KAISER UND MESSIAS
Schon im Mittelalter werden die Staufer-Kaiser zum Mythos – meist verherrlicht, aber auch verteufelt. Barbarossa entwickelt sich zum Helden der Deutschen, vor der Reichsgründung 1871 verkörpert er die politische Sehnsucht der Nationalbewegung.
Von Annette Großbongardt
Fünf Jahre lang gruben sich die Fürstlich-Schwarzburgischen Kumpel nun schon in den Berg am Südwestrand des Kyffhäuser-Gebirges, ganze 178 Meter tief hatten sie sich hineingearbeitet, doch den begehrten Kupferschiefer immer noch nicht gefunden. Da plötzlich, es war im Dezember 1865, vier Tage vor Weihnachten, brachen sie mit ihren Pickeln durch eine Wand, hinter der sich ein geheimnisvoller Hohlraum öffnete. Im Schein ihrer Grubenlaternen erblickten die Bergleute bizarre Gipsgebilde an Decken und Wänden. Sie hatten eine riesige Höhle aus Anhydrit-Gestein entdeckt, die sich in vielen Verzweigungen, so zeigte sich, über 13 000 Quadratmeter erstreckte.
Der Fund war so sensationell, dass bereits drei Wochen später die erste Gruppe durch die Höhle geführt wurde. Über 2600 Besucher kamen allein im ersten Jahr. Das Mineral Anhydrit quillt unter Feuchtigkeit auf und verwandelt sich, in phantastische Formen berstend, zu Gips.
Aber da war noch etwas anderes, das zur Faszination beitrug: Erzählte nicht die Sage, dass der legendäre Kaiser Barbarossa in einer unterirdischen Zuflucht schlafend darauf warte, im rechten Moment das deutsche Kaisertum zur Vollendung zu führen? Dass dieses Versteck im Harz, im Kyffhäuser, liegen könne, hatte bereits um 1421 der Geschichtsschreiber Johannes Rothe in seiner »Thüringischen Chronik« beschrieben. Er berichtet darin von einem »ketzerischen Glauben«, nach dem »Keißer Frederich noch lebe unde der her wander zu Kuffhußen yn Doringen uf dem wüsten Sloße«.
War die Felsengrotte mit ihren sonderbaren Gipsausformungen vielleicht dieses »wüste Schloss«? 1891 wurde die inzwischen sorgfältig vermessene Höhle mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet – gerade rechtzeitig vor dem eigentlichen Ansturm. Denn zehn Kilometer weiter im Kyffhäuser-Gebirge wurde gerade ein Denkmal von nationaler Bedeutung errichtet: eine Heldengedenkstätte für den verstorbenen Kaiser Wilhelm I., der hoch erhoben und zu Ross über einer mächtigen Steinskulptur des Stauferkaisers Barbarossa thront.
Der Kyffhäuser – auf Ruinen der alten Reichsburg aus Stauferzeiten steht das 1896 eingeweihte Monument, das Kaiser Wilhelm I. als Vollender der Reichsidee Barbarossas feiert.
Hier, in den Ruinen der mittelalterlichen Reichsburg Kyffhausen, sollte die kaiserliche Linie von den Hohenzollern zurück zu den Staufern für alle sichtbar gezogen werden. »Auf dem Kyffhäuser, in welchem nach der Sage Kaiser Friedrich der Rotbart der Erneuerung des Reiches harrte, soll Kaiser Wilhelm der Weißbart erstehen, der die Sage erfüllt hat«, heißt es in der Urkunde zur Grundsteinlegung im Mai 1892 – Barbablanca, der Heldenkaiser, der 1871 endlich die langersehnte Einheit der Deutschen zustande brachte.
Und in der Anhydrit-Höhle, die längst offiziell zur »Barbarossa-Höhle« erklärt war, stand nun ein steinerner Thron für den Kaiser mit Tisch davor, durch den, wie die Sage erzählt, sein Bart schon hindurchgewachsen ist. Die Rottlebener Höhle in der idyllischen Landschaft knapp 70 Kilometer nördlich von Erfurt kann man heute besichtigen, das Wilhelm-Denkmal »Für Kaiser und Reich« ist zum Museum geworden, inmitten der wunderschönen Kulisse der Burgruine. Der Kyffhäuser mit seinem gigantomanischen Denkmal markiert den Höhepunkt einer nationalen Überhöhung der Staufer, die das schwäbische Herrschergeschlecht zum Urbild des deutschen Kaisertums erhob.
Die Staufer waren – und sind – so beliebt wie keine andere Dynastie des Mittelalters, kein Ottone, kein Salier konnte es je mit ihnen aufnehmen an Popularität. Sie alle, ob Friedrich I., Barbarossa, Heinrich VI., Friedrich II., seine Söhne Manfred, Enzio und Heinrich, der arme Konradin, wurden zu Helden unzähliger Dramen, Balladen und Gedichte, die meisten sind heute vergessen.
Warum gerade diese Familie schwäbischer Herzöge, die sich selbst erst in der Zeit Friedrichs II. als Staufer bezeichnen? Ihr Aufstieg beginnt im Jahr 1079, als der Salier Heinrich IV. aus machtpolitischem Kalkül den jungen Grafen Friedrich, einen treuen Gefolgsmann, zum Herzog von Schwaben macht und ihm seine Tochter Agnes zur Frau gibt. Stammsitz des Schwiegersohns wird die Burg »Staufen« auf dem Hohenstaufen, der Name geht später auf die Familie über. Der erste Staufer, dem es nach etlichen Wirren gelingt, von den deutschen Fürsten einhellig zum »König des römisch-deutschen Reiches« gewählt zu werden, ist Konrad III. 1138 ist das, und nun regiert die Dynastie fast 130 Jahre lang, bis der gerade 16-jährige Konradin im Kampf gegen Karl von Anjou und den Papst unterliegt und hingerichtet wird.
Was hebt die Staufer ab von anderen Herrscherhäusern? Warum spielen nicht Karl der Große oder Kaiser Otto I. diese prominente Rolle in der Saga der Deutschen? Die Staufer, sagt der Heidelberger Historiker Bernd Schneidmüller, eignen sich jedenfalls besonders gut dazu, »nationale, ja übernationale Größe zu zelebrieren«. Karl der Große und die Karolinger, so Schneidmüllers Argumentation, sind noch nicht deutsch, sie sind Franken. Die Ottonen stehen noch im Übergang von der fränkischen Welt zum Europa des Mittelalters, im 10. Jahrhundert fehlt auch noch der wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung, der die Staufer-Welt auszeichnet. Und die Salier, das nächste große Geschlecht, verschleißen sich im Riesenkonflikt mit dem Papsttum, dem Investiturstreit, der Heinrich IV. zum Gang nach Canossa zwingt.
Die staufischen Fürsten Barbarossa und Friedrich II. sind aber auch ungemein markante Kaisergestalten, Schneidmüller spricht von »charismatischer Herrschaft«. Sie leuchtet umso heller, je länger sie zurückliegt. Vor allem Barbarossa wird zum glorifizierten Inbegriff des mächtigen, schwertumgürteten Königs. Von Friedrich II., dem schillernden Deutsch-Italiener, schwärmt Nietzsche als einem der »zauberhaften Unfassbaren und Unausdenklichen«, in ihm sieht er den »ersten Europäer nach meinem Geschmack«.
Die Staufer-Begeisterung hat Dichter wie Historiker über Jahrhunderte befeuert, ihre Epoche gilt manchen gar als Höhepunkt der deutschen Geschichte. Tatsächlich verbindet sich mit den Staufern die Glanzzeit der hochmittelalterlichen Architektur und Literatur, der höfisch-ritterlichen Kultur, des Burgenbaus. Der Aufbruch der Wissenschaften ereignet sich ebenso in diesen Jahrzehnten wie der Aufschwung der Städte und des Handels.
Vor der dekorativen Kulisse von Burgen und Ritterturnieren liefern die Staufer erstklassigen Stoff für Heldensagen vom Aufstieg und Fall eines Königsgeschlechts, mit allem, was dazugehört. Krieg, Triumph und Demütigung, Mord und Intrige, Liebe und Heiratspolitik. Große historische Mythen überdauern nur, sagt Staufer-Kenner Schneidmüller, »wenn sie für jedes Jahrhundert sozusagen frisch anknüpfungsfähig sind«. Auf die Friedrichs und Konrads trifft das zu. Das schwäbische Herrschergeschlecht erweist sich durch fast alle Epochen hindurch als immer wieder neu interpretierbar. Jede Epoche nahm sich, was sie brauchte – die Reformation den Widerstand gegen die Päpste, die Romantik den Minnesang und die höfische Kultur, die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts die Reichsidee. Sogar die Nazis fanden einen Weg, die Staufer propagandistisch einzuspannen.
Der Staufer-Mythos entstand nicht erst in der Neuzeit, sondern bereits im Mittelalter. Schon zu Lebzeiten wird Friedrich II. überhöht zum »größten unter den Fürsten«, zum »stupor mundi«, dem »Staunen der Welt«. Kräftig nährt er selbst den Personenkult um sich. »Kaiser Friedrich II., immer erhabener Caesar der Römer, König Italiens, Siziliens, Jerusalems, des Arelats; der Glückliche, der Sieger, der Triumphator«, nennt er sich etwa im Vorsatz seines Gesetzbuches für Sizilien, das er 1231 veröffentlichen lässt.
Sein Großvater Barbarossa engagiert als Hofchronisten einen der bekanntesten Geschichtsschreiber der Zeit: Bischof Otto von Freising, ein Onkel des Kaisers. In dessen Auftrag verfasst er 1157/58 eine propagandistisch gefärbte Chronik der »Gesta Frederici« (»Taten Friederichs«), in der die Staufer zu Erfüllern des göttlichen Willens stilisiert werden. Lobpreis über alle Maßen spendet der zeitgenössische Kölner Vagantendichter Archipoeta: »Kaiser Friedrich, in der Welt bist du Herr der Herren, dass Posaunen dir des Feindes Burgen niederzerren. Wir verneigen uns vor dir, Ameise wie Tiger, Busch und Zeder Libanons beugen sich dem Sieger.«
Bloß im Ausland ist Barbarossa herzlich unbeliebt. Denn angesichts ihres Expansionsdrangs wächst auch Abwehr gegen die Deutschen. Damals entsteht das Bild vom »barbarischen, ungezügelten und plumpen Deutschen«, die Angst vor dem »furor teutonicus« nimmt Gestalt an. »Wer hat die Deutschen zu Richtern über die Nationen bestellt?«, erzürnt sich der englische Philosoph Johann von Salisbury, papsttreuer Bischof von Chartres, als Barbarossa 1160 einem Gegenpapst an die Macht verhilft. »Rohe und gewalttätige Menschen« nennt er die Deutschen.
Für die Mailänder und den norditalienischen Lombardenbund, die sich mit Unterstützung des Papstes von dem schwäbischen Herrscher freikämpfen wollen, ist Barbarossa ohnehin der hässliche Deutsche. Der Kaiser lässt ihre Auflehnung brutal niedermetzeln. Gegen Ende seiner 38-jährigen Regentschaft kriselt seine Macht, da verhilft ihm sein tragischer Tod in einem anatolischen Fluss, der ihn auf dem Kreuzzug ereilt,...