Vom Fels zum Meer
Eine Burg auf der Schwäbischen Alb war der Ursprungsort der Zollern. Ihre Nachkommen wurden Kurfürsten in Brandenburg, arbeiteten sich hoch bis an Ost- und Nordsee und regierten schließlich die Großmacht Preußen.
Von Georg Bönisch
Es sind überaus klangvolle Namen, illustre Namen, und sie stehen für Legenden der Mythologie – und der Weltgeschichte. Da ist Achilles, der tapferste Held der Griechen vor Troja, dessen einzig verwundbare Körperstelle die Ferse war. Oder Cicero, Konsul, Schriftsteller, Philosoph, Roms berühmtester Redner. Der eine Verschwörung aufdeckte und deshalb den Titel aller Titel tragen durfte: »Vater des Vaterlandes«. Und Hektor, Sohn des Königs Priamos, Schützling Apolls, Trojas Verteidiger – von Achilles getötet und geschändet.
Im Mittelalter eingereiht unter die »Neuf Preux«, jene neun guten Helden, zu denen auch Alexander der Große und Julius Caesar gehörten. Oder Nestor, Herrscher von Pylos, weise, redlich, von heiterer Lebenskunst, Ratgeber Agamemnons. Wer heute von einem Nestor spricht, der meint voller Respekt den Senior einer wissenschaftlichen Disziplin, den Altmeister.
Jeder für sich ein Star, und doch wurden die Namen Achilles’, Ciceros, Hektors und Nestors auch Männern attachiert, die zwar territoriale Größen waren, aber mitnichten von politischem oder historischem Gewicht, jedenfalls gemessen im Maßstab der Zeit, dennoch ehrgeizig und zielstrebig. Die einem Geschlecht entstammten, das in der chronologischen Rangliste großer deutscher Fürstenhäuser lediglich einen Platz hinter den Welfen, den Wettinern, den Wittelsbachern und den Habsburgern belegt – die Hohenzollern.
Hohenzollern, auch dieser Begriff eine Art Überhöhung, die schließlich doch ihre Rechtfertigung finden sollte. Weil sich die Dynastie geschickt aufteilte und alle Zweige der Familie, jeder Clan, mit gut kalkulierter Strategie ein dichtes Netz politischer Bindungen und Verbindungen knüpften. Bis diese Dynastie schließlich nicht nur in Schwaben und in Franken regierte, sondern auch am Niederrhein, am Mittelrhein oder ganz weit weg im Osten. Und in der Mark Brandenburg, lange das ärmste und rückständigste aller deutschen Kurfürstentümer. Ein Raubritterparadies, wegen der Kargheit seiner Böden verrufen als des »Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse«. Aus diesem Brandenburg, später Brandenburg-Preußen, sollte, wie es der Publizist Sebastian Haffner formulierte, eine »funkelnagelneue europäische Großmacht« von weltgeschichtlicher Bedeutung werden, hochgerüstet auf der einen Seite, dennoch auch geprägt von Attributen, die mit Militarismus nichts zu tun hatten: tolerant, bescheiden, dem Gemeinwohl verpflichtet.
Die Vorstellung jedoch, die Hohenzollern definierten sich ausschließlich über diesen märchenhaften Aufstieg eines Landes, gehöre »ganz offensichtlich zu den langlebigsten Legenden der preußisch-deutschen Historiografie«, sagt Frank-Lothar Kroll, Geschichtswissenschaftler an der TU Chemnitz und Vorsitzender der Preußischen Historischen Kommission.
Denn so viel ist klar: Als an Preußen noch längst nicht zu denken war, hatten die Hohenzollern schon kräftig mitgemischt in der Politik – durchaus mit großem Geschick. So gelang es ihnen, während des 16. Jahrhunderts in die Territorien des geistlichen Deutschlands, der germania sacra, zu expandieren und höchste Reichsfürstenämter zu besetzen – etwa im Bistum Halberstadt (1513 bis 1566) oder in den Erzbistümern Magdeburg (1513 bis 1631) und Mainz (1514 bis 1545); der Markgraf Albrecht schaffte es sogar, eine Zeitlang alle drei Posten auf einmal auszufüllen. Hohenzollernherzöge stellten die Chefs des katholischen Deutschordensstaates, einem Gottesstaat ähnlich, und verwandelten diesen in ein weltliches, evangelisches Erbherzogtum, übrigens auf Vorschlag eines gewissen Martin Luther. Und Albrechts Verwandter Johann, er lebte von 1493 bis 1525, stieg auf zum Regenten des Königreichs Burgia an Algeriens Küste und zum Vizekönig von Valencia – eine skurrilere Karriere konnte kein anderer Sprössling vorweisen. Hohenzollern und Preußen sind, trotz allem, ein untrennbares Begriffspaar, und so fiel es Mitte des 19. Jahrhunderts König Friedrich Wilhelm IV. auch nicht schwer, einen zündenden Slogan für sein Haus zu finden – »Vom Fels zum Meer«.
Der Fels, das ist der Hohenzollern in der Nähe des schwäbischen Städtchens Hechingen, im Volksmund Zollerberg genannt. Ein gewaltiger Kegel in der »Rauhen Alb«, mons solarius hieß er einmal, Sonnenberg. Hier thronte das »vesteste Haus in teutschen Landen«, wie eine Straßburger Schrift rühmte – die Burg der Zollern, 855 Meter hoch gelegen. Wann genau sie erbaut wurde und von wem, liegt im Dunkeln der Geschichte, erstmals scheint der Name im Jahr 1061 auf. Ein Mönch der Abtei Reichenau notierte in seiner »Weltchronik« knapp: »Burchardus et Wezil de Zolorin occiduntur.« Ob die Brüder (oder Vater und Sohn) im Kampf gestorben sind oder einem Gewaltverbrechen zum Opfer fielen, ist nicht überliefert, aber: Aus Zolorin, das steht fest, entwickelte sich der Begriff Zollern.Woher deren Ahnen stammten, wurde später in netter Form mystifiziert. Die Kurzfassungen lauten: Ein Graf Tassilo, angeblich Bediensteter Karls des Großen, soll sich um 800 herum die Ehre der Sippengründung gegeben haben, es könnte auch ein Frankenkönig namens Guntram gewesen sein. Oder, viel spektakulärer, der Griff zurück in die Antike: Über die römische Patrizierfamilie Colonna wurde eine Linie direkt bis nach Troja gezogen, Achill und Hektor lassen schön grüßen.
Kurfürstentum Brandenburg
Die Wahrheit wird eine ganz profane gewesen sein, herausgefunden freilich hat sie bis heute niemand; sicher ist, dass die Zollern Jahrhunderte nach dem Tod der Zolorins tatsächlich zu »Hohenzollern« erwuchsen. Immer noch Vermutung ist dagegen, dass der Ahnherr aller Zollern ein Mann namens Friedrich war, vielleicht ein Nachkomme jenes Burchards. Dieser Name sollte allerdings Synonym werden für die Beharrlichkeit einer Dynastie, die sich aus den Nebeln der Schwäbischen Alb hocharbeitete bis an die Gestade der Ostsee und der Nordsee – um irgendwann vorzustoßen in die Weltspitze.
Friedrich hieß auch Maute, und mit ihm beginnt offiziell die dann lückenlose Ahnenreihe bis in die heutige Zeit hinein. Der Grundstein für alles wurde gelegt, als Friedrichs Enkel – auch er ein Friedrich – wohl 1192 mit der Burggrafschaft Nürnberg belehnt wurde, quasi ein Erbstück seines Schwiegervaters. Das Amt des Burggrafen war ein Reichsamt, keine Landesherrschaft, Grund und Boden nur spärlich vorhanden – was sich bald schon ändern sollte. Im Laufe der Jahre kamen, durch Ankauf oder ebenfalls Belehnung, »stattliche territoriale Positionen« (Kroll) hinzu: erst Bayreuth, Ansbach, schließlich Kulmbach mit der mächtigen Plassenburg. Ende des 14. Jahrhunderts bereits galten die wendigen Nürnberger Burggrafen als die einflussreichsten Regenten in Franken, ihr Herrschaftsgebiet teilte sich ins »Land unter dem Gebirge« und ins »Land auf dem Gebirge«.
Maute alias Friedrich, der erste schwäbische (Hohen-)Zoller im Nürnberger Amt und ein getreuer Gefolgsmann der Staufer, gilt manchem Beobachter der Zeitläufte als einer der »Gründungsväter Europas« – eine Überlegung, die auf den ersten Blick reichlich übertrieben erscheint. Auf den zweiten freilich hat sie etwas durchaus Charmantes. Denn unter seinen Söhnen, die ursprünglich gemeinsam regiert hatten, war, vermutlich 1214, der Besitz brüderlich aufgeteilt worden: Friedrich IV. zog in die alte Heimat zurück und begründete die schwäbische Linie des Hauses, aus der Grafen und Fürsten mit so eindrucksvollen Namen wie Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen hervorgingen – und die sogar (ab 1881) als Könige von Rumänien amtierten. Konrad I. hingegen blieb in Nürnberg – Frontmann der fränkischen Linie, deren Mitglieder später über ein halbes Jahrtausend ununterbrochen die Spitze eines schnell wachsenden Staates stellten: erst als brandenburgische Kurfürsten, dann als preußische Könige, schließlich als deutsche Kaiser.
Das Jahr 1411 war das Jahr der Entscheidung, gewissermaßen der Startschuss für eine neue Zukunft. Burggraf Friedrich, nunmehr der sechste, hatte großen Anteil daran, dass Sigismund, ein Sohn Kaiser Karls IV. und gebürtiger Nürnberger, zum römisch-deutschen König gekrönt wurde, und als Dank für Friedrichs Mühen übereignete ihm der Monarch, erst einmal als Statthalter, die Mark Brandenburg – ein heruntergekommenes Gebiet mit einer interessanten und überaus wechselvollen Vergangenheit. Hier siedelten einst, im altmärkischen Teil westlich der Elbe, die Langobarden, östlich der Oder die Burgunder. Nach der Völkerwanderung drangen slawische Stämme ein, die bald unter deutsche Herrschaft gerieten, sich aber 983 wieder freikämpfen konnten. Erst wirkten hier die recht erfolgreichen Askanier. Als sie 1320 ausstarben, kam Brandenburg in den Besitz der bayerischen Wittelsbacher, schließlich gehörte es den Luxemburgern. Sigismund war Luxemburger, er hatte das Land 1378 geerbt. Um Geld für seinen Kampf gegen die Türken in die Kasse zu bekommen, verkaufte er die Neumark, das burgundische Terrain ganz früher Zeiten, an den Deutschen Orden. Die Kurmark, das Zentrum Brandenburgs, verpfändete Sigismund an einen Vetter. Der nahm den ohnehin kargen, wenig ertragreichen Landstrich brutal aus, fast bis zum Ruin.
Einziger...