2. Der Status quo: Die bittere Realität der Zwei-Staaten-Lösung
»Die Zwei-Staaten-Lösung, die den Mainstream-Diskurs über die Politik zu dieser Sache dominiert, ist vor allem eine Lösung für ein Problem: Israels Problem.« (Youssef Munayyer)2 Seit dem Beginn der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern vor 23 Jahren in Madrid und Oslo wird im politischen, medialen und wissenschaftlichen Mainstream vom »Friedensprozess« und der »Zwei-Staaten-Lösung« gesprochen. Dieser wahrscheinlich längste Verhandlungsprozess in der neueren Geschichte hat sich indessen zum Selbstzweck entwickelt, dessen primäre Funktion es ist, Israel Zeit für weiteren Landraub und Expansion in der Westbank einzuräumen und es vor internationalen Sanktionen zu schützen.
Diejenigen, die sich auf die »Zwei-Staaten-Lösung« und den »Friedensprozess« beziehen, tun es in der Regel in abstracto, ohne Ansehen der konkreten Ergebnisse dieses Prozesses und der Realität in Palästina, die er geschaffen hat. Der Oslo-Prozess war kein Friedensprozess und sein Ziel war nicht »die Lösung des Nahost-Konflikts« sondern die Unterwerfung der Palästinenser und die Liquidierung der Palästina-Frage. Ein Blick auf die Oslo-Abkommen von 1993, mit denen der Prozess eingeleitet wurde, zeigt, dass eine reale Zwei-Staaten-Lösung in dem Sinn, dass die Palästinenser die 1967 besetzten Gebiete einschließlich Ost-Jerusalem zurückbekommen, um darauf einen unabhängigen und souveränen Staat zu errichten, niemals beabsichtigt war.
Die Oslo-Abkommen
Im September 1993 unterzeichneten die PLO und Israel, begleitet von großem und euphorischem Medienrummel auf dem Rasen vor dem Weißen Haus die Oslo-Abkommen, denen das Kräfteverhältnis eingeschrieben war, aus dem sie hervorgingen. Es war die Zeit, in der das internationale Kräfteverhältnis sich durch die Implosion des realsozialistischen Lagers eindeutig zugunsten des kapitalistischen Lagers gewendet hatte. Die USA waren zur einzigen Weltmacht geworden und nutzten diese neue Stärke, um mit der Neuordnung der arabischen Welt zu beginnen. Der Krieg gegen den Irak 1991 war der erste Schritt, die Oslo-Abkommen der zweite. Dadurch sollten die Palästinenser befriedet, Israels Position gestärkt und der Boden für die neoliberale Durchdringung der Region bereitet werden. Die PLO war zu diesem Zeitpunkt politisch und finanziell am Nullpunkt, sie war so schwach wie zu kaum einem anderen Zeitpunkt in ihrer Geschichte. Dieses Kräfteverhältnis erklärt die »wahrhaft erstaunlichen Proportionen der palästinensischen Kapitulation«, die Edward Said feststellte, der das Abkommen als »ein Instrument der palästinensischen Aufgabe, ein palästinensisches Versailles« bezeichnete.3 Die Verhandlungen wurden unter Schirmherrschaft der USA, die dazu ehemalige Israel-Lobbyisten wie Dennis Ross entsandte, und unter Ausklammerung internationalen Rechts und aller relevanten UNO-Resolutionen geführt.
Die PLO erkannte das Existenzrecht des Staates Israel an, während Israel lediglich die PLO, aber kein einziges palästinensisches Recht, anerkannte. Für dieses minimale israelische Zugeständnis beendete die PLO die Intifada, widerrief ihre Charta, distanzierte sich von Gewalt und Terrorismus sowie von allen relevanten UNO-Resolutionen, die in Bezug auf die Palästina-Frage verabschiedet worden waren. Es wurde festgelegt, dass sich Israel schrittweise aus allen palästinensischen Städten außer Jerusalem zurückziehen und sie der Kontrolle der neugegründeten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) übergeben würde. Den größten Teil des Landes behielt es. Im Rahmen der Oslo-Abkommen wurden die Westbank und der Gaza-Streifen, die von der UNO als besetzte Gebiete bezeichnet werden und deren Rückgabe gefordert wird mit Einverständnis der PLO-Führung als »umstrittene Gebiete« neu definiert, über die erst am Schluss in den »Endstatus-Verhandlungen« gesprochen werden sollte. Auch alle anderen zentralen Fragen wie der Status Jerusalems und die Flüchtlingsfrage wurden bis dahin verschoben. Ein Hauptthema der Verhandlungen war die Sicherheit Israels, für deren Gewährleistung die PLO nun eingespannt wurde. Sicherheit und Menschenrechte der Palästinenser waren kein Thema. Der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin erklärte auf einer Pressekonferenz am 13. September 1993, dass die Oslo-Abkommen keine Souveränität für die Palästinenser bedeuteten und dass Israel die Kontrolle über die 1967 besetzten Gebiete behalten würde, ebenso wie den Jordan, die Grenzen zu Ägypten und Jordanien, das Meer, Jerusalem, die Siedlungen und die Siedlerstraßen. Der Linkszionist Amos Oz aus dem Friedenslager bezeichnete die Oslo-Abkommen als »zweitgrößten Sieg in der Geschichte des Zionismus.« Da in den Abkommen keine spezifischen Mechanismen erwähnt wurden, mit deren Hilfe der Übergang von der Interimsperiode zum Endstatus bewerkstelligt werden sollte, fragte Edward Said bereits 1993: »Bedeutet das, beunruhigender Weise, dass die Interimsphase die Endphase sein kann?«4
Im Oslo II-Abkommen von 1995 wurde die Westbank in die Zonen A, B und C aufgeteilt. Zone A (18% der Westbank), die die großen palästinensischen Städte umfasst, wurde der Kontrolle der Autonomiebehörde unterstellt, Zone B (20%) wurde der zivilen Kontrolle der Autonomiebehörde unterstellt, während Israel für die Sicherheit zuständig ist, Zone C (62%) verblieb unter der vollständigen Kontrolle Israels. Dadurch wurde die Grundlage für die Bantustanisierung der Westbank gelegt. Das Pariser Protokoll über die ökonomischen Beziehungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) von 1994 sicherte Israel die komplette Kontrolle aller Außengrenzen und damit auch über die palästinensischen Importe und Exporte. Dadurch verstärkte sich die Kontrolle Israels über die palästinensische Wirtschaft. Israelische Waren machen etwa 80% der palästinensischen Importe aus und der Hauptteil der palästinensischen Exporte geht ebenfalls nach Israel. Sogar die palästinensischen Steuereinnahmen wurden in Israels Hände gelegt. Die indirekten Steuern, die auf Importe für die 1967 besetzten Gebiete erhoben werden und 60% der Einnahmen der PA ausmachen, werden von Israel eingesammelt und dann an die Autonomiebehörde weitergeleitet. In der Vergangenheit hat Israel diese Steuereinnahmen wiederholt zurückgehalten, wenn es mit der Politik der Autonomiebehörde nicht einverstanden war. In keinem der im Rahmen des Oslo-Prozesses zwischen 1993 und 1999 geschlossenen Abkommen war die Rede von der Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates in den 1967 besetzten Gebieten. Es war lediglich eine Annahme der PLO und einiger internationaler Sponsoren, dass der »Friedensprozess« dahin führen würde.5 Der Oslo-Prozess verpflichtete die Autonomiebehörde dazu, als Sicherheits-Subunternehmer für Israel zu arbeiten. Der Polizeiapparat der Autonomiebehörde, der eigens dazu von den USA ausgebildet wurde, geht mit eiserner Faust gegen jeden Dissens vor. Demonstrationen und Proteste anderer Art sowie Kritik an der Autonomiebehörde und erst recht Widerstand gegen Israel werden nicht geduldet. Willkürliche Verhaftungen und Folter sind an der Tagesordnung. Dabei arbeitet der palästinensische Repressionsapparat eng mit der israelischen Armee und den israelischen Geheimdiensten zusammen. Er sammelt Informationen für sie und legt Dossiers über Mitglieder der palästinensischen Opposition an, die er ihnen übergibt. Außerdem befolgt er Anweisungen des israelischen Militärgouverneurs und verhaftet im Auftrag des berüchtigten Inlandsgeheimdienstes Shin Bet palästinensische Aktivisten. Wenn die israelische Armee selbst Operationen in dem Gebiet unternimmt, das nominell unter der Kontrolle der Autonomiebehörde steht, wird die palästinensische Polizei vorab informiert und verschwindet von den Straßen. »Wie die Dinge liegen, könnten die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde die einzige militärische Truppe der Welt sein, die speziell dazu bewaffnet und trainiert werden, um ihre Feinde zu schützen,« charakterisiert Ahmad Samih Khalidi die Rolle des palästinensischen Sicherheitsapparates in einer Studie von 2008.6 Der palästinensische Sicherheitsapparat wird gefürchtet und über 70% der Bevölkerung trauen sich nicht, den Mund aufzumachen und die Autonomiebehörde zu kritisieren. Palästinenser aus Ramallah erklärten gegenüber der »International Crisis Group«: »Wenige haben Respekt vor den palästinensischen Sicherheitskräfte, aber wir fürchten sie.« Sie schildern die Rolle des Sicherheitsapparats als überaus negativ: »Die Sicherheitskräfte tragen direkt zur Fragmentierung des palästinensischen sozialen Gewebes bei und unterminieren die Demokratie … Sie verhalten sich im allgemeinen, als stünden sie über dem Gesetz. In den letzten drei Jahren haben wir uns als Gesellschaft zurückentwickelt. Das ist kein Fortschritt.«
Zu diesem systematisch erzeugten »Klima der Angst« kommt hinzu, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts von der Autonomiebehörde abhängig ist. Niemand will riskieren, durch Kritik an der Autonomiebehörde seinen Arbeitsplatz zu verlieren.7 Die Autonomiebehörde wird oft mit den Bantustan-Regierungen in Südafrika oder der »Südlibanesischen Armee (SLA)« verglichen, die 1978 von Israel aufgebaut wurde, um die israelische Grenze zu schützen. Und die Rolle von »Präsident« Mahmoud Abbas, dessen Amtszeit bereits im Januar 2009 abgelaufen ist, wird mit der von Zulu-Chief Kwazulu Buthelezi oder Marshall Petain vom französischen Vichy-Regime in einem Atemzug genannt.8 Der amerikanisch-palästinensische...