Obwohl bereits einige Literatur zur Gothic- Szene, vor allem in den letzten 10 Jahren, erschienen ist, möchte ich an dieser Stelle kurz darlegen, warum mir eine neuerliche Behandlung des Themas notwendig ist. Nach Durchsicht einschlägiger Literatur zum Thema ist auffällig, dass über die Bedeutung und den Sinnzusammenhang der „Schwarzen“ Szene nur unzureichende Erkenntnisse vorliegen. Aus diesem Grunde fühlte ich mich geradezu „genötigt“, diese Arbeit abzufassen. Zur Erklärung:
In der Literatur dominieren Szene- Beschreibungen, die aus einer rein soziologischen Betrachtungsweise heraus formuliert wurden. Dies scheint mir im Falle der Gothic- Szene vollkommen unzureichend.
Es handelt sich hier nicht um eine Jugendszene wie jede andere. Vielmehr weist sie einige in der Literatur stark vernachlässigte oder häufig unterschlagene Merkmale auf. Diese sich oberflächlicher Betrachtungsweise entziehenden szenetypischen Besonderheiten, werde ich in dieser Arbeit in den Fokus rücken.
Im Mittelpunkt aller Betrachtungen steht die Frage nach den Beweggründen sich der „Schwarzen Szene“ zuzuwenden. Im Vorfeld der zu dieser Arbeit nötigen Vorbereitungen, drängten sich einige wichtige Fragen auf, deren Beantwortung sich anhand der „Basisliteratur[1]“ nicht vollziehen ließ.
Es scheint, dass diese Literatur, wenn sie von einem uninformierten Personenkreis gelesen wird, nicht dazu geeignet ist, die Schwarze Szene hinreichend zu präsentieren. Die Erklärungsmuster muten teils geradezu „naiv“ an, wenn ganz offensichtlich ist, dass diese Studien nicht aus der Szene heraus entwickelt wurden, sondern von „außen“. Bedauerlich ist, dass solche Literatur in Szenekreisen eher „lächelndes“ Missverständnis auslöst. Nun muss ich jedoch anmerken, dass die hier zitierte Literatur selbstredend nicht nur unzureichend ist. Die soziologischen Erklärungsansätze sind nachvollziehbar und entsprechen sicherlich häufig auch der Realität. Allerdings sollte daraus keine allgemeingültige Lehrmeinung abgeleitet werden.
Die Studien von Farin (1999) und Helsper (1992) sind indes ein gutes Beispiel dafür, dass sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise und individualpsychologische Sicht keine Gegensätze darstellen müssen, gleichwohl sie diesen interessanten Erkenntnissen nicht weiter folgen.
In dieser Studie werde ich dies nachholen.
Dabei soll die Szene, vor allem im 6. Kapitel, aus einer stark „inneren“ und emotionalen Perspektive betrachtet werden.
Die Themen Satanismus und „okkulte Neigungen[2]“ werden in diesem Fall keine Rolle spielen, da dies erstens für die Zielsetzung dieser Studie irrelevant ist und zweitens bereits erschöpfend diskutiert worden ist.
Zentral stelle ich hier der Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich jemand der Schwarzen Szene anschließt.
Die Vorannahme ist, dass es nicht nur durch Sozialisationsbedingungen und Umweltfaktoren erklärbare Determinanten für die Entstehung und Etablierung der „schwarzen Subkultur“ gibt, sondern, dass deren Anteil als Ursächlichkeit im Vergleich zu individualpsychologischen Faktoren durchaus deutlich geringer ausfällt, als gemeinhin vermutet wird.
Soziologische Ansätze (z.B. Hurrelmann/Bründel) berücksichtigen dies zwar, jedoch möchte ich diese Ansätze in aller Konsequenz weiterverfolgen. Dies ist indes nicht alles. Ein Reihe weiterer Fragen und Aspekte spielen in dieser Studie ebenso eine Rolle.
Es scheint so, dass sich die „Gothic- Szene“ erheblich von anderen Jugendszenen unterscheidet. Ist es überhaupt eine „Jugendszene“?
Ist es nicht vielmehr so, dass die Menschen, die einmal in ihr „gefangen“ scheinen, nicht mehr von ihr loskommen und dieser ein Leben lang anhaften? Es gibt in der Tat einige Anhaltspunkte, die diesen Schluss zulassen. Interessanterweise ist ein Großteil der älteren Szenegänger etwa 40 Jahre alt, also genau so alt, dass sie zu dem Zeitpunkt, als die Gothic- Musik entstand, in einem Alter waren, in dem sie entsprechende Clubs besuchen konnten.
Dies lässt den Schluss zu, dass sie ihrer Szene seit jener Zeit treu geblieben sind, weit über das Jugendalter hinaus.
Wenn das so ist, dann wäre interessant zu erfahren, warum diese Treue besteht.
Weiter werde ich die provokante Frage stellen, ob die Schwarze Szene tatsächlich ein „Sammelbecken“ für Depressive und Neurotiker ist.
Die Frage mag auf den ersten Blick etwas befremdlich wirken, allerdings wird sich dieses Befremden im weiteren Verlaufe dieser Arbeit relativieren.
Doch dazu später mehr.
Die o.g. Fragen sind nur eine kleine Auswahl an Themen, mit denen wir uns hier beschäftigen werden. Im Fokus der Betrachtungen stehen die von mir aufgestellten Hypothesen.
Als eine größere Schwierigkeit bei der Suche nach Antworten erweist sich die Tatsache, dass es sich bei der „Gothic- Szene“, im wahrsten Sinne des Wortes um eine „echte“ Subkultur handelt, die es erfolgreich schafft, sich weitestgehend, bis auf wenige Ausnahmen, der Öffentlichkeit zu entziehen.
Es zeigt sich, dass sich die „Gothics” vornehmlich zu Zeiten frei bewegen, in denen sie schon aufgrund ihrer bevorzugten Kleidungsfarbe kaum wahrnehmbar sind.
Eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Szene findet vielfach nur unter Zuhilfenahme stereotyper Vorurteile statt.
Die wenigsten „Normalbürger” werden sich in einen „Schwarzen” Club trauen, es sei denn, sie geraten zufällig hinein, oder werden von jemanden, meist einem Szenekenner, dazu überredet, wo sie dann zumindest die Möglichkeit für sich erschließen würden, einen Einblick zu gewinnen. Nur wird dies nicht ausreichen, um die Hintergründe dieser Subkultur zu verstehen. Häufig gestellte Fragen sind:
„Was machen die nur da“? „Was finden die an dieser Musik“? An diesem Punkt begegnet einem bereits wieder das große Manko vieler Forschungsansätze.
Beim Lesen der wissenschaftlichen Literatur fällt auf, dass die angestrebte „Objektivität“ und „Unvoreingenommenheit“, aber vor allem die offensichtliche „Szenefremdheit“ der Forscher dazu führt, dass wichtige Aspekte übersehen oder schlichtweg übergangen werden. Es genügt nicht, die „Gothic- Szene“ als nur eine von vielen, als teilnehmender „neutraler“ Beobachter zu betrachten und eventuell noch Szene- Mitglieder zu befragen, was sich größerer Beliebtheit zu erfreuen scheint, sondern es ist hilfreich und notwendig, den Ansatz aus der Szene heraus zu entwickeln. Zumindest dann, wenn man den Anspruch erhebt, nicht nur die halbe Wahrheit kennenzulernen.
Was dies im Einzelnen bedeutet und wie dies geschehen soll, dazu komme ich im 5. Kapitel.
Im Vordergrund stehen zunächst die zentralen Hypothesen, die ich bewusst an den Anfang dieser Diplomarbeit stelle und auch als solche vor Beginn derselben aufgestellt habe. Am Ende soll ersichtlich werden, ob sich diese verifizieren lassen oder nicht. Ich stelle folgende Hypothesen auf:
Die Gothic- Szene ist ein Zufluchtsort depressiver Persönlichkeiten.
Schwarze Musik wirkt therapeutisch, als Kompensationsstrategie neurotischer Erscheinungen und negativer Lebensereignisse.
Schwarze Musik ist ein Transportmedium negativ empfundener Emotionen und Gefühle.
Nachhaltige Empfänglichkeit für Schwarze Musik setzt eine neurotische Konstitution voraus.
Gothics sind bindungsarm und zeigen sozial destruktives, dissoziales Verhalten.
Der Zugang zur Schwarzen Szene setzt ein negatives, traumatisches Lebensereignis voraus.
Die...