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Die Hirnforscherin, die den Verstand verlor

Was mich mein Hirntumor über das Wesen der menschlichen Persönlichkeit lehrte. Die Geschichte einer unglaublichen Heilung

AutorBarbara K. Lipska, Elaine McArdle
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641218324
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die spektakulären Erlebnisse einer Hirnforscherin
Dr. Barbara Lipskas längst geheilt geglaubter Hautkrebs streut ins Gehirn. Doch es kommt noch schlimmer: Sie erfährt einen tiefgreifenden Persönlichkeitswandel, 60 Tage lang durchlebt sie einen temporären Wahnsinn, der erst wieder verschwindet, als 18 Tumoren im Gehirn gefunden und entfernt werden. Die Expertin für Schizophrenie und andere psychische Erkrankungen erzählt, wie sie selbst erlebte, was sie zuvor nur aus ihrer Forschungsarbeit kannte: Anschaulich und erschütternd berichtet sie, wie sie ein völlig anderer Mensch wurde, ihre Familie tief verletzte, Kollegen vor den Kopf stieß, plötzlich einfachste Dinge nicht mehr konnte, die Orientierung verlor und davon überzeugt war, dass sich alles und jeder gegen sie verschworen hatte. Gleichzeitig stellt die renommierte Neurowissenschaftlerin die neueste Forschung darüber vor, was bei psychischen Erkrankungen im Hirn passiert und zeigt - quasi am eigenen Fallbeispiel -, wie unser Hirn funktioniert und wie fragil es ist.

Dr. Barbara K. Lipska ist Direktorin des Human Brain Collection Core am National Institute of Mental Health der USA und eine der weltweit anerkanntesten neurowissenschaftlichen Expertinnen auf dem Gebiet der Schizophrenie und anderer psychischer Erkrankungen. Sie lebt in Virginia. Elaine McArdle ist eine preisgekrönte Journalistin und Autorin. Sie schrieb unter anderem für den »Boston Globe« und lebt in Portland, Oregon.

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Leseprobe

Prolog

Ich laufe und laufe und laufe. Und zwar schon seit Stunden. Ich will nach Hause, habe aber keine Ahnung, wo das sein könnte, obwohl ich seit zwanzig Jahren in diesem Viertel wohne. Also laufe ich weiter.

In einem Affenzahn renne ich durch die von Bäumen gesäumten Straßen eines Vororts in Virginia und trage dabei mein übliches Outfit – ein Tanktop und eine kurze Laufhose. Ich werde schneller und schwitze, mein Herz schlägt heftig, aber gleichmäßig, während ich an den großen Anwesen mit Doppelgarage und in der Auffahrt abgestellten Rädern vorbeiflitze.

Wir schreiben das Jahr 2015, es ist Spätfrühling, und ein besonders schwülheißer Sommer kündigt sich an. Noch sind die perfekt getrimmten Rasenflächen grün und saftig. Rosa und weiße Pfingstrosen stehen in voller Blüte, und um mich herum explodieren die Azaleen in allen Regenbogenfarben.

In den letzten zwanzig Jahren bin ich diese Strecke Hunderte von Malen gejoggt und sollte eigentlich jeden Ahornbaum und Kamelienstrauch kennen, jede kaputte Bordsteinkante, wo ein ungeübter junger Fahrer zu schnell um die Ecke gebogen ist. All das sollten hinlänglich bekannte Orientierungspunkte für mich sein. Doch heute kommt es mir so vor, als hätte ich sie noch nie im Leben gesehen.

Als mein Mann und ich hier vor fünfundzwanzig Jahren unser Haus kauften – keine zwei Jahre nachdem wir der Trostlosigkeit des kommunistischen Polen entflohen waren –, kam uns dieser amerikanische Durchschnittsvorort vor wie das reinste Paradies. Was für ein Luxus! Schon bald führten wir das typische Leben der amerikanischen Mittelschicht, zu dem auch regelmäßige Take-aways vom China-Imbiss und eimerweise Eiscreme gehörten – Köstlichkeiten, die damals in Osteuropa gänzlich unbekannt waren.

Bis ich eines Tages ein Foto von mir sah, das schwabblige Oberarme und feiste Schenkel zeigte. Ich war dermaßen geschockt, dass ich mein Leben abrupt änderte. Ich musste dringend mehr Sport treiben und begann zu laufen. Da ich gern Nägel mit Köpfen mache, beschloss ich, so bald wie möglich an einem Wettlauf teilzunehmen.

Anfangs schaffte ich es nicht einmal um einen Häuserblock. Nach einem Jahr lief ich fünf Kilometer. Nach zwei Jahren meldete ich mich für mein erstes Rennen an – ein Zehnkilometerlauf, bei dem ich zu den Besten meiner Altersklasse zählte. Seitdem sind alle Mitglieder meiner Familie begeisterte Sportler – Läufer, Radfahrer und Schwimmer, die ständig für den einen oder anderen Wettkampf trainieren.

Das ist auch der Grund, warum ich jeden Morgen laufen gehe.

Als echtes Gewohnheitstier nehme ich als Erstes meine Brustprothese made in Germany aus dem Badezimmeregal. Die trage ich seit einer linksseitigen Mastektomie, die 2009 nach meinem Kampf gegen den Brustkrebs vorgenommen wurde. Die Prothese ist aus Hightech-Plastik, hautfarben, fühlt sich sehr echt an und hat die gleichen Proportionen wie meine rechte Brust. Sie hat sogar eine winzige Brustwarze. Da es eine Prothese für Sportler ist, ist sie sehr leicht und hat eine spezielle Haftfläche an der Unterseite, damit sie nicht verrutscht. Jeden Morgen vor dem Laufen fixiere ich sie auf meiner flachen linken Brust, bevor ich in meine Klamotten und Schuhe schlüpfe. Dann sause ich los.

Doch an diesem Morgen war alles anders.

Nachdem ich mir mein übliches Glas Wasser eingeschenkt hatte, betrat ich das Bad und musterte mich im Spiegel.

Man sieht meinen Haaransatz. Ich muss mir die Haare färben, dachte ich.

Jetzt, sofort!

In einer kleinen Plastikschüssel rührte ich die Farbe an – eine Henna-Coloration aus dem Drogeriemarkt, die meinem Haar den von mir so geliebten roten Schimmer verleiht – und schüttete sie mir auf den Oberkopf, wo ich sie anschließend verteilte. Ich setzte mir eine Plastiktüte auf und verknotete sie an der Seite, damit sie besser hielt.

Ich muss mich beeilen. Es ist dringend, ganz dringend! Ich muss unbedingt sofort raus und laufen!

Ich nahm mein Oberteil samt Hose und sauste damit zurück ins Bad.

Ich warf einen Blick auf die Brustprothese im Regal.

Nein, zu aufwendig, die behindert mich bloß. Ich werde keine kostbare Zeit mit so einem Unsinn verschwenden.

Rasch streifte ich mir mein hautenges Oberteil über den von der Plastiktüte bedeckten Kopf. Ohne die Prothese sah mein Oberkörper ein wenig schief aus, aber das störte mich nicht.

Ich muss jetzt sofort los!

Während ich hinaus auf die Straße rannte, lief mir rot-violette Farbe über Gesicht und Hals.

Jetzt, wo ich in der Morgenhitze jogge, breitet sich die Farbe auf meinem Oberteil aus und hinterlässt Flecken auf meiner asymmetrischen Brust.

In unserem verschlafenen Viertel sind die Straßen fast menschenleer. Sollten sich Leute, an denen ich vorbeikomme, über meine seltsame Erscheinung wundern, bemerke ich nichts davon. Ich fliege nur so dahin, bin tief in Gedanken versunken.

Nach einer Stunde werde ich langsam müde und will kehrtmachen. Aber mein Viertel ist mir merkwürdig fremd, ich erkenne weder Straßen noch Häuser.

Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich bin. Also laufe ich weiter.

Es ist absurd, dass ich mich in dieser mir so vertrauten Gegend verirre, aber das berührt mich kaum. Planlos setze ich mein Training fort.

Noch mindestens eine weitere Stunde jogge ich in meinem völlig bekleckerten Outfit weiter. Geistesabwesend, ohne zu merken, dass etwas nicht stimmt. Während ich laufe, scheinen sich meine Gedanken in der Landschaft und dem weiten Himmel zu verlieren.

Irgendwann komme ich tatsächlich wieder bei unserem zweistöckigen Haus im Kolonialstil an. Ich öffne die Tür und stehe im kühlen dunklen Flur. Erschöpft ziehe ich meine klatschnassen Schuhe und Socken aus.

Auf dem Weg ins Obergeschoss fällt mein Blick kurz in den Spiegel. Mit Henna vermischter Schweiß klebt auf meinem Gesicht, und die Plastiktüte auf meinem Kopf sieht aus wie eine bizarre Badekappe. Die zuvor noch violetten Rinnsale zieren jetzt schwarz angetrocknet Hals, Oberarme und mein Oberteil, betonen das Fehlen der linken Brust zusätzlich. Ich bin puterrot vor Anstrengung.

Aber nichts von alldem finde ich merkwürdig. Ich gehe am Spiegel vorbei die Treppe hoch.

Mirek sitzt in seinem Arbeitszimmer, mit dem Rücken zur Tür. Als er hört, wie ich den Raum betrete, sagt er: »Du warst aber lange weg. Hast du schön trainiert?«

Dann dreht er sich lächelnd zu mir um … und erstarrt.

»Was ist passiert?«, ruft er.

»Was meinst du denn?«, erwidere ich. »Ich war doch bloß laufen.«

»Hat dich jemand in diesem Zustand gesehen?« Er sieht erschüttert aus.

»Wieso sollte mich denn niemand sehen dürfen?«

»Wasch das ab«, fleht er mich an. »Bitte.«

»Jetzt beruhige dich mal, Mirek! Wovon redest du überhaupt?« Ohne seine Antwort abzuwarten, gehe ich ins Bad.

Was hat er bloß? Warum verhält er sich so seltsam?

Geduscht und entspannt verlasse ich das Badezimmer eine Viertelstunde später. Aber etwas nagt an mir.

Mein geliebter Mann ist offensichtlich sehr beunruhigt. Warum nur?

Mireks Verhalten sollte eigentlich ein Alarmsignal für mich sein, ein Hinweis darauf, dass irgendetwas gerade ganz schrecklich schiefläuft. Aber keine Sekunde später löst sich dieser unangenehme Gedanke einfach in Luft auf, verabschiedet sich zusammen mit meinem Verstand.

Als Neurowissenschaftlerin, also Hirnforscherin, beschäftige ich mich bereits seit vielen Jahren beruflich mit psychischen Erkrankungen – erst in meiner Heimat Polen und dann, seit 1989, in den Vereinigten Staaten am National Institute of Mental Health (NIMH) in Bethesda, Maryland. Mein Spezialgebiet ist Schizophrenie, eine furchtbare Krankheit, bei der Betroffene häufig Schwierigkeiten haben, Einbildung und Realität auseinanderzuhalten.

Im Juni 2015 vollzog auch mein Verstand eine höchst seltsame, erschreckende Entwicklung – und zwar ohne jede Vorwarnung! Wegen eines Melanoms, das in mein Gehirn gestreut hatte, litt ich zunehmend an geistiger Verwirrtheit – eine zweimonatige Abwärtsspirale, die ich zu dem Zeitpunkt allerdings überhaupt nicht wahrnahm. Dank einer Mischung aus Glück, bahnbrechendem wissenschaftlichem Fortschritt und der aufmerksamen Fürsorge meiner Familie konnte ich dieses finstere Tal wieder verlassen.

Ich bin ein seltener Fall: Ich habe in den Abgrund eines Gehirntumors mitsamt den damit einhergehenden geistigen Einschränkungen geschaut und bin so weit geheilt daraus hervorgegangen, dass ich davon erzählen kann. Glaubt man Psychiatern und Neurologen – also Ärzten, die sich auf das Gehirn und das Nervensystem spezialisiert haben –, kommt es nur äußerst selten vor, dass jemand mit dermaßen gravierenden mentalen Einschränkungen erfolgreich behandelt werden und die geistige Umnachtung wieder hinter sich lassen kann. Die meisten Menschen, die so viele Hirntumoren haben, wie ich damals hatte (samt den damit verbundenen schweren Defiziten), erfahren keinerlei Besserung mehr.

So verstörend mein Zusammenbruch war, so ist er für mich als Wissenschaftlerin doch gleichzeitig ein kostbares Geschenk: Jahrzehntelang habe ich die Funktionen des Gehirns studiert und psychische Störungen erforscht. Doch erst durch meine persönliche kurze Begegnung mit dem Wahnsinn lernte ich gewissermaßen aus erster Hand, was es wirklich...

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