EINLEITUNG
Gute Menschen in guten Ehen haben Affären. Öfter als ich zählen kann, saß ich in meinem Büro und wurde fast zerrissen von dem Kummer, von der Wut und der Reue der Menschen, die ich bei dem Versuch unterstütze, mit den Nachwirkungen ihrer Untreue oder der ihres Partners fertig zu werden. Bei zwei Dritteln aller Paare, die ich in den letzten zwanzig Jahren in meiner Praxis behandelt habe, waren entweder der Ehemann oder die Ehefrau oder beide untreu geworden. Gebrochene Versprechen und zerschlagene Erwartungen sind zu einem Teil unserer kulturellen Landschaft geworden, und täglich kommen neue Menschen, die Hilfe im Umgang damit benötigen, in mein Büro.
Erstaunlicherweise bekomme ich inzwischen eine neue Form der Untreue zu sehen. Sie entwickelt sich nicht wie allgemein angenommen zwischen zwei Menschen, die auf der Suche nach Nervenkitzel sind. Die neue Untreue entsteht zwischen Menschen, die zuerst unabsichtlich eine tiefe, leidenschaftliche Verbindung eingehen, bevor sie bemerken, dass sie damit die Grenze von platonischer Freundschaft zu romantischer Liebe überschritten haben. Zweiundachtzig Prozent der untreuen Partner in meiner Praxis hatten eine Affäre mit jemandem, der zuerst »nur ein Freund« war. Wohlmeinende Menschen, ohne jede Intention zum Fremdgehen, betrügen nicht nur ihre Partner, sondern auch ihre eigenen Glaubens- und Wertvorstellungen und provozieren dadurch sowohl eigene innere Krisen als auch eheliche.
Das Wesentliche dieser neuen Krise in der Untreue ist Folgendes: Es sind Freundschaften, Arbeitsbeziehungen und Internetbekanntschaften, die die Partnerschaften bedrohen. Während die Möglichkeiten solch enger Beziehungen zunehmen, wird die Grenze zwischen platonischen und romantischen Gefühlen zunehmend unschärfer und leichter zu überschreiten.
Unser Arbeitsplatz hat sich zu einer neuen Gefahrenzone für romantische Anziehung und Gelegenheit gewandelt. Mehr Frauen als jemals zuvor haben Affären. Heutige Frauen sind sexuell erfahrener und arbeiten eher in einstmals männerdominierten Berufen. Viele ihrer Affären beginnen in der Arbeit. Von 1982 bis 2000 stieg die Anzahl der am Arbeitsplatz untreuen Frauen auf 50 Prozent. Bei Männern sind es 62 Prozent, die sich mit jemandem einlassen, den sie in der Arbeit kennengelernt haben.
Das wesentliche Merkmal dieser neuen Affären – und was sie von Affären vorheriger Generationen unterscheidet – ist, dass sie als Beziehungen zwischen Kollegen beginnen. Menschen, die ursprünglich tatsächlich nur Freunde oder freundliche Kollegen sind, geraten langsam auf die rutschige Piste in Richtung Untreue. Dabei ist heimliche emotionale Intimität das erste Warnzeichen drohenden Betrugs. Doch die meisten Menschen bemerken erst, worauf sie sich eingelassen haben, wenn sie auch körperlich intim geworden sind.
Viele Leute glauben fälschlicherweise, dass sich Affären vermeiden lassen, indem man sich liebevoll und mit Hingabe seinem Partner zuwendet. Ich nenne das den Präventions-Mythos, denn es existiert keinerlei Beweis für diese Annahme. Meine Erfahrung als Ehetherapeutin und Forscherin zum Themenkomplex Untreue hat mir gezeigt, dass Sie Ihre Ehe nicht einfach dadurch vor Affären schützen können, indem Sie ein liebevoller Partner sind. Sie müssen ebenfalls ein Bewusstsein für angemessene Grenzen bezüglich Ihrer Arbeit und Ihrer Freundschaften entwickeln. Dieses Buch wird Ihnen dabei helfen, diese Grenzen zu beachten oder, wo nötig, zu setzen. Sie werden die Warnsignale und Alarmglocken kennenlernen, auf die Sie in Ihren Freundschaften und in denen Ihres Partners achten sollten.
Die meisten Menschen glauben ebenso völlig zu Unrecht, dass Untreue erst dann Untreue ist, wenn sexueller Kontakt erfolgt ist. Frauen halten dabei in der Regel jegliche sexuelle Intimität für Untreue, während Männer dazu tendieren, Untreue zu leugnen, solange kein sexueller Verkehr stattgefunden hat. Bei der neuen Untreue, von der ich spreche, müssen Affären jedoch nicht sexuell sein. Einige, wie z. B. Internet-Affären, sind zuallererst emotional. Die katastrophalsten außerehelichen Verstrickungen sind die, bei denen Herz, Geist und Körper gleichermaßen beteiligt sind. Diese Art von Affären wird immer verbreiteter. Heutzutage gibt es mehr und ernster zu nehmende Affären als früher, denn mehr Männer lassen sich gefühlsmäßig und mehr Frauen sexuell auf jemand anderen ein.
Die überraschende Statistik dazu: Bei 50 Prozent aller Paare, ob verheiratet oder zusammenlebend, ob hetero- oder homosexuell, wird mindestens ein Partner im Verlauf der Partnerschaft das Gelübde sexueller oder emotionaler Exklusivität brechen.1
Eine große Anzahl Menschen macht sich wegen eines tatsächlichen oder möglichen Betrugs in einer engen Beziehung Sorgen. Diese Angst beschränkt sich weder auf eine bestimmte Klasse von Menschen noch auf deren berufliche Stellung oder Alter. Untreue kann in jedem Haushalt vorkommen, nicht nur in solchen, in denen oft der Partner gewechselt wird oder in denen die Partner reich oder mächtig sind. Keine Ehe ist immun dagegen.
Es gibt jedoch Möglichkeiten, durch die Sie Ihre Ehe schützen können. Und wenn Ihre Partnerschaft durch emotionale oder sexuelle Untreue erschüttert wurde, können Sie sie reparieren und sich selbst über das Trauma des Betrugs hinweghelfen. All diese Schritte werden Sie in Die Psychologie der Untreue kennenlernen.
KURZ ZU MEINEM HINTERGRUND
Die Anregung, dieses Buch zu schreiben, entstand durch meinen natürlichen Wunsch als Therapeutin, mehr Menschen Hilfe und Trost anzubieten. Jedes Mal, wenn über meine Arbeit in den Medien berichtet worden war, erreichten mich die Berichte von Menschen, die mir erzählten, dass ich ihnen geholfen hatte, die Untreue ihres Partners zu überstehen, ihre Ehe wieder aufzubauen und ihr Leben weiterzuleben. Auch über das Internet habe ich Beziehungsratschläge gegeben, was mich mit vielen Menschen in Kontakt gebracht hat, die im Schmerz der Untreue feststeckten und nach einem Ausweg suchten. Auch wenn mich das Wissen, dass ich durch diese Mittel vielen helfen konnte, mit Dankbarkeit erfüllt, hoffe ich doch, durch dieses Buch noch mehr Menschen zu erreichen.
Zweitens wollte ich der Paarberatung und -therapie einen auf Fakten basierten, wissenschaftlich und therapeutisch verantwortungsvollen Ansatz zur Verfügung stellen. Im Bereich der Untreue gibt es keine allgemein anerkannten Normen für Therapeuten und Berater. Deshalb erhalten Hilfesuchende sowohl von professionellen Helfern als auch von wohlmeinenden Freunden oder Familienmitgliedern oft schlechten Rat. Viele unserer kulturellen Glaubensvorstellungen über das Verhalten anderer entstehen aus Projektionen unserer eigenen Meinungen und unserer persönlichen Erfahrung. Leider beeinflusst diese persönliche Voreingenommenheit auch die Arbeit vieler Berater. Ich halte mich in diesem Buch an Forschungsergebnisse und dokumentierte Belege, um Ihnen solide Vorhersageparameter dafür zu liefern, wer zur Untreue tendiert und warum, und um Ihnen bewährte Strategien zur Heilung Ihrer Beziehung an die Hand zu geben.
Einiges an Forschung, auf die ich mich beziehe, stammt von mir selbst. In meinem ersten Forschungsprojekt zur Untreue wurde meine traditionelle Vorstellung, Untreue käme nur in unglücklichen, lieblosen Ehen vor – ein Glaube, den ich sicher mit vielen anderen teilte – auf eine harte Probe gestellt. Ich erfuhr, dass ein Bekannter, ein älterer Mann mit einer außergewöhnlich liebevollen Ehefrau, seit Jahrzehnten sexuelle Abenteuer hatte, ohne dass seine Frau jemals etwas ahnte. Bis zu seinem Todestag fühlte sie sich von ihm zutiefst und als Einzige geliebt. Nach dieser Erkenntnis, dass eine Affäre tatsächlich auch in einer liebevollen Ehe vorkommen konnte, durchforstete ich die psychologische Literatur zu Partnerschaften, fand aber wenig, was Aufschluss über diesen scheinbaren Widerspruch gab. Der Mangel an Forschung ließ eine Lücke erahnen, die gefüllt werden musste. Und das wollte ich tun. Also setzte ich meine Untersuchungen außerehelicher Beziehungen als Doktorandin der Katholischen Universität von Amerika fort, was, wie Sie sich vielleicht vorstellen können, so manches Augenbrauenpaar in die Höhe schnellen ließ.
Was ich durch meine Forschung herausfand, zwang mich – eine konservative junge Frau, die mit neunzehn Jahren geheiratet hatte – dazu, viele meiner Vorstellungen zu korrigieren. Im Laufe der Jahre habe ich einige große Studien durchgeführt, die die Grundlage meines forschungsbasierten Ansatzes zum Verständnis und zur Behandlung von Untreue bilden.
Hier ein kurzer Überblick meiner professionellen Arbeit, damit Sie einen Eindruck von den Fakten bekommen, auf denen die Anleitungen dieses Buches fußen. Einige meiner Entdeckungen sind alles andere als eingängig und widersprechen der allgemeinen Meinung.
- Die Psychology-Today-Studie (1977).2 Diese Studie wurde durch besagten Bekannten, den Frauenheld, inspiriert. Sie vergleicht die Zufriedenheit von Paaren, die in der Anfangszeit ihrer Ehe Affären hatten, mit denen, die erst später welche hatten. Zuerst hatte ich keine Ahnung, wo ich Probanden für solch eine Studie finden sollte. Zuletzt rief ich Bob Athanasiou an, einen der Autoren eines Fragebogens zum Thema Sex in Psychology Today, der mir Datenmaterial von 20 000 Menschen zur Verfügung stellte. Als ich diese Daten analysierte, fand ich heraus, dass Untreue in jungen Ehen entweder für Unzufriedenheit stand oder die Scheidung vorhersagte. Zusätzlich fand ich einige sehr interessante...