Die kritische Medientheorie der Frankfurter Schule wurde am im Jahr 1924 gegründeten Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main von dem Soziologen und Philosophen Theodor W. Adorno und dem Sozialphilosophen Max Horkheimer entwickelt.[54] 1933 wurde die Arbeit in Deutschland durch die Nationalsozialisten unterbunden, die das Institut schließen ließen und damit Adorno, Horkheimer sowie weitere beteiligte Sozialwissenschaftler wie Friedrich Pollock zur Flucht in die USA zwangen. Im Exil arbeiteten die Wissenschaftler weiter und gründeten nach ihrer Rückkehr 1950 das Institut in Frankfurt (Main) erneut.
In der kritischen Theorie werden neben sozialwissenschaftlichen auch philosophische Lehrinhalte berücksichtigt und die damalige Wissenschaft als zu unemanzipatorisch und unkritisch kritisiert. Für Vertreter der Frankfurter Schule sollte die Wissenschaft und damit auch das Wissen vor allem der Aufklärung der Gesellschaft dienen und diese kritisch hinterfragen.[55] Es sollte aufgezeigt werden, „welche Ursachen sich für das Ausbleiben eines entwickelten Klassenbewusstseins“ im Verständnis des Marxismus aufzeigen lassen.[56] Die zentrale Frage der kritischen Medientheorie war, in wiefern Massenmedien dafür sorgen würden, dass Empfänger von Medieninhalten nicht mehr in der Lage seien, sich eine kritische Meinung über gesellschaftliche und politische Fragen zu bilden. Die Menschen würden durch die Massenmedien von ihren wahren Bedürfnissen, der kritischen Reflexion gesellschaftlicher Zustände, abgelenkt und durch unterhaltsame Programme vom eigenständigen Entscheiden und Urteilen abgehalten. Durch diese „Manipulation“ könnten sie sich nicht aus der Unterdrückung und der Ausbeutung der Herrschenden befreien und würden die bestehenden Produktionsverhältnisse manifestiert.[57]
Ein weiterer Kritikpunkt der kritischen Theorien an der Gesellschaft war das Vortäuschen einer Wahlfreiheit für Konsument_innen. Die Auswahl an Produkten und Angeboten sei in sofern nicht gegeben, da ein Produkt jeweils immer dem anderen ähnlich sein würde und der Bedarf nach den Produkten durch Werbung geweckt würde, um einen Gewinn der Firmen zu garantieren und ein kritisches Klassenbewusstsein zu verhindern. Diese Kritik bezogen Adorno und Horkheimer auf die von ihnen benannte „Kulturindustrie“, in die sie auch die Medienunternehmen einbezogen. Die Darstellung der Inhalte in den Medien seien vereinfacht und würden die Gesellschaft negativ beeinflussen, da sie Sprache und Verhalten negativ verändern würden. Die Gesellschaft würde nur mit vereinfachten und oberflächlichen Inhalten konfrontiert, damit die Medienunternehmen mit Hilfe von auf diese Weise auf Konsumenten reduzierten Individuen ihren Profit sichern könnten.[58] Massenmedien und die damit einhergehenden popkulturellen Inhalte würden die Gesellschaft somit entpolitisieren.[59]
Aufgegriffen und weiter entwickelt wurde die kritische Medientheorie dann von Hans Magnus Enzensberger, der 1955 zum Doktor der Philosophie promovierte und sich von 1957 bis heute mit medientheoretischen und medienanalytischen Fragestellungen beschäftigt.[60] Enzensberger gehört bis heute zu den bedeutendsten Autoren medientheoretischer Literatur auf Grundlage von kritisch-gesellschaftlichen Theorien. Er kritisiert dabei, genau wie die Frankfurter Schule die Macht der Medien und ihren Umgang damit.
In seinem 1970 erschienenen Buch „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ greift Enzensberger Adornos „Dialektik der Aufklärung“ auf und entwickelt diese weiter. Statt dem eher ökonomischen Begriff „Kulturindustrie“, wie er von Adorno und Horkheimer verwendet wurde, nutzt Enzensberger den Begriff „Bewusstseinsindustrie“.[61] Er greift damit die Folgen der Massenmedien für die Gesellschaft auf und sagt, dass der eher wertneutrale Begriff „Kulturindustrie“ die Folgen für die Gesellschaft verharmlosen würde.[62] Enzensberger vertritt schon 1970 die Auffassung, dass die elektronischen Medien ein „Herzschrittmacher der sozio-ökonomischen Entwicklung spätindustrieller Gesellschaften“ seien und sie damit die Bewusstseinsindustrie maßgeblich prägen würden.[63] Enzensberger stimmt dabei Adorno und Horkheimer zu, dass der Trend der Entpolitisierung der Gesellschaft durch die Kulturindustrie und damit auch durch die elektronischen Massenmedien vorangetrieben werden würde. Eine Mobilisierung der Gesellschaft werde bewusst verhindert.
Enzensberger sieht in diesem Problem jedoch nicht ausschließlich ein Problem der Herrschafts- oder Produktionsverhältnisse, sondern vorwiegend ein strukturelles Problem im praktischen Umgang der Medien mit ihren Inhalten. Gesellschaftliche Kontrolle könnte dem Verdacht der Manipulation, der durch die verschiedenen Schritte der Produktion des Mediums und dem damit verbundenen Eingreifen bereits gegeben sei [64], vorbeugen. Die „Beseitigung der kapitalistischen Verhältnisse“ und Herbeiführung einer sozialistischen und freien Gesellschaft sei dafür eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung.
Für Enzensberger ist vor allem der Gebrauch von Medien in der Bewertung der Chancen und Risiken derer ein zentrales Merkmal. Er unterscheidet in seiner Schrift „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ aus dem Jahr 1970 zwischen einem repressiven und einem emanzipatorischen Mediengebrauch. Ein repressiver Mediengebrauch liegt vor, wenn es ein zentral gesteuertes Programm gibt, sowie einen Sender und viele Empfänger gibt. Dies ist vor allem der Fall, wenn das Programm durch Spezialisten produziert wird. Des Weiteren liegt ein repressiver Mediengebrauch dann vor, wenn die isolierten Individuen „immobilisiert“, also ruhig gestellt werden, es eine passive Konsumhaltung in Bezug zum Medium gibt, die auch den Entpolitisierungsprozess weiter voran treibt.[65] Neben diesen Kriterien formuliert Enzensberger auch Kritik an der Kontrolle der Medien durch Eigentümer oder Bürokraten, wie es auch heute noch sowohl im öffentlich-rechtlichen als auch im Privatfernsehen praktiziert wird.
Kriterien für einen emanzipatorischen Mediengebrauch sind oftmals gegenteilig zu denen des repressiven Mediengebrauchs: Statt einem zentral gesteuerten Programm sieht Enzensberger dezentrale Programme, bei denen jeder Empfänger auch ein potenzieller Sender ist. Statt einer Demobilisierung sollen die Massen mobilisiert werden und die passive Konsumhaltung durch die Interaktion mit den Teilnehmer_innen und Feedback-Schleifen aufgebrochen werden. Statt eine Entpolitisierung wie im repressiven Mediengebrauch kann so ein politischer Lernprozess begonnen werden. In den Besitzverhältnissen sieht Enzensberger beim emanzipatorischen Mediengebrauch eine Selbstorganisation und die dadurch gegebene gesellschaftliche Kontrolle als priorisiertes Modell. An Stelle einer Produktion durch Spezialisten, wie er es im repressiven Mediengebrauch beschreibt, favorisiert er eine kollektive Produktion.
Ein emanzipatorischer Mediengebrauch liegt demzufolge vor allem dann vor, wenn die Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten aufgehoben ist und es eine kollektive und vielfältige Produktion von Medien gibt. In seinem Modell des repressiven und emanzipatorischen Mediengebrauchs bezieht sich Enzensberger auch auf die Radiotheorie von Bertolt Brecht.
Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren. Er studierte Naturwissenschaften, Medizin und Literatur in München, schloss jedoch kein Studium ab. Brecht war ein einflussreicher Lyriker und Autor und begründete in den 1920er Jahren das epische Theater. Mitte der 1920er Jahre entwickelte sich Bertolt Brecht zum überzeugten Kommunisten, trat jedoch trotz vieler Schnittmengen und persönlicher Kontakte nie in die KPD oder die USPD ein. Zwischen 1927 und 1932 entwickelte er seine Radiotheorie, die jedoch keine geschlossene Theorie ist, sondern sich darauf beschränkt, seine Radioutopie theoretisch zu begründen. Sie ist damit nicht der klassischen Medientheorie, sondern den Ansätzen der rationalisierten Praxis zuzuordnen.[66] Seine Ansätze finden sich in verschiedenen Texten aus den Jahren 1927 bis 1932.[67]
Den Haupteil...