Der schulische Weg von Kindern und Jugendlichen mit AS, das heißt Art und Umfang pädagogischer Intentionen, ist stark durch die Entwicklung dieser Kinder und Jugendlichen, besonders im Bereich der geistigen Entwicklung, determiniert. Sie gelten in Bezug auf ihre Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten als so beeinträchtigt, dass sie individueller pädagogischer Hilfen im Sinne einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen. Im schuladministrativen Kontext werden Kinder und Jugendliche mit AS als Schüler mit einer geistigen Behinderung bezeichnet, da diese als vordergründig angesehen wird. Dementsprechend liegt der Förderschwerpunkt im Bereich der geistigen Entwicklung.
Im Folgenden werde ich detailliert auf die schulische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit AS eingehen. Dabei nimmt das Thema Kommunikation einen zentralen Stellenwert ein. Zuvor werde ich in Annäherung an eine spezifische Unterrichtung von Schülern mit AS auf allgemein sonderpädagogische Grundlagen eingehen.
Aus meinen persönlichen Erfahrungen möchte ich im Folgenden zunächst Luise[75], ein 9jähriges Mädchen mit Angelman-Syndrom, beschreiben, deren Betreuung Anlass für mich war, mich mit diesem Syndrom und einer dieser Behinderung entsprechenden Förderung auseinander zu setzen.
Ich kenne Luise seit 1998 durch meine Tätigkeit im Familienentlastenden Dienst. Da ich sie in ihrer häuslichen Umgebung betreute, ist mir ihre Familie ebenfalls seit dieser Zeit bekannt. Weitere Erfahrungen im Umgang mit Luise konnte ich während eines Praktikums an der Förderschule[76] für geistig Behinderte, die sie besucht, und während der Ferien durch die Betreuung im Ferienlager sammeln. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit führte ich ergänzend ein Interview mit der Mutter zur Anamnese und bisherigen Entwicklung Luises sowie zu Erfahrungen, Wünschen und Perspektiven der Eltern im Hinblick auf die Behinderung ihres Kindes.
Luise wurde 1992 als zweites Kind der Familie geboren. Die Schwangerschaft verlief unauffällig. Die Geburt erfolgte drei Wochen zu früh in einer Entbindungsklinik im Ostteil Berlins mit anschließendem mehrtägigem stationären Aufenthalt. Luise hatte ein Geburtsgewicht von 2500 Gramm. Am ersten Lebenstag fiel einer Schwester auf, dass das Kind nicht richtig schreit. Unter dem Verdacht einer Hirnblutung wurde eine Ultraschalluntersuchung des Schädels durchgeführt, die jedoch die Vermutung nicht bestätigte. In der klinischen Abschlussuntersuchung, die zeitlich mit der U2 zusammenfiel, wurde nach Aussage der Mutter „ein erhöhter Muskeltonus“ festgestellt. Daraufhin erfolgte die Überweisung in die „Sondermütterberatung“.
Für die Mutter am auffälligsten waren neben anfänglichen Fütterungsproblemen Verzögerungen im Krabbeln, Sitzen und Laufen. Außerdem bestand weiterhin ein stark erhöhter Muskeltonus. Retardierungen waren auch in der Sprachentwicklung bemerkbar, zum Beispiel produzierte Luise keine Laute, wie Gurgel-, Sprudel- oder Schnalzlaute. Auffällig war auch ihr geringes Körperwachstum. Zu diesem Zeitpunkt hofften die Eltern aber noch, „dass es sich nur um ein phlegmatisches Kind handele“. Trotz der allgemeinen Entwicklungsverzögerung, insbesondere im motorischen Bereich und in der Lautbildung, hatte Luise mit vier Monaten den ersten Zahn und begann sehr früh zu lachen. Da bis zum Ende von Luises zweitem Lebensjahr noch keine eindeutige Diagnosestellung vorlag, bemühten sich die Eltern um einen Platz in einer Intergrations-Kita. Dort erhielt das Mädchen Physiotherapie und eine allgemeine Förderung.
Die Suche nach den Ursachen für Luises Verzögerungen setzte sich auf Initiative der Eltern, die dahingehend auch Unterstützung bei einer „verständnisvollen und einfühlsamen Ärztin“ des Sozial-Pädiatrischen Zentrums (SPZ) fanden, weiter fort. Im SPZ wurden zunächst Auffälligkeiten im EEG festgestellt. Mit 2;6 Jahren erfolgte nach einer genetischen Untersuchung die eindeutige Diagnosestellung: Angelman-Syndrom mit generalisierter Anfallsbereitschaft. Im Interview schildert die Mutter diesen Zeitpunkt folgendermaßen: „Einerseits war es gut zu wissen, woran man ist, andererseits wurde eine Illusion zerstört.“
Die weitere Betreuung durch das SPZ beschreibt die Mutter auch retrospektiv als sehr gut und einfühlsam. Sie erhielt Informationen über Hilfsangebote und die Selbsthilfegruppe des Angelman e.V.
Die Familie hatte nach Angaben der Mutter im Großen und Ganzen keine Probleme mit der Behinderung des Kindes. Die Partnerschaft blieb stabil. Beide Eltern kümmerten sich trotz voller Berufstätigkeit gleichermaßen um Luise. Der neun Jahre ältere, in seiner Entwicklung unauffällige Bruder, hatte alle Sorgen und Ängste von Beginn an miterlebt. Er kümmerte sich stets liebevoll um seine Schwester und beschäftigte sich viel mit ihr. Die Großmutter väterlicherseits ist selbst behindert (Zerebralparese) und zeigte sich von Anfang an bereit, die Familie zu unterstützen. Ein größeres Problem hatte die Großmutter mütterlicherseits mit der Situation. Obwohl das Kind und die Familie ihr Mitleid hatten, fühlte sie sich nicht in der Lage zu helfen und empfahl eine Heimunterbringung. Dies stand für die Eltern jedoch nie zur Disposition.
Erstmals negative Äußerungen erfuhr die Familie durch Nachbarn in einem großen Wohngebiet in Berlin in Form von Beschimpfungen, als Luise mit dem Bruder auf dem Spielplatz war. Letztendlich war dies der Auslöser Ende 1994 in das Berliner Umland in ein Dorf mit lockerer Wohnbebauung in Form von Ein- und Zweifamilienhäusern zu ziehen, wo die Familie bis heute wohnt. Die Erfahrungen mit der Nachbarschaft sind dort bisher ausschließlich positiv.
Kurz nach dem auch für Luise recht anstrengenden Umzug hatte sie Anfang 1995 im Rahmen eines Infektes den ersten Anfall, dem ein stationärer Aufenthalt folgte. Sie wurde auf ein Anti-Epileptikum eingestellt, welches sie seitdem dreimal täglich in Tropfenform erhält. Seither trat kein weiterer Anfall mehr auf. In einem jährlichen stationären Aufenthalt werden Kontrolluntersuchungen durchgeführt und die Medikation entsprechend Körpergröße und Gewicht neu eingestellt. Ein Nachteil des Medikamentes ist die appetitfördernde Wirkung. Das Mädchen „befindet sich seitdem ständig auf der Suche nach Essbarem“, was für die Familie „sehr anstrengend“ ist. Nach Angaben der Mutter war Luise ansonsten kaum krank. Es erfolgte die übliche kinderärztliche Betreuung. Anfängliche Schlafprobleme treten inzwischen kaum noch auf. Luise schläft in der Regel durch. Sie geht nach Empfinden der Mutter relativ spät - gegen 20.00 Uhr - ins Bett und macht keinen Mittagsschlaf. Manchmal steht sie nachts auf und kommt zu den Eltern.
Nach dem Umzug besuchte das Mädchen eine Integrations-Kita circa zwölf Kilometer vom Wohnort entfernt. In dieser Zeit machte Luise Fortschritte im grobmotorischen Bereich. So erlernte sie beispielsweise mit drei Jahren das Laufen. Wegen einer Fußfehlstellung wurden durch den Orthopäden spezielle Schuhe verordnet.
1998 erfolgte die Einschulung. In der Einschulungsuntersuchung wurde eine schwere komplexe Retardation (motorisch, psychisch, intellektuell) dokumentiert. Im Ergebnis des durchgeführten Feststellungsverfahrens zum sonderpädagogischen Förderbedarf wurde die Empfehlung einer Beschulung in eine Schule für Geistigbehinderte gegeben. Dies entsprach dem Wunsch der Eltern, da diese Einrichtung als Ganztagsschule neben der Unterrichtung nach dem Rahmenplan für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der geistigen Entwicklung viele therapeutische Möglichkeiten, wie Logopädie, Physiotherapie, Hippotherapie und Schwimmen, bietet.
Zu diesem Zeitpunkt lernte ich Luise durch meine Tätigkeit im Familienentlastenden Dienst kennen. Dieses Angebot ist ein Projekt eines regionalen Selbsthilfevereins, welches die Eltern als große Hilfe empfinden.
Luise ist ein sehr hübsches, freundliches Mädchen mit blondem Haar und blauen Augen. Sie ist sehr kontaktfreudig, macht aber deutliche Unterschiede zwischen Leuten, die ihr sympathisch oder unsympathisch sind und merkt, wenn sich jemand verstellt. Sie hat ein auffallend gutes Gedächtnis für Gesichter. Neben der Hypopigmentation und dem fröhlichen Grundverhalten mit häufigem Lachen weist Luise auch fast alle anderen Merkmale des Angelman-Syndroms auf. So ist ihr Gangbild zum Beispiel breitbasig, ataktisch und unsicher. Insgesamt verlief die Entwicklung des Kindes aber besonders im motorischen Bereich, nach Auffassung der Eltern und auch nach meiner Einschätzung, entsprechend der Behinderung sehr positiv. So kann Luise beispielsweise inzwischen Fahrrad fahren und Perlen auffädeln. Natürlich strengen sie solche Übungen, die viel Gleichgewicht und Koordination erfordern, sehr an, was im grobmotorischen Bereich durch Schwanken und Stolpern und im feinmotorischen Bereich durch Zittern der Hände deutlich wird. Dennoch führt sie sie sehr gern aus. Luises Wahrnehmung scheint sowohl im vestibulären Bereich als auch hinsichtlich der zentralen Verarbeitung des akustisch-auditiven Bereiches eingeschränkt. Es liegen bei ihr keine...