Eine exakte Definition für den Begriff „Fachkräftemangel“ existiert nicht (vgl. Biersack et al. 2007: 1). Als Fachkräfte werden allgemein „… Erwerbstätige mit akademischen Hochschulabschluss, abgeschlossener Lehre oder einen Abschluss als Meister, Techniker oder Fachwirt“ (Burkhart et al. 2012: 47) bezeichnet. Andere Erwerbstätige ohne diesen Abschluss werden als „…gering Qualifizierte“ (Burkhart et al. 2012: 47) tituliert. Im Gesundheits- und Pflegewesen bilden diese Mitarbeiter einen großen Anteil. Laut Statistischen Bundesamt arbeiteten 2009 in der stationären Altenhilfe 27,9% aller Mitarbeiter als Personen, die nach den obigen Kriterien als gering Qualifizierte zu bezeichnen sind (vgl. Pfaff 2011: 21). Deswegen umfasst der Begriff „Fachkräftemangel“ in dieser Branche nicht nur Fachkräfte im eigentlichen Sinne, sondern kann auch als Synonym für den allgemeinen Begriff „Personalmangel“ verwendet werden (vgl. Burkhart et al. 2012: 47).
Laut Definition der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt sich ein Fachkräfteengpass in einem Beruf an der Dauer, bis eine offene Stelle wieder besetzt ist (Vakanzzeit). Weitere Indikatoren für diesen Engpass sind „[n]eben der .. Vakanzzeit .. auch die Anzahl der Arbeitsstellen, die bereits länger als 3 Monate im Bestand gemeldet sind und die Relation der gemeldeten Arbeitslosen zu den gemeldeten Arbeitsstellen…“ (BA 2013: 3).
Nach einem Bericht der BA von Anfang 2013 besteht in der Altenpflege in allen Bundesländern ein Mangel an Arbeitskräften, der sich vor allem auf Fachkräfte konzentriert. Die Vakanzzeit beträgt bei Fachkräften in der Altenpflege 126 Tage. Dies sind 56 Prozent oder 45 Tage mehr als der Mittelwert in allen Berufen. Ferner beträgt die Besetzung für jede zweite vakante Arbeitsstelle länger als drei Monate (vgl. BA 2013: 15ff.). Der Fachkräftemangel zeigt sich auch daran, dass auf 100 offene Stellen nur noch 35 Arbeitslose in der Altenpflege kommen (im Mittelwert aller Berufe kommen auf 100 offene Stellen 380 Arbeitslose). Dies ist der niedrigste Wert aller Berufe. Zudem steigt in den letzten Jahren die Nachfrage nach Altenpflegekräften (vgl. BA 2013: 15ff.).
Diesen Sachverhalt bestätigt eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Bei dieser Studie sind die Fachkräfte in der Altenpflege die am zweitstärksten gesuchte Berufsgruppe. Dies geht ebenso aus Abbildung 1 hervor, in der eine Rangliste der zehn größten „Engpassberufe“, gemessen an der Relation aus Arbeitslosen und gemeldeten offenen Stellen, aufgelistet wird. Auch dies wird als eindeutiger Beleg für den Engpass und die Personalknappheit in der Pflege angesehen (vgl. Demary, Seyda 2013: 12).
Abbildung 1: Top 10 der Engpassberufe für beruflich qualifizierte Fachkräfte.
Quelle: Demary, Seyda 2013: 12).
Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch verstärken (vgl. Demary, Seyda 2013: 12). 2020 fehlen bei den Pflegekräften im Gesundheitswesen laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers 212.000 Vollzeitkräfte, 2030 sind es bereits ca. 328.000 Vollzeitkräfte. Das bedeutet, dass 30% des Personalbedarfs im Gesundheitswesen 2030 nicht gedeckt werden kann (vgl. Burkhart et al. 2012: 8). Besonders in der Altenpflege gibt es einen signifikanten Mangel an Fachkräften. Bis 2030 fehlen in den Einrichtungen der Altenpflege 168.300 Vollzeitpfleger, dies entspricht ca. 33 Prozent der dann benötigten Fachkräfte (vgl. Burkhart et al. 2012: 24). Verdeutlicht wird das gesamte Ausmaß des Defizits noch an folgender Aussage: 2030 werden „… zwei Pflegekräfte die Arbeit leisten, die heute von dreien erledigt wird.“ (Burkhart et al. 2012: 24).
Auch eine Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) von 2012 kommt zu dem Ergebnis, dass 2035 in der gesamten Gesundheits- und Sozialwesenbranche rund 680.000 Arbeitskräfte mit einem fachbezogenem Berufsabschluss in Deutschland fehlen werden. Damit ist nach relativen Zahlen das Gesundheits- und Sozialwesen die Branche mit dem größten Fachkräftemangel (vgl. Neubauer et al. 2012: 61). Auch im prozentualen Vergleich mit anderen Berufsgruppen ist diese Branche mit am auffälligsten. In Gesundheitsberufen werden 2035 rund 19 Prozent der Stellen in Deutschland unbesetzt bleiben (vgl. Neubauer et al. 2012: 57).
Abbildung 2: Versorgungslücke an Vollzeitkräften in der Pflege 2009-2030.
Quelle: Bertelsmann Stiftung. Online im Internet: http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/ SID-DE7EEDB9-DFF43798/bst/xcms_bst_dms_36956_36960_2.jpg
Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe: Zum einen der demographische Wandel, der die Bevölkerungszahlen in Deutschland schrumpfen lässt. Des Weiteren sind viele junge Menschen weniger loyal gegenüber ihrem Arbeitgeber, sie binden sich nur noch selten länger an ein Unternehmen. Die derzeitigen Anforderungsprofile an diverse Arbeitsstellen, auch in der Pflege, ändern sich rasant, was einer steten Weiterqualifizierung der Mitarbeiter bedarf. Dieses wird jedoch von manchen Mitarbeitern abgelehnt. Von den Stellensuchenden sind nur gut ein Drittel bereit, ihren Wohnort zu wechseln (vgl. Knoblauch, Kurz 2007: 21). Als Folge wird ein Kampf um Pflegekräfte zwischen den Einrichtungen des Pflegemarktes entbrennen. „Gesundheits- und Pflegewesen konkurrieren schon heute um den knappen Pflegenachwuchs. Dieser Wettbewerb wird sich bis 2030 noch deutlich verschärfen.“ (Burkhart et al. 2012: 24).
Abbildung 2 (Seite 5) stellt den Mangel an Vollzeitkräften in der Pflege im Jahre 2030 im bundesweiten Vergleich dar, bezogen auf eine Studie der Bertelsmann Stiftung 2012. Auffallend ist hier das Defizit an Fachkräften in Nordrhein-Westfalen und in Teilen Ostdeutschlands. Aber auch in Baden-Württemberg zeigen sich große Versorgungslücken pro Kreis. Insbesondere im Ostalbkreis, in dem die Einrichtung beheimatet ist, in dem der Autor angestellt ist, werden 2030 2000 bis 2500 Vollzeitäquivalente fehlen (vgl. Rothgang et al 2012: 155ff).
Die für den Fachkräftemangel zentralen Faktoren „demographische Entwicklung“ und „Arbeitsmarkt der Zukunft“ werden im Folgenden näher dargestellt.
„81,8 Millionen Menschen lebten Ende 2010 in Deutschland, die Hälfte davon in städtischem Gebiet. …1,4 Kinder brachte eine deutsche Frau durchschnittlich zur Welt, … 2010 war jede fünfte verstorbene Frau 90 Jahre oder älter. Zwei von fünf Haushalten sind Einpersonenhaushalte.“ (Statistisches Bundesamt 2012: 23). Diese Kennzahlen beschreiben den aktuellen demografischen Stand für Deutschland, dem eine negative Entwicklung in den nächsten Jahren prognostiziert wird.
Drei Potentiale beeinflussen die Demografie einer Gesellschaft: Erstens wird die Demografie durch das Geburtenniveau bzw. die Fertilitätsrate, d.h. die Anzahl der Kinder einer Frau während ihres Lebens, bestimmt, zweitens durch die Migration und drittens durch die Lebenserwartung (vgl. Rump 2009: 17f):
„Deutschland gehört zu den Ländern mit einem sehr niedrigen Geburtenniveau und einer schnellen Alterung.“ (Bujard et al. 2012: 5). Das Bundesamt für Bevölkerungsforschung stellt fest: „Das langfristig niedrige Geburtenniveau ist von enormer gesellschaftspolitischer Bedeutung, weil es eine der Hauptursachen für das Schrumpfen und Altern der Bevölkerung darstellt.“ (Bujard et al. 2012: 5). In Deutschland beträgt die Fertilitätsrate 1,4, sie müsste jedoch bei 2,1 liegen, damit die Bevölkerungszahl stabil bleibt (vgl. Rump 2009:17). Ende des Jahres 2010 lebten im deutschen Bundesgebiet 81,7 Millionen Menschen (vgl. Statistisches Bundesamt 2012: 26), nach der neuesten Volkszählung wurde die Zahl auf nur noch 80,3 Millionen Stand Ende des Jahre 2011 korrigiert (vgl. Statistisches Bundesamt 2013: 6). Nach der Variante 1 der koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamtes, dass ein Wanderungssaldo von 100.000 zur Berechnungsgrundlage annimmt, wird sich diese Zahl bis zum Jahre 2030 auf 77,3 Millionen reduzieren, dabei wird jedoch die Zahl der unter 30-Jährigen um gut 20 Prozent zurückgehen, die Anzahl der über 60-Jährigen dagegen um 27 Prozent steigen (vgl. Statistisches Bundesamt 2012: 50). Diese Prognosen stammen noch vor der Auswertung des aktuellen Zensus, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Zahlen noch schwerwiegender ausfallen werden.
Auch die Gegenüberstellung des Jugend- und Altenquotienten und dessen zukünftige Kalkulation belegen diesen Trend. Der Jugendquotient stellt den Prozentanteil der unter 20-Jährigen und der Altenquotient den Prozentanteil aller über 65-Jährigen im Vergleich zur Bevölkerungsanzahl aller Personen im Alter von 20 bis unter 65 Jahren dar. Heute sind beide Quotienten nahezu gleich, in Zukunft wird sich der Altenquotient gegenüber dem Jugendquotienten nahezu verdoppeln (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Entwicklung Jugend- und...