1 Einleitung
„Why do I get a person when all I need is a pair of hands?“ Diese mit Henry Ford assoziierte Aussage ist kennzeichnend für das Industriezeitalter und das Menschenbild des Taylorismus.[1] Der Mensch wird hierbei als rein austausch- und ersetzbarer Produktionsfaktor gesehen. Rationalisierung und Produktivitätssteigerung stehen im Vordergrund, nicht der einzelne Mitarbeiter mit seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch Bedürfnissen.[2] Doch das von Maschinen und Prozessen geprägte Industriezeitalter wurde bereits in den 1990ger Jahren von der sogenannten „New Economy“ sukzessive abgelöst und neigt sich nun dem Ende zu.[3] Insgesamt vollzieht sich ein Wandel hin zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. In einer solchen werden Wissen und Informationen immer wertvoller, die Bedeutung geistiger Arbeit im Vergleich zu physischer steigt,[4] da wissensbasierte Branchen viel mehr auf Innovationen, Patente sowie das firmenspezifische und das individuelle Wissen der Mitarbeiter angewiesen sind.[5] Der Mensch nimmt dabei einen besonderen Stellenwert ein, da nur er aus materiellen beziehungsweise finanziellen Ressourcen einen Wert schaffen kann und durch Kreativität sowie Innovation das Generieren von Wettbewerbsvorteilen ermöglicht.[6] Da er als Gesamtheit nur schwer imitierbar und nicht frei ersetzbar ist, wird der Mensch zukünftig der einzige weiter entwickelbare Produktionsfaktor sein, durch welchen eine Differenzierung möglich ist.[7] Er wird zum Erfolgsfaktor für Unternehmen und gilt in Zukunft als die eigentliche knappe Ressource und somit als Nadelöhr des Unternehmenserfolgs.[8] Sowohl das Kapital- als auch das Sachvermögen, welche als die klassischen Vermögenswerte bezeichnet werden, verlieren im Zuge dessen zur Differenzierung im Wettbewerb an Bedeutung, da sie austauschbar sind und per se keinen Wert schaffen können.[9]
Um den Stellenwert des Menschen noch weiter zu unterstreichen, sollten die Mitarbeiter aber nicht nur als wertvolle Ressource im Sinne eines Human Ressource Managements,[10] sondern als Kapital betrachtet werden. Damit wird der Argumentation gefolgt, dass sich Ressourcen abnutzen und verbraucht werden,[11] Kapital hingegen als etwas darstellt, in das es sich zu investieren lohnt, da es anwachsen und weiterentwickelt werden kann. Diese begriffliche Differenzierung wird als wichtig erachtet, da sie die Abkehr der Betrachtungsweise des Personals als Kostenfaktor hin zum Investitionsobjekt unterstreicht.[12] Das Verständnis des Personals als Kostenfaktor kann sogar zu falschen Entscheidungen führen. So weisen Studien nach, dass es bei Personalabbau, beispielsweise durch Outsourcing oder Downsizing, nur selten gelingt, tatsächlich Kosten zu senken. Stattdessen entwickeln sich Ineffizienzen, es kommt zu Verunsicherungen, Gerüchten sowie zu sinkender Moral und Loyalität der verbleibenden Belegschaft.[13] Ein Verständnis des Personals als Investitionsgut hingegen soll nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens steigern, sondern letztlich auch Arbeitsplätze sichern. Unternehmen, die das Humankapital derart in ihre Überlegungen mit einbeziehen, sind Studien zufolge bereits heute erfolgreicher.[14]
Immaterielle Vermögenswerte und somit auch deren Bewertung gewinnen somit zunehmend an Bedeutung.[15] Natürlich reicht ein reines Lippenbekenntnis dafür aber ebenso wenig aus wie eine unsystematische und unstrukturierte Auseinandersetzung mit dem eigenen Humankapital.[16] Da sich zusätzlich zu dem Wandel hin zu einer Wissensgesellschaft auch der Wettbewerb zunehmend verschärft, muss ein effektives sowie effizientes Management des Erfolgsfaktors Mensch praktiziert werden.[17] Entscheidend dafür ist, ein ganzheitliches, professionelles Human Capital Management mit Bezug zur Unternehmensstrategie zu etablieren, welches mit den passenden Methoden, Instrumenten und Prozessen ausgestattet wird, um Entwicklungen des Humankapitals frühzeitig erkennen und entsprechende Handlungen daraus ableiten zu können. Gefordert wird ein Art „Frühwarnsystem“.[18] Das geforderte professionelle Management zeichnet sich zusammengefasst somit durch das HC-Bekenntnis, die HC-Bewertung und die HC-Optimierung aus.[19]
Dass die Bedeutung der Belegschaft in den Unternehmen zunehmend erkannt wird, zeigt die Tatsache, dass in der letzten Wirtschaftskrise das Instrument der Kurzarbeit so stark genutzt wurde, wie nie zuvor.[20] Das heißt, das Bewusstsein, dass Mitarbeiter einen strategischen Erfolgsfaktor darstellen und nicht nur als Kostenfaktor betrachtet werden dürfen, verstärkt sich in den Unternehmen. Doch die Bewertung und die Ableitung von Handlungsempfehlungen gestalten sich als schwierig.[21] Welchen Wert besitzt die Belegschaft? Wie soll das Humankapital zielgerichtet gesteuert werden, wenn es sich aufgrund der Vielzahl an sogenannten weichen Faktoren, wie Motivation, Zufriedenheit und Kompetenz,[22] nicht bewerten lässt? Manager verstehen sich als nüchterne, objektive und sachlich orientierte Entscheider. Gemäß dem Grundsatz „You can’t manage, what you can’t measure“ sträuben sich daher zahlreiche Unternehmen, das Personal von der Potenzialseite anstatt von der Kostenseite zu betrachten.[23] Der Fokus der Humankapitalforschung der letzten Jahre richtet sich daher darauf, eine genaue Quantifizierung des Humankapitals zu ermöglichen. Über das „Wie“ herrscht jedoch keine Einigkeit.[24] Eine Art Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung für Humankapital existieren nicht.[25] Zahlreiche Ansätze versuchen, einen entsprechenden Beitrag zu leisten, bisher nur mit mäßigem Erfolg hinsichtlich der Verbreitung in der Praxis. Das Ziel, Humankapital messbar zu machen und so eine weitere Grundlage für Entscheidungen zu schaffen, ähnlich den Finanzkennzahlen im Geschäftsbericht, konnte bis dato nicht erreicht werden.[26] Dies beweist auch eine österreichische Studie des Instituts für Managementkompetenz. Demnach bewerten zwar 61 % der befragten Unternehmen eine Auseinandersetzung mit dem Humankapital als wichtig, jedoch haben lediglich 13 % ein Human Capital Management bereits implementiert.[27] Damit wird ersichtlich, dass die Relevanz einer Humankapitalbewertung in der Praxis erkannt wurde, jedoch die notwendigen Instrumente noch fehlen.
Scholz, Stein und Bechtel haben eine Vielzahl an Ansätzen analysiert und behaupten nun, mit der Saarbrücker Formel deren Stärken integriert und die Schwachstellen der verschiedenen Methoden ausgemerzt zu haben.[28]
Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Saarbrücker Formel einer ausführlichen, kritischen Untersuchung zu unterziehen. Es wird der Frage nachgegangen, ob sie einen Durchbruch oder lediglich nur einen weiteren Baustein in Bezug auf die Humankapitalbewertung darstellt. Durch eine strukturierte Analyse sollen die Stärken und Schwächen des Konzepts aufgedeckt und gegebenenfalls Verbesserungsvorschläge eruiert und formuliert werden. Dazu werden nicht nur die einzelnen Komponenten der Formel untersucht, sondern auch die Formel als Ganzes an verschiedenen Kriterien gemessen. Weiterhin wird in dieser Arbeit der Nutzen einer Anwendung der Saarbrücker Formel für verschiedene Anspruchsgruppen überprüft werden. Insgesamt soll damit der Frage nachgegangen werden, ob die Saarbrücker Formel ihrem Anspruch, ein ganzheitliches Human Capital Management zu ermöglichen, gerecht werden kann.
Vor der eigentlichen, kritischen Analyse erscheint es sinnvoll, ein einheitliches Verständnis als Fundament der Untersuchung herzustellen. Dazu dienen sowohl Kapitel 2, welches die allgemeinen Grundlagen der Humankapitalbewertung thematisiert, als auch Kapitel 3, welches die notwendigen Grundlagen für das Verständnis der Saarbrücker Formel behandelt.
In Kapitel 2.1 wird zunächst eine Einführung in die Humankapitalforschung gegeben, indem deren geschichtliche Entwicklung dargestellt wird. Diese stellt die Grundlage für das folgende Kapitel 2.2 dar, da das heutige Verständnis des Unternehmenswerts auf dieser Entwicklung beruht. Darauf aufbauend, werden die Begriffe „Intellectual Capital“ und insbesondere „Humankapital“ definiert und abgegrenzt. In der Folge soll dann in Kapitel 2.3 geklärt werden, warum das Human Capital Management und damit auch die Anwendung der Saarbrücker Formel im Personalbereich zu verorten sind.
Kapitel 3 betrachtet die Grundlagen, welche explizit für das Verständnis und somit auch für die kritische Analyse der Saarbrücker Formel benötigt werden. Dabei werden in einem ersten Schritt in Kapitel 3.1 die Paradigmen thematisiert, welche einer Humankapitalbewertung zugrunde gelegt werden können. Aufgrund dessen,...