1. Einführung
In der vorliegenden Magisterarbeit wird bei arabischen Namen und Begriffen die Transkription nach der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) verwendet. Persische Namen und Begriffe werden ebenfalls nach dem System der DMG transkribiert, wobei die persische Aussprache der Vokale und einiger Konsonanten berücksichtigt wird. Begriffe, die aus dem Arabischen oder Persischen in die deutsche Sprache eingegangen sind, werden nicht transkribiert. Zitate werden unverändert übernommen.
Für die wissenschaftliche Bearbeitung des gestellten Themas halte ich den meta-analytischen Ansatz für besonders geeignet. Eine der wichtigen Aufgaben, die im Rahmen der Meta-Analyse oder Meta-Forschung geleistet werden kann ist, noch unerforschte Bereiche oder bisher ungelöste Probleme zu veranschaulichen. Eine weitere Zielsetzung dieser wissenschaftlichen Methode besteht darin, die theoretischen Erkenntnisse verschiedener Autoren in ihrem jeweiligen Forschungsgebiet und den allgemeinen Forschungsstand durch Wissenstransfer auf einer höheren Ebene zu generalisieren. Durch diese Art der Erfassung und Bewertung verschiedener Erkenntnisse oder Vermutungen soll eine möglichst hohe Synthetisierung dieser Erkenntnisse und eine zuverlässige Aussagequalität über das gestellte Thema erreicht werden.[1] Darüber hinaus ziehe ich selbstverständlich die mir vorliegenden Primärquellen heran, da nur diese einen authentischen Zugang zur Ideologie Khomeinis liefern. Das im Folgenden diskutierte Thema der Arbeit wird in drei Dimensionen entfaltet: Erstens in der historischen und ideologischen Dimension, zweitens in der verfassungsmäßigen- und drittens in der politischen und gesellschaftlichen Dimension. Meines Erachtens eignet sich die islamwissenschaftliche Perspektive mit ihrem breiten Themenspektrum mehr als andere wissenschaftliche Perspektiven – wie die der Geschichts-, der Politik-, der vergleichenden Religions-, der Rechts- und Sozialwissenschaften oder der Philosophie – um die Staatsideologie Khomeinis und deren Entfaltung in der Wirklichkeit auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen.
Seit der islamischen Frühzeit ist die politische Philosophie im Vorderen Orient von religiösen und rechtlichen Aspekten geprägt. Der Prophet (arab. al-rasÚl) und Begründer des Islams, Mohammed, war während der medinischen Phase in den Prozess der Begründung des Staatswesens involviert.[2] Er war also einerseits religiöses Oberhaupt und schlichtete – legitimiert durch seine Erfahrung der göttlichen Offenbarung, die im Koran (arab. qurÿÁn; pers. qorÿÁn) ihren Ausdruck findet – in rechtlichen Streitfragen, andererseits war er aber auch Staatsoberhaupt. Nach dem Tod Mohammeds stellte sich schließlich die Frage der politischen Nachfolgeregelung. Diese Angelegenheit wurde allerdings nicht nur politisch beantwortet und gedeutet, sondern stets auch religiös interpretiert. Bis zum Zeitpunkt der Ermordung des dritten Kalifen þUÝmÁn im Jahr 656 (35 A.H.) aufgrund von Auseinandersetzungen um seine Nachfolge war das politische Wesen in der islamischen Welt in Bezug auf die Akzeptanz seiner Führungsfiguren von einem allgemeinen Konsens getragen. Ausgelöst durch die unklaren Verhältnisse um die politische Nachfolgeregelung hingegen spaltete sich die islamische Urgemeinde nun in verschiedene Gruppen (arab. firaq, sing. firqa) – hauptsächlich in Sunniten und Schiiten –, was sich in den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten von Koran und Sunna (die in der ¼adÍÝ-Literatur kompilierte vorbildliche Handlungsweise des Propheten in allen Lebensbereichen) äußerte und bis in die Gegenwart hineinreicht. Dieser Bruch führt hin zu der Bedeutung beider Überlieferungsquellen als religiöses und rechtliches Erbe der Muslime. Beide Quellen stellen im Islam die Legitimationsbasis politischer Herrschaft dar. Wie bereits angedeutet, liegen die Wurzeln der Politisierung des Islam also bereits in dessen Frühzeit. Die Staatsinteressen wurden an islamischen Interessen ausgerichtet. Die Frage nach dem rechtmäßigen Herrscher als dem Stellvertreter Gottes auf Erden, ob Kalif (arab. ¿alÍfa) oder Imam (arab. imÁm), war in der Geschichte sowohl theologischer, als auch politischer Kernbestandteil des Islams. Während der Kalif jedoch von einem Gremium gewählt wurde, war die Nachfolgeregelung des Imams genealogischer Natur.
Der Islam war und ist seit seiner Entstehung eine alle Lebensbereiche umfassende Religion, die von einem Pluralismus der Interpretationsmöglichkeiten seiner Überlieferungsquellen geprägt ist. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts entstand dadurch eine Vielzahl schriftlich festgehaltener Rechtswerke. Ausdruck dieses Pluralismus sind die sich herausbildenden Lehrmeinungen (arab. ÁrÁÿ; sing. raÿy) und die verschiedenen Wege und Methoden der sich entwickelnden Rechtsschulen (arab. maªÁhib; sing. maªhab), die keinen universalen Gültigkeitsanspruch erheben können, sondern vielmehr eine von vielen Facetten des islamischen, von Menschen kodifizierten Rechts darstellen. Die Tatsache, dass der Islam in Teilen der islamischen Welt auf die eigene Wahrnehmung und somit auf den alleinigen Gültigkeitsanspruch der eigenen Interpretation seiner Quellen reduziert und der gelebte Pluralismus somit bestritten wird, stellt bis in die Gegenwart das Hauptproblem des politischen Islam dar.
Einer der bekanntesten Wortführer des politischen Islam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist ¼a"rat ÀyatollÁh al-þUãmÁ RÚ½ollÁh al-Musavi al-¾omaynÍ, besser bekannt als Ayatollah Khomeini (1902/1320 A.H.-1989/1410 A.H.). Er gab etwa 1300 Jahre nach der Spaltung der islamischen Gemeinschaft eine Antwort auf die zentrale Frage der Schiiten, wer den legitimen Anspruch erheben darf, während der Zeit der Verborgenheit (pers. ™eybat) des Zwölften Imams als dessen Stellvertreter aufzutreten. In seiner Staatsideologie wird politisches Denken in die Theologie inkorporiert. Khomeini ist zunächst Verfechter, später der geistige Führer einer revolutionären Re-Islamisierung, eines „Islamic Revival”. Mit der Gründung der Islamischen Republik Iran (pers. ¹omhÚrÍ-ye EslÁmÍ-ye ÌrÁn) ist es erstmals einem Fürsprecher des politischen Islam gelungen, seine Ideologie als offizielle Staatsideologie zu etablieren. Die Islamische Republik Iran (IRI) wurde bereits mehrfach als Gottesstaat bezeichnet.[3] Khomeinis allumfassende religiöse, rechtliche, gesellschaftliche und schließlich politische Ideologie des islamischen Gottesstaates manifestierte sich unmittelbar nach der Islamischen Revolution[4] durch dessen politische Einflussnahme in der Zeit der Moderne (arab. ½adÁÝa) – in der Realität der Islamischen Republik.[5]
Die IRI ist einer der derzeit 57 Mitgliedstaaten der Organization of Islamic Conference (OIC). Alle 57 Mitgliedstaaten der OIC können als souveräne, moderne islamische Staaten bezeichnet werden, die theoretisch durch ihr gemeinsames islamisches Erbe, eine gemeinsame Tradition und gegenseitige Solidarität miteinander verbunden sind. Die meisten dieser Staaten sind Republiken, während einige wenige Länder als Staaten und Königreiche bezeichnet werden. Zwei einzelne Staaten sind als Sultanat bzw. als Union deklariert.[6] Die IRI wurde am 1. April 1979 durch ihr geistiges Oberhaupt und zugleich den offiziellen Führer der Islamischen Revolution, den Ayatollah Khomeini, ausgerufen. Seither ist die IRI eine von drei Islamischen Republiken.[7]
Khomeinis ideologischer Ansatz zur Schaffung der Rahmenbedingungen für das Zusammenleben in einer „wahren” und „gerechten” muslimischen Gesellschaft innerhalb eines idealisierten islamischen Staates – in der wissenschaftlichen Literatur taucht der Begriff Khomeinismus auf, was bereits auf die Bedeutung seines ideologischen Erbes hinweist[8] – entfaltete unmittelbar nach der Islamischen Revolution seine Wirkungen als in der Verfassung der IRI verankerte Staatsideologie erst- und einmalig in einem der Mitbegründerstaaten der OIC. Auch wenn die Mitgliedstaaten der OIC gewissermaßen eine ideelle Staatengemeinschaft darstellen, so zeichnete sich rasch ab, dass der angestrebte Revolutionsexport Khomeinis eine Illusion war. Angesichts des vorherrschenden Pluralismus der Meinungen bezüglich der Rolle des Islams in dieser Staatengemeinschaft und der Verschiedenheit von Schiiten und Sunniten war dieses Vorhaben Khomeinis zum Scheitern verurteilt und wird im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden.
Dennoch, die von Khomeini konzipierte und religiös sowie vernunftsmäßig legitimierte Herrschaft des Rechtsgelehrten (pers. velÁyat-e faqÍh) hat in der IRI auch 27 Jahre nach ihrer Gründung Bestand.[9] In einer globalisierten und in allen Lebensbereichen der Modernisierung verpflichteten Welt erweisen sich die ideologischen Fundamente der IRI als weitestgehend stabil. In Anbetracht dieser Tatsache werden in der vorliegenden Magisterarbeit die folgenden Fragen gestellt und so weit wie möglich beantwortet werden: von welchen historischen Errungenschaften der Schia in Iran profitierte Khomeinis...