herausragenden Historikern zur Geschichte der Republik und der Kirche von 1918 bis heute. Er gilt als Intimus der Familie Habsburg. Von Papst Johannes Paul II. wurde er im Jahr 2003 zum Commendatore ernannt.

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Leseprobe

Die Kaiserin und der »Sonnenkönig«


Ministerratssitzung am 4. Mai 1982: Die Zeichen in der SPÖ-Alleinregierung standen auf Sturm. Erste Umfragen besagten einen klaren Erfolg des ÖVP-Volksbegehrens gegen das Konferenzzentrum in der UNO-City. (Tatsächlich wurde es dann mit 1,4 Millionen Unterschriften unterstützt.) Aber noch hoffte die SPÖ, das ORF-Duell zwischen Kanzler Bruno Kreisky und ÖVP-Chef Alois Mock am 7. Mai 1982 könnte einen Meinungsumschwung herbeiführen. Es sollte aber auch ein Fitnesstest dafür sein, ob der von schweren Augen- und Nierenleiden (Dialysepatient) gezeichnete Regierungschef bei der Nationalratswahl 1983 erneut antreten konnte. »Der Kanzler ist nach dem Ministerrat dennoch auf Ihr [anachronistisches?] Thema ansprechbar«, versicherte mir dessen Pressesprecher Wolfgang Petritsch. Dabei ging es um das Schicksal der letzten österreichischen Kaiserin und Königin von Ungarn, Zita.

Anfang Mai 1982 hatte mich ein Anruf aus dem verträumten Renaissanceschloss Waldstein in Übelbach bei Graz erreicht. Am Telefon meldete sich Elisabeth von Liechtenstein, die jüngste Tochter von Kaiser Karl und Kaiserin Zita. »Meine Mutter wird jetzt 90, ist schon seit 63 Jahren im Exil und möchte nach Österreich zurückkehren«, erklärte sie. Mit dem Nachsatz: »Ohne auf etwaige Herrschaftsansprüche zu verzichten.« Und: »Können Sie uns unterstützen?«

Als ich Bruno Kreisky nach dem Pressefoyer des Ministerrats im Steinsaal darauf ansprach, grantelte er: »Also so viel Republikaner müssen Sie schon sein, Herr Kindermann, dass Sie sagen: ›Ex-Kaiserin‹.« In versöhnlicherem Ton fügte er noch hinzu: »Der spanische König Juan Carlos hat mich schon auf Mallorca auf diese Problematik angesprochen. Und ich habe ihm versprochen, eine menschliche Lösung zu finden.«

Typisch österreichische Lösung?


»Und wie könnte die ausschauen?«, hinterfragte ich bei Bruno Kreisky, dem taxfrei der Titel »Sonnenkönig« verliehen worden war, keck. »Na ja, wir werden der Ex-Kaiserin ein Durchreisevisum ausstellen – und keiner wird nachschauen, ob sie dageblieben ist«, brummelte er.

Also eine typisch österreichische Lösung, die sich letztlich aber erübrigte, weil Ludwig Adamovich den Stein der Weisen fand. Er war damals Leiter des Verfassungsdienstes im Kanzleramt, später oberster Verfassungshüter der Nation – und ist heute Berater von Bundespräsident Heinz Fischer. Auf dem Weg zu seinem Büro im zweiten Stock des Leopoldinischen Traktes der Hofburg überwiegt imperialer Glanz: eine Saalflucht mit Konferenz- und Veranstaltungsräumen. Alles in gold-weißem Neo-Barockstil: mit roten Teppichen, Riesenspiegeln, Kachelöfen, Ananas-Damast-Tapeten, Gemälden von Monarchen wie Leopold II., aber auch den bisherigen Bundespräsidenten der Zweiten Republik.

»Ich habe mich damals auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Februar 1980 gestützt«, erinnert sich Ludwig Adamovich. Es besagte, dass laut § 2 des Habsburger-Gesetzes 1919 nur jene Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen landesverwiesen seien, die kraft Abstammung einen Nachfolgeanspruch auf den Thron hätten. Und das auch nur dann, wenn sie nicht ausdrücklich auf ihre Mitgliedschaft zur eigenen Familie verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben. »Ein Nachfolgerecht kraft Abstammung konnte aber durch Verehelichung mit einem Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen nicht erworben werden«, schrieb Robert Sedlacek vom Kabinett Kreisky dem Buchautor Erich Feigl. »Folgt man dieser Rechtsauffassung, unterliegt die ehemalige Kaiserin nicht der zitierten Bestimmung des Habsburgergesetzes.«

Der »Habsburg«-Anwalt Wolfram Bitschnau kommentierte das trocken: »Demnach war Kaiserin Zita seit 1919 zu Unrecht des Landes verwiesen.«

Zita: »Man ist, was man ist«


16. Mai 1982, Grenzübergang Feldkirch-Tisis: Die Monarchin betrat erstmals nach 63 Jahren Exil wieder österreichischen Boden. Fast blind, schwer auf zwei Stöcke gestützt, ganz in Schwarz gekleidet. »Kein Mensch kann erahnen, was das für mich bedeutet«, sagte sie. Niemand war zu ihrer Begrüßung gekommen – außer dem Fotografen Johannes Greifeneder. Zita besuchte das Grab ihrer ältesten Tochter Adelheid in der Tiroler Gemeinde Tulfes, zu deren Beisetzung sie, die Mutter, 1971 nicht hatte einreisen dürfen.

10. November 1982 bei Elisabeth und Heinrich von Liechtenstein in Schloss Waldstein bei Graz: Ich fragte Zita, die hier einige Urlaubstage verbrachte, ob sie sich noch als Kaiserin fühle. »Man ist, was man ist«, erwiderte sie mit mildem Lächeln.

13. November 1982: Tausende Menschen strömten in den Stephansdom. Es herrschte lebensgefährliches Gedränge. Kardinal Franz König zelebrierte eine Messe für Zita. »Ihr tiefer Glaube ist ihr in den vielen Jahren des Exils eine Stütze gewesen«, erklärte er. Applaus brandete auf, die Kaiserhymne »Gott erhalte« wurde angestimmt.

Wie viel Monarchisten gibt es noch?


»Österreich ist eine Republik ohne Republikaner«, hatte Staatskanzler Karl Renner nach dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 geätzt. Bruno Kreisky wiegelte 1982 Proteste seiner Parteifreunde gegen die Habsburg-Nostalgie mit den Worten ab: »Die Republik ist stark genug, um das auszuhalten.« Tatsächlich bestätigten das Meinungsumfragen des Fessel-GfK-Institutes, wie Peter Ulram analysierte. »1951 hingen noch 21 Prozent der Monarchie nach, 1980 nur noch fünf Prozent. Heute dürften es noch weniger sein: vermutlich zwei bis drei Prozent.«

8. März 1983 in der Schweizer Gemeinde Zizers an der Verbindungsstraße vom Bodenseeraum nach Chur und zu den Bündner Alpenpässen. Ringsum schneebedeckte Gipfel, die Pfarrkirche St. Peter und Paul, die reformierte Kirche St. Andreas, das Untere Schloss mit dem Kuppelturm. Hier ist das Altersheim untergebracht, in dem Kaiserin Zita die letzten 27 Jahre ihres 63-jährigen Exils verbrachte – von 1962 bis zu ihrem Tod am 14. März 1989.

Aufschrift auf der Serviette: »Ihre Majestät«


Anfang März 1983 »gewährte« mir die Kaiserin eine »Privataudienz« in Zizers: In ihrem kleinen Appartement ein Foto ihres ältesten Sohnes Otto von Habsburg, ein Gemälde von Kaiser Franz Joseph und Erzherzog Karl, ihrem Mann, ein Schwarzweiß-Fernseher, an dem sie jeden Abend die »ZiB 1« verfolgte. In ihrem Speisezimmer ein Herz-Jesu-Bild, auf dem Esstisch eine Serviette mit der Aufschrift »Ihre Majestät«. Wir kamen natürlich darauf zu sprechen, dass ihr der sozialdemokratische Kanzler die Rückkehr in das republikanische Österreich ermöglicht hatte. »Bruno Kreisky wäre für mich auch als k. u. k. Ministerpräsident vorstellbar gewesen«, streute sie dem sozialdemokratischen Regierungschef Rosen.

»Das war nur eine Captatio, eine Dankesbezeugung der Ex-Kaiserin dafür, dass ich sie wieder nach Österreich habe einreisen lassen«, schmunzelte Kreisky. »Aber k. u. k. Ministerpräsident, das übersteigt meine Vorstellungskraft.« Und leicht ironisch: »Ich wäre damals nicht einmal an die Pforte Ihrer Gnaden gelangt.«

Österreichs letzte Kaiserin, die mitten in die Geschichte der Zweiten Republik geplatzt war, ließ sich davon aber nicht beeindrucken. »Kaiser Karl hat im Jahre 1918 Karl Renner (dem späteren Republikbegründer, Staatskanzler und Bundespräsidenten) den Posten eines Ministerpräsidenten angeboten. Und dieser schien nicht abgeneigt zu sein, wurde aber von seiner eigenen Partei zurückgepfiffen.« (»Es gab Zeitzeugen, die das bestätigten, aber keinen Beweis dafür«, so der Historiker und Renner-Biograf Siegfried Nasko.) Zita legte allerdings noch ein Schäuferl nach, indem sie erzählte: »Ich habe sie ja alle gekannt. Sie wurden mir alle vorgestellt, die sozialdemokratischen Spitzenpolitiker: Victor Adler, Karl Seitz, Theodor Körner, Karl Renner usw.« Und nach einer Gedankenpause: »Mein Gott, ich hab den Eindruck gewonnen: Hier stehen Österreicher vor mir. Schauen Sie, die einen Leute sind etwas links, die anderen wieder etwas rechts. Aber es kann doch jeder das sein, was er will.«

Wolfgang Petritsch: Hintergründe


Wolfgang Petritsch war, wie erwähnt, Pressesprecher von Bruno Kreisky, später Hoher EU-Repräsentant in Bosnien und Herzegowina. Und ist jetzt Botschafter bei der OECD in Paris in der Rue Albéric Magnard. »Bruno Kreisky kam aus einem größeren Österreich«, erklärt er den psychologischen Hintergrund des ehemaligen Kanzlers. »Er hat auch Österreich immer größer gesehen, als es seine geografischen Grenzen sind. Und er wollte Brücken schlagen– vom alten Österreich in die Zweite Republik.«

Tatsächlich kam Bruno Kreisky aus einer altangestammten Industriellenfamilie. Er trat trotz seiner bürgerlichen Herkunft als Mittelschüler der sozialistischen Bewegung bei. Ganz einfach deshalb, weil ihn die erschreckende Armut in der Ersten Republik zutiefst aufgewühlt, erschüttert hatte. Kreisky wurde wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt – zuerst vom austrofaschistischen Ständestaat und dann vom NS-Terrorregime ins Gefängnis geworfen. Bis ihn eine glückliche Fügung 1939 in das schwedische Exil verschlug.

Nach der Auferstehung, der Wiedergeburt Österreichs 1945, begann der unaufhaltsame Aufstieg von Bruno Kreisky: Staatssekretär, Außenminister, Bundeskanzler. Dreimal errang er die absolute Mehrheit: 1971, 1975 und 1979. 1983 wollte er es noch einmal wissen: »Entweder die Absolute oder ich trete zurück.« Aber Kreisky bekam nur noch die relative Mehrheit. Und nahm konsequenterweise den Hut. Das ist bei den Politikern von heute nicht mehr so...

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