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Die heilsame Sturheit der Kirche

Eine Streitschrift

AutorDieter Hattrup
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783451346033
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Ist, wie Darwins Evolutionslehre zeigt, der Königsweg im Kampf ums Überleben die Anhäufung von Reichtum, Macht und Nachkommenschaft? Seit 2000 Jahren hält die Kirche hartnäckig an einer Gegenstrategie fest, die Jesus vorgelebt hat: ein Leben in Armut, Machtverzicht und Ehelosigkeit. Vor dem Hintergrund von Darwins Menschenbild erscheinen Armut, Gehorsam, Ehelosigkeit in völlig neuem Licht und lassen das hartnäckige Festhalten der Kirche daran als heilsame Sturheit erscheinen.

Dieter Hattrup, geboren 1948, Prof. Dr. Dr., lehrt Dogmatik an der Theologischen Fakultät in Paderborn. Studium der Mathematik, Physik und Theologie.

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Leseprobe

2. Ökonomie und Ökologie


These II: Die konsumtiven Gesellschaften werden von außen zur Ökodiktatur gezwungen, wenn sie nicht von innen eine Kultur des Verzichtes entwickeln.

 

2.1 »Unserer konsumtiven Gesellschaft blieb es vorbehalten, diese Erfahrung zu vergessen.« Dies haben wir von Carl Friedrich von Weizsäcker gehört. Wie konnte die Erfahrung des Verzichtes, des Opfers, der Askese vergessen werden? Ich nehme an, weil die Endlichkeit vergessen war oder, besser gesagt, vergessen werden sollte. Die Botschaft der Neuzeit lautete über einige Jahrhunderte hin: Unendlichkeit! Entwicklung und Wachstum ohne Ende!

Und jetzt? Vielleicht ist die Kunde noch nicht bis in das letzte Dorf gelangt, aber in den Zentralen des Wissens weiß man von ihr: Die Erde ist rund und hat eine nicht wachsende Oberfläche, und selbst das Weltall, das sehr große, ist ebenfalls endlich, es wächst, aber ohne Zuwachs an Materie. Die Wissenschaft des 20. Jahrhunderts hat an der Unendlichkeit der Natur zu zweifeln begonnen, im gleichen Augenblick, als der Glaube des Publikums an diese Unendlichkeit seinen höchsten Stand erreicht hatte.

Die Erkenntnis wird eine ernüchternde Wirkung im Gefolge haben. Die Kolonisierung wenig entwickelter Völker in Afrika und Asien oder die nach Westen getriebene Kolonisation in Amerika von fast unbewohnten Gebieten hatte in der Neuzeit die Endlichkeit fast vergessen lassen. Wer im alten Europa das Gefühl der Enge hatte, wer mehr Raum brauchte, um sich zu entfalten, der war einfach über das Meer gefahren und hatte die Weite gefunden, die er suchte. Da konnte er in der schönen neuen Welt die Freiheit genießen, die er in der alten Welt vermisst hatte. Auch die europäischen Staaten fuhren vom 16. bis zum 19. Jahrhundert einige Male über das Meer und nahmen ein paar Kolonien an sich, als ihnen in Europa der Platz zu eng geworden war. Diese schöne Gelegenheit zur individuellen und kollektiven Erweiterung des Ich hatte es vor der Neuzeit nicht gegeben, noch besitzt jetzt die Nach-Neuzeit diese Möglichkeit. Jetzt ist wieder alles endlich geworden, wenn auch sehr viel größer als vor Jahrhunderten: die Erdoberfläche, der Kosmos, die Sonne, das Erdöl, sie alle haben eine ungeheure Ausdehnung, von denen unsere Ahnen nichts wussten, aber sie sind nicht unendlich. Selbst die Lichtgeschwindigkeit, ja die Natur selbst ist endlich geworden, da sie vor fast 14 Milliarden Jahren ihren Anfang genommen hat.

Wir können Bilanz ziehen: Die Neuzeit war das Zeitalter gewesen, das an die Unendlichkeit geglaubt hatte, genauer gesprochen, das sogar an den baldigen Besitz der Unendlichkeit geglaubt hatte. Die kühne Epoche meinte die Unbegrenztheit Gottes ersetzen zu können durch die unbegrenzte Eroberung der Natur, weil sie die Natur für unendlich hielt, sowohl dem Raum wie der Zeit nach. Nietzsche befuhr als der wahre Kolumbus in Gedanken den neuen Atlantik: »Alles glänzt mir neu und neuer, Mittag schläft auf Raum und Zeit –: Nur dein Auge ungeheuer Blickt mich’s an, Unendlichkeit!«1

Um diese Schifffahrt hinaus ins Weltall ist es still geworden, nur die Phantomschmerzen der amputierten Hoffnung sind uns geblieben. Das Universum ist im 20. Jahrhundert auf allen Ebenen geschrumpft. In der Physik und in der Kosmologie, in der Evolution und in der Hirnforschung: Alle Erscheinungen in der Natur und die Natur selbst sind endlich geworden, eben weil nicht alle Wirklichkeit bloße Natur ist. Die schwerste Kränkung musste die Naturwissenschaft hinnehmen: Sie hatte auf ein Identitäts-, auf ein Wissensprinzip gehofft, auf eine volle kausale Erklärung aller von ihr untersuchten Erscheinungen. Was sie zum Schluss antraf, waren Zufall und Notwendigkeit, eine letzte, nicht übertreffbare Mischung von Nichtwissen und Wissen. Nicht über diesen Rahmen hinaus, vielmehr vollständig innerhalb dieses Rahmens bewegen sich die Wissenschaften, die Geschichte, die Natur, ja alles Leben.

Umgekehrt hatte die Neuzeit im Glauben an eine Gleichsetzung von Natur und Wirklichkeit gelebt, vom berühmten Spinoza mit seinem ›Deus sive natura‹2 bis zu einem weniger berühmten Münchener Physiker, der die Formel zu seinem Lebensmotto gemacht hatte: »Alle Wirklichkeit ist Natur.«3 Wir dürfen diese Formel nur umdrehen, um das gesammelte Ergebnis der wissenschaftlichen Anstrengung in einer neuen Grundformel vor Augen zu haben: »Nicht alle Wirklichkeit ist Natur.« Wenn die Natur von der Naturwissenschaft erforscht wird, dann stößt sie am Ende auf das Paar von Zufall und Notwendigkeit, das alle Bewegung in der Natur leitet oder, man muss sagen, zugleich auch nicht leitet. Denn nur die Notwendigkeit liefert Wissen von der Bewegung, der Zufall schränkt dieses Wissen grundsätzlich ein. ›Ja! Die Physik hat aufgegeben. Wir wissen nicht, wie man vorhersagen könnte, was unter vorgegebenen Umständen passieren würde. … Dies ist eine Einschränkung unseres früheren Ideals, die Natur zu verstehen. Es mag ein Schritt zurück sein, doch hat niemand eine Möglichkeit gesehen, ihn zu vermeiden.‹4 Für dieses Ergebnis hat die Wissenschaft einige Jahrhunderte gebraucht, doch ich meine, die Anstrengung hat sich gelohnt. Vor allem die Theologie kann von der neuen Grundformel einen großen Aufschwung erfahren.

Auch in praktischer Hinsicht hat jetzt die Endlichkeit den Menschen ganz in Beschlag genommen. Die Technik ist immer schon die Schwester der Wissenschaft gewesen. Sie war zugleich eine Schwester der Pandora; Hesiod im Altertum nannte sie das schöne Übel. Sie hat das überwältigende Geschenk von Wissenschaft und Technik auf die Erde gebracht. Doch in ihrem Gefolge werden die Energievorräte, die über Hunderte von Millionen Jahren in der Erde eingelagert wurden, in wenigen Jahrzehnten aufgezehrt sein. Zugleich steigt die ganz andere Gefahr auf, die Oberfläche der Erde in einen Müllplatz zu verwandeln. Das stärkste Argument der Umweltschützer lautet: Wenn heute die ganze Menschheit den Verbrauch an Energie hätte, den die westlichen konsumtiven Gesellschaften jetzt pflegen, dann wäre die Erde schon lange in die Knie gegangen.

Das seit hundert oder zweihundert Jahren anhaltende Wachstum des Wohlstandes hat die Idee eines ewigen Weiterwachsens für alle Zeiten nahe gelegt. Und, was das Schlimme ist, die Idee hatte nicht nur das Gefühl in Beschlag genommen, sondern auch den Verstand. Das ständige Wachstum ist der Sache nach vorbei, aber der Idee nach ist das Wachstum zum Normalgefühl des westlichen Menschen geworden. Was aber passiert, wenn das Wachstum ins Stocken gerät oder gar zum Erliegen kommt? Eine Gesellschaft zu regieren, deren Reichtum im Steigen begriffen ist, macht keine Mühe, diese Gesellschaft aber vom Glauben an das weitere Wachstum abzubringen, ist sehr schwer; gar unmöglich wird das Regieren, wenn es zum Schrumpfen kommt. Dann mag die Stunde der Diktatur wieder geschlagen haben.

Dieser Augenblick der Stagnation und des umgekehrten Wachstums wird kommen. Oder ist er schon gekommen? Für die Politiker wird die Situation schwierig werden, denn sie müssen ihren Wählern einige und mit der Zeit noch mehr Einschränkungen im Lebensstil auferlegen. Das sehen die Wähler auch ein, sie wählen gerne Umweltparteien. Sie meinen aber, bei der Einschränkung im Gebrauch der Ressourcen mehr den Nachbarn als sich selbst beschränken zu sollen. ›Das Notwendige soll geschehen, aber nicht notwendig bei mir.‹ So ist die Mehrzahl der Bürger für artgerechte Tierhaltung, dennoch kaufen sie in der Mehrzahl das Fleisch, die Milch und die Eier doch lieber beim Discounter. Wie bei den Regierten so bei den Regierenden. Das Sparen und die ökologische Nachhaltigkeit sind beliebt, ein Thema, das sie aber lieber anderen predigen, als sich beim Benzinverbrauch an die eigene Brust zu klopfen. Wer Wasser predigt und Wein trinkt, der beginnt die Ökodiktatur.

Eine genaue Definition ist nicht so leicht zu geben, denn das Leben ist bunt und vielfältig, da sieht eine Definition immer einfältig aus. Der Begriff unterscheidet scharf zwischen Schwarz und Weiß. Eine gewisse Diktatur gibt es in jeder Gesellschaft, weil das Zusammenleben immer wieder Einschränkungen mit sich bringt. So halte ich die Begrenzung der Geschwindigkeiten in Wohngebieten für sinnvoll. Doch wenn mein Auto geblitzt wird, nun ja, dann bin ich nicht mehr so sehr für das Verbot. Es gibt eine Sonntags- und Feiertagsregelung, die meine Aktivitäten einschränkt. Noch mehr bei der Schule. Ich muss meine Ferien, wenn ich Kinder dort habe, an die Zeiten angleichen, die mir die Schulbehörde vorgibt.

All dieses kann ich ertragen, weil ich die Vernunft der Maßnahme einsehe, wenigstens bei ruhiger Überlegung. Bei einer eigentlichen Diktatur aber glaubt nur eine Minderheit oder gar nur ein einziger Diktator, das Vernünftige einzusehen und seine Maßnahmen allen anderen auferlegen zu dürfen. Sei es um eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen, sei es um ein Herrenvolk zum Sieg zu führen, oder sei es um die Natur zu retten. Wobei ich keine Diktatur kenne, die nicht früher oder später entartet ist, indem der Diktator und seine Klasse sich maßlos bereichert haben.

Hier bietet sich jetzt die Definition der Diktatur an: Um eines einzigen Zieles willen werden alle anderen Ziele heruntergestuft oder ausgelöscht. Und die Ökodiktatur will jetzt dieses eine Ziel erreichen: Das Überleben des Menschen in der Natur ist zu sichern!

Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin sehr für das Überleben des...

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