In diesem Kapitel werde ich die rechtlichen Grundlagen der schulischen Integration aufzeigen.
Ich beginne mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.1997, da dieses Urteil exemplarisch für eine bisher nicht vorhandene einheitliche bundesrechtliche Regelung zur Problematik gesehen werden kann. Daran anschließend erläutere ich die Empfehlungen der Ständigen Kultusministerkonferenz (KMK) von 1994. Diese haben zwar keinen gesetzgebenden oder rechtlichen Charakter, fanden aber bei der Umsetzung einiger Landesgesetze Berücksichtigung; daher erachte ich es als sinnvoll, diese Empfehlungen hier zu erwähnen.
In einem nächsten Teil meiner Arbeit werde ich dann exemplarisch näher auf zwei Landesgesetzgebungen eingehen, die eine schulische Integration Behinderter vorsehen: zum einen die von Hessen und zum anderen die von Nordrhein-Westfalen. Diese Auswahl kann natürlich nicht den Stand der Gesetzgebung in sämtlichen Bundesländern widerspiegeln, da es hier eine große Bandbreite der gesetzlichen Regelungen bzgl. Integration gibt, von: ‚keine gesetzliche Regelung vorhanden’ in Baden-Württemberg bis zu ‚Gemeinsamer Unterricht/Integration als Regel/Bildungsauftrag’ in u.a. Bremen und Saarland – soll aber dazu dienen, einen Einblick in die rechtlichen Grundlagen der schulischen Integration in Deutschland zu geben[5].
Auf Grund einer Verfassungsklage der Eltern eines behinderten Kindes aus Niedersachsen[6] urteilte das Bundesverfassungsgericht am 08.10.1997, dass es keinen generellen Rechtsanspruch (abzuleiten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des GG) Behinderter auf gemeinsame Unterrichtung mit nichtbehinderten Schülern in Regelklassen gibt. Es steht den Erziehungsberechtigten bzw. dem behinderten Schüler zwar grundsätzlich frei zu wählen, ob der Schüler eine allgemeine Schule oder eine Sonderschule besuchen soll, eine Integration eines behinderten Schülers in eine Regelschule kann jedoch laut dem Urteil nur dann auch tatsächlich stattfinden, wenn die entsprechende Schule die organisatorischen, personellen und sachlichen Grundlagen für eine Integration erfüllt. Diese Grundlagen müssen jedoch bei Nicht-Vorhandensein nicht extra geschaffen werden, so ist z.B. baurechtlich nicht vorgeschrieben, dass allgemeine Schulen behindertengerecht gebaut/ausgestattet sein müssen. Ein Großteil der allgemeinen Schulen weist daher auch schon rein baulich nicht die
nötigen Voraussetzungen für z.B. körperbehinderte Schüler, die auf einen Rollstuhl angewiesen
sind, auf.
Das Bundesverfassungsgericht führte weiter aus, dass allein die Tatsache der Überweisung auf eine Sonderschule keine Benachteiligung laut Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt - sofern eine integrative Beschulung auf Grund fehlender personeller, organisatorischer und sachlicher Grundlagen nicht möglich ist. Jedoch lässt sich hieraus auch die Verpflichtung einer allgemeinen Schule ableiten, alle vorhandenen Möglichkeiten zur Integration behinderter Schüler auszuschöpfen (vgl. http://www.integrationsnetz.de/laender/bund/bvg8-97.htm [Stand 2003-04-13]).
Die Ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) in der Bundesrepublik Deutschland hat am 06.05.1994 Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Zu diesen Empfehlungen wurden in den Jahren 1998 bis 2000 spezifische Empfehlungen zu einzelnen Förderschwerpunkten (entsprechend den jeweiligen Behinderungen) ergänzt.
Um über den Förderbedarf eines Schülers nach Art, Umfang und Dauer zu entscheiden soll zunächst ein Profil erstellt werden, das verschiedene Faktoren berücksichtig, wie z.B.: Entwicklungs- und Leistungsstand des Schülers, sein (Sozial-)Verhalten sowie seine Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit (vgl. KMK-Empfehlungen 1994, II.3.1, S. 7). Auf Grund dieses Profils wird eine Empfehlung ausgestellt, die dann Grundlage für die Entscheidung der Schulaufsicht über Umfang, Art und Dauer der Förderung ist. Sie weist den Schüler entweder einer allgemeinen Schule, einer Sonderschule oder kooperativer Förderung zu und gewährt bei Bedarf zusätzliche außerschulische Förderung (vgl. KMK-Empfehlungen 1994, II.3.2, S. 8). Ziel dieser Zuweisung ist es, den
Lernort zu wählen, der auf bestmögliche Weise den Förderbedürfnissen des Kindes bzw. Jugendlichen, seiner Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung gerecht werden und auf die gesellschaftliche Eingliederung sowie auf berufliche Anforderungen vorbereiten kann (KMK-Empfehlungen 1994, II.3.2, S.9).
Die sonderpädagogische Förderung im Unterricht soll möglichst ganzheitlich ausgerichtet sein und viele verschiedene Faktoren berücksichtigen, wie z. B. Kommunikations- und Handlungsorientierung; somit weist ein sonderpädagogisch ausgerichteter Unterricht keine prinzipiellen Unterschiede zum ‚normalen’ allgemeinpädagogischen Unterricht auf (vgl. KMK-Empfehlungen 1994, III.1, S. 9).
Vorbeugenden Maßnahmen im Rahmen der sonderpädagogischen Förderung weist die KMK großen Wert bei; so soll zum einen dafür Sorge getragen werden, dass bereits bestehende Behinderungen kein größeres Ausmaß annehmen und zum anderen soll eine drohende Behinderung von einem Schüler abgewendet werden. Dafür ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Personen und Institutionen sehr wichtig, wie Eltern, allgemeine und Sonderschule, evtl. Ärzte oder andere Fachleute (vgl. KMK-Empfehlungen 1994, III.1, S. 14).
Die KMK stell in Abschnitt III.3.2, S. 14 ihrer Empfehlungen von 1994 fest, dass eine sonderpädagogische Förderung innerhalb, wie auch bei Bedarf zusätzlich außerhalb, des Unterrichts grundsätzlich auch in allgemeinen Schulen möglich ist, allerdings unter der Voraussetzung, dass notwendige sonderpädagogische, sächliche, personelle und räumliche Bedingungen gegeben sind. Neben der integrativen Unterrichtung behinderter Schüler in allgemeinen Schulen kann die sonderpädagogische Förderung auch in Sonderschulen, speziellen Förderzentren sowie in kooperativen Formen als Zusammenarbeit zwischen allgemeiner und Sonderschule erfolgen. Ein weiterer Bereich der Förderung ist die Berufsbildung und die Vorbereitung auf den Übergang eines Behinderten von der Schule in die Arbeitswelt. Sowohl die Förderung in Sonderschulen wie in kooperativen Formen soll auch darauf ausgerichtet sein, den Schüler zu einem Wechsel an eine allgemeine Schule, in ein Ausbildungs- bzw. in ein Arbeitsverhältnis zu befähigen (vgl. KMK-Empfehlungen 1994, III.3.3/3.4/3.5, S. 15).
3.3 Rechtliche Grundlagen in Hessen
Auf der Grundlage des festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs ist im Einzelfall die Entscheidung zu treffen, ob die Förderung im gemeinsamen Unterricht oder in den Sonderschulen erfolgt. Ein zum Prinzip erhobener gemeinsamer Unterricht wird dem Förderbedarf des einzelnen Kindes nicht gerecht (Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und F.D.P. für die 12. Wahlperiode des Hess. Landtags 1999-2003, Abschnitt sonderpädagogischer Förderbedarf).
Dieses Zitat macht deutlich, dass die sonderpädagogische Förderung in Hessen, dem Integrationsgedanken widersprechend, in Zukunft nicht generell in allgemeinen Schulen erfolgen soll. Zudem wird bezüglich der Integration auch eine Unterscheidung getroffen zwischen Schülern, die lernzielgleich, also nach dem Rahmenlehrplan der allgemeinen Schule unterrichtet werden können und solchen, die lernzieldifferent, d.h. nach dem Lehrplan einer Sonderschule, unterrichtet werden müssen. Ersteren wird eine Integration in Regelklassen potenziell zuerkannt, bei letzteren wird eine Integration zunächst ausgeschlossen und nur im Rahmen von Schulversuchen gewährt.
Die aktuelle Gesetzeslage zur Integration behinderter Kinder in der Schule spiegelt sich im Hessischen Schulgesetz (HSchG) von 1992, geändert im Mai 1997 in den §§ 49-55 wider. Die Änderung der entsprechenden Paragrafen des HSchG ist zum 01.08.2002 in Kraft getreten.
Im siebten Abschnitt des HSchG wird die sonderpädagogische Förderung behandelt; laut § 49 (1) haben alle Schüler,
die zur Gewährleistung ihrer körperlichen, sozialen und emotionalen sowie kognitiven Entwicklung in der Schule sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, [...] einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung.
Im nächsten Satz erfolgt der Verweis auf die auch schon im zuvor erläuterten Urteil des Bundesverfassungsgerichts genannten personellen, räumlichen und sachlichen Grundlagen. Diese schränken die in diesem Paragraf festgelegte grundsätzlich freie Wahl der Schulart wieder ein und stellen auch die folgenden, an sich positiven, gesetzlichen Regelungen zur Integration immer...