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E-Book

Die Pest in Wien

AutorHilde Schmölzer
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783709936511
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
DIE PEST: EINE SPANNENDE KULTURGESCHICHTE Mit 'Die Pest in Wien' liefert Hilde Schmölzer eine spannende Kulturgeschichte zum Staunen und Kopfschütteln: Fundiert und fesselnd erzählt sie von den großen Pestzeiten in Wien vom Mittelalter bis zur Neuzeit und erinnert an die katastrophalen Auswirkungen, die die Seuche auf Österreich und ganz Europa hatte. Zeugnis bieten die schriftlichen Aufzeichnungen von Mönchen, Schriftstellern und Gelehrten, die eindrucksvoll den Schrecken und die Angst der Menschen vor der unheilbringenden Krankheit dokumentieren: Der 'Schwarze Tod' war in ihrer Vorstellung ein böser Mann auf wildem Pferd, auf schauerlichem Schiff oder auf gespenstischer Barke. ABERGLAUBE UND RELIGIÖSER FANATISMUS HATTEN HOCHKONJUNKTUR Dieser Aberglaube kam nicht von ungefähr, standen doch auch die Ärzte der Seuche mehr oder weniger hilflos gegenüber und konnten der Pest keinen Einhalt gebieten. So wurden der Zorn Gottes und die Konstellation der Gestirne für die Pest verantwortlich gemacht und als sicherstes Gegenmittel die Flucht empfohlen. Den einzigen Trost bot lediglich der Glaube, und ein religiöser Fanatismus führte zu Geißlerzügen. Die Judenverfolgungen, die im Gefolge der Pest, aber auch unabhängig davon auftraten, gehören zu den düstersten Kapiteln nicht nur des Mittelalters. FATALISMUS UND LEICHTSINN ALS TÖDLICHE LEBENSEINSTELLUNG Die Zustände blieben bis ins neuzeitliche Wien mittelalterlich: Unter Leopold I. wurden zwar rauschende Feste gefeiert, aber unter Seide und Taft nisteten die für die Übertragung der Krankheit hauptsächlich verantwortlichen Flöhe. Und während Hofprediger Abraham a Sancta Clara noch immer frommen Lebenswandel als beste Vorbeugung empfahl, war ausreichende Hygiene selbst bei den Reichen und erst recht bei den Armen unbekannt. Auch Fatalismus und Leichtsinn, wie sie dem Wiener seit den Tagen des lieben Augustin zugeschrieben werden, haben wenig zur Entschärfung der Zustände beigetragen.

Hilde Schmölzer, geboren 1937 in Linz, lebt als freie Autorin in Wien. Studium der Publizistik und Kunstgeschichte. 25 Jahre freiberufliche Journalistin und Fotografin in Wien und München. Arbeit für den ORF. Zahlreiche Veröffentlichungen als Sachbuchautorin, u.a. 'Die verlorene Geschichte der Frau', 'Phänomen Hexe' und zuletzt 'A schöne Leich. Der Wiener und sein Tod' (HAYMONtb 2015).

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Leseprobe

Die »stat ze Wienne«


Schmal war das Gassengewirr vor über 600 Jahren, eng und dunkel war die Stadt. Nichts von den prächtigen Palästen der Barockzeit, nicht einmal jene stattlichen Häuser aus Stein mit Glasfenstern, Malereien und eisernen Türen, die Aeneas Silvius de Piccolomini, Kanzleisekretär Kaiser Friedrichs III. und späterer Papst Pius II., rund ein Jahrhundert danach so lobend erwähnt, werden damals allzu häufig gewesen sein. Die Häuser waren vielfach noch ebenerdig, klein, zumeist aus Holz, mit Stroh oder Schindeln gedeckt. Bei einstöckigen Häusern sprang das obere Stockwerk oft vor, um die Wohnfläche zu vergrößern, was dazu beitrug, die dumpfen, lichtlosen Gassen noch mehr zu verengen. Die Einrichtung war selbst bei Wohlhabenden gegen Mitte des 14. Jahrhunderts eher spärlich, Gerät und Ausstattung dürftig, die Räume schmucklos – erst etliche Jahrzehnte später wurden sie mit Kalkfarben ausgemalt. Der Kamin begann erst gegen Ende des Jahrhunderts eine Attraktion zu werden, die Einraumhäuser wurden meist immer noch mittels offener Feuerstelle in der »Stube« beheizt, wobei der Rauch nicht nur durch Dach- und Fensterluken, sondern auch durch die Ritzen in den Wänden entweichen musste, was insofern gut möglich war, als die Bauweise genügend Gelegenheit dazu bot. Glasfenster hat es höchstens in den Kirchen gegeben, Bürger und auch Adelige halfen sich mit Leinen und Papier zur Bespannung, die man in einem umständlichen Verfahren zu präparieren wusste. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, die Fensteröffnungen mit einer dünn gegerbten Haut, dem »sliem«, zu verschließen.

Auch von einer Straßenpflasterung war damals noch nicht viel zu bemerken. Die Wagen fuhren in so tiefen Gleisen, dass kaum einer dem anderen ausweichen konnte. Der Spaziergänger jedoch, sofern er das abenteuerliche Erlebnis eines Stadtbummels auf sich nehmen wollte, versank knöcheltief in Schlamm und Kot – die erste Pflasterrechnung geht auf das Jahr 1368 zurück. Um seine modischen Schnabelschuhe zu schützen, zog er daher zum Einkaufen auf dem Markt hölzerne Überschuhe, sogenannte »Trippen«, an. Viel lieber allerdings blieb er in seinem Haus, das vor allem in frühen Zeiten die Funktion einer Festung zu erfüllen hatte und mitsamt den Schuppen der Arbeitsleute, Stallungen und Scheunen mit einer Mauer oder Umplankung versehen war – wobei jeder Hausfriedensbruch streng geahndet wurde. Ausflüge im Stadtbereich waren jedoch nicht nur unbequem, sie waren häufig auch mit allerhand Gefahren verbunden. Raufhändel waren an der Tagesordnung, festliche Zusammenkünfte von Totschlag und Mord begleitet. Über die Gefährdungen im Mittelalter geben die Testamentbücher Auskunft, in denen die Rüstungen verzeichnet sind, die zum Inventar eines jeden ordentlichen Wiener Bürgers gehörten. Es war ein wildes Leben in jener Zeit, das ständige Tragen von Waffen nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig. Grausam waren auch die Gerichtsverfahren, geradezu bestialisch die Foltermethoden.

Und zu diesen tatsächlichen Gefahren kamen noch die irrealen. Zahlreiche Hexen und Zauberer trieben ein gefürchtetes Unwesen, vor dem man sich nur mittels genau einzuhaltender magischer Beschwörungsformeln schützen konnte. Teufel und Tod waren allgegenwärtig, Beelzebub nirgends auszutreiben – auch nicht durch fleischabtötende Askese, die nur wieder dazu angetan war, umso heftigere Sinnenlust hervorzurufen. Es ist jene eigentümliche Gegensätzlichkeit, die den mittelalterlichen Menschen prägt: die Allgegenwart des Bösen, die Teufelsfratze auch im sakralen, im kirchlichen Bereich und gleichzeitig jene tiefe Sehnsucht nach Reinheit und verinnerlichter Mystik, wie sie aus den süßen Gesichtern der Madonnen spricht, die auf zierlichen Konsolen die Kirchen bevölkern. Diese Sehnsucht nach göttlicher Transzendenz, nach emporstrebender Vereinigung mit dem Himmlischen, erfüllt die hoch gewölbten Kirchen der Gotik, die zierlichen Bögen und Säulen, mit denen die dumpfe, erdhafte Verbundenheit der Romanik durchbrochen wird.

Denn schon beginnt im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts in Wien die Gotik ihre kostbaren Blüten zu treiben, der »Albertinische Chor« von St. Stephan wird in Angriff genommen, ebenso die Deutschordenskirche und die Minoritenkirche, der Chor von St. Michael und von Maria am Gestade. Langsam ist auch jenes Winkelwerk von großen und kleinen Häusern im Entstehen, von Erkern und Türmen, bald weit vorspringend, bald tief zurückweichend, wie es für eine gotische Stadt charakteristisch war. Wer es sich leisten konnte, begann gegen Mitte des Jahrhunderts allmählich in Stein zu bauen – und das war auch bitter nötig, wurden doch die eng aneinanderstehenden Holzhäuser regelmäßig von verheerenden Bränden zerstört. Vergegenwärtigt man sich die damaligen Löschmethoden, kann das Ausmaß der Feuersbrünste keinesfalls verwundern. Vorausgesetzt, es gab Wasser in unmittelbarer Nähe – was gar nicht so sicher war, denn vor allem in den ärmeren Stadtteilen waren Brunnen in ungenügender Menge vorhanden –, so wurde dieses mit kleinen Handeimern aus Holz oder Leder in die Glut geschüttet. Daneben versuchte man mit eisernen Haken, den sogenannten Feuerhaken, die Gebäude niederzureißen, um so das Feuer einzugrenzen.

Und in diese mittelalterliche Welt, in der hygienische Vorsichtsmaßnahmen praktisch unbekannt waren, in der sich die Heilkunst der Ärzte hauptsächlich auf den Aderlass und harmlose Kräutermittel beschränkte und in der es um das gesamte Kranken- und Spitalswesen äußerst dürftig bestellt war, drang nun mit schrecklicher und verheerender Wucht – die Pest!

Wie mag es gewesen sein, als der erste Pestkranke in einer jener elenden Hütten, in irgendeinem Winkel zwischen Unrat und Kot oder gar mitten auf der Gasse unter qualvollen Schmerzen starb? Denn sicherlich wird er den untersten Volksschichten angehört haben, wo Schmutz und Gestank am ärgsten waren und wo sich die Pest schon immer am ehesten und gründlichsten eingenistet hat. Vielleicht war es ein Bettler, ein Tagelöhner, ein Gelegenheitsarbeiter oder einer jener Weingartenknechte, die bei der Bestellung der Weingärten halfen, die nicht nur außerhalb der Stadt große Flächen bedeckten, sondern auch innerhalb der Mauern anzutreffen waren. Wahrscheinlich wird von diesem Sterben gar kein so besonderes Aufheben gemacht worden sein, Krankheiten und Seuchen gab es ständig und überall, und die Menschen traf der Tod oft auf offener Straße. Aber vielleicht ist es diesmal doch etwas anderes gewesen, sicherlich wusste man von dem furchtbaren Wüten der Seuche im Süden, Westen und Osten – wenngleich es zweifelhaft ist, dass die Krankheit sogleich als solche erkannt worden ist. Hatten doch sogar die Ärzte Schwierigkeiten, bei der Vielzahl von Erscheinungsformen, in denen der Schwarze Tod aufzutreten pflegte, die richtige Diagnose zu stellen.

Vielleicht hatte aber die Angst schon den Blick geschärft, und so hat man diesen ersten Pesttoten schnell und heimlich irgendwo verscharrt, auch noch den zweiten, dritten und vierten. Bis die Gewissheit nicht mehr zu verschleiern war: Die Pest in Wien, jetzt auch in Wien! Gott hat wieder einmal befunden, die sündige Menschheit zu strafen, sein Zorn war durch nichts zu beschwichtigen, nicht durch die Geißelung, nicht durch das inbrünstige Gebet und auch nicht durch die zahlreichen Vermögen, die von bußeifrigen Reichen der Kirche vermacht wurden. Er war ein unbarmherziger Gott, sein Strafgericht musste vollendet werden, ein großer Teil der Wiener Bevölkerung musste dran glauben. Über die Zahl der Toten gehen die Angaben sehr weit auseinander. Die Mattseer Annalen und die Salzburger Chronik berichten von 200 bis 300 Personen pro Tag, an einem Tag sollen sogar 960 gestorben sein. Die Zwettler Chronik schreibt von 500 Leichenbegängnissen und der Chronist von Leoben gar von 1.200 Begräbnissen an einem Tag. Alle diese Zahlen dürften jedoch maßlos übertrieben sein, Genaues wird man hier nie erfahren, ebenso wenig wie über die späteren Epidemien – denn die Pest kehrte immer wieder. Sie sollte bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts in Mitteleuropa eine ständige Seuche werden.

Wir können uns nicht in diese Zeit zurückversetzen, wir können diese Verhältnisse nicht mehr nachempfinden – zu sehr hat sich unsere Welt von jener des Mittelalters entfernt. Wir können uns lediglich ein Bild malen, mit dem überlieferten historischen Anschauungsmaterial und aus der Distanz des 21. Jahrhunderts. Wir können versuchen, uns vorzustellen, wie der Ausbruch dieser großen Seuche das damalige Wien verändert hat, wie das lebhafte Treiben auf Gassen und Plätzen plötzlich verstummt ist, die Märkte sich leerten, die Handwerker ihren Betrieb einstellten. Wie niemand mehr den Sängern, Spielleuten und Spaßmachern zuhören wollte, denen ihrerseits das Lustigsein längst vergangen war. Wie die tausenderlei für eine mittelalterliche Stadt charakteristischen Geräusche abnahmen, die Rufe der Marktschreier und Bader, der Händler, Trödler und Bauernweiber, die ihre Waren anpriesen. Wie die fröhliche Musik der Stadtpfeifer, Stadttrompeter, gassatim gehenden Studenten und Hausmusik treibenden Kaufleute einem lähmenden Schweigen wich, in dem nur die Trommler und Ausrufer irgendwelche Verlautbarungen des Stadtrates verkündeten, die dem Eindämmen der Seuche dienen sollten und doch so wenig bewirkten.

Die feinen Damen und Herren in ihren engen, mit Seidenstickereien geschmückten Kleidern waren sicherlich schon längst ihrem Herzog Albrecht II. gefolgt und hatten die Stadt verlassen, hoch zu Ross und in warme Pelze gehüllt, denn es...

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