II. Entstehung und Entwicklung des Principats
Die Krise der späten römischen Republik war eine Folge weitgehender wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Veränderungen, eine Folge zugleich der Niederwerfung Karthagos, Griechenlands und großer Teile der hellenistischen Staatenwelt. Im Bereich der immer noch dominierenden römischen Agrarwirtschaft verdrängte die mit Sklaven betriebene „Villenwirtschaft“ die alten kleinbäuerlichen Betriebe. (Nach einer Schätzung von P. A. Brunt lebten im augusteischen Italien bei einer Gesamtbevölkerung von rund 7,5 Millionen Einwohnern immerhin etwa 3 Millionen Sklaven.)
Spezialisierung, Marktorientierung, Effizienz wurden konsequent angestrebt, Weidewirtschaft großen Stils trat neben die alten Nutzungsformen. Die Verelendung weiter Teile des einstmals freien und staatstragenden Bauerntums, das auch durch Agrarreformen nicht mehr stabilisiert werden konnte, war der Preis der Modernisierung. In Rom kam es zur Konzentration verarmter Bürger sowie zur Ausbildung extremer sozialer Gegensätze.
Ausbreitung und Intensivierung von Handel und Geldwirtschaft, die nun den gesamten Mittelmeerraum zum Objekt römisch-italischer Unternehmer werden ließen, trugen ebenfalls zur Differenzierung des Wirtschafts- und Sozialgefüges bei. Charakteristisch ist dafür der Aufstieg von Angehörigen des Ritterstandes, die nun nicht mehr nur im agrarischen Bereich der italischen Municipien (Landstädte) hervortraten, sondern insbesondere in Handel, Bankwesen sowie als Mitglieder der Steuerpachtgesellschaften (publicani) bemerkenswerte Aktivitäten entfalteten.
Eine weitere Konsequenz der neuen Lage waren in römischen Augen der „Sittenverfall“, die Phänomene von Korruption und Wucher, provozierendem Luxus, ersten Ansätzen von Frauenemanzipation in der Führungsschicht, Phänomene, die insgesamt nicht selten auf die Preisgabe der alten Religion oder auf die inzwischen anwachsenden griechischen Kultureinflüsse zurückgeführt wurden.
Die Fortsetzung der Expansionspolitik, der Zwang zur Abwehr von Invasionen – wie jener der Kimbern und Teutonen oder des Mithradates VI. von Pontos –, die Forderungen der mißbrauchten Bundesgenossen, die zur gefährlichen Eruption des Bundesgenossenkrieges (91–89 v. Chr.) führten, die großen Sklavenerhebungen, die im Spartacusaufstand (73–71 v. Chr.) gipfelten, brachten weitere, außerordentliche Belastungen. Sie sprengten den früheren gesellschaftlichen und politischen Konsens. Seit den Tagen der Gracchen (133–122 v. Chr.) wurde das öffentliche Leben in Rom durch die Kämpfe zwischen Optimaten und Popularen erschüttert. Dabei verstanden sich die Optimaten als Vorkämpfer der traditionellen senatorischen Interessenpolitik, die Popularen dagegen, gestützt auf die Volksversammlungen, als Anwälte der Rechte aller römischen Bürger.
Die entscheidenden neuen Machtfaktoren formierten sich freilich an anderer Stelle: In den jahrelangen Kämpfen auf außeritalischen Kriegsschauplätzen waren aus den Formationen der jeweils nur kurzfristig dienenden römischen Bürgermiliz und den an ihrer Seite fechtenden Einheiten der Bundesgenossen langfristig dienende Heere geworden. An die Stelle der stets nur ein Jahr hindurch kommandierenden Obermagistrate traten die Inhaber großer, immer wieder verlängerter Imperien (umfassende Amtsvollmachten). Nicht mehr der Pluralismus der Adelsklientelen mit ihren wechselseitigen sozialen Bindungen, sondern das Massenphänomen der Heeresklientelen mit ihren existentiellen Abhängigkeiten vom jeweiligen Oberbefehlshaber wurde entscheidend.
Für die Soldaten des Marius, Sulla, Pompeius, Caesar und der übrigen Inhaber der Imperien in der späten Republik waren nicht mehr die Beschlüsse von Senat, Volksversammlung, die Entscheidungen der regulären Magistrate oder die Normen der römischen Verfassung bestimmend, sondern Erfolg oder Katastrophe „ihrer“ Feldherrn. Von ihnen hingen Sold, Beute, Belohnungen und Versorgung ab, von ihren Siegen ihre gesamte materielle Existenz und Zukunft. Umgekehrt zögerten die Oberbefehlshaber dieser Heeresgruppen nur selten, das für außenpolitische Operationen mobilisierte Potential skrupellos in der römischen Innenpolitik einzusetzen.
Monarchische Herrschaft auf Dauer war in Rom seit den Tagen der frühen Republik, seit der „Vertreibung der Könige“, tabuisiert und als Tyrannis gebrandmarkt. Für die Leitung der Administration des römischen Adelsstaates galten daher die Prinzipien der „Annuität“ und der „Kollegialität“. Das heißt, die komplexen Vollmachten der Magistrate (Konsuln, Prätoren usw.) wurden jeweils nur für die Dauer eines Amtsjahres verliehen, Iterationen (wiederholte Ausübung desselben Amtes) zunächst erschwert. Es kam hinzu, daß jede Magistratur – mit Ausnahme der Diktatur – gleichzeitig auch von mindestens zwei Amtsinhabern bekleidet wurde, um die längerfristige Machtbildung Einzelner zu verhindern.
Doch über den imperialen Anforderungen der späten Republik wurden diese Prinzipien ausgehöhlt. Nach einzelnen Kommandoverlängerungen ist schließlich die fünfjährige Dauer von Imperien, insbesondere in den Triumviraten von 60 (Pompeius, Crassus, Caesar) und 43 v. Chr. (Antonius, Lepidus, Oktavian), in beiden Fällen auch deren Verlängerung, üblich geworden. In beiden Fällen stand freilich dann am Ende ein Machtmonopol, zunächst dasjenige Caesars, zuletzt jenes Oktavians.
So grundlegend die bisher skizzierten Entwicklungen waren, sie reichen nicht aus, um den konkreten Verlauf des Geschehens in der späten römischen Republik angemessen zu vermitteln. Dafür ist, wie später für die Kaiserzeit, die Berücksichtigung jener „kolossalen Individualitäten“ unumgänglich, die Hegel einst zur prägenden Signatur der Epoche erhob. Ohne die subjektiven Entscheidungen und Handlungen jener dominierenden Persönlichkeiten, der idealistischen Agrarreformer Tiberius und Gaius Gracchus, des militärisch erfolgreichen, politisch gescheiterten Troupiers Marius, des vor terroristischen Mitteln nicht zurückschreckenden Reaktionärs Sulla, des großen Organisators Pompeius und schließlich des Diktators Caesar – um nur diese zu nennen – hätten die Dinge gewiß einen anderen Verlauf genommen.
Die Vorgeschichte des Principats ist, insgesamt gesehen, nicht nur eine Geschichte des Wechsels der wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, administrativer Normen, von außenpolitischen Erfolgen und Katastrophen (Carrhae 53 v. Chr.) sowie von innenpolitischen Machtverschiebungen und Gegensätzen, nicht nur das Resultat eines umfassenden, mittelfristigen Desintegrationsprozesses oder des Wirkens einzelner Persönlichkeiten. Viel wichtiger als all dies ist die Tatsache, daß die Geschichte der späten römischen Republik eine Geschichte von Gemetzeln, Elend und Brutalität, Zerstörungen und Konfiskationen, Raub und Plünderungen – und dies in allen Reichsteilen – gewesen ist.
Die Zahl von 80.000 hingeschlachteten Römern und Italikern in der „Vesper von Ephesus“ (88 v. Chr.), die Mithradates VI. veranlaßte, mag ebenso übertrieben sein wie jene der angeblich 1.192.000 Toten, die Caesar nach dem älteren Plinius (Naturalis historia 7,92) in seinen Feldzügen, ohne die Gefallenen des Bürgerkrieges, zu verantworten hatte. Doch der Untergang von Zehntausenden von Bürgern, Bundesgenossen, Provinzialen und Feinden ist nicht zu bestreiten. Allein in den Proskriptionen unter Sulla (82 v. Chr.) und zu Beginn des 2. Triumvirats (43 v. Chr.) haben Tausende von Angehörigen der Führungsschicht ihr Vermögen, nicht selten auch das Leben verloren. Daneben stehen Terrorakte wie die Ausplünderung Athens unter Sulla (86 v. Chr.) oder die Vernichtung der gallischen oppida (stadtähnliche Siedlungen) unter Caesar, um nur diese Beispiele zu nennen.
Es ist sicher, daß jene Jahrzehnte vor allem eine Geschichte des Leidens und Leides waren, wobei man zu bedenken hat, daß die zahlreichen, für die Sieger erforderlichen Veteranenansiedlungen im Grunde entschädigungslose innerstaatliche Vertreibungen und Enteignungen gewesen sind. Am Ende war Italien jedenfalls ein erschöpftes, ausgeblutetes Land, in dem Freiheitsparolen und republikanische Floskeln nicht mehr zünden konnten, ein Land mit einer verzweifelten Bevölkerung, die nur noch Frieden, Sicherheit, Stabilität und eine ungefährdete Existenz wünschte.
Der entscheidende Wechsel zu den neuen Strukturen der römischen Kaiserzeit wurde von Caesar vorbereitet, von Augustus durchgeführt, von Tiberius (14–37 n. Chr.) behauptet. Um seine dignitas, seine Würde und Ehre, zu wahren, überzog Caesar den gesamten Mittelmeerraum mit Krieg. Nach seinem Sieg im Bürgerkrieg setzte er sich selbst absolut. Der geniale Kriegsherr drängte nun in jedem Bereich und im gesamten Imperium auf Gehorsam und Effizienz; die traditionellen Normen und Formen der römischen Republik banden ihn nicht mehr. Vor allem dachte der Diktator auf Lebenszeit nicht daran, sich den...