1 Mein Weg zur Maly-Meditation
Sie werden sich vielleicht fragen, warum die Meditationsform, die ich Ihnen mit diesem Buch nahebringen möchte, nach mir benannt ist?
Die Antwort ist einfach. Ich habe sie für mich entwickelt, für meinen Körper und meine durch eine leidvolle Krankengeschichte geschundene Seele.
Mehr als fünf Jahre litt ich unter starken Missempfindungen in Beinen und Füßen. Es war, als gehörten sie nicht mehr zu mir. Jahrelang lief ich von einem Arzt zum nächsten, ohne dass ich Hilfe gefunden hätte. Man erklärte mir ein ums andere Mal, dass ich mir die Beschwerden nur einbilde und die von mir beschriebenen Symptome keinerlei körperliche Ursache hätten. Selbst als ich mein Auto beim Einparken frontal gegen eine Wand fuhr, weil mir das Bein auf dem Gaspedal nicht mehr gehorchte und sich verselbständigt hatte, sah der behandelnde Neurologe und Psychiater noch immer keinen Handlungsbedarf. Stattdessen empfahl er mir psychologische Sitzungen, um das aus seiner Sicht ursächliche Problem zu beheben. Zusätzlich verschrieb er mir ein durchblutungsförderndes Medikament, was meine Probleme zwar nicht behob, aber dazu führte, dass sich die Empfindungsstörungen auf Arme und Hände ausbreiteten.
Als ich schließlich zusammenbrach und fast gar nicht mehr laufen konnte, wurde ich von einem anderen Neurologen untersucht, der mich sofort in die Aachener Universitätsklinik einwies. Die Diagnose lautete auf Durale AV-Fistel, eine arteriell-venöse Fistel, die die Sauerstoffversorgung der Nerven von der Brustwirbelsäule abwärts so stark beeinträchtigt hatte, dass das Rückenmark schon in Teilen abgestorben war.
Bevor ich mich der sieben Stunden währenden Operation unterzog, erklärte mir der Neurochirurg, dass ich damit rechnen müsse, nach der OP gelähmt zu sein. Selbst wenn die Lähmung nicht sofort eintreten sollte, müsste ich für mindestens drei Wochen mit dem erhöhten Risiko einer Entzündung rechnen, die dann immer noch zur Lähmung führen könne.
Die Prognose zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich war mein Lebtag ein passionierter Sportler gewesen, und jetzt das! Am Abend vor der Operation sah ich vom Krankenbett aus einen Fernsehbeitrag über Wolfgang Schäuble, der infolge des Attentats, das auf ihn verübt worden war, gelähmt war. Ich dachte mir, wenn dieser Mann in der Lage ist, vom Rollstuhl aus Politik zu machen, dann werde ich ja wohl auch mit einer Lähmung leben können. Aus dieser Erkenntnis zog ich das, was man gemeinhin als Lebensmut bezeichnet; die Kraft und die Glaubensfähigkeit, weiterzuleben.
Genau das versuche ich heute Menschen, die zu mir kommen und Hilfe suchen, zu vermitteln. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man keine Antworten auf seine Fragen bekommt, wenn man als »Fall« betrachtet und entsprechend behandelt wird, und wenn man nach Hause geschickt wird mit Worten wie: »Sie sind ein hoffnungsloser Fall« oder »in Ihrem Fall kann man leider nichts mehr machen …«.
Die Operation habe ich gut überstanden, ohne Lähmung! Doch viele Regionen meines Körpers waren nach dem Eingriff ohne Gefühl. Hinzu kam, dass ich mich kaum bewegen konnte. Als mir die betreuenden Ärzte erklärten, dass sich das Rückenmark nicht regenerieren und ich deshalb nie wieder laufen würde, erwiderte ich mit voller Überzeugung: »Und ich werde wieder laufen!«
Mittlerweile weiß man, dass sich das Rückenmark regenerieren kann. Noch im Krankenhaus begann ich, Gott um Hilfe zu bitten. Ich stellte mir vor, dass er mir ein heilmachendes Licht schickt, das über den Kopf in meinen Körper einströmt und in mein Rückenmark fließt. Während ich betete, konzentrierte ich mich auf meine Rückenpartie. Ich wusste noch nicht einmal, wie lange ich so verharrte. Das fortwährende Gebet und die Versenkung in meinen Körper waren so intensiv, dass mir jegliches Zeitgefühl abhandenkam.
Als ich aus der Meditation erwachte, fühlte ich mich erleichtert, ruhig und zuversichtlich, ohne dass ich das hätte erklären können. Es war einfach so. Im Verlauf der folgenden Wochen, die ich im Krankenhaus und anschließend in einer Rehaklinik verbrachte, wurde diese Meditation ein fester Bestandteil meines Tagesablaufes. Und meine Hartnäckigkeit sollte belohnt werden: Allmählich fing ich an, ein Bein vor das andere zu setzen, wenngleich unter heftigen Schmerzen. Anfänglich konnte ich nur wenige Meter gehen. Doch nach der sechswöchigen Rehabilitation waren es schon gut 100 Meter. Bei der ersten Nachuntersuchung in der Universitätsklinik Aachen konnte der mich betreuende Neurologe es nicht fassen, was ich ihm vorführte.
Doch was wie eine Erfolgsgeschichte mit Happy End klingt, hatte auch eine Schattenseite. Durch die lange Zeit der Rekonvaleszenz verlor ich zwei meiner Betriebe. Bis zum Zeitpunkt der Operation hatte ich drei Zahnlabors, die ich gern und äußerst erfolgreich geführt hatte. Plötzlich war alles, was ich mir in 20 Jahren harter Arbeit aufgebaut hatte, dahin. Hinzu kam, dass ich unter fürchterlichen Nervenschmerzen litt, von denen ich auch heute noch immer wieder heimgesucht werde, Schmerzen, gegen die es kein Mittel gibt, jedenfalls keines, dessen Nebenwirkungen ich in Kauf nehmen wollte.
Um das Loch zu füllen, das die Krankheit in mein Leben gerissen hatte, und auch, um einen Weg aus meinem Leid zu finden, begann ich, unterschiedliche medizinische Heilungsansätze für mich zu erschließen. Ich deckte mich mit Büchern ein, die eine halbe Regalwand füllten. Ich entdeckte mein Interesse für die Psychologie und absolvierte mehrere Ausbildungen auf diesem Gebiet. Ein anderes Themenfeld, zu dem ich mich damals hingezogen fühlte, waren Interreligiosität und das Gottesverständnis anderer Kulturen. Vermutlich sind einige Erkenntnisse, die ich in dieser Zeit sammeln konnte, in die Meditation eingeflossen, ohne dass ich mir dessen bewusst bin.
Jedenfalls habe ich die Gebetsmeditation sukzessive erweitert zu dem, was sie heute ist. Eigentlich hatte ich nicht vor, sie mit anderen Menschen zu praktizieren. Doch eines Tages sprach mich eine Bekannte an, der ich von meinen täglichen Übungen erzählt hatte. Sie hatte Brustkrebs und bat mich, mit ihr zu meditieren. Das Erlebnis, das sie dabei hatte, empfand sie als so überwältigend, dass sie fortan einmal pro Woche zu mir kam. Ihrem Mann zeigte ich, wie er zusammen mit ihr meditieren konnte; wo er die Hände auflegen und woran er dabei denken sollte. Nach gut einem Jahr regelmäßiger Meditation war der Tumor in ihrer Brust verschwunden. All das liegt zehn Jahre zurück. Sie ist bis heute krebsfrei.
Im Laufe der Zeit erfuhren andere Menschen von meiner Meditationspraxis und kamen zu mir. Die Ordensschwestern und -brüder des Steyler St.-Michael-Klosters im niederländischen Venlo, wo ich damals lebte, stellten mir seinerzeit einen Raum zur Verfügung, wo ich mit den Menschen betete und meditierte.
Irgendwann erfuhr Prof. Dr. Waldemar Uhl, Leiter der Chirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Bochum, von meiner Arbeit und begann sich dafür zu interessieren. Im Laufe der Jahre habe ich vielen seiner Patienten, von denen fast alle an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt waren, dabei helfen können, ihre Lebensqualität zu verbessern. Einige dieser Menschen sind bis heute tumorfrei. Möglicherweise ist Ihnen unsere Zusammenarbeit aus der ARD-Dokumentation Das Geheimnis der Heilung oder aus dem gleichnamigen Buch von Joachim Faulstich bekannt. Gemeinsam mit den Seelsorgern des Klinikums veranstalten wir regelmäßig Gruppenmeditationen für Patienten und ihre Angehörigen.
In einem Brief an Prof. Uhl schilderte eine Teilnehmerin ihre Erlebnisse:
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Uhl,
meine gesamte Familie war am 29. 09. 2011 in der Kapelle des Josef-Hospitals. Ich muss dazu sagen, dass mein Vater bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas mit Meditation zu tun gehabt hat. Es ist schon ein Wunder, dass er überhaupt mit uns gekommen ist. Aber wie sagt doch ein türkisches Sprichwort: »Ein Ertrinkender klammert sich sogar an ein Krokodil.«
Als meine Mutter dann in der Kapelle meinem Vater die Hand aufgelegt hat, begann mein Vater ganz tief aufzuschluchzen, mein Vater, der in seinem ganzen Leben noch nie geweint hat. Er hat dann nach der Meditation mit zitternder Stimme und Händen ins Mikrofon vor allen Leuten gesagt, dass er nun endlich die Liebe gespürt hätte und ganz tief gefühlt hätte, wie sehr seine Frau und seine Kinder ihn lieben. Und dafür würde er von Herzen danken.
So eine Gefühlsäußerung grenzt bei unserem Vater schon an ein Wunder. Wir machen seit diesem Tag mindestens einmal am Tag diese Meditation mit ihm.
Mir ging es neulich wegen meinem Vater so schlecht. Als ich dann mit ihm – es war für mich das erste Mal – meditiert habe, ging es nicht nur meinem Vater viel besser, sondern auch mir.
Seitdem wir regelmäßig nach der Maly-Anleitung meditieren, ist ein liebevoller Friede in uns alle gekehrt. Niemand hätte von uns je gedacht, dass wir so etwas Schönes und Intimes mit unserem Vater erleben würden. So schlimm diese Krankheit auch ist: sie bringt uns alle noch viel näher zusammen, und das ist ein sehr beglückendes Gefühl. Wir alle sind Ihnen unheimlich dankbar, dass Sie diese Meditation so unterstützen und befürworten und in der Kapelle einen kleinen Vortrag darüber gehalten haben. Ich vermute mal, dass deswegen mein Vater diese Meditation auch für sich annehmen kann, weil er Ihnen so sehr vertraut. Danke, lieber...