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Die politischen Ideen

Von der Antike bis zur Gegenwart

AutorUlrich Thiele
Verlagmarixverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783843802420
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Geschichte der politischen Ideen kreist seit der Antike um die Frage nach dem Wesen des Staates. So war man zu allen Zeiten von der Notwendigkeit politischer Herrschaft überzeugt, da andernfalls die Gesellschaft im Chaos versinken würde. Das Interesse richtet sich aber ebenso durchgängig auf die Legitimation politischer Herrschaft. Die galt deswegen als erforderlich, weil ausschließlich dem Staat die Ausübung von Gewalt gestattet sein sollte. Die souveräne politische Herrschaft musste also in der einen oder anderen Weise aus dem Willen der Untertanen hergeleitet werden. Schon früh erhob man die Forderung nach Einschränkung politischer Macht und es setzten sich nach und nach die Ideen des Rechtsstaats und der Demokratie durch. Allerdings wurde die Rechtmäßigkeit politischer Herrschaft immer auch am Grad sozialer Gerechtigkeit gemessen, den der Staat garantieren konnte.Die Entwicklungsgeschichte politischer Ideen von der Antike bis zur Gegenwart

PD Dr. Ulrich Thiele, Jahrgang 1954, Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Bochum; Studium der Philosophie, Soziologie und Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg; Promotion im Fach Philosophie; 1995-2001 Lehrbe-auftragter an den Instituten für Philosophie und Politikwissenschaft der Universität Heidelberg und dem Institut für Politikwissenschaft (II) der Universität Frankfurt am Main; 2002 Habilitation in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Philosophie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main; seit 2003 PD für das Fach Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Philosophie; seit Juni 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt; seit Oktober 2007 akademischer Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Heidelberg.

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Leseprobe

2. GESCHICHTE DES STAATSBEGRIFFS


Carl Schmitt ist darin zuzustimmen, dass die Ära des Staates in der zweiten Hälfte des 16. Jh. mit der Durchsetzung des Souveränitätskonzepts beginnt: Der politische, d. h. mehr oder minder säkulare Staat ist die Antwort auf den konfessionellen Bürgerkrieg, der dazu führte, dass die christlich-universale Vorstellungswelt ihre Integrationsfunktion einbüßte. Der moderne Staat im Sinne einer territorial geschlossenen Einheit (Schmitt, Staat, 381) entspringt einer doppelten Abgrenzung gegen mittelalterliche Ordnungskonzepte: Nach innen werden sämtliche potestates indirectae den Entscheidungen des einen Souveräns unterworfen und nach außen tritt an die Stelle des von Papst und Kaiser repräsentierten göttlichen ordo ein pluriversum gleichrangiger, d. h. gleichsouveräner Mächte.

Eine Pointe der Argumentation Carl Schmitts besteht darin, dass man von der Tatsache der historischen Kontextgebundenheit der Genese des Staates ausgehend, auf dessen zeitliche Begrenztheit schließen kann: Die geschichtsblinde, naive Erhebung des Staatsbegriffs zum allgemeinen Normalbegriff der politischen Organisationsform aller Zeiten und Völker wird wahrscheinlich mit dem Zeitalter der Staatlichkeit selbst bald ein Ende nehmen (ebd., 376).

Freilich besagt die historische Verortung der Entstehung von Staaten noch nichts über die kausalen Faktoren, die dies ermöglichen. Wie Max Weber plausibel macht, ist es die zutiefst revolutionäre Gewalt der vordringenden Marktwirtschaft, die die monopolistischen Verbände ökonomisch sprengt, ihre Mitglieder zu Marktinteressenten macht, indem er ihnen die Basis jener Interessengemeinschaft [entzieht], auf welcher auch ihre legitime Gewaltsamkeit sich entfaltet hatte. Mit zunehmender Befriedung und Erweiterung des Markts parallel geht daher auch 1. jene Monopolisierung legitimer Gewaltsamkeit durch den politischen Verband, welche in dem modernen Begriff des Staats als der letzten Quelle jeglicher Legitimität physischer Gewalt, und zugleich 2. jene Rationalisierung der Regeln für deren Anwendung, welche in dem Begriff der legitimen Rechtsordnung ihren Abschluss finden (Weber 1980, 519). Es ist demnach die rationalisierende Gewalt des Marktes, auf dem die mittelalterlichen Stände und Zünfte ökonomisch nicht bestehen können. An deren Stelle treten schließlich ‚freie‘ Arbeitskräfte und Kapitalbesitzer auf der einen Seite und ein zentralisierter, durch formelle Regeln gesteuerter Herrschaftsverband auf der anderen Seite.

Eine knappe und überaus treffende Definition lautet dementsprechend: Der Staat ist ein Anstaltsbetrieb, der die Herrschaft seines Verwaltungsstabes und seiner Ordnungen für ein Gebiet in Anspruch nimmt und gewaltsam garantiert und dessen Verwaltungs- und Rechtsordnung […] durch Satzungen abänderbar ist (29 f.).

Eine weniger anspruchsvolle, aber deswegen nicht unsachgemäße Definition verwendet den Ausdruck Staat als Synonym für einen Zusammenschluss von Menschen, die bezwecken, ihr physisches Überleben zu sichern, ihr materielles Lebens zu verbessern und schließlich ihr Leben insgesamt nach sittlichen Prinzipien gestalten wollen. Dieser Minimalbegriff des Staates entstammt einer Verdeutschung der sehr verschiedenen politischen Ordnungsbegriffe wie polis bzw. politeia [Aristoteles (384–322 v. Chr.), Platon (427–347 v. Chr.) oder res publica (Cicero (106–43 v. Chr.)]. Entscheidend ist dabei, dass die Ordnungen der Gesellschaft und des Politischen ebenso wenig getrennt gedacht wurden, wie die Moralität und die Legalität des individuellen Handelns.

Auch wenn der Ausdruck polis ursprünglich auf die jeweilige Stadt bezogen war, so wandelte sich seine Bedeutung im 6. und 5. Jh. v. Chr. doch gravierend. Nun bezeichnet der Begriff ein politisches Gemeinwesen, d. h. einen kollektiv verantwortlichen, zu verbindlicher Entscheidung im Inneren und gemeinsamem Handeln nach außen befähigten Verband. Seine Ordnung beruht auf Recht und Gesetz (worunter jedoch keinesfalls allein positivrechtliche Normen zu verstehen sind, sondern ebenso und vor allem kollektiv verbindliche Tugendnormen). Mit einem politischen Staat, wie er sich in der Neuzeit entwickelte, ist die Polis aber schon deswegen nicht gleichzusetzen, weil letztere allemal unter dem Schutz einer Gottheit stand, die ihren Bestand verbürgte. Dementsprechend konstituierte sich die Polis geradezu im gemeinsamen religiösen Kultus. Statt mit den Staats- bzw. Stadtmauern identifiziert zu werden, konstituiert sich die polis nun aus den Mitgliedern des Verbandes, den Bürgern, denen zugleich die Verteidigung gegen äußere Feinde zukommt. Die Hauptgefahr im Inneren besteht in der stets drohenden Spaltung der Bürgerschaft, die sich nicht selten bis zum Bürgerkrieg steigerte. Deswegen hing die Stabilität der Polis vorzüglich von der tugendhaften Parteinahme der Bürger für ihr Gemeinwesen, aber auch von ihrer Freundschaft (Platon, Protagoras, 322 c) und Eintracht (Demokrit, Xenophon) untereinander ab. So beruht nach Platon ein gerechter und wohlgeordneter Staat darauf, dass jeder Stand das ihm Gemäße tut, so dass in der Polis zugleich die Einheit der Bürger erscheint, insofern in ihr alle exklusiven Interessen ebenso aufgehoben sind, wie es bei der menschlichen Seele bzw. beim gesunden menschlichen Körper der Fall ist (Platon, Politeia, 434 c–e; 435 aff.; 462 c/d).

Hinsichtlich der Motive, um deretwillen die Individuen auf ihre ursprüngliche ‚wilde Freiheit‘ verzichten und sich zu einem Gemeinwesen zusammenschließen, herrscht bei den klassischen Autoren im wesentlichen Übereinstimmung: Nach Platon hätten sich die ursprünglich isoliert lebenden Menschen zunächst zum Schutz gegen die wilden Tiere in poleis, d. h. befestigten Siedlungen zusammengeschlossen (Platon, Protagoras, 322 b 1 f.). Platons Theorie der Polis-Genese geht demnach von der Prämisse aus, dass der Mensch ein Mängelwesen ist (Platon, Politeia, 369 b–372 c.)

Auch Aristoteles sieht das Hauptmotiv für die Gründung einer Polis in der Sicherung des Lebens (Aristoteles, Politik, 1278 b 18 ff.), jedoch soll dies mit der Annahme verträglich sein, nach der der Mensch von Natur auf das Leben in der politischen Gemeinschaft (koinonia politike) hin angelegt sei (zoon politikon). Die Synthese beider Teilannahmen gelingt Aristoteles mit der Formel, dass die Polis um des (Über-)Lebens willen entstanden sei, jedoch um des guten Lebens willen bestehe (ebd. 1252 b 29 f.; vgl. 1278 b 24).

Etwa seit der zweiten Hälfte des 5. Jh. kommt der neue Begriff politeia in Umlauf. Er bezeichnet die Bürgerschaft im vierfachen Sinn: 1. meint er die Gesamtmenge der Vollbürger, 2. das Bürgerrecht und 3. das bürgerliche Leben im Sinne politischer Partizipation und schließlich 4. die politische Ordnung im Sinne von Verfassung. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass nach damaligem Verständnis Bürgerschaft und Verfassung nahezu bedeutungsgleiche Ausdrücke waren, so dass man eher sagen könnte, dass die Bürgerschaft die Verfassung ist, als dass sie sie hätte (Ritter u. a., Bd. 7, 1989, 1034 f.).

Zwar wäre es müßig, unseren modernen Verfassungsbegriff im Sinne eines Systems präskriptiver All-Sätze, die insbesondere die Organisation der öffentlichen Gewalt regelten und den einzelnen Staatsorganen spezifische Kompetenzen und Kompetenzgrenzen normativ zuschrieben, in der griechischen Antike vorfinden zu wollen. Dennoch trifft es zu, dass der Begriff der politeia u. a. die Ordnung (táxis) der Polis in Hinblick auf die Einrichtung und Verteilung der Ämter bezeichnet, insbesondere die Vergabe des höchsten und wichtigsten von allen. Dies ist nämlich stets das politeuma der Stadt, wobei unter politeuma das Herrschaftssubjekt einer Polis verstanden wird (Aristoteles, Politik, 1278 b 8 ff.; 1279 a 25 ff.), das aber nur die Bürgerschaft (politeia) (1278 b 8 ff.) sein kann, genauer: die Gesamtheit der Vollbürger, die in allen griechischen Ordnungen die letztentscheidende Körperschaft war, da Repräsentation außerhalb des Vorstellbaren lag. Mit dem Begriff der politeia findet der Verfassungsbegriff im weiteren Sinne Eingang in die politische Ideengeschichte, da er die politische Ordnung im Ganzen wie die Bürgerschaft als deren oberstes Organ bezeichnet.

Schließlich trat in der römischen Antike (etwa ab dem 3. und 2. Jh. v. Chr.) der Begriff der res publica das Erbe des Ausdrucks politeia an, der seinerseits auf den neuzeitlichen Begriff der Republik verweist (engl. republic; frz. république; ital. repubblica; span. república). Der Ausdruck stand für die Angelegenheiten und Interessen des Volkes (populus), d. h. der in den Komitien zusammentretenden und politisch handelnden Bürger...

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