3.2.2.1 Allgemeine Wirkmodelle
Eine grundsätzliche Möglichkeit, einen allgemeinen Modifikationsanspruch der EP zu untermauern, stellt die In-Bezug-Setzung des erlebnispädagogischen Handelns zum Begriff des Lernens, als ein zu Veränderungen im Verhalten oder im Verhaltenspotential führender Prozess, und zu seinen Beschreibungsmodellen in der Psychologie dar. So berief man sich zur Erklärung erlebnispädagogischen Lernens eine Zeit lang auf behavioristische Ansätze. Demgemäß ist menschliches Verhalten durch die systematische Variation von Reizen, Reaktionen und Konsequenzen kontrollier- und steuerbar ("shaping of behavior"; Skinner, 1938). „Die Verhaltenskonsequenz wirkt verhaltensmodifizierend, d.h., es liegt ihr ein Lernprozess zugrunde“ (Amesberger, 2003, S. 44).
Harmon & Templin (zitiert nach Amesberger, 2003, 44) gingen zunächst davon aus, dass „die Operante Theorie der Verhaltenspsychologen und Erziehungstechnologen am besten auf den erlebnispädagogischen Prozess angewendet werden [kann].“ So fungiert der erlebnispädagogische Prozess als ein Set von Reizen mit Aufforderungscharakter. Jedes Verhalten kann durch die Bereitstellung natürlicher Konsequenzen in diesem durch Ernsthaftigkeit, Herausforderung und Unausweichlichkeit gekennzeichneten Setting zur Persönlichkeitsbildung beitragen. Lerneffekte gehen von der unmittelbar erfahrenen Wirkung erfolgter und nicht erfolgter Handlungen aus (vgl. Fengler, 2007). Die Aufgabe und der aufgesuchte Raum sind „für sich bereits stark verhaltenswirksam“, „per se pädagogische Faktoren“ (Schwiersch, 1995, S. 148). Es werden klare Handlungen gefordert, über die nicht diskutiert werden kann: „Wer nicht abstürzen will, muss sich festhalten, wer nicht auf den Stein auffahren will, muss paddeln“ (Schwiersch, 1995, S. 148). Es findet so zu sagen eine Konditionierung durch starke elementare Naturreize statt. Die Natur wird als Verstärkungsinstanz bewusst eingesetzt, die Auseinandersetzungen mit ihren Bedingungen (Gelände, Temperatur…) eröffnen zusätzliche Lernchancen, sie fungieren also als lernförderliche Reize (vgl. Amesberger, 2003).
Rein behavioristische Herangehensweisen gelten heute als überholt. Die in der Auseinandersetzung mit dem Paradigma des Behaviorismus entstandenen kognitiven Lerntheorien grenzen sich von der Auffassung ab, Verhalten sei allein durch äußere Reize bestimmt. Sie gehen davon aus, dass zwischen Reiz und Reaktion höhere Prozesse ablaufen. Menschliches Verhalten charakterisiert sich nicht durch bloße „mechanische Reaktionen auf Umweltreize“, „sondern wird vielmehr von kognitiven Repräsentationen derartiger Kontingenzen abgeleitet“ (Jerusalem, 1983, zitiert nach Buchwald, 1996, S. 93). Bandura (1986) geht im Rahmen seiner sozial-kognitiven Lerntheorie davon aus, dass sowohl die Person und ihre internen Mechanismen, als auch die
Umwelt das Verhalten festlegen. Er konstatiert eine wechselseitige Beeinflussung und Abhängigkeit von Verhalten, Persönlichkeit und Umweltereignissen bzw. der Situation ("reziproker Determinusmus"), folglich ist die Person „nicht Opfer der Situation, sondern zum Teil auch ihr Gestalter“ (R. Schwarzer, 1981, zitiert nach Buchwald, 1996, S. 93). Die Umwelt und das Verhalten eines Menschen erzeugen sich so zu sagen gegenseitig.
Das im Rahmen der Lerntheorie Banduras beschriebene Modelllernen, ein kognitiver Lernprozess, bei dem in Folge der Beobachtung von fremden Verhalten und der Konsequenz dessen neue oder veränderte Verhaltensweisen bewirkt werden, ist für die Erklärung des Modifikationsanspruchs der EP bedeutsam. So stellen die Gruppenmitglieder (d.h. auch der Teamer) von erlebnispädagogischen Programmen wechselseitig Verhaltensmodelle füreinander dar, wie z.B. das gegenseitige Modellverhalten beim Klettern mit dem Partner (Wechsel von Sichern und Klettern) (vgl. Schwiersch, 1995). Auch C. Schwarzer und Koblitz (2004) gehen davon aus, dass die in Kooperation und in Auseinandersetzung mit dem Umfeld stattfindenden Aktivitäten von besonderer lernfördernder Wirkung sind.
Hinsichtlich der auf der Grundlage des sozial-kognitiven Konzepts entwickelten "Theorie der self-efficacy" (Bandura, 1977) gelangen Harmon und Templin (zitiert nach Amesberger, 2003, S. 45) schließlich zu der „Überzeugung, dass diese Theorie Elemente des Behaviorismus und der Kognitiven Psychologie in einer Weise verbindet, die sie am geeignetsten zur Planung und Auswertung von Outward Bound Kursen [sprich erlebnispädagogischen Programmen; d.V.] erscheinen lässt.“ Auch Sommerfeld (2001, S. 397) konstatiert: „Banduras Theorie der Selbstwirksamkeit eignet sich (…) als Basis für konzeptionelle Begründungen erlebnispädagogischer Praxis. Darauf wird in Kapitel 3.3 näher einzugehen sein.
In Anlehnung an humanistische Ansätze - im Speziellen an Rogers, der die Auswirkungen der Therapeuten-Klienten Beziehung auf die Entwicklung des Klienten analysierte, - wird hier davon ausgegangen, dass die Qualität der Beziehung die Wirkung erlebnispädagogischer Prozesse wesentlich bedingt und bestimmt. Das zugrunde liegende humanistische Menschenbild eines wachstumsorientierten, nach Selbstverwirklichung strebenden Wesens, das für seine Ideen, Gefühle und Handlungen Verantwortung übernimmt, Probleme selbst reguliert und „potentiell über unerhörte Möglichkeiten verfügt, (…) sich selbst zu begreifen und seine Selbstkonzepte, seine Grundeinstellung und sein selbstgesteuertes Verhalten zu verändern“ (Rogers, 1997, S. 66), legt nach Amesberger (2003) bereits die Basis für ein Erklärungsmodell der Persönlichkeitsentwicklung durch erlebnispädagogische Intervention. Schließlich ist es ihre zentrale Intention, zur Entfaltung einer solch selbstbestimmten Persönlichkeit beizutragen und
diesbezüglich wichtige Impulse zu setzen. Rogers (1997, S. 66) fährt fort „(…) dieses Potential kann erschlossen werden, wenn es gelingt, ein klar definiertes Klima förderlicher psychologischer Einstellungen herzustellen.“ Hiermit spielt er auf die Hauptkriterien seiner klientenzentrierten Gesprächspsychotherapie an, die eine völlig neue Beziehung zwischen Therapeut und Klient implizieren: die Akzeptanz des anderen (Wertschätzung), das teilnehmende Interesse (Empathie) und die Echtheit der eigenen Reaktion (Authentizität). Nach Schwiersch (1995) erleben es Pädagogen in den herkömmlichen Strukturen der Pädagogik, z.B. in der Schule, als schwierig, in ihrer Rollenvielfalt diese wachstumsfördernden Beziehungskriterien zu realisieren. Solche werden im Rahmen erlebnispädagogischer Aktivitäten jedoch erfüllt: „Der Pädagoge und die Jugendlichen stehen gemeinsam auf dem Gipfel, gehen zusammen durch Schwierigkeiten ohne das Erlebnis oder das Abenteuer zu pädagogisieren, so dass sie im gemeinsamen Tun aufeinander treffen (…), sich auf einer gemeinsamen Ebene (…) begegnen“ (Witte, 2002, S. 60). Eine dirigierende Aktivität des Pädagogen und ein bewertendes Klima würden einer solchen Begegnung und ihren entwicklungsförderlichen Potentialen Abbruch tun, bietet doch die Beziehung diesem Begründungsansatz zufolge das Feld des Wachstums bzw. der Veränderung. „In der bewertungsfreien Atmosphäre findet der Jungendliche den Raum und den Halt, sich selbst zu explorieren, mitzuteilen und zu erleben“ (Rogers 2000, zitiert nach Witte, 2002, S. 60). Auch Amesberger (2003) nimmt an, dass der Teilnehmer in dem `autoritätsfreien` Setting offener für seine Wahrnehmungen und Erfahrungen wird und dadurch mehr Selbstvertrauen entwickelt. Ebenfalls soll durch den geringen Beziehungsdruck und den in den Vordergrund rückenden aufgabenbedingten Handlungsdruck die Bereitschaft zur Veränderung erhöht sein. Aufgrund des Wegfalls einer Bewertung von außen entwickelt der Teilnehmer außerdem zunehmend eine innere Bewertungsinstanz, mit anderen Worten: er wird selbstverantwortlicher. Ebenfalls die zwanglose, kooperative, konstruktive Beziehung der Teilnehmer untereinander regen Selbstaufmerksamkeits-und soziale Vergleichsprozesse an, wodurch es zu Selbsterfahrungen kommt, die „meist mit zum Teil tief greifenden Veränderungen innerhalb der Persönlichkeit der Teilnehmer verbunden [sind]“ (Amesberger, 2003, S. 49). Ein Beispiel eines solchen Prozesses wäre z.B. die Verarbeitung innerer Konflikte und Gegensätze zwischen den Teilnehmern und eine dadurch bedingte Korrektur von Einstellungen und Haltungen (vgl. Kap. 3.2.1).
Des Weiteren werden das "Konzept der Isomorphie und Metaphorik" nach Bacon (1987) und das psychoanalytische "Konzept der Archetypen" nach Jung (1995) als erlebnispädagogische Wirkmodelle in Betracht gezogen. Ersteres stellt sogar einen in der EP entstandenen Ansatz dar.
„Isomorphie - damit ist die Formgleichheit zwischen der äußeren erlebnispädagogischen Situation, der Aufgabe und ihrem Setting und innerpsychischen, gruppendynamischen Strukturen oder Lebensweltstrukturen der Teilnehmer gemeint“ (Schwiersch, 1995, S. 160). Erlebnispädagogische Isomorphien müssen demnach die Lebenssituation oder die Motivlage der Teilnehmer widerspiegeln; die Situation bzw. die Aufgabe und das Setting werden isomorph zur Lebensrealität ausgestaltet. Dafür müssen das Problemverhalten der Teilnehmer und das zu ändernde Strukturelement bekannt sein, so dass sich der Teamer im Vorfeld über Ist- und Sollzustände informieren muss. Der Einzelne befindet sich im Idealfall während einer erlebnispädagogischen Aktivität gleichzeitig in der aktuellen...