Kapitel 1
Unser täglich Brot
Wie entscheiden Sie, was Sie jeden Tag essen? Vielleicht denken Sie intensiv darüber nach – vielleicht auch nicht –, aber Sie haben vermutlich Ihre Gründe, warum Sie ein Nahrungsmittel einem anderen vorziehen. Vielleicht geben Ihre Geschmackspräferenzen den Ausschlag. Sie mögen Karotten, aber keinen Brokkoli. Haferbrei essen Sie für Ihr Leben gern, aber beim Anblick von Rühreiern hebt es Ihnen den Magen. An Schokoplätzchen könnten Sie sich zu Tode essen, aber Walnussplätzchen rühren Sie nicht an. Oder Sie beschließen, sich nur noch gesund zu ernähren. Sie bemühen sich, den allgemeinen Richtlinien zu folgen, mehr Obst und Gemüse und mehr Vollkornerzeugnisse und weniger Produkte aus raffiniertem Mehl zu essen. Oder vielleicht halten Sie sich an einen ganz besonderen Ernährungsplan, weil Sie abnehmen oder sich besser fühlen wollen, oder Sie glauben, Ihr Ernährungsplan würde Ihnen helfen, eine chronische Erkrankung zu kurieren. Vielleicht ernähren Sie sich vegan oder nach den Grundsätzen der Paläo-Diät, fett- oder kohlenhydratarm.
Die meisten von uns wählen ihre Nahrungsmittel wohl nicht allein nach Geschmackspräferenzen aus. Auch Übergewicht, Gesundheitsprobleme, Energieniveau oder sportliche Leistung sind wichtige Gesichtspunkte. Vielleicht gehören Sie, wie 75 Prozent der Amerikaner, zu denjenigen, die behaupten, sich »gesund zu ernähren«.1 Aber ernähren Sie sich tatsächlich so gesund, wie Sie glauben? Vielleicht halten Sie eine Diät ein, die auf Ihre chronische Erkrankung zugeschnitten ist oder die mit Ihrer Ernährungsphilosophie in Einklang steht. Aber sind Sie sicher, dass Sie sich wirklich optimal ernähren? Was würden Sie denken, wenn wir Ihnen sagen, dass Sie wahrscheinlich eine falsche Vorstellung von gesunder Ernährung haben?
Gut möglich, dass Sie nicht immer ganz sicher sein können, dass Ihr Ernährungsverhalten überhaupt einen Einfluss auf Ihr Gewicht hat. Kann die Ernährung beeinflussen, wie viel Energie Sie haben, wie widerstandsfähig gegen Krankheiten Sie sind oder wie hoch das Risiko ist, dass Sie an einer ernährungsbezogenen Krankheit erkranken? Vermutlich glauben Sie es, aber woher wissen Sie, ob die von Ihnen ausgewählten Lebensmittel diese Effekte haben? Wenn Ihre Diätbemühungen in der Vergangenheit nicht erfolgreich gewesen sind, verlieren Sie womöglich den Glauben an das Diäthalten überhaupt.
Weil wir das Ernährungsverhalten erforschen, hören wir von vielen Menschen, dass sie von den Diäten, die sie ausprobiert haben, enttäuscht sind. Sie glauben, dass bei ihnen einfach nichts wirkt. Oder dass sie nicht imstande sind, sich an die Pläne zu halten. Oder sie bezweifeln mittlerweile grundsätzlich, dass eine Diät überhaupt etwas für die Gesundheit bringt. Sie erkennen sich wieder? Dann sollten Sie unbedingt weiterlesen.
Fragen über die Ernährung und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit sind zu einer treibenden Kraft für einige unserer Forschungsprojekte geworden. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Aber bevor wir uns diesen zuwenden, wollen wir einen Umweg machen. Lassen Sie uns über Brot sprechen.
Brot in Vergangenheit und Gegenwart
Vielleicht essen Sie fast täglich oder zumindest einige Mal pro Woche Brot. Vielleicht essen Sie Brot, weil es Ihnen schmeckt, oder weil Sie glauben, es sei gut für Sie. Vielleicht essen Sie auch gar keins, aber würden gern. Ist Brot nicht mehr angesagt? Verdient es ein Comeback? Was immer Sie über das »tägliche Brot« als Grundnahrungsmittel schlechthin denken, die eigentliche Frage lautet: Ist Brot gut oder schlecht für Sie, und können Sie diese Frage jemals wirklich beantworten?
Brot ist wahrscheinlich das wichtigste Nahrungsmittel des Menschen; bevor Sie es also verdammen, sollten Sie bedenken, dass wir seit 10000 Jahren Getreide mahlen und das Mehl zum Backen von Brot verwenden. Heute verzehren Milliarden von Menschen weltweit jeden Tag Brot in der einen oder anderen Form (zum Beispiel Laibe, Fladenbrot, Pita, Bagels usw.).2 Auf Brot entfallen etwa zehn Prozent der Kalorien, die wir täglich aufnehmen.3 In einigen Regionen der Welt, etwa dem Nahen Osten, kann der Verzehr von Brot (überwiegend in der Form von billigem Pita-Brot) sogar mehr als 30 Prozent der Kalorienaufnahme eines Menschen ausmachen! Ganz egal, was Sie über Brot denken (ob Sie es lieben, hassen, für ein gutes oder schlechtes Nahrungsmittel halten) – Sie können seine weltweite Verbreitung beziehungsweise seinen Einfluss auf die Welt nicht bestreiten.
Weizen, das Getreide, das am häufigsten zum Brotbacken verwendet wird, wurde in jüngster Zeit in einigen populärwissenschaftlichen Gesundheitsbüchern geschmäht, aber der Weizenanbau war ein Schlüsselereignis in der landwirtschaftlichen Revolution im Neolithikum. Weizen ist gegenwärtig die Getreideart mit der größten Anbaufläche weltweit.4 Allein die Vereinigten Staaten produzieren jedes Jahr rund 750 Millionen Tonnen Weizen.5 Es stimmt jedenfalls (was viele behaupten), dass vor 10000 Jahren oder auch vor nur 100 Jahren hergestelltes Brot sich grundlegend von heute hergestelltem Brot unterschieden hat. Diese Unterschiede liegen auf der Hand:
● Jahrhundertelange Hybridisierung hat Weizen zu einer erfolgreichen Nutzpflanze gemacht. Die Widerstandsfähigkeit gegen Wetter und Schädlinge wurde erhöht, aber diese Veränderungen an der Weizenpflanze wirken sich auch auf alles aus, was wir gegenwärtig aus Weizen herstellen, vor allem Brot. Außerdem hat modernes Brot einen erhöhten Gluten- und Stärkegehalt, eine zielgerichtete Manipulation, um die Brotherstellung zu erleichtern.
● Beim Weizenanbau kommen heute, anders als früher, oftmals chemische Dünger und Pestizide zum Einsatz.
● Beim Mahlen von Weizen und anderen Getreiden wurde früher darauf geachtet, dass ein Großteil der Kleie und der gesamte Keim erhalten blieben. Brotmehl enthielt daher viel mehr Nährstoffe einschließlich Ballaststoffen, B-Vitaminen, Eisen, Magnesium und Zink als das hochraffinierte Weißmehl, das heute meist zur Brotherstellung verwendet wird.6
● Heute wird zur Brotsäuerung eine völlig andere Technik angewandt als früher. Als Triebmittel wird dem Brotteig meist Backhefe beigemengt, eine Praktik, die erst vor rund 150 Jahren begann.7 Auf diese Weise geht der Brotteig viel schneller auf als mit traditionellen Methoden, bei denen natürlich fermentierte Kulturen, die neben Milch- und Essigsäurebakterien (in der Luft und in der Umwelt vorkommende) Wildhefen enthalten, verwendet wurden.8 Das Ergebnis war Brot, das die unverwechselbare Signatur seiner lokalen Umwelt trug, mit gesundheitsfördernden bakteriellen Eigenschaften, die modernes Brot nicht besitzt. Am nächsten kommt dem heute Natursauerteig-Brot; einige Studien haben gezeigt, dass der Verzehr von Sauerteigbrot dem Körper die Aufnahme von Mineralstoffen erleichtert.9 Das ist interessant, weil es auch Studien gibt, die zeigen, dass modernes Brot die Aufnahme von Mineralstoffen verringert.10
Kein Wunder, wenn viele davon ausgehen, dass Brot in der Vergangenheit viel gesünder war – angesichts seines höheren Anteils an vitaminreichen Vollkörnern und natürlich fermentierten Backtriebmitteln. Es wird auch angenommen, dass aus raffiniertem Weißmehl industriell erzeugtes, billiges Brot, bei dem als Triebmittel Backhefe verwendet wird, ernährungsphysiologisch geringwertiger ist als handwerklich hergestelltes Natursauerteig-Vollkornbrot.
Manche glauben auch, dass jedes Brot beziehungsweise jedes aus Getreidekörnern hergestellte Produkt (aber insbesondere aus Getreidekörnern, die ein weitverbreitetes, in schlechtem Ruf stehendes Protein namens Gluten enthalten, das in Weizen, Roggen und Gerste enthalten ist) gesundheitsschädlich sei.
Aber die Brothasser werden nicht die Oberhand gewinnen. Trotz seiner vermeintlichen Minderwertigkeit und trotz der Ernährungstrends, die es zu Fall bringen wollen, bleibt Brot ein weit verbreitetes und beliebtes Nahrungsmittel. Viele Bekannte von uns essen weiterhin Brot als »Vergnügen mit schlechtem Gewissen«, selbst wenn sie denken, dass sie es eigentlich nicht tun sollten, ganz einfach, weil sie es mögen. Manche Leute sagen, ein Salat wäre zwar gesünder, aber ein Sandwich ist ihnen lieber, oder sie halten Eier, Obst oder Schinken zwar für das ernährungsphysiologisch wertvollere Frühstück, essen aber trotzdem Toast. Wieder andere setzen sich zwar für Brot ein, sagen aber, dass Brot nur dann gesund sei, wenn es aus gekeimtem Getreide, Vollkornmehl oder glutenfreien Körnern hergestellt werde oder dass es mit einem natürlichen Treibmittel zubereitet werden müsse.
Wer also hat recht? Was stimmt? Sind einige Brotsorten gesünder als andere, oder sollten wir alle unsere Brotfixierung hinter uns lassen?
Als Wissenschaftler befassen wir uns oft mit Fragen wie diesen und damit, wie wir Experimente konzipieren können, um Antworten zu finden. Eines unserer interessantesten Experimente bezog sich auf Brot. Wir wollten Folgendes wissen:
● Was geschieht ganz allgemein, wenn jemand Brot isst?
● Was passiert, wenn Menschen industriell hergestelltes Weißbrot essen, und was, wenn dieselben Personen die gleiche Menge handwerklich hergestelltes Vollkorn-Sauerteigbrot...