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E-Book

Die Jesuiten

Aufstieg, Niedergang, Neubeginn

AutorMarkus Friedrich
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl736 Seiten
ISBN9783492975094
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Seit seiner Gründung durch Ignatius von Loyola 1540 wirkte der heute größte katholische Männerorden in fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens hinein: Zwischen Armenseelsorge und elitärer Wissenschaft, politischer Beratung und weltweiter missionarischer Tätigkeit - kaum ein Gebiet, in dem die Jesuiten nicht tätig waren. Der renommierte Historiker Markus Friedrich liefert eine neue Gesamtdarstellung der Jesuiten, die wissenschaftlich fundiert und aus konfessionsneutraler Perspektive geschrieben ist. Anschaulich erklärt er, wie der Orden organisiert war, was ihn so erfolgreich machte, wie das Alltagsleben im Orden aussah, welche Aufgaben er in der säkularen Welt einnahm und wie er damit den Gang der Geschichte prägte. - Ein unverzichtbarer Beitrag, um die europäische Moderne zu verstehen.

Markus Friedrich, geboren 1974 ins Ansbach, studierte in München Neuere Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und Philosophie. Seit 2013 ist er Inhaber der Professur für Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg. Unter seiner federführenden Mitwirkung findet im September 2016 an der Universität Hamburg der Deutsche Historikertag statt.

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Leseprobe

Prolog: Ignatius von Loyola gründet einen Orden


Um den 20. Mai 1521 erreichten Truppen des französischen Königs Franz I. unter dem Heerführer André des Foix Pamplona im nordspanischen Königreich Navarra. Als die Soldaten in die Stadt eindrangen, hatten sie zunächst leichtes Spiel. Teile der Garnison hatten ihren Posten verlassen und waren angesichts der französischen Übermacht geflohen. Nur die Burg von Pamplona bereitete den Franzosen größere Schwierigkeiten. Ein paar verwegene Verteidiger glaubten es mit den Gegnern aufnehmen zu können. Nach hartem Kampf und wirksamem Artilleriebeschuss brach der Widerstand in der Burg jedoch zusammen. Pamplona wurde französisch, wenngleich nicht für lange. Das Kriegsglück wandte sich bald gegen Franz I., und so stellten die Ereignisse vom Frühsommer 1521 letztlich nur eine wenig bedeutende Episode im langen politischen und militärischen Ringen zwischen den beiden Großmächten Frankreich und Spanien dar, das die europäische Politik seit 1494 für die nächsten zwei Jahrhunderte prägte.1

Dennoch hatte das französische Bombardement der Burg von Pamplona epochale Konsequenzen. So sahen das jedenfalls die Jesuiten, deren Geschichte dieses Buch erzählt. Denn die Entstehung dieses katholischen Ordens, der Gesellschaft Jesu oder Societas Iesu, ist aufs Engste mit den Ereignissen von 1521 verknüpft. Einer der tapferen oder gar tollkühnen Verteidiger in der Burg von Pamplona war ein baskischer Adeliger von etwa dreißig Jahren, Iñigo López de Oñaz y Loyola. Er war es angeblich überhaupt erst gewesen, der zu dem verzweifelten Widerstand angestiftet hatte, war er doch zum Hauptmann der Burg gegangen und hatte bei ihm gegen die Feigheit der abziehenden spanischen Soldaten protestiert. Die durchaus verständliche Flucht der numerisch stark unterlegenen Spanier passte nicht zu seinen ausgeprägten Vorstellungen von Ehre, Tapferkeit und Tugend. Er war willens, Leib und Leben im Kampf gegen die Franzosen aufs Spiel zu setzen. Sein Eifer steckte einige der verbleibenden Soldaten an. Iñigo selbst leitete den Widerstand, doch dann wurde der Baske an beiden Beinen von einer Kanonenkugel schwer verletzt. Als er ausfiel, erlosch auch der Kampfesgeist seiner Männer. Pamplona fiel mit Iñigo.

Doch Iñigo überlebte die schwere Verwundung. Seine französischen Gegner erkannten seine Tapferkeit an und sorgten für ihn. Einige Tage nach dem Gefecht konnte er auf einer Bahre in die Heimat, auf das Schloss seiner Familie in Loyola, getragen werden. Es folgten mehrere grausame Operationen am zerschossenen Bein, die einesteils aus medizinischen Gründen notwendig waren, andernteils von Iñigo selbst aus kosmetischen Gründen angeordnet wurden, um ein entstellendes Überbein zu entfernen, das sich bei der Heilung gebildet hatte. Zeit seines Lebens blieb ein Hinken von diesen Eingriffen zurück. Schon äußerlich veränderte die Niederlage in Pamplona also den baskischen Adeligen. Außerdem waren die Geschehnisse auch Ursache oder zumindest doch Anlass für einen tief greifenden innerlichen Wandel Iñigos. Die lange Zeit des Krankenlagers und der Genesung war Auslöser für eine kritische Bestandsaufnahme seines bisherigen Lebens.

Von seiner Geburt (vermutlich 1491) bis zum Jahr 1521 hatte Iñigo ein Leben geführt, das in vielem der typischen Lebensweise des spanischen Adels am Ende des Mittelalters entsprach. Er stammte aus Guizpoca, einer baskischen Region im damaligen Königreich Navarra direkt südlich der Pyrenäen. Die Loyolas waren eine in der Region sehr angesehene und gut vernetzte Familie, die sich über Jahrhunderte bis 1180 zurückverfolgen ließ. Im Lauf dieser langen Zeit hatten die Loyolas nicht nur den Adelstitel erhalten, sondern auch erhebliche Güter erworben. Nicht weniger als sechs Abteien und zehn Kapellen standen unter ihrer Obhut.2 Solche Herrschaftsrechte in Dörfern und Kirchen bildeten traditionell die Grundlage für Reichtum und Macht des Adels. Den regionalen Rückhalt münzte man dann in überregionale Verbindungen um. Iñigos Familie verfügte über gute Beziehungen zum hohen Adel sowie zu wichtigen königlichen Funktionsträgern, von denen er selbst schon früh in seinem Leben profitieren sollte. Denn als junger Mann begab er sich – wie viele andere aufstrebende junge Adelige – in den Schutz und Umkreis einer höhergestellten Familie. Protegiert durch den Großschatzmeister Kastiliens Don Juan Velásquez de Cuéllar, bei dem er seit 1505 in Arévalo lebte, konnte Iñigo als Knabe und junger Mann das Leben bei Hof und die höfische Kultur kennenlernen. Er lernte auch, Kontakte mit Reichen und Mächtigen zu pflegen. Das waren Fähigkeiten, die Iñigo immer wieder unter Beweis stellen sollte.

Iñigos Familie war von Religion und Militär geprägt. Zahlreiche Loyolas fielen in den Kriegszügen der spanischen Könige, während andere Onkel, Brüder und Neffen Männer der Kirche wurden. Iñigo hat vermutlich selbst die niederen Weihen empfangen, um ihm den Weg in eine kirchliche Stellung zu öffnen. Seine Welt war von den ritterlich-christlichen Werten der spätmittelalterlichen adelig-religiösen Kultur geprägt. Iñigos Frömmigkeit war ebenso tief verwurzelt wie nachlässig, ebenso moralisch anspruchsvoll wie alltäglich dehnbar, ebenso institutionenbezogen wie individuell. Am Hofe Cuéllars lebte der junge Mann in einer Umgebung, die diese christlich-ritterliche Vielfalt widerspiegelte. Einerseits war dies ein Zentrum mystischer und introvertierter franziskanischer Frömmigkeit, die uns noch einmal begegnen wird. Andererseits war diese Welt von einer beträchtlichen Zügellosigkeit geprägt. Iñigo war aufbrausend und schnell mit dem Schwert zur Hand. Er und seine Zeitgenossen achteten eifersüchtig auf das, was sie »Ehre« nannten – ihre eigene, die ihrer Familie, die ihrer Frauen, die der Kirche und ihrer Heiligen. Eine Portion Machismus war dieser Lebensweise nicht fremd, und mit den offiziellen Moralvorgaben gingen die Adeligen bei Bedarf durchaus großzügig um. Uneheliche Kinder waren in Iñigos Familie keine Seltenheit.

All das änderte sich seit Pamplona, seit der zweiten Jahreshälfte 1521, als Iñigo in Loyola genas. Das Trauma der schweren Verletzung brachte ihn auch dazu, seine bisherige Existenz infrage zu stellen. Er rückte seinen Lebensweg zurecht und begab sich auf eine innere und äußere Reise zur Selbstfindung, an deren Ende, knapp zwanzig Jahre später, die Gründung einer religiösen Gemeinschaft stand: der Gesellschaft Jesu, der Societas Iesu, des Jesuitenordens. Die Geschichte seines Wandels nach 1521 hat Iñigo am Ende seines Lebens 1556 selbst in der sogenannten »Autobiografie« erzählt, in der er von sich selbst in der dritten Person als »dem Pilger« spricht. Es handelt sich dabei um die durch einen Schreiber überarbeitete Aufzeichnung einer mehrfach unterbrochenen mündlichen Erzählung, die weniger Biografie als Erbauungsbuch sein möchte – doch sie zeichnet ein eindrucksvolles Bild vom Suchen und Finden einer religiösen Berufung.3 Im Lauf dieses Prozesses wurde aus dem baskischen Adeligen Iñigo López de Oñaz y Loyola der Kirchenmann und spätere Heilige Ignatius von Loyola (siehe im Bildteil Abbildung 1).

Ausgelöst wurde seine geistliche Neuerfindung, so erzählt es eine berühmte Anekdote, durch einen Zufall. Er habe, so heißt es in der Autobiografie, immer schon zum Zeitvertreib gern die spätmittelalterlichen Ritterromane gelesen. Als er auf dem Krankenbett nach solcher Lektüre rief, brachte man ihm nur einige fromme Bücher – der einzige Lesestoff, den es in Loyola gab. Mit der Vita Christi Ludolfs von Sachsen und der Legenda Aurea von Jakob von Vorago nahm sich Ignatius, vielleicht etwas enttäuscht und unwillig, notgedrungen zwei Bücher vor, die damals sehr weit verbreitet waren. Wider Erwarten hatte diese ungeliebte Lektüre
bei ihm jedoch große Folgen. Was bei vielen anderen Lesern und Hörern allenfalls zu einer Verstärkung konventioneller Weltanschauungen führte, stellte bei ihm das eigene Leben infrage. Von den Heiligen, mit denen er auf den Seiten dieser Werke nun Bekanntschaft machte, hatten es ihm besonders die mittelalterlichen Ordensgründer Franziskus und Dominikus angetan. Durch ihre religiösen Anstrengungen fühlte er sich herausgefordert, ihrem geistlichen Rittertum wollte er nacheifern. Bald wurde für alle Anwesenden deutlich, dass sich Ignatius verändert hatte. Gegen den Rat seiner Familie verließ er Loyola und begab sich als Asket auf eine Wanderschaft. An verschiedenen Wallfahrtsorten Spaniens hielt Ignatius inne. Vor der berühmten Marienstatue in Montserrat westlich von Barcelona betete er eine ganze Nacht. Im nahe gelegenen Ort Manresa verbrachte er ungefähr ein dreiviertel Jahr, das für ihn – nach eigener Aussage – voller »Erleuchtung« war. Von Barcelona aus reiste Ignatius in radikaler Armut nach Rom, von dort nach Venedig und trat schließlich die Überfahrt ins Heilige Land an. Dort, an den biblischen Stätten, wollte Ignatius bleiben, vermutlich als Seelsorger für andere Pilger. Doch der franziskanische Guardian, der geistliche Verantwortliche für Palästina, schickte den mittellosen Ignatius wieder nach Europa zurück.

In der ersten Phase seines »neuen« Lebens nach 1521 ging Ignatius sehr hart mit sich um. Innerlich war er voller Zweifel und Skrupel, die zu einer Art Beichtzwang führten. Er meinte, ständig geistliche Maximalleistungen erbringen zu müssen. Die ersten Abschnitte seiner Suche nach der richtigen geistlichen Orientierung waren deshalb häufig von radikalen Formen der Frömmigkeit geprägt. Er hörte...

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