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E-Book

Die letzte Schlacht

Hitlers Ende

AutorGuido Knopp
VerlagEdel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783955302702
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Der Endkampf um Berlin gehört zu den schrecklichsten und dramatischsten Geschehnissen deutscher Geschichte. 190.000 Menschen kamen im letzten Gefecht des Zweiten Weltkriegs auf beiden Seiten ums Leben. Einige der wenigen Augenzeugen, die heute noch Zeugnis ablegen können, erzählen in diesem Buch - dem Begleitband zu einer zweiteiligen Dokumentation des ZDF - von ihren ganz persönlichen Erlebnissen. Präsentiert werden außerdem aufschlußreiche Dokumente aus russischen und amerikanischen Archiven.

Prof. Dr. Guido Knopp, Jahrgang 1948, war jahrzehntelang Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Zuvor war er Redakteur der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung' und Auslandschef der 'Welt am Sonntag'. Als Autor publizierte er zahlreiche internationale Sachbuch-Bestseller. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Jakob-Kaiser-Preis, der Europäische Fernsehpreis, der Telestar, der Goldene Löwe, der Bayerische und der Deutsche Fernsehpreis, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Internationale Emmy.

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Leseprobe

Freitag, 20. April 1945


Der sechzehnjährige Armin Lehmann konnte sein Glück nicht fassen: In wenigen Augenblicken würde er seinem Idol Adolf Hitler vorgestellt werden, dem »Führer des Reiches und ersten Soldaten Deutschlands«, wie ihn die Propaganda jahrelang gefeiert hatte. Die Umstände des Zusammentreffens hatte er sich in seinen jugendlichen Fantasien freilich anders ausgemalt. Aufgeregt blickte der Hitlerjunge auf die Gratulantenschar, die sich um ihn herum zur Feier von Hitlers 56. Geburtstag zusammengefunden hatte. Vorbei die Zeiten, als dieser Geburtstag ihm und seinen Getreuen der Anlass gewesen war, sich selbst und ihr »Tausendjähriges Reich« glanzvoll zu inszenieren. Vorbei die Zeiten der prachtvollen Paraden, bei denen Hunderttausende Hitler zugejubelt hatten. Der Geburtstag des »Führers« fand nicht einmal mehr in den aktuellen Meldungen des Großdeutschen Rundfunks vom 20. April Erwähnung. Am Vorabend hatte Propagandaminister Goebbels seinen Meister zum letzten Mal in einer langen Rundfunkansprache gefeiert.

Im kraterübersäten Garten der Reichskanzlei waren nur noch drei dünne Reihen »verdienter Kämpfer« aufmarschiert, die dem »Führer« ihre Glückwünsche überbringen durften. In der Reihe vor Lehmann standen Soldaten der SS-Division Frundsberg, viele davon hochdekoriert mit Ritterkreuz. Hinter ihnen, in der zweiten, mittleren Reihe, hatten sich zwanzig Hitlerjungen aufstellen dürfen, die sich im Kampf um Berlin und anderswo ausgezeichnet hatten, unter ihnen auch Armin Lehmann. Da er der Größte in der Reihe war, stand er als Erster direkt neben dem »Reichsjugendführer« Artur Axmann. In der Reihe dahinter folgten Soldaten der eingeschlossenen Heeresgruppe Kurland, die eigens für diese Zeremonie nach Berlin eingeflogen worden waren.

„Deutschland ist noch immer das Land der Treue. Sie soll in der Gefahr ihre größten Triumphe feiern. Niemals wird die Geschichte über diese Zeit berichten können, dass ein Volk seinen Führer oder dass ein Führer sein Volk verließ. Das aber ist der Sieg.“
Joseph Goebbels, Rundfunkrede am 19. April zum Geburtstag Adolf Hitlers

Langsam, fast zögerlich trat Hitler im Garten der Reichskanzlei auf die Reihen der Soldaten und Hitlerjungen zu. Da es bereits wärmer geworden war, trug er keinen Mantel, sondern eine fellgraue Jacke und eine schwarze Hose. Mit gebeugtem Rücken schritt der »Führer« die erste Reihe ab. Einer der Soldaten überreichte ihm etwas – später hörte Lehmann, es sei ein Scheck für die Winterhilfe gewesen. Dann kam Hitler auf Axmann zu, der ihn mit der linken Hand grüßte, da er die rechte im Krieg verloren hatte. Für Lehmann war es ein Schock, als er Hitler nun zum ersten Mal aus der Nähe sah: »Er kam auf mich zu und fragte, wo ich im Einsatz war und so weiter. Ich war ganz erschrocken. Es war ja sein sechsundfünfzigster Geburtstag, aber er sah aus wie siebzig. Er gab mir erst die rechte Hand und dann auch die linke Hand, und er zitterte am ganzen Körper, auch sein Gesicht zitterte. Das Einzige, was noch stark erschien, war sein Blick, der Ausdruck, sonst sah er aus wie ein Greis.«

Mit Axmann im Gefolge schritt Hitler die Reihe der Hitlerjungen ab, tätschelte den einen oder anderen an der Wange oder Schulter und sagte, dass die Schlacht um Berlin unter allen Umständen gewonnen werden müsse. Kurz darauf brach er ab. Er hatte wohl selbst das Gefühl, nicht mehr überzeugen zu können, es sei denn, durch Mitleid – das war jedenfalls der Eindruck seines bei der Zeremonie anwesenden Rüstungsministers Albert Speer. Am Ende rief Hitler mit müder Stimme: »Heil euch!« Doch niemand antwortete. »Nur in der Ferne«, so heißt es im Bericht des Reichsjugendführers Artur Axmann, »hörte man das Grollen der Front, kaum noch dreißig Kilometer entfernt.«

Die misslungene Gratulationscour im Garten der Berliner Reichskanzlei war Symbol für die desolate Stimmung an der Spitze des »Dritten Reiches«. Noch ein Mal, zum letzten Mal, hatte sich die Führung des Dritten Reiches an diesem Mittag inmitten der zerstörten Reichshauptstadt versammelt, um ihrem »Führer« zum Geburtstag zu gratulieren. Noch ein Mal, zum letzten Mal, hatte sich Hitler hierfür aus seiner Katakombe unter der Reichskanzlei in die oberen, noch halbwegs festlichen Räume begeben. Die mächtigsten Männer des untergehenden Reiches, Hermann Göring, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler und Martin Bormann, Albert Speer, Joachim von Ribbentrop, und einige Gauleiter sowie die Spitzen der Wehrmacht waren gekommen, um ihre Glückwünsche zu überbringen. Nacheinander traten sie an Hitler heran, »der ihre Glückwünsche den Umständen entsprechend kühl und fast abwehrend entgegennahm«, wie einer der Anwesenden bemerkte. Nach dem kurzen Empfang, bei dem eine heitere Stimmung nicht aufkommen wollte, folgten die Paladine Hitler zurück in den Bunker, wo sie an der anschließenden Lagebesprechung teilnahmen.

Die militärische Lage des Reiches und seiner Hauptstadt war verzweifelt, das war allen Anwesenden bewusst. Ende März war die Rheinfront, die letzte große Verteidigungslinie im Westen, zusammengebrochen. Aus ihren Brückenköpfen bei Remagen und Wesel waren britische und amerikanische Truppen im Eiltempo in das Innere des Reiches vorgedrungen und hatten im Ruhrgebiet die komplette Heeresgruppe B eingeschlossen, die am 16. April kapitulieren musste. 300 000 deutsche Soldaten gingen in Gefangenschaft, während ihr Oberbefehlshaber Feldmarschall Walter Model sich in einem Waldstück südlich von Duisburg erschoss. Schon am 12. April erreichten die Amerikaner südlich von Magdeburg und am 19. April die Briten bei Lauenburg die Elbe. Für einen kurzen Augenblick bot sich ihnen die Chance, Stalin zuvorzukommen und vor den Truppen der Roten Armee Berlin einzunehmen. Insbesondere der englische Premier Winston Churchill bedrängte die amerikanische Führung, sich über die bei der Konferenz von Jalta verabredeten Besatzungszonen hinwegzusetzen und so weit wie möglich nach Osten vorzustoßen. Doch Washington winkte ab. »Berlin ist kein strategisches Ziel mehr«, diktierte der Oberkommandierende der westalliierten Truppen, General Eisenhower, seinen Generälen. Statt über die Elbe auf Berlin zu marschieren, dirigierte er seine Truppen nach Süddeutschland und Österreich.

Währenddessen hatte die Rote Armee in den Morgenstunden des 16. April mit einer riesigen Streitmacht den lang erwarteten Großangriff auf Berlin und den Rest des verbliebenen Reiches begonnen. Drei sowjetische Armeegruppen mit insgesamt 2,5 Millionen Soldaten, 6250 Panzern und Sturmlafetten, 41 000 Geschützen und Granatwerfern waren an den Ufern der Oder und der Neiße angetreten, um die nur noch 60 Kilometer entfernte Reichshauptstadt zu erobern. Im Norden stand die 2. Weißrussische Front unter Marschall Konstantin Rokossowskij. Weiter im Süden bei Küstrin massierte sich die 1. Weißrussische Front unter dem Oberbefehl von Marschall Georgij Schukow. Seine Heeresgruppe war Berlin am nächsten, daher reklamierte Schukow für sich die Ehre, die Hauptstadt des Reiches einzunehmen. »Der Gegner ist auf dem kürzesten Weg nach Berlin zu zerschlagen. Die Hauptstadt des faschistischen Deutschland ist einzunehmen und über ihr das Banner des Sieges zu hissen«, lautete der Tagesbefehl, mit dem er seine Truppen auf die letzte Schlacht einstimmte. Schukow wusste, dass er nicht der Einzige war, der sich Berlin als Siegestrophäe sichern wollte. Sein größter Rivale war der Oberbefehlshaber der 1. Ukrainischen Front, Marschall Iwan Konjew, dessen Heeresgruppe etwas weiter südlich an den Ufern der Neiße zum Sprung ansetzte. Ein stummer Wettkampf war zwischen den beiden Marschällen entbrannt, der durch Stalin bewusst angestachelt wurde. In den Augen des misstrauischen Diktators war der Kriegsheld Schukow bereits allzu populär geworden. Noch brauchte er ihn, um Hitler endgültig niederzuringen, danach würde man sehen. Auf jeden Fall hielt es Stalin für klug, den selbstbewussten und erfolgsverwöhnten Marschall mit Hilfe seines ehrgeizigen Rivalen Konjew in Schach zu halten.

Um 3 Uhr morgens am 16. April stießen auf Schukows Befehl 300 000 Rotarmisten vom Brückenkopf bei Küstrin in Richtung Seelower Höhen vor, eine hufeisenförmige Hügelkette im Nordwesten der Stadt Seelow. Das Inferno begann mit einem Dauerfeuer aus mehr als 20 000 Geschützen. Ihr Mündungsfeuer und der Flammenschein der detonierenden Granaten tauchten die Hügelkette in ein gespenstisches Licht und hinterließen bei Angreifern und Verteidigern einen unauslöschlichen Eindruck. »Es war eine Art Höllengewitter, wie man es sich einfach nicht vorstellen kann«, schilderte ein dort eingesetzter Hitlerjunge den Angriff. »Man sitzt im Loch, und die Minuten werden zu Viertelstunden, und die Viertelstunden werden zu Ewigkeiten. Die Zeit läuft nicht mehr. Alles wurde umgepflügt mit fürchterlichen Opfern. Da wussten wir alle: Das war das Ende unserer Kindheit – im Grunde das Ende unserer Jugend. Nichts würde mehr so sein wie bisher.« Verbissen kämpfte die deutsche Abwehr gegen den vielfach überlegenen Angreifer. Wie schon oft zuvor seit den Tagen von Stalingrad hatte Hitler ein Zurückweichen der Truppe kategorisch ausgeschlossen. »Widerstand bis zum letzten Mann«, lautete die stets aufs Neue wiederholte Parole.

Tatsächlich konnten die deutschen Soldaten und Volkssturmangehörigen die Rote Armee in den ersten Tagen unter empfindlichen Verlusten zurückschlagen. Doch rücksichtslos jagte Schukow seine Truppen in immer neue Angriffe auf die Seelower Höhen – zumal ihm bewusst war, dass sein Konkurrent Konjew im Süden die Neiße überquert hatte und seine Heeresgruppe zügig in Richtung Westen vorankam. Erneut pochte Schukows Nebenbuhler darauf, an der Eroberung Berlins beteiligt zu...

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