Am Anfang war der große Knall, der Urknall. So lautet noch immer die gängigste Theorie über den Beginn des physischen Universums. Ob das zugleich der Endpunkt der Kontraktion eines früheren Universums war oder ein absoluter Anfang, wissen wir bislang nicht. Das ist übrigens auch in der Bibel nicht klar geregelt. Geregelt ist, daß die Schöpfung den Rahmen setzt für alles, was in unserer Lebenswelt passieren kann und wird. Die Schöpfung verleiht auch dem gesamten ersten Buch des Pentateuchs seinen Namen: Genesis. Eine stille, ungeschriebene Voraussetzung gibt es aber doch, ohne die die Dynamik des gesamten Prozesses nicht verstanden werden kann. Nennen wir sie einmal so: die Geschichte der Welt und des Menschen nimmt ihren Ausgang in der Einheit Gottes. Vielleicht können wir uns das als eine unvorstellbar große Konzentration von Energie vorstellen. Aus diesem Zustand, noch vor der Existenz von Raum und Zeit, kanalisiert sich die erste Schöpfungstat: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde“; das ist der „Urknall“ des biblischen Kosmos. Dabei entsteht nicht einfach eine Welt. Mit Himmel und Erde wird eine grundlegende Dualität geschaffen. Am Anfang war die Zwei. Zeitangaben werden hier noch nicht gemacht. Erst danach wird der weitere Verlauf der Schöpfung in einer Folge von Tagen erzählt. Sechs Tage dauert sie, und am siebten ist sie vollendet. Es ist allerdings fraglich, wie weit es sich bei den Tagen tatsächlich um Zeitangaben handelt. Sie enthalten wohl vielmehr die Information über eine Struktur; und die ist auch in jeder Bibelübersetzung sichtbar (Genesis 1:1-2:4):
Einheit bei Gott
Am Anfang schuf Gott eine Zweiheit: den Himmel und die Erde
Tag 7/ Schabbath: Vorwegnahme der Rückkehr in die Einheit bei Gott
Tag 8: Einheit bei Gott
An sechs Tagen werden acht Teilaspekte der Natur geschaffen, die dual aufeinander bezogen sind. Genauer gesagt werden in zwei Zyklen zu je drei Tagen jeweils vier Schöpfungstaten genannt (vgl. F. Weinreb, Schöpfung im Wort, 34-40). Die zwei Schöpfungszyklen bilden folgerichtig auch in sich eine Dualität. Wie Gott seine Energie zum Einsatz bringt, umschreibt die Bibel als Schöpfung durch das Wort: „er sprach“… und „es ward“. Auf diese Weise entsteht eine ganze Hierarchie von Dualitäten: Licht und Finsternis – erster Tag, die Wolken oben und ein Urmeer unten – zweiter Tag; und am dritten Tag gibt es eine zweifache Dualität mit Land und Meer sowie zwei Grundarten von Pflanzen. Der zweite Zyklus wirkt wie die Konkretisierung des ersten. Das Entstehen von Sonne, Mond und Sternen am vierten Tag korrespondiert mit der Scheidung von Licht und Finsternis am ersten. Die Funktion der Himmelslichter besteht nun darin, Tag und Nacht zu regieren, also die helle und die dunkle Zeit zu unterscheiden, was Voraussetzung ist für die Einteilung von Tagen, Monaten und Jahren und damit für jeden Kalender. Die Bildung der Vögel und Meerestiere am fünften Tag bezieht sich auf die Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments vom zweiten Tag zurück. Am sechsten Tag gibt es keine direkte inhaltliche Parallele, aber die verdoppelte Dualität des dritten Tages kehrt wieder. Tiere und Pflanzen entstehen in einer Unterscheidung, die für das Überleben des Menschen wichtig sein wird: Wild und Herdentier sowie Pflanzen allgemein und Pflanzen mit für den Menschen eßbaren Früchten. Und schließlich wird der Mensch geschaffen in männlichem und weiblichem Geschlecht.
Nun haben ja nicht nur die Menschen unterschiedliche Geschlechter, sondern viele Tier- und Pflanzenarten auch. Beim Menschen aber hebt die Bibel diesen Umstand so stark hervor, als handele es sich um zwei eigene Spezies. Dies hat weniger damit zu tun, daß Männer und Frauen auf bestimmte Rollen festgelegt werden sollen, sondern vielmehr mit einem alten Symbolismus. Auch andere Kulturen jenseits des biblischen Kontextes integrierten schon früh die biologischen Geschlechter in die umfassendere Konzeption eines kosmischen männlichen und weiblichen Prinzips. Der Mensch ist danach als Mann und Frau in Teilhabe am männlichen und weiblichen Urprinzip gestaltet. Diese Urprinzipien sind ihrerseits in der Einheit bei Gott aufgehoben und gliedern sich erst in der dualen Welt auseinander. Seit der Neuzeit hat sich das, was als Realität wahrgenommen wird, stark auf mechanische und kausal begründbare Vorgänge verengt. Im Zuge dieses Prozesses wurde das Bewußtsein um eher synthetisch und intuitiv erschlossene Qualitäten von Lebewesen und Dingen, von Orten und Zeiten in die Randzonen unserer Kultur verdrängt. Männlich und weiblich im kosmischen Maßstab – das kennt immerhin noch die Astrologie. Zu ihren Grundsymbolen gehören die Tierkreiszeichen, die sich in sechs männliche (Widder, Zwillinge, Löwe, Waage, Schütze, Wassermann) und sechs weibliche Zeichen (Stier, Krebs, Jungfrau, Skorpion, Steinbock, Fische) aufgliedern. Diese bilden erst zusammen das gesamte Spektrum der Zeitqualitäten im kosmischen Spiel der Kräfte ab.
Die Welt entsteht und entwickelt sich also ausgehend von einer immensen Konzentration an Energie, die traditionell begrifflich in Worte wie „Einheit bei Gott“ gefaßt werden kann. Daß alle Lebewesen und Dinge der Welt auch wieder in diese Einheit eingesammelt werden, ist symbolisch mit dem siebten Tag verbunden. Am siebten Tag wird nichts mehr erschaffen. Von ihm heißt es nur, daß er gesegnet sei als der Tag, an dem Gott von seinem Schöpfungswerk ausruhte. Das klingt scheinbar passiv; tatsächlich aber wirkt er unmittelbar auf die weitere Entwicklung der Schöpfung ein. Der siebte Tag gliedert die Zeit und gibt ihrem Lauf Richtung und Dynamik. Der Rhythmus wird sichtbar in der langfristigen Beobachtung von Sonne und Mond. Die Jahre werden bekanntlich am Lauf der Erde um die Sonne bestimmt, die Monate aber am Lauf des Mondes um die Erde. Die Zusammenfassung der Tage in Wochen ergibt sich da aus zwei Faktoren: Zum einen können die etwas mehr als 29 Tage dauernden Mondmonate ungefähr in vier mal sieben Tage unterteilt werden. Im Mittel sind es ja 28 Tage, sofern die reine (syderische) Umlaufzeit des Mondes 27,3 Tage, sein (synodischer) Umlauf bis zur Wiederholung der gleichen Mondphase aber 29,5 Tage beträgt, weil die Erde dann inzwischen auch ein Stück weiter um die Sonne gewandert ist. Zum anderen lassen sich die Monate in den Rhythmus der von der Sonne vorgegebenen Jahreszeiten einordnen. Die astronomischen vier Jahreszeiten beginnen mit den Tagundnachtgleichen im Frühjahr und Herbst und den Sonnenwenden in Sommer und Winter. Die Jahreszeiten selbst dauern dann jeweils drei Monate mit circa vier Wochen zu je sieben Tagen. Das alles zusammen führt zu einer natürlichen Einteilung der Tage in Siebenereinheiten. Auf Basis dieser kosmologischen Rhythmen begründet die Bibel den steten Wechsel von Arbeiten und Ruhen auch im menschlichen Leben und Streben. Dieser Wechsel ist nicht gleichzusetzen mit einem bloßen Hin- und Herschwingen zwischen Aktivität und Passivität. Qualitativ kann der siebte Tag eine sehr aktive Zeit sein, aber auf keinen Fall eine schöpferische. Etwas Neues zu generieren, ob geistig oder materiell, ist dem Arbeitsalltag der anderen sechs Tage vorbehalten. Der Sinn des siebten Tages besteht für den Menschen darin, sich gerade mit seinen Fähigkeiten, die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheiden und immer auch von der Natur zu entfremden drohen, bewußt in ihre Rhythmen einzufügen. In der Struktur der Natur zeigt sich die Sieben auch an anderen Stellen als eine Grundzahl. Das können wir zum Beispiel in der Harmonielehre erkennen. Sieben Töne hat die Tonleiter. Das ist immer so, egal in welcher Tonart wir uns bewegen. Erst beim achten Ton beginnt die Tonfolge mit verdoppelter Frequenz (oder nach unten mit halbierter Frequenz) von vorn. Der achte Ton ist immer wieder ein erster. Wenn für uns ein siebter Tag vorbei ist, beginnt auch alles wieder von vorn, wieder mit einem ersten Tag. Ein echter achter Tag müßte eine ganz neue Qualität haben und in eine andere Existenzform führen, von der uns der siebte Tag nur eine Ahnung geben kann.
Es ist bemerkenswert, was Gott am ersten siebten Tag der Weltgeschichte tut: er ruhte aus von all seinen Werken (Genesis 2:2-3; vgl. Exodus 20:10f.). Ob Gott wirklich eine Siesta nötig hat? Viele Theologengenerationen haben solche Vergleiche mit menschlichen Eigenheiten bereits kontrovers unter dem Fachbegriff des Anthropomorphismus diskutiert – der Menschenförmigkeit. Die Antwort darauf, ob Gott wohl Nase, Ohren und Arme habe, um die Opfergaben zu riechen, die Gebete zu hören und in die Geschichte einzugreifen, liegt beim Menschen allein. Gott läßt das alles unberührt. Der Mensch allein braucht die Anschaulichkeit, um sich selber besser zu verstehen. Um sich selbst besser verstehen zu können, zeigt die Bibel ihm, woran er sich messen kann: als Geschöpf „im Bild und Gleichnis“ Gottes (Genesis 1:26) – das ist Gleichnis nur im Handeln, nicht im Aussehen. Daran wird er testen können, wie weit es ihm gelingt, das Vorbild Gottes tatsächlich nachzuahmen. Am siebten Tag ruhen idealerweise auch menschliches Tagewerk und menschliche Schöpferkraft. Der siebte ist der einzige Tag, der im Hebräischen auch einen Namen hat: Schabath. Das dazu gehörige Verb...