Paul Kaiser[15] kommentiert in einem Interview mit der Kuntsfachzeitschrift Kunstforum International seine Einordnung der Akteure innerhalb der Konstruktion der NLS. Seine Äußerungen werden in den folgenden Absätzen vorgestellt und sollen der Analyse der einzelnen Akteure vorweg geschickt werden, um einen Einstieg in das Beziehungsgeflecht der NLS zu bieten.
Leipzig wurde laut Kaiser in der DDR zu „einer radikal entbürgerlichten Bürgerstadt“ (Jocks, Heinz-Norbert Kunstforum international 07/08.2005:149), was in seinen Nachwirkungen bis heute zu erkennen ist. So reicht laut Kaiser die „proletarische Grundierung bis in die Sphären der Hochkultur“ (ebd.) und es gibt keine „etablierte Diskursgemeinschaften […], die sowohl entschleunigend als auch korrigierend in diesem Pragmatismus der schnellen Tat eingreifen“ (ebd.). Zusammenfassend formuliert fehlt Leipzig nach Kaiser eine „kritische Öffentlichkeit“ (S.149), was zu einem „nicht durch reellen Vergleich getrübten Standortstolz sowie der Ausrufung der Provinz zum Weltnabel“ (ebd.) führt, die „selbst von klugen Geistern wie ein Marketingwimpel vor sich her getragen“ (S.149) werden.
Die hoffnungsvolle Stimmung ist hier – und das ist ein Sonderfall in den neuen Ländern – jedenfalls besser als die tatsächliche Lage. Das gilt, wenn man so will, auch für die Künste und derzeit insbesondere für die Malerei. (Jocks, Heinz-Norbert Kunstforum international 07/08.2005: 149)
Sich in Leipzig diesem „Sog zum affirmativen Bekenntnis zu entziehen“ (ebd.), stellt Kaiser als fast unmöglich dar, ohne sich dabei auch ökonomisch ins Abseits zu manövrieren.
Er bezeichnet dies als einen „Gruppendruck zur guten Laune“ (ebd.). Durch den „Sog des Erfolges“ (ebd.) entstand laut Kaiser in Leipzig „ein städtisches Mikroklima, in dem Kritik, Distanz und fordernder Bezug nicht mehr möglich scheinen“ (Jocks, Heinz-Norbert Kunstforum International 07/08.2005: 149).
Daraufhin führt er einen der relevanten Akteure Hans-Werner Schmidt, den Leiter des Museums für bildende Künste in Leipzig, als Beispiel an, da dieser „mit der im damaligen Interimsquartier organisierten Ausstellung ‚sieben mal malerei’ 2003 erstmals die Post-Neo Rauch-Fraktion museal auf[wertete]“ (ebd.). Ein weiteren Hinweis stellt für Kaiser dar, dass Schmidt „als Laudator‚ sozusagen als mitreisender Qualitätsgarant“ (ebd.) mit einigen Künstlern der ‚Neuen Leipziger Schule’ zur Eröffnung der Gruppenausstellung „Cold Hearts“ 2005 nach Seoul mitreiste. Dies zeige, dass die „distanzlose Selbstfeier über die Tugend intellektueller Skepsis triumphiert“ (ebd.) hat und das „Museum seinen Status als Instanz“ (ebd.) aufgegeben habe.
Das zweite Beispiel Kaisers stellt die Leipziger Volkszeitung, die „Monopolgazette Leipzigs“ (ebd.), dar. Sie besitzt nach Angaben von Kaiser die größte Sammlung an Werken von Rauch neben der Deutschen Bank. Diese Sammlung wurde 2005 in Honolulu ausgestellt und „in der eigenen Berichterstattung wertsteigernd zum erstrangigen Kunstevent hochgeschrieben“ (ebd.).
Protagonisten in Hinsicht auf die Entstehung einer NLS stellen nach Meinung von Kaiser (S.151ff) die Akteure Arno Rink, Neo Rauch und Gerd Harry Lybke dar.
Rink spricht Kaiser eine besondere Rolle zu, da fast alle der Künstler, die „heute zur ‚Neuen Leipziger Schule’ gerechnet werden“ (S.151) seine Fach- und Meisterklasse besucht haben und er für „eine Bestandsgarantie der Malerei“ (S.151) an der Hochschule für Grafik und Buchkunst[16] gesorgt hatte. Dies geschah nicht etwa aufgrund Rinks taktischer Schläue, sondern Kaiser nennt es eine „Beharrungskraft aus Schwäche, die wohl den entscheidenden Punkt für den neuerlichen Aufstieg der Malerei darstellte“ (ebd.). Er schreibt der Entstehung der NLS eine Entwicklung der Leipziger Schule vor, welche Ende der achtziger Jahre nicht nur in der DDR sondern auch im Westen für ihre Malerei geschätzt worden war. Es kam in Leipzig zu dem Sonderfall einer „personellen Kontinuität der Lehre“ (ebd.) an der Kunsthochschule, was in anderen Städten wie Dresden unterbunden worden war. So „wurden die Wurzeln zu ‚Leipziger Schule’ nicht gekappt“ (ebd.) und die fundierte handwerkliche Ausbildung an der HGB blieb erhalten.
Neo Rauch beschreibt er einerseits als starken Charakter, der schon als Assistent von Rink mehr als ein „Sancho Panza“ (ebd.) war, andererseits aber auch dass seine Entwicklung zu seiner eigenständigen Position hin, ohne die besondere Konstellation an der HGB in den wichtigen, früher neunziger Jahren, anders verlaufen wäre, denn „Rink ertrotzte Freiräume, die Rauch ausfüllte“ (ebd.). Kaiser (vgl. S.153) erscheint es zweifellos der Verdienst Neo Rauchs zu sein, dass die Lehre der Malerei an der HGB in den frühen neunziger Jahre an verbindlichen Kriterien orientiert war. Diese gelten heute als das, was typisch für die NLS erachtet wird: „handwerkliche, vor allem zeichnerische Solidität, erkennbare Sujets, surreale Polyvalenzen“ (ebd.) und „die Lust am Eigenmarketing, sowie an der Übernahme einer Künstlerrolle, die mit den Regularien von Tübke & Co durchaus Parallelen aufweist, etwa in der Betonung eines fast schon überregulierten, abgeschotteten Arbeitsablaufs. Ganz ohne jeden Eskapismus“ (ebd.).
Folglich zählt Kaiser Rauch auch nicht zu der NLS oder sondern eher zur Leipziger Schule, wo er statt als „Frontmann einer nachrückenden Generation“ (ebd) als „singulärer Nachfolger der Großen“ (ebd.) einzuordnen ist.
Er befindet, dass von der NLS noch nicht feststeht, ob „sie neben einem Marketinglabel auch das Zeug zu einem historischen Begriff hat“ (ebd.). Es ginge auch nach Kaiser nicht, dass „jede Lifestyle-Gruppierung, jede Absolventenriege ihn [den Generationenbegriff] zum Alleinstellungsbeweis missbraucht“ (ebd.). Im Hinblick auf Gemeinsamkeiten der NLS erwähnt er, dass sie alle nach 1970 geboren sind, wodurch sie in einer „bilderreichen, aber ereignisarmen Zeit“ (ebd.) ohne prägende biografische Zäsuren aufgewachsen sind und leben und führt er andere Autoren an wie Max Holleins, der eine „‚neue Romantik’“ (ebd.) ausmacht, oder Niklas Maak, der eine „Abwesenheit des Aktionalen“ (ebd.) erkennt. Doch spricht er den beiden formulierten Gemeinsamkeiten ihre Gültigkeit bedingt wieder ab, da sie zwar als „spannende Perspektiven für Segmente“ (ebd.) darstellen, die Positionen der jungen Künstler aber trotzdem viel zu polymorph sein.
Bezugnahmen auf die Kunst der Leipziger Schule sieht er beispielsweise im Bezugnahmen auf die Kunst der Leipziger Schule sieht er im Motiv des Ikarus bei Weischer zum Werk von Mattheuer, sowie Anknüpfungen an Uwe Pfeifer und Dietrich Burger. Allen voran beziehen sich die jungen Künstler aber auf die Position Neo Rauchs, welches „als Ausgangspunkt und leider eben auch als Fundus“ (Jocks, Heinz-Norbert Kunstforum International 07/08.2005: 155) dient.
Die Galerie Eigen+Art stellt für Kaiser „die Plattform des Aufstiegs der ‚Neuen Leipziger Schule’ dar“ (S.151). Gerd Harry Lybke konnte seiner Meinung nach lange davon profitieren unterschätzt zu werden. Er zelebrierte diese Haltung lange und stilisierte seinen Werdegang vom Aktmodell hin zum Großgaleristen zu einer „ostdeutsche[n] Selfmademan-Story“ (S.154). Schon vor dem Fall der Mauer hatte er hervorragende Kontakte zum westlichen Kunstbetrieb aufgebaut und besaß so schließlich „neben seiner mentalen Alleinstellung, die ihn in Ost und West zum Gegenbild des Jammer-Ossi machten, über einen erheblichen Gestaltungsvorsprung, als die Mauer wirklich fiel“ (S.155). Daraufhin habe Lybke einfach weiter alles richtig gemacht, bis hin zum „jüngsten Glücksfall“ (ebd.), dass der Erfolg Rauchs ihm auch den Zugang zu den jungen Künstlern einbrachte und er sich von den Künstlern der Produzentengalerie LIGA mit Eitel, Schnell und Weischer die „avanciertesten Künstler“ (ebd.) heraussuchen konnte. Ob die Taktik „möglichst viele Beiboote an seinen Kunsttanker zu binden“ (ebd.) aufgeht, bleibt nach Meinung von Kaiser abzuwarten. Das Galerienprojekt der Baumwollspinnerei bezeichnet Kaiser jedenfalls als sympathischen „Einbruch des Größenwahns“ (ebd.).
Ihren raschen Aufstieg verdanken die Künstler der NLS, laut Kaiser (S.153), zum einen der professionellen Organisation einer temporären Produzentengalerie mit Christian Ehrentraut als Galerist, der eine Verkörperung von sowohl personeller als auch institutioneller Nähe zur Eigen+Art. Zum anderen liegt ihr Erfolg einem bestimmten Verständnis von Kunst und Künstlertum zugrunde - einer den Kunstmarkt affirmativ zugewandten Ästhetik, wie dies auch der Leipziger Schule als Paradigma galt.
Zwar wehren sich die NLS-Künstler und ihre Vermarkter „jetzt wo das Plateau erklommen“ (S.155) ist gegen den Begriff NLS - „die Spannung zwischen Kollektivwahrnehmung und der auf radikalen Individualismus zielenden Künstlerrolle ist nur wenige Jahre harmonisierbar“ (ebd.) - wohingegen sich die Künstler doch so lange im Verbund präsentierten wie es ihrem Erfolg nützlich war. Als Beispiel führt er hierfür die...