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E-Book

Die jüdische Vergangenheit Cassinos

Ansätze zur Erschließung einer unerforschten Geschichte

AutorRobert Schomacker
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783844886788
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
"Die Forschungsarbeit von Robert Schomacker, des hamburger Bürgers italienischer Abstammung, hat die Dokumente und Veröffentlichungen zur Vergangenheit Cassinos gründlich ausgeschöpft und es gelang ihm, sichere und unwiderlegbare Spuren der Anwesenheit einer starken jüdischen Komponente zu erkennen, die über Jahrhunderte die Wirtschaft des gesamten Territoriums belebte. ... Tatsächlich erfahren wir erst jetzt, dass die aus der Ferne auftauchenden und zu Bürgern San Germanos gewordenen Juden eine führende Rolle im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext des Gebiets, das einst die Terra di San Benedetto war, spielten. ... Man muss den cassinesischen Mönchen bestätigen (und redlicherweise tut Schomacker dies), dass sie es verstanden, die christliche Pflicht zur gastlichen Aufnahme mit dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen zu vereinen, den diese Leute beizutragen wussten. Tatsächlich befanden sich unter ihnen Fachleute wie Ärzte, Notare, Lehrer, Handwerker, spezialisiert in Tätigkeiten, die es vor ihrer Ankunft hier nicht gab: Nadelproduktion, Goldschmiedekunst, Gerberei und Lederfärberei, Seidenproduktion und so fort. ... Es bleibt die Tatsache, dass seine Arbeit - die nicht versäumt, auch ein zuverlässiges historisches Bild San Germanos/Cassinos zu umreißen - ein interessantes und wertvolles Element der Neuigkeiten in der örtlichen Geschichtsschreibung darstellt, nämlich "eine nie erforschte Geschichte", in die oft mit häufigen Bezügen die umfassendere Geschichte des nachmittelalterlichen Europa einfließt." Emilio Pistilli, CENTRO DOCUMENTAZIONE E STUDI CASSINATI

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Leseprobe

1 Der bisherige Stand der Veröffentlichungen


Bis heute sind Veröffentlichungen, die ausdrücklich eine Anwesenheit von Juden in S. Germano und der Terra di S. Benedetto nennen, so spärlich, dass sie nachfolgend kurz zusammengefasst wiedergegeben werden sollen.

Procaccia zufolge „weiß man immerhin, dass sich schon im 9. Jahrhundert eine kleine Gruppe [von Juden] in der Terra di San Benedetto niedergelassen hatte, und ein Dokument, das auf diese Zeit zurückgeht, verzeichnet ein Darlehen von 500 Aurei an die Mönche des Klosters im Austausch gegen ein von Karl dem Großen stammendes Altartuch, das später [im Jahr 1022] von Kaiser Heinrich II wieder eingelöst wurde.“ [004 p15, p25].

Fabiani schreibt: „Am Anfang des 11. Jahrhunderts vermerken wir in S. Germano die Anwesenheit der Juden. Dort müssen sie bis dahin einen ihrer wichtigsten Handelssitze gegründet haben.“ Er nennt dasselbe Darlehen an die Mönche und als weitere Pfänder außer dem Altartuch „den von Theodoricus, dem Sachsenkönig nach Montecassino gesandten Kelch und die Patene aus Silber“. [006 p405] (vgl. [006 p338])

In den Regesten des Kolsterarchivs sind für San Germano und die Terra di San Benedetto keine ausdrücklich als Juden bezeichneten Personen zu finden. Lediglich für Sulmona (1268) und Tarent nennen diese (zufällig?) jeweils den Namen eines Juden. In Tarent ist z.B. derselbe Teofilatto zweimal als Arzt des Königs Roger genannt, allerdings nur beim ersten Eintrag mit dem Zusatz „ebreo“ [106 n14, n29]. Das Fehlen dieses Zusatzes beim zweiten Eintrag bestärkt die Vermutung, dass auch in manchen anderen Fällen die Originaldokumente Juden betreffen könnten, ohne dass dieses (zumindest in den Regesten) erwähnt wird.

Die erste namentliche Nennung eines Juden innerhalb des Gebiets von Montecassinos liefert Dormeier in einem von ihm veröffentlichten „Einkünfteverzeichnis des Cassineser Camerariats“, das vermutlich aus der Zeit zwischen 1170 und 1193 stammt. Es handelt sich um einen „Simon, filius Zachei de S(ancto) Steph(ano)“ [128 p209]. Das Verzeichnis umfasst die abgabenpflichtigen Grundbesitzer, die ihrerseits Landarbeiter (villani, homines) beschäftigten oder Land an diese weiter verpachteten [128 p212].

Dormeier schreibt: „Simon, Sohn des Zacheus, gehörte vermutlich zur Kolonie der Juden, die im Wesentlichen in der Judeca, dem Getto in S. Germano, wohnten und dort Seidenspinnereien und Stoff-Färbereien unterhielten“ [128 p223]. Dormeier verweist bei dieser Aussage auf Fabiani, der mehrfach die giudecca als ghetto bezeichnet [006 p338, p444] [005 p177]. Das überrascht, denn die Bezeichnung Getto entstand erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts, nachdem im März 1516 die Senatoren Venedigs beschlossen, dass alle Juden „auf dem Gelände einer stillgelegten Eisengießerei wohnen und arbeiten sollen“. [013 p452] (Dialektbegriff ghèto von getto = Guss.) Könnte es sein, dass Fabiani, der ja nur über die Zeit bis zum Ende des 13. Jahrhunderts schreibt, das Wort Getto für die Giudecca einfach unzutreffend verwendet oder benutzt er diesen Begriff, weil vielleicht seit dem 16. Jahrhundert auch in San Germano ein solches bestanden hatte und dadurch die Bezeichnung Getto in Cassino ortsüblich geworden war? (s. Kapitel 4)

Lützenkirchen schreibt über den Wohnsitz der Juden: „Vor der Kriegszerstörung [1944] trug ein städtisches Gebiet den Namen Borgo Ebrei – gebildet aus vier Vico Ebrei [Judengassen]“. [004 p75] Procaccia zufolge geht die judeca von S. Germano „bis in die Zeit Gregors IX.“ zurück. [004 p15] (Pontifikat 1227 bis 1241). Auch die Regesten belegen die Existenz einer Giudecca: sie nennen ein Dokument vom 16.10.1232, das eine Schenkung zweier Verstorbener, des päpstlichen Kaplans Egidius, Bruder des Bischofs Pandolphus von Norwich und dessen gleichnamigen Sohns, an das cassinesische Kloster betrifft. Die Schenkung umfasste einige Häuser, Werkstattläden (Botteghe) und das Judenviertel (Giudecca), mit deren Bau in der Curia von San Germano begonnen worden war. Von den Erträgen dieser Gebäude sollten Wäsche und Kleidung für die Mönche gekauft werden [111 n4374]. Ein weiteres Dokument vom 17.09.1232 enthält einen Auftrag Papst Gregors IX. an seinen Kaplan Stephan, „den Kaiser Friedrich auf seine Klagen hinzuweisen, weil dessen Amtsträger listig versuchen, die Giudecca der Mensa der cassinesischen Mönche zu entreißen“ [101 p142 n68]. Gemäß Fabiani verwendete Gregor IX. gegenüber dem Kaiser das Argument, dass die Giudecca „dem Kloster schon seit alters her (ab antiquo) gehört, d.h. sie existierte schon seit weit zurückliegender Zeit.“ [006 p338], Das kann allerdings kaum zutreffen, sofern die Angabe in den Regesten stimmt, wonach die Schenkung und der Bau erst im selben Jahr 1232 stattfanden. In einem dritten Dokument vom 15.02.1234 heißt es, dass Papst Gregor IX. „dem Kloster [den Besitz] der Häuser und der Giudecca bestätigt, die Egidio [...] gemeinsam mit P(andolfo), dem Bischof von Norwich, bauen ließen zum Zweck des Erwerbs der Mönchskutten, und er verbot, dass sie für andere Nutzungen zweckentfremdet würden.“ [101 p135 n51] Aufgrund der Datierung der Bauzeit (1232) erhebt sich die Frage, ob es sich bei dieser Giudecca wirklich um die von Dormeier (1193) genannte handelt. Gab es vielleicht schon vor 1232 ein (anderes?) Judenviertel, oder hat Dormeier mit seiner Aussage einfach nur auf eine spätere Zeit vorgegriffen?

Nach den Ausführungen Fabianis – das heißt, zumindest bis zum Ende des 13. Jahrhunderts – „musste eine Kolonie der Juden, die im Getto [sic], genannt Giudeca Judeca, lebten wirklich blühend gewesen sein. Sie übten fast ausschließlich das Gewerbe der Färberei und den Seidenhandel aus.“ [005 p220/221] [006 p338]. Weiterhin schreibt Fabiani: „Man hat den Eindruck, dass [die Griechen] gleich den Juden eine für sich lebende ethnische Gruppe bildeten, mit eigener Kleidung, Bräuchen und vielleicht eigener Sprache. Sie widmeten sich auch den freien Künsten, wie wir bis zum 8. Jahrhundert wissen.“ [006 p443] Und an anderer Stelle: „Der größte Teil der Handeltreibenden waren dauerhaft nach S. Germano umgesiedelte Fremde, vorwiegend Griechen, Amalfitaner und Juden, die Handelsbeziehungen mit den Ländern ihrer Herkunft betrieben.“ [006 p338]

Wir finden die Juden S. Germanos damals also in der Landwirtschaft, den freien Künsten, im Fernhandel und in den gewerblichen, ausschließlich von ihnen ausgeübten Tätigkeiten der Seidenfertigung und -bearbeitung sowie der Stoff-Färberei. Darüber hinaus übten die Juden, wie sich aus den noch folgenden Zitaten teilweise eher beiläufig ergibt, weitere Berufe aus, nämlich die Metzgerei, die Goldschmiedekunst, andere Handwerksberufe sowie das Bankgeschäft.

Fabiani schreibt ferner: „Die Juden zahlten keine Abgabe [plateatico] auf die Seide und auf die Tiere, die sie für ihre Bedürfnisse brauchten. Fremde Juden genossen denselben Vorteil, wenn sie in der Giudecca wohnten, während sie dagegen gehalten waren, sie [die Abgabe an das Kloster] zu zahlen, wenn sie woanders wohnten. Wenn die Tochter des Plateario heiratete, mussten die Juden kostenlos den Stoff für die Hochzeitsdecke färben.“ [006 p338/339] Auch Procaccia schreibt so und verwendet statt plateario den Begriff esattore, also Steuereinnehmer. [004 p15] An anderer Stelle ergänzt Fabiani diesen Sachverhalt mit einem interessanten Detail, er schreibt: „Sie wurden ebenfalls von dem besagten Tribut auf das Vieh befreit, wenn die Schlachter für ihren Verbrauch töteten, aber sie hatten die Verpflichtung, den Wollstoff zu färben, aus dem man die Decke der Tochter des Steuereinnehmers machte, wenn sie heiratete.“ [006 p380] Daraus kann man wohl schließen, dass die Schlachter Juden waren.

Wie oben zu erkennen ist, zählten die Juden damals teilweise zu den einheimischen Bewohnern S. Germanos, teilweise zu den Fremden (estranei, forestieri) Die Frage, ob sich unter den einheimischen Juden auch Vertreter der Bürgerschicht (mediocres, burgenses) befanden oder ob alle dem „klassenlosen“ Volk (populus, plebs) zugerechnet wurden, beantwortet Fabiani nicht direkt [006 p335-339], er nennt aber unter den Magistern einen „Goldschmied namens Simone, der zweifellos ein Jude gewesen sein muss.“ [006 p445]

Über die „Fremden“ schreibt Fabiani: „Die größte Gruppe der in die Terra di S. Benedetto gekommenen Fremden ist die der griechischen, amalfitanischen und jüdischen Händler, die [...] in ihren Händen den größten Teil des cassinesischen Handwerks und Handels hatten.“ [006 p346] Bei Fabiani fehlt jegliche Aussage...

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