An dieser Stelle möchte ich erst einmal erzählen, wie ich zur Paleo-Ernährung gekommen bin.
Mit Anfang bis Mitte 20 war ich eine richtige Globetrotterin. Ich war nach meinem in München absolvierten Abitur zunächst für ein Jahr als Au-pair in den USA gewesen, und wenig später reiste ich wieder nach Amerika – diesmal als Stipendiatin an einem kleinen College. In Deutschland begann ich zwischendurch ein Studium im Fach Übersetzen und Dolmetschen, später mit Schwerpunkt Fachübersetzung Medizin/Biologie. Die Semesterferien verbrachte ich immer in den USA. Nach dem Vordiplom zog ich für einige Zeit nach Australien. Ich zog mit 25 die Bilanz, dass ich seit meinem Abitur nie länger als zwölf Monate am Stück im selben Land gelebt hatte.
Als ich von Australien zurückkehrte und widerstrebend in Heidelberg mein Studium wieder aufnahm, spielte erstmals mein Darm merklich verrückt. Ich war sehr ehrgeizig und hatte mir vorgenommen, mein Hauptstudium inklusive Diplomarbeit in nur drei statt vier Semestern durchzuziehen (was ich auch schaffte), um danach wieder ins Ausland gehen zu können (was ich nicht mehr schaffte). Daher schob ich meine Beschwerden geschlagene eineinhalb Jahre lang auf die Nervosität und den Stress – und erzählte keiner Menschenseele etwas von meinen furchtbaren Durchfällen und meinen Krämpfen, da ich dies als etwas unglaublich Peinliches und auch als Schwäche empfand.
Leider erwies es sich schließlich als nicht ganz so harmlos. Mitten in den Diplomprüfungen verschlechterte sich mein Gesundheitszustand drastisch. Ich hatte durch den Nährstoffmangel stark abgenommen und wurde von immer stärkerem Durchfall geplagt. Schließlich ging ich in München zur Hausärztin meiner Eltern – erst einmal ohne Ergebnis. Danach besuchte ich einen weiteren Hausarzt, und als der mich nach dem Ausschluss einiger Allergien und Unverträglichkeiten schließlich zur Darmspiegelung schickte, war wenig später klar: Ich habe Colitis ulcerosa (CU), eine unheilbare, chronische Erkrankung des Dickdarms.
Wie meine persönliche Tragödie ihren Lauf nahm
Diese Krankheit, so erfuhr ich, ist die Schwester des etwas bekannteren Morbus Crohn – mit dem Unterschied, dass Morbus Crohn meist in Teilen von Dünndarm und Dickdarm auftritt, während die Colitis ulcerosa ausschließlich den Dickdarm befällt, d.h. die letzten circa eineinhalb Meter des Darms. Geprägt sind beide Erkrankungen davon, dass die Darmschleimhaut sich entzündet und krankhaft verändert; daher werden sie unter dem Begriff „chronischentzündliche Darmerkrankungen“ (CED) zusammengefasst. Ich erfuhr außerdem, dass ich zu den wenigen Colitis-ulcerosa-Patienten gehöre, bei denen der gesamte Dickdarm betroffen ist. Klassifiziert werden sowohl Morbus Crohn als auch Colitis ulcerosa als sogenannte Autoimmunerkrankungen, da Teile des Immunsystems statt Erreger eigenes Gewebe angreifen und so eine chronische Entzündung hervorrufen. Zu dem enorm großen Spektrum der Autoimmunerkrankungen gehören auch solche Krankheiten wie Rheuma, multiple Sklerose und die Schilddrüsenerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis; der grundlegende Mechanismus ist jeweils der gleiche, nur das betroffene Gewebe ist bei jeder Krankheit ein anderes. Allen Krankheiten gemein ist auch, dass sich Phasen der Remission (weitgehend symptomfreie Phasen) mit Schüben, also Phasen mit ausgeprägten Beschwerden, abwechseln.
Ich bekam also Medikamente und die Anweisung, diese mein ganzes Leben lang einzunehmen. Dann wurde mir noch eine Patientenbroschüre in die Hand gedrückt, und ich wurde verabschiedet.
Leider ging es nun mit mir nicht aufwärts, sondern weiter rapide abwärts. Ich hatte mich zum Glück einen Tag vor der Darmspiegelung noch mit Ach und Krach durch die letzte mündliche Diplomprüfung geschleppt, denn einen Tag danach bekam ich hohes Fieber und wurde bettlägerig. Ich ging mindestens 20 Mal am Tag auf die Toilette, hatte wässrigen und blutigen Durchfall. Ich bekam kein Essen mehr herunter und übergab mich ständig. Nach drei Tagen gab es kein Leugnen mehr: Ich musste ins Krankenhaus.
Dort angekommen, wurde ich zunächst mit Infusionen versorgt, um meinen schwer dehydrierten und geschwächten Körper wieder aufzupäppeln. Anschließend bekam ich Kortisontabletten. Damit wurden die Durchfälle nach wenigen Tagen besser und hörten schließlich auf. Als ich nach einer Woche entlassen wurde, fühlte ich mich so gut wie neu. Die Diagnose und das Erleben der Krankheit hatten mich zwar schockiert und nachhaltig verunsichert, dennoch blickte ich nun wieder mit Zuversicht in die Zukunft.
Da man mir im Krankenhaus nur einen sehr kleinen Kortisonvorrat mit nach Hause geben durfte, wurde ich zu dem Gastroenterologen geschickt, der meine Darmspiegelung durchgeführt hatte. Dieser hatte wie beim vorhergehenden Mal so gut wie keine Zeit für mich und stellte mir rasch ein Rezept aus sowieso einen Plan, nach dem ich das Kortison schrittweise absetzen sollte. Dann klärte er mich noch eilig darüber auf, dass Kortison Nebenwirkungen wie zum Beispiel das sogenannte „Mondgesicht“ (ein rundes Gesicht mit dicken Backen) und Gewichtszunahme haben würde und dass es beim Absetzen oft zu Rückschlägen käme, bei denen man dann die Dosis wohl oder übel wieder heraufsetzen müsste.
Die Erkenntnis, dass mein Kampf nun nicht einmal vorläufig – für diesen Schub – beendet war, sondern gerade erst angefangen hatte, traf mich wie ein Schlag. Wie benommen verließ ich in Begleitung meiner Mutter die Arztpraxis, mein Herz bleischwer und meine Gliedmaßen trotz des heißen Sommertages eiskalt. An diesem Tag begann eine Trauerphase, die genau genommen nie wirklich aufgehört hat.
Die folgenden Monate und Jahre fasse ich im Folgenden kurz zusammen. Es kam nicht so schlimm wie befürchtet – es kam weit schlimmer. Die Nebenwirkungen des Kortisons waren unerträglich: Ich konnte kaum noch schlafen, fühlte mich entsetzlich entstellt und litt an fürchterlich schmerzhaften Krämpfen in Beinen und Füßen. Die angekündigten Rückschläge führten dazu, dass sich das Absetzen des Kortisons über ein halbes Jahr hinzog. Bald darauf musste ich feststellen, dass es neben dem typischen schubweisen Verlauf der Krankheit auch noch einen sogenannten chronisch-aktiven Verlauf gab – und dass ich zu den „Glücklichen“ gehörte, die sich praktisch ständig im Schub befinden, wenn sie gerade kein Kortison nehmen. Also musste ich immer wieder über mehrere Monate Kortison einnehmen und genoss zuverlässig jedes Mal das volle Nebenwirkungsspektrum von der Kurzsichtigkeit bis zum Scheidenpilz.
Ich im Jahre 2007 mit „Mondgesicht“
Zusätzlich dazu bekam ich hohe Dosen eines Medikaments namens Mesalazin. Dies ist das Medikament, das eigentlich alle CU-Patienten zur lebenslangen Dauereinnahme verschrieben bekommen, weil es als gut verträglich gilt und zur Remissionserhaltung (also: Schubverhinderung) eingesetzt wird. Man nimmt es aber auch im Schub. Nach wenigen Jahren stellte sich leider heraus, dass ich das Medikament nicht vertrug: Eine seltene Nebenwirkung führte zur stetigen Verschlechterung meiner Nierenwerte.
Ein Ultraschall und eine Funktionsdiagnostik zeigten ein ernüchterndes Ergebnis: Meine Nieren waren durch eine ständige Entzündungsaktivität vernarbt und geschrumpft, beide Nieren zusammen leisteten nur noch etwa 30 Prozent der Arbeit von gesunden Nieren. Eine Verbesserung der Nierentätigkeit wurde mir nicht in Aussicht gestellt. Das Beste, was ich mir erhoffen dürfte, wäre eine möglichst lange Erhaltung des Status quo, hieß es. Der Trick dabei sei, viel zu trinken und keinen Durchfall zu haben. Hahaha! Wenn ich nicht so am Boden zerstört gewesen wäre, hätte ich vielleicht über diese Ironie lachen können, denn eine wichtige Behandlungsoption war für mich ja nun gerade weggefallen. Und besonders groß ist die Auswahl für Colitis ulcerosa nun wahrlich nicht.
Nach einer durch die Krankheit verkomplizierten Schwangerschaft und der (Früh-) Geburt meiner Tochter im Jahr 2007 – ich war 32 – empfahl mir mein Gastroenterologe in meiner neuen Heimat Leipzig, ernsthaft über eine Komplettentfernung des Dickdarms nachzudenken. Die meisten alternativen Therapieansätze mit Immunsuppressiva schieden für mich paradoxerweise genau aufgrund der Niereninsuffizienz aus. Ein Versuch mit einem Medikament aus der relativ neuen Wirkstoffgruppe der TNF-Antikörper, Remicade, endete damit, dass ich mit einem schweren allergischen Schock in die Notaufnahme gebracht wurde. Die Operation wurde mir als eine rettende Maßnahme, ein Licht am Ende des Tunnels, nahegelegt. Mich jedoch schreckte nichts mehr ab als dies. Ich wollte unter keinen Umständen akzeptieren, dass die Entfernung des vom Immunsystem attackierten Organs meine einzige und letzte Option sein sollte.
Ein Ende mit Schrecken – oder Schrecken ohne...