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Die Szenekultur der Lolitas im Spiegel der Gothic & Lolita Bible

AutorSandra Grimme
VerlagArchiv der Jugendkulturen Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl94 Seiten
ISBN9783943774771
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Angelehnt an die Kunstfigur der 'Lolita' existiert ein Szenestil, der bisher über die Grenzen Japans hinaus kaum bekannt ist. Zentrales Medium dieser Szene ist die Zeitschrift Gothic & Lolita Bible, die als taktgebend für die 'dos' und 'don'ts' dieser Stilrichtung angesehen wird. Die Arbeit bietet eine eingehende Analyse dieser Zeitschrift und zeigt anhand zahlreicher Abbildungen, wie Mode und Inszenierung der 'Lolitas' ihren Anhänger_innen präsentiert werden. Unter den Kategorien 'Punk-Lolita', 'Gothic-Lolita', 'Sweet Lolita' und 'Classic Lolita' werden die Ausdifferenzierungen und Nuancen dieser Szenekultur erklärt. Ebenso wird Einblick in die soziale Struktur der Leser_innenschaft der Gothic & Lolita Bible gegeben und lässt Rückschlüsse auf die aktuelle Situation japanischer Jugendlicher zu, die sich in zunehmendem Maße mit identitären Verunsicherungen und biografischen Bruchstellen auseinandersetzen müssen.

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Leseprobe

3. Was ist eine Lolita?


Das „gosurori fasshon yōgo jiten“ [Gothic- und Lolita-Mode Glossar] beschreibt „Lolita Couture“ als Mädchenbekleidung mit Puffärmeln, Perlenknöpfen, Spitzen oder Rüschen verzierten Blusen, Kleidern oder Röcken sowie Sachen, die einen Hauch von Prinzessin suggerieren (SUZUKI 2000: 50). Auch Ueda schreibt ähnliches im Vorwort ihres Buches rorīta ishōdōraku – Lolita Fashion Fancier. Sie fügt hinzu, dass sich der in Japan entstandene Stil am europäischen Barock, Rokoko und der viktorianischen Zeit orientiert und die Trägerin das Ebenbild einer Märchenprinzessin ist (2005: 2-3).

Lange bevor es die G&LB auf den Markt geschafft hat, gab es diese Art von Bekleidung schon. Bereits in den 1970ern wurden Firmen gegründet wie MILK (1970), Pink House (1971), Shirley Temple (dazu gehört auch Emily Temple Cute, 1974), Jane Marple (1975) und Pretty (1979). (TAKE 2007: 32-33) Doch damals waren es eher romantische Details im Design, die lolitahaft anmuteten, von Lolita-Mode sprach noch niemand (MATSUURA 2007: 44-45). Es dauerte, bis sich weitere Marken entwickelten. Als nächstes folgte Baby, the stars shine bright, 1988 gegründet von Isobe Akinori, der wesentlich zu dem heutigen Look der Mode beigetragen hat (TAKE 2007: 32-33).

In den 1990ern boomte der bijuaru kei (Visual Kei)14 mit Bands wie X-Japan und Malice Mizer, die beide für ihre opulenten Bühnenoutfits und ausdrucksvolle Schminke bekannt sind (ISHIKAWA/YOSHINAGA 2007: 1). Die meisten Visual Kei-Bands trugen zwar auffallende, aber männliche Mode, welches bei Malice Mizer nicht der Fall war. Mana (Abb. 17), Gitarrist von Malice Mizer, fing an, dienstmädchenähnliche Kostüme zu tragen und gründete 1999 sein eigenes Modelabel Moi-Même-Moitié mit den beiden Kollektionen „Elegant Gothic Lolita“ und „Elegant Gothic Aristocrat“ (TAKE 2007: 33). Die Begriffe „Gothic“ und „Lolita“ treten hier zum ersten Mal zusammen auf (ŌTSUKA 2007: 114).

Während des Visual Kei-Booms stieg auch die Anzahl der Modelabels, die Gothic & Lolita-Mode produzieren. Es folgten also Atelier Boz (1995), Putumayo (1996), Innocent World, Marble/Visible (1997, seit 2002 getrennt), Victorian Maiden (1999), Black Peace Now (1999), h.NAOTO (2000), Metamorphose (2000), Angelic Pretty (1979 als Pretty gegründet) und Excentrique (2001) (TAKE 2007: 32-33).

3.1 gosurori: Gothic & Lolita, Gothic Lolita oder Lolita?


Der genaue Ursprung des Namens ist ungeklärt. Auf den Straßen Harajukus tauchte der Begriff gosurori (Abkürzung von Gothic und Lolita) bereits 1998 auf. Zum ersten Mal trat der Name gosurori auf einem Flyer für eine Party zur Ehren der Wiederauferstehung der japanischen Szenezeitschrift yasō auf15 (ONOHARA 2004), die zwischen 1978 und 1998 eine Pause einlegte.16 Visual Kei-Künstler Mana machte gosurori mit seiner ersten Modekollektion 1999, bestehend aus „Elegant Gothic Lolita“ und „Elegant Gothic Aristocrat“, zum Massenbegriff (G&LB 2010: 52; ŌTSUKA 2007: 114).

Die Etiketten werden beliebig durcheinander verwendet, auch das „gosurori fasshon yōgo jiten“ [Gothic- und Lolita-Mode Glossar] der G&LB ist sich nicht ganz einig und wagt einen Versuch, die Begriffe „Gothic Style“, „Lolita Couture“ und „Lolita Fashion“ getrennt voneinander zu definieren. Immerhin behauptet der Verfasser, dass Gothic17 etwas mit europäischer Architektur des 12. Jahrhunderts zu tun hat und lange Gewänder getragen wurden. Die Ursprünge des Gothic-Stils werden im Buch Dracula von Bram Stoker und besonders in dessen Filmumsetzung in der Regie von Francis Ford Coppola gesehen. Wie vorhin schon angemerkt, wird „Lolita Couture“ als Mädchenbekleidung mit Puffärmeln, Perlenknöpfen, mit Spitzen oder Rüschen verzierten Blusen, Kleidern oder Röcken sowie Sachen, die einen Hauch von Prinzessin haben, beschrieben. Weiter wird die Mode mit Attributen wie mädchenhaft, niedlich und kindlich (wortwörtlich: 'nicht erwachsen') beschrieben und wird im gleichen Satz mit dem Roman Lolita von Vladimir Nabokov in Verbindung gebracht, auch wenn es sich dabei nur um den Namensursprung dieser Mode handelt (SUZUKI 2000: 50). Auch Onohara sieht in den Roman Lolita lediglich die Namensgebung. Tatsächlich liegt hier die Annahme, dass ein anderer weltberühmter Roman diese Mode geprägt hat, weitaus näher. Die Parallelen zwischen Lolita und der Figur der Alice, wie sie von Lewis Carroll erschaffen wurde, sind unübersehbar. Nicht wegzudenken sind die zahlreichen Motive, die von den Designern der Lolita-Mode in ihre Kleider und Designs eingeflossen sind. Ein weiteres Indiz für die Distanzierung von Nabokovs Lolita und der damit verbundenen Sexualisierung dieses Stils ist die unterschiedliche Schreibweise, die sich einige Protagonistinnen angeeignet haben. So wird aus rorita durch die Vokalverlängerung roriita, welches zum Teil als geschrieben wird statt oder (ONOHARA 2009: 3). Diese abgewandelte Schreibweise entstammt dem gleichnamigen Roman Takemoto Nobaras, welcher 2003 veröffentlicht wurde. Für diese These Onoharas habe ich jedoch keine weiteren unterstützenden Anhaltspunkte gefunden. Nabokovs Roman Lolita wird in Japan mit (rorīta) übersetzt und Internetrecherchen mit den Begriffen rorita oder rorīta ergeben beide viele Treffer, die sowohl der Lolita-Mode zuzuschreiben sind als auch Internetseiten, die pornografischen Inhalt haben. Auch die diversen Szenemedien, allen voran die G&LB, schreiben stets .

Onohara greift die Bedeutung von gosurori in ihrem Vortrag noch einmal auf. Aber auch hier zeigt sich, dass sowohl japanische als auch westliche Akademiker keinen dezidierten Wert auf eine genaue Begriffsdefinition legen. Es ist die Rede von „Gothic Lolita Fashion“ als Oberbegriff für einen Street Fashion Stil, der mit gosurori abgekürzt wird. Dass jedoch Gothic Lolita einen bestimmten Lolita-Stil bezeichnet, wird hier nicht klar. Onohara sagt selber dazu, dass dieser Begriff nur von Außenstehenden verwendet würde und nicht von den Trägerinnen selbst, die gosurori als abfällig empfänden. Häufig fühlten sie sich als Freak oder Monster behandelt (ONOHARA 2009: 3-4). Ueda dagegen definiert gosurori als eine Kategorie innerhalb der Lolita-Mode, welche aus der Vermischung von Gothic und Lolita entsteht (2005: 68).

Die Verwendung der verschiedenen Begriffe spiegelt sich u. a. in den vielen Onlineshops wider, die diese Mode anbieten. Der gosurori Begriff dient sowohl als Oberbegriff, und wird zum Beispiel in vielen Onlineshops18 und Auktionsseiten als Kategorie für die Mode angegeben, als auch als Bezeichnung eines bestimmten Stils innerhalb dieser Mode.

Tab. 02 Verbreitung der Modebezeichnung

Die Tabelle demonstriert die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung. Häufig wird „Gothic Lolita Punk“ als Sortimentsbeschreibung verwendet, wobei auf der Internetseite zur weiteren Navigation eine erneute Aufteilung gemacht wird zwischen Gothic oder Gothic Punk und Lolita. Die Grenzen zwischen Gothic, Punk und Lolita verlaufen dabei fließend. Meistens wird sogar eine Aufteilung nach Marken gemacht, die für die Beteiligten sofort erkennen lässt, um welchen Stil es sich handelt.

Der Begriff „Gothic & Lolita“ suggeriert eine Trennung, die rein modisch gesehen nicht haltbar ist. Beide Elemente vermischen sich zu stark, als dass sie zwei eigenständige Richtungen repräsentieren könnten. Es wäre zu einfach zu behaupten, dass die „Gothics“ und die „Lolitas“ zwei unterschiedliche Gruppen darstellen, die gemeinsam in einer Zeitschrift vertreten sind. Tatsächlich ist es so, dass die Anhängerinnen der Szene ihren Stil wechseln und dadurch beides verkörpern können. In Ausgabe 36 wird dies thematisiert, indem wichtige Szeneprotagonisten – wie Fans des Stils, vor allem aber auch Designer – angeben, zu wie viel Prozent sie sich mit Gothic oder mit Lolita identifizieren. Die wenigsten geben 100 % für nur einen der beiden Stile an (Abb. 02), was ein klares Indiz gegen eine Trennbarkeit der beiden Stile ist (G&LB 2010: 15-23). Außerdem ist das Verhältnis von Gothic (und Punk) als Thema in Relation zu Gothic Lolita und Lolita in der G&LB ziemlich gering. Folgende Abbildung veranschaulicht das Verhältnis der unterschiedlichen Stile:

Abb. 01 Verhältnis von Gothic Lolita und Punk Lolita zu Gothic, Punk und Lolita19

Ich habe mich für den Begriff „Lolita“ entschieden, da der größte Teil des Inhaltes der G&LB sich um diese Mode bewegt. Ich könnte Gothic und Punk Mode getrennt analysieren, aber da die Substile Gothic Lolita und Punk Lolita die gleichen Symbole und Zeichen verwenden, und die Grenzen ohnehin fließend sind, habe...

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