Sommer zum Vernaschen
Im Juni haben Bienen und Marlies Heinritzi gemeinsame Vorlieben – nämlich Holunder, Rose und Linde. Die duften jetzt um die Wette, füllen mit ihrem Nektar die Honigwaben und bereichern mit ihren zarten Blüten auch jede Küche.
Wenn der Sommer jung ist, verwandelt sich die Welt ringsumher in ein Potpourri aus Düften: Es riecht nach frisch gemähtem Gras und würzigen Kräutern, nach Wiesen voller Blumen, nach jungen Fichtennadeln und reifen Walderdbeeren. Und wer der Nase weiter folgt, steht früher oder später vor einer neuen überraschenden Duftquelle: Rosen.
In Hülle und Fülle bevölkern sie direkt neben meinem Kramerladen die Beete eines kleinen Gartens, der fast schon aus den Nähten zu platzen droht. Gibt es überhaupt jemanden, der dem verführerischen Aroma von Zentifolien, Damaszener- und Moschus-Rosen widerstehen kann? Mir gelingt es nicht – und deshalb ist für mich der Rosenmonat Juni eine Zeit der Umwege und Abstecher. Egal, ob ich von den Almen komme und in den Kramerladen will, oder ob ich nach einer Kräuterführung im Biergarten nach dem Rechten sehe, immer muss ich zuerst auf einen Sprung bei den Rosen vorbei. Und abends nehme ich mir schon mal eine der frisch geöffneten Blüten mit nach Hause – einfach so, zum Dran-Riechen, Fühlen und Anschauen, weil’s so schön entspannt.
Rosenduft kann blumig oder fruchtig sein, er erinnert an Maiglöckchen und Lilien genauso wie an Zitronen und Erdbeeren. Nach Honig duftet allerdings nur die Linde. Wo man diesen typischen Baum der Dörfer auch heute noch findet, das ist im Juni leicht festzustellen: Man muss sich nur vom Summen der Bienen leiten lassen. Ein Lindenbaum lockt mit bis zu 60.000 Einzelblüten voller Nektar. Welche der kleinen Honigsammlerinnen kann dazu schon nein sagen? In unserer riesengroßen Linde daheim auf dem Hof waren immer gleich mehrere Bienenvölker unterwegs. An das gewaltige Brummen, verursacht von Tausenden kleiner Flügel, kann ich mich noch gut erinnern. Es klang fast wie Orgelbrausen.
Marlies erzählt
Den Hollersaft gab’s bei uns daheim, wenn wir Kinder Fieber hatten. Als Schwitzkur bei einer Erkältung sind für mich jedoch die Blüten unübertroffen.
Den heilkräftigen Tee der Linde kennt vermutlich jeder – doch Lindenblüten darf man auch essen. Der Gedanke ist für manchen vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber man kann ja, etwa beim Kaiserschmarrn, mit wenigen Blüten anfangen und die Menge ganz nach Geschmack steigern. Linde ist übrigens nicht gleich Linde. Doch das spielt, kulinarisch gesehen, keine Rolle. Wer den süßen Honigduft im Lindenblütengelee konservieren will oder ihn dem Kaiserschmarrn unterhebt, kann sowohl die Anfang Juni aufblühende großblättrige Sommer-Linde wählen als auch die kleinblättrige Winter-Linde, die rund zwei Wochen später dran ist. Heilsame ätherische Öle, entzündungshemmende Schleimstoffe und magenberuhigende Gerbstoffe geben beide Arten ab.
Am Holunder und seinen rahmweißen Blütenwolken scheiden sich die Geister: Wenn seine Dolden zu welken beginnen, mag ich den Geruch nicht mehr. Aber frisch gepflückt, gibt es für meine Hollerblütenlimonade kaum etwas Feineres als das herb-süßliche Aroma des Frühsommerblühers. Auch Hollerkücherl nach altem Hausrezept kommen immer gut an. Dazu müssen die Blütendolden aber voll entwickelt sein. Es ist so weit, wenn die meisten der an Zuckerkügelchen erinnernden Knospen aufspringen und sich in winzige Sterne verwandeln.
Hat man den optimalen Erntezeitpunkt verpasst, bietet der Holunder seine heilkräftige Wirkung noch einmal an: Im Spätsommer sind die schwarzen Beeren reif, die ich zu Saft einkoche. Den Hollersaft gab’s bei uns daheim, wenn wir Kinder Fieber hatten. Als Schwitzkur bei einer Erkältung sind für mich jedoch die Blüten unübertroffen. Die lassen sich leicht trocknen und ergeben einen wohlschmeckenden Tee. Aber wer will im Sommer schon an Halsweh und Schnupfen denken? Einen unbeschwerten Genuss versprechen ätherische Öle, Flavone und andere gesunde Inhaltsstoffe nämlich auch in kühler Kräuterlimo.
Doch zurück zu den Rosen: Wer glaubt, bei ihnen ginge es allein um die Sinnesfreude, der irrt: Dass die Blumenkönigin nicht nur der Seele guttut, sondern auch dem Körper, das wussten schon die Heiler der Antike.
Das steckt in der Rose
Die moderne Wissenschaft bestätigt: Die Wirkstoffe in den Rosenblüten stärken das Immunsystem, beruhigen Magen und Darm, vertreiben Müdigkeit und Reizbarkeit und helfen bei Schlafstörungen. Sogar eine chemische Verbindung, die glücklich macht, ist enthalten: Phenylethylamin. Den Namen muss man sich nicht merken – wohl aber, dass die hellen Stellen am Blütenblattansatz für kulinarische Zwecke entfernt werden müssen.
Stimmt, die schmecken nämlich bitter – und darum schneide ich sie vor dem Weiterverarbeiten mit einer Küchenschere ab. Am schnellsten geht’s, wenn man gleich mehrere Blütenblätter übereinanderlegt. Die beste Erntezeit für Rosen ist übrigens früh am Morgen, sobald der Tau von den Blüten getrocknet ist. Im Laufe des Tages verflüchtigen sich dann die über 30 ätherischen Öle, die den Duft und damit auch das Aroma ausmachen.
Zum Essen geeignet sind grundsätzlich alle duftenden Rosen – aber ungespritzt müssen sie sein. Dunkle und tiefrosafarbene Sorten verleihen Gerichten eine besonders schöne Farbe und machen sich auch gut im Gelee. Für meine ohnehin rote Rosen-Erdbeer-Soße, die ich mit Vanilleeis serviere, verwende ich aber auch gerne weiße oder zartrosafarbene Blüten. Das feinste Parfüm schreibt man übrigens den Zentifolien zu. Das sind die typischen Rosen alter Bauerngärten, deren üppige, dicht gefüllte Blüten auch als Motive auf alpenländischen Schränken und Truhen zu bewundern sind.
Doch einer meiner Favoriten – ›Cardinal de Richelieu‹ – steht ihnen, was den Duft angeht, in nichts nach: Eine Wolke aus süßem Früchtearoma, ein bisschen Harz und indischem Tee steigt aus den Blüten dieser Gallischen Rose auf, betört die Sinne – und lässt vor meinem geistigen Auge das Bild einer festlich gedeckten Kaffeetafel in Großmutters Garten erscheinen. Wie habe ich als Kind diese Sonntagnachmittage voller Rosenduft geliebt!
Doch genug mit dem Schwelgen in Kindheitserinnerungen, es gibt schließlich zu tun: Die gesammelten Blütenschätze warten schon in der Küche auf mich. Und das besonders Schöne dabei: Schwere Mehlspeisen verwandeln sich durch sie in blumenzarte Gaumenerlebnisse, Limonade ist plötzlich das Gesündeste, was man trinken kann, und wer hätte gedacht, dass sich auch Erwachsene wie kleine Kinder auf Kücherl und Eis freuen können.
Hollerkücherl
Für 10–12 Kücherl
1 kg Butterschmalz zum Ausbacken
200 g Mehl (Typ 550 oder Dinkelmehl)
2 Eier
1 Prise Salz
2 EL Öl
1?8 l Milch
1?8 l Weißwein
10 große bzw. 12 kleinere voll erblühte Holunderdolden (mit Stiel)
Zimtzucker
- Das Butterschmalz in einen Topf oder in die Fritteuse geben und bei 180 °C schmelzen.
- Mehl, Eier, Salz und Öl mit der Milch und dem Weißwein zu einem flüssigen Teig rühren.
- Eine Holunderblüte am Stiel fassen und in den Teig tauchen, bis sie überall gut bedeckt ist. Anschließend im Schmalz goldgelb ausbacken.
- Mit einer Gabel herausheben und auf Küchenkrepp abtropfen lassen.
- Dann den Stiel abschneiden, das Hollerkücherl umdrehen und mit Zimtzucker bestreuen.
Liebling Holunder
Einst galt der Holunder als eine Art grüne Lebensversicherung, die allen Hilfesuchenden Schutz bot: Reisende nächtigten bevorzugt unter seinem Blätterdach, und auf dem Land pflanzte man den Holler als Hausbaum, um Blitzschlag und böse Geister fernzuhalten. Prompt sollte es nach altem Glauben Unglück bringen, wenn jemand den Strauch oder kleinen Baum fällte.
»Vor dem Holler sollst du den Hut ziehen«, hieß es stattdessen ehrfürchtig, und man nannte das Gehölz liebevoll »Herrgottsapotheke«. Auch die Kinder interessierten sich schon immer für den kleinen Baum: Das weiße, schwammig-weiche Mark im Innern der Zweige kann man nämlich leicht herauspulen und das Holz in Flöten und Blasrohre verwandeln. Unreife Beeren als Geschosse liefert der Strauch gleich mit.
MARLIES' TIPP
Aus meiner Trickkiste
»Ob das Fett die richtige Temperatur zum Ausbacken hat, teste ich mit ein paar Spritzern Wasser: Sprudelt’s und kracht’s, kann ich loslegen – Qualm verrät, dass die Hitze schon zu groß ist. Sind alle Hollerkücherl fertig, filtere ich das Butterschmalz durch ein Sieb und gieße es in einen Topf, den ich nicht ständig brauche. Dann lagere ich ihn kühl und dunkel und kann so das Schmalz noch öfter verwenden – etwa für weitere Mehlspeisen.«
Holunderblütensirup
Für 4 Liter Sirup
12 Blütendolden
3 Bio-Zitronen
2 kg Zucker
60 g Zitronensäure (Apotheke oder Lebensmittelladen)
2 l Wasser
- Holunderdolden (Stiele einkürzen!) in...