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E-Book

Die Sache mit der Jagd

AutorHeribert Kalchreuter
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl560 Seiten
ISBN9783440152058
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Ist Jagd noch akzeptabel? Welchen Einflüssen unterliegen unsere Wildtiere? Brauchen wir die Jäger noch? Dürfen sie auch Niederwildarten nachhaltig nutzen oder nur noch 'schädliches' Schalenwild bejagen? Müssen Beutegreifer reguliert werden? - Fragen wie diese sind seit Jahrzehnten aktuell, wurden aber selten fundiert untersucht und diskutiert. 30 Jahre nach der Erstausgabe des schon damals Aufsehen erregenden Buches legt Prof. Dr. Heribert Kalchreuter mit diesem Buch eine deutlich erweiterte und aktualisierte Neuausgabe vor. Anhand weltweiter Untersuchungen belegt der renommierte Wildbiologe darin die wichtige ökologische und ökonomische Rolle der Jagd. Und begründet, warum auch heute noch gejagt werden darf und muss.

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Leseprobe

Leben und Tod in der Tierwelt

Werden und Vergehen sind Kriterien des Lebendigen. Nur durch das ewige Wechselspiel von Geburt und Tod konnte die Wandlungsfähigkeit (Mutabilität) der Erbanlagen wirksam werden und im Laufe der Erdgeschichte die enorme Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren entstehen lassen. Unzählige Individuen waren während der jüngsten Milliarde von Jahren erforderlich für die Entwicklung vom Einzeller bis zum Menschen.

Aus der populationsdynamischen Forschung

Während von wirbellosen Tieren und körperlich kleinen Wirbeltierarten selbstständige Populationen auf relativ kleinem Raum und selbst im Labor zu halten und entsprechend gut zu beobachten sind, lassen sich bestandsdynamische Parameter bei den größeren der höheren Tiere wesentlich schwieriger ermitteln. Infolge ihrer allgemein höheren Lebenserwartung und ihrer sehr viel größeren Lebensräume (vor allem bei ziehenden Arten) sind quantitative Daten über die Fortpflanzungs- und Sterblichkeitskomponente der gesamten Population nur durch langfristige, großflächige und entsprechend aufwändige Forschungsprojekte zu gewinnen. Dass solche Untersuchungen entsprechend spärlich durchgeführt wurden, verwundert allerdings angesichts der doch großen wirtschaftlichen, ethischen und kulturellen Bedeutung, die die meisten Säugetier- und Vogelarten von jeher für den Menschen hatten und haben.

Das Ausmaß von Fortpflanzung einerseits und Sterblichkeit andererseits entscheidet über die Häufigkeit der einzelnen Arten. Das Wechselspiel dieser beiden Größen bedingt die Zunahme oder Abnahme von Arten, ihre Ausbreitung oder ihren Rückgang oder gar ihr Verschwinden von diesem Planeten.

Warum ist die Individuenzahl der einzelnen Arten kaum über längere Zeiträume konstant? Warum ist das Gleichgewicht von Geburt und Tod nicht statisch, sondern dynamisch? Welche Faktoren be­ein­flussen denn die hierfür entscheidenden Parameter Fortpflanzungsrate und Sterblichkeitsrate?

Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick über den heutigen Wissensstand der populationsdynamischen Forschung bei höheren Tieren vermitteln.

Zur Fortpflanzung

Die Fortpflanzungsleistung der einzelnen Wildarten ist zwar unterschiedlich, jedoch in der Regel beachtlich hoch. Selbst wenn wir nur eine mittlere jährliche Rate von vier Jungen pro Paar annehmen, wie etwa bei der Waldschnepfe, würde sich der Bestand von ur­sprünglich einem Brutpaar folgendermaßen entwickeln:

Tab. 1: Theoretisches Bestandswachstum bei mittlerer Fortpflanzungsrate

Unter der Annahme, dass die Hälfte der Altvögel Weibchen sind, die je vier Junge produzieren, wäre die Population nach nur fünf Jahren auf mehr als das 200fache angewachsen! Mathematisch lässt sich dieses Wachstum durch eine Exponentialfunktion darstellen, die Abb. 1 grafisch wiedergibt. Man spricht daher von einem exponentiellen Wachstum des Tierbestandes: Es verläuft so rapide, weil sich die Jungen im darauf folgenden Jahr ebenfalls fort­pflanzen. Die Wachstumsgeschwindigkeit hängt von mehreren Faktoren ab, die zwar, wie wir noch sehen werden, durch die Umwelt etwas beeinflussbar, im Wesentlichen aber doch erblich festgelegt sind.

Abb. 1: Die Fortpflanzungskraft der meisten Tierarten ist enorm. So rasch würde der Bestand (hier der Waldschnepfe) ins Unendliche wachsen, wenn kein Vogel einginge.

Geschlechtsreife

Sowohl bei Säugetieren wie bei Vögeln zeigt sich eine ungefähre Korrelation zwischen Körpergröße und durchschnittlicher Ge­schlechtsreife, wie nachstehende Tabelle verdeutlicht.

Tab. 2: Lebensalter und durchschnittliche Geschlechtsreife von ­Säugetieren und Vögeln unterschiedlicher Körpergröße

Kleinere Arten, vor allem die der Säugetiere, benötigen nicht einmal ein Jahr, um ihre Geschlechtsreife zu erlangen: Mäuse und Ratten pflanzen sich bereits im Geburtsjahr fort.

Demgegenüber sind große Säugetiere in dieser Hinsicht eher dem Menschen vergleichbar und brauchen viele Jahre, um erstmals zur Fortpflanzung beizutragen. Große und höher entwickelte monogame Vogelarten sind in der Regel mindestens ein Jahr lang „verlobt“, bevor sie erfolgreich brüten.

Jungenzahl

Früh geschlechtsreife Arten haben meist auch hohe Jungenzahlen pro Wurf bzw. Gelege. Zudem pflanzen sie sich in der Regel mehrmals im Jahr fort. Dies ist besonders ausgeprägt bei Nagetieren und kleinen Singvogelarten, die so auf beachtliche Jungenzahlen kommen. Die Fortpflanzungsleistung der Population kann sich bei den Arten enorm steigern, bei denen die Jungen kurz nach ihrer Geburt ebenfalls zur Vermehrung beitragen.

Demgegenüber sind die Nachwuchsraten körperlich großer Säu­getiere ausgesprochen niedrig. Einige Arten pflanzen sich auch nach Eintritt der Geschlechtsreife nicht jährlich, sondern im Abstand von zwei bis drei Jahren fort. Die Eisbärin wirft nur alle zwei Jahre zwei Junge, die Elefantenkuh gar nur alle drei bis fünf Jahre und dann nur ein Kalb. Die Fortpflanzungsrate liegt bei diesen Arten daher unter einem Jungen pro Jahr. Einen Überblick soll Tab. 3 vermitteln.

Tab. 3.: Durchschnittliche Jungenzahl von Säugetieren und Vögeln unterschiedlicher Körpergröße

Im Zusammenwirken von Geschlechtsreife, Fortpflanzungsfolge und Jungenzahl kommt es zu einem sehr unterschiedlichen (theoretischen) Populationswachstum bei den einzelnen Arten. Abb. 2 soll dies anhand von Wachstumskurven veranschaulichen.

Abb. 2: Je größer ein Tier, desto geringer ist i. A. seine Fortpflanzungsleistung. Der Bison würde – ohne Eingreifen des Todes – viermal so lange wie das Rebhuhn brauchen, um auf 5.000 Tiere anzuwachsen.

Während der Bestand von Wildrindern oder Bären in vier Jahren auf nur hundert Stück angestiegen wäre, hätte es das Rebhuhn in der gleichen Zeit auf 5.000 Exemplare gebracht. Dazu würden Wildrinder (z. B. der Wisent) fast zwanzig Jahre brauchen. Wie viele Rebhühner es wiederum in diesem Zeitraum gäbe, übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Denn schon nach sieben Jahren wäre die Millionengrenze weit überschritten. Und nach 17 Jahren wäre der gesamte Erdball, Land und Meer, von dicht an dicht sitzenden oder treibenden Rebhühnern bedeckt!

Über die Sterblichkeit

Infolge der begrenzten Lebensdauer aller Lebewesen sind Kalkulationen wie diese allerdings rein theoretisch – keine Population kann sich unendlich vermehren.

Wie alt können Tiere werden?

Die mögliche oder potenzielle Lebenserwartung ist von Art zu Art sehr verschieden und, wie man heute weiß, bereits erblich festgelegt. Sie hängt weitgehend von der Körpergröße der Tierart ab und zwar bei Säugetieren und Vögeln, wie Tab. 4 erkennen lässt.

Tab. 4: Maximale, an markierten Tieren ermittelte Lebensdauer

Doch wie würde sich eine Population entwickeln, wenn die meisten oder gar alle Individuen das genetisch vorgegebene Lebensalter erreichten, Altersschwäche also die alleinige Todesursache wäre? – Wir kommen zurück auf die Wachstumskurve von Abb. 1 und überlegen uns ihren Verlauf, wenn alle Vögel nur drei Jahre alt würden. Ende des 3. Jahres würden also die ersten eingehen, es sind allerdings nur zwei. Ein Jahr darauf würden zwar schon sechs sterben, die Population jedoch hat sich dennoch verdreifacht. Wir sehen aus Abb. 3, wie sich der Abstand zum ungehemmten Wachstum zwar etwas vergrößert, die Kurve aber trotzdem etwa denselben Verlauf nimmt. Der Tod aus Altersschwäche kann die Lebenden nicht einholen, ihr Wachstum nicht stoppen, allenfalls etwas hemmen. Sie vermehren sich ebenfalls exponentiell ins Unendliche.

Abb. 3: Auch wenn nur der Alterstod wirksam würde, die Lebenszeit also erblich festgelegt wäre, änderte dies am Wachstumsverlauf nicht viel. Er verliefe gegen­über dem ungehinderten (gestrichelte Kurve) nur zeitlich etwas verzögert.

Wie alt werden Tiere tatsächlich?

Dazu kommt es nicht, denn in Wirklichkeit ist bei Wildtieren der Tod aus Altersschwäche nicht als Regel, sondern als Ausnahme zu betrachten. Die weitaus meisten Individuen sterben viel früher.

Vielfach kommen schon gar nicht alle Eier zum Schlüpfen; einige erfrieren, fallen aus dem Nest oder dienen anderen Tieren zur Nahrung. Nach dem Schlüpfen geht es den neuen Erdenbürgern nicht viel besser, der Tod lauert auf Schritt und Tritt. Die Sterblichkeitsraten schwanken in diesem Alter gebietsweise und von Jahr zu Jahr enorm, bedingt durch das ständig wechselnde Gefüge der vielen Faktoren, die über Leben und Tod entscheiden. Ungünstige Witterung, Nahrungsmangel und Prädatoren fordern ihren Tribut, der in rasch schwindenden Kükenzahlen zum Ausdruck kommt.

Ringe geben uns Einblick

Woher können wir also Erkenntnisse über die Sterblichkeit gewinnen? Über umfangreiche Auswertungen von Wiederfunden markierter Tiere haben wir etwas genaueren Einblick in diese sonst schwer durchschaubare Größe bekommen.

Anhand von Ringen lässt sich z. B. bei Vögeln das Lebensalter ermitteln. Tab. 5 führt in der zweiten Spalte die Wiederfunde verendeter beringter Stockenten auf, geordnet nach dem von den Vögeln erreichten Alter. Die Ringfunde sind dabei ähnlich aufschlussreich wie die Grabsteine auf dem Friedhof, aus deren Geburts- und Todesangaben wir das erreichte Lebensalter der Verstorbenen ermitteln können. Sie liefern wichtige populationsdynamische Informationen.

Tab. 5: Ringfunde der Stockente, geordnet nach dem erreichten Lebensalter (2. Spalte) und die daraus...

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