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E-Book

Die Tränen haben nicht das letzte Wort

Wege durch die Trauer

AutorJosef Dirnbeck
VerlagTyrolia
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783702234010
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mit dem Problem der Trauer ist früher oder später jeder konfrontiert. Ob Christ oder nicht, keinem bleibt die Trauerarbeit erspart. Sie bedeutet, die verschiedenen Phasen der Trauer zu durchleben - und diese sind mit Schock, dem Gefühl, aus der Bahn geworfen zu werden, dem Alleinsein, der Frage nach Schuld und auch der Wut gegenüber der geliebten verstorbenen Person verbunden. Und doch trauern gläubige Christen anders. Sie trauern mit Hoffnung. Josef Dirnbeck führt in diesem Buch aus, worin diese Hoffnung besteht und wie sie erfahrbar ist. Dabei greift er auf biblische Beispiele zurück, erzählt von Erfahrungen und der Schwierigkeit, an einen Gott zu glauben, der das Leid zulässt. Der Autor verweist als Beispiel auf den bekannten Psychotherapeuten Viktor Frankl, der trotz allem Ja zum Leben sagen kann und bringt mit einer Satire aus dem alten Rom die Konsequenzen auf den Punkt, wenn sich jemand nicht trösten lassen will. Dirnbeck versteht es, ohne oberflächliche und schnelle Trostzuweisungen dem ernsten Thema Trauer die Schwermut zu nehmen. Als Pate dafür stehen sein feines Gefühl, der Sprache einen gewissen Wortwitz zu verleihen und seine biblischen Grundlagen, mit denen er den Menschen Hoffnung vermitteln kann.

JOSEF DIRNBECK, geb. 1948, diplomierter Theologe, Mitglied des österreichischen PEN-Clubs und der Wiener Musikgalerie. Der Autor lebt als freier Schriftsteller in Wien und Nürnberg, publiziert seit vielen Jahren auf den Gebieten Theologie und Literatur (neben zahlreichen Büchern auch Hörspiele und Zeitungsartikel) und wurde für sein Schaffen mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Zahlreiche Bücher, zuletzt bei Tyrolia: Anstoß in Rom. So war das mit dem Konzil, 2. Auflage 2012.

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Leseprobe

ES VERSCHLÄGT
EINEM DIE SPRACHE


Am Heiligen Abend werden im Gottesdienst uralte Worte eines Propheten verlesen, die bei der Geburt im Stall von Bethlehem in Erfüllung gegangen sind: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.“1 Und im Evangelium wird gesagt, dass die Freude über die Geburt dieses Kindes „allem Volk“ zuteil werden soll.2 Kurze Zeit später sind allerdings ganz andere Töne zu hören.

Am dritten Tag nach Weihnachten steht das Gedächtnis der „Unschuldigen Kinder“ im Kalender. Da werden wiederum uralte Worte verlesen, die ein Prophet aus dem Alten Testament gesprochen hat und die ebenfalls im Zusammenhang mit der Geburt des Jesuskindes in Erfüllung gegangen sind. Aber von der großartig angekündigten Freude ist nichts mehr zu spüren.

Vom freudigen Ereignis zur Tragödie


Das Evangelium erzählt die schockierende Geschichte von einem König namens Herodes, der von Sterndeutern aus dem Osten Besuch bekommt. Als er erfährt, dass sich diese Leute in sein Herrschaftsgebiet begeben haben, um hier ein Kind zu finden, dem sie als neugeborenem König der Juden huldigen möchten, da versetzt ihn diese Information dermaßen in Panik, dass er blindwütig ganze Geburtsjahrgänge von Kleinkindern in Bethlehem und Umgebung ausrotten lässt, und am Ende des Berichtes heißt es: „Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist: Ein Geschrei war in Rama zu hören, lautes Weinen und Klagen: Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen.“3

Wie man sieht, ist es auch in der Weihnachtszeit, die so gerne als „fröhlich“ und „selig“ besungen wird, nicht anders als sonst im Leben: Geburt und Tod liegen nahe beisammen. Es begegnen uns Mütter, die eben erst unter Schmerzen ihre Kinder geboren haben und die diese zarten jungen Wesen, an denen ihr Herz hängt, schon bald darauf – wiederum unter Schmerzen, freilich unter ganz anderen und heftigeren Schmerzen – zu Grabe tragen müssen.

Das Wort von der Rahel, die sich nicht trösten lassen will, ist zur sprichwörtlichen Redewendung geworden. Frauen, denen es so geht, wie es der jüdischen Stammmutter gegangen ist, hat es immer wieder gegeben. Mütter, die um ihre Kinder weinen und sich nicht trösten lassen, kann man auch heute noch antreffen. Zum Beispiel auf einem katholischen Friedhof.

Ein kleiner Leichenzug bewegt sich zu einem kleinen Grab. Auch der Sarg ist klein. In ihm liegt ein Kind. Es hat nur acht Monate gelebt. „Plötzlicher Kindstod“, lautet die Diagnose.

Plötzlicher Kindstod


Die junge Frau, die hinter dem Sarg geht, ist untröstlich. Sie kann und will nicht begreifen, dass sie ihr Kind nun für immer und ewig hergeben soll. Sie fragt sich: „Warum musste dieses Kind sterben? Wie konnte Gott das zulassen?“ Und sie stellt die Frage: „Was ist das für ein Gott, der so etwas zulässt?“

Die trauernde Mutter, die hinter dem kleinen Sarg geht, hat sich ein besonderes Ritual ausgedacht, um sich von ihrem toten Kind zu verabschieden. Sie hat die Kleider und die Spielsachen des Kleinen auf ein Kissen gelegt und trägt sie vor sich her, um sie ihm mit ins Grab zu geben. Alle, die es miterleben, sind tief erschüttert. Man kann sich kaum vorstellen, dass das Leid, das diese junge Frau durchmacht, noch zu steigern ist. Und doch! Der Pfarrer bringt es fertig. Der Geistliche, der das Begräbnis hält, sorgt dafür, dass die Frau vor dem kleinen Sarg noch heftiger zu weinen beginnt.

Der Priester handelt keineswegs in böser Absicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist ihm in diesem Moment einfach eine Fehlleistung unterlaufen, ein Versprecher, wie er jedem einmal passieren kann. Oder aber er war nicht richtig informiert worden und hatte sich etwas Falsches auf seinem Zettel notiert. Er ahnt gar nicht, was er mit seinen Worten anrichten wird. Er verkündet nämlich der trauernden Gemeinde, dass das Kind, das heute begraben wird, „leider nur acht Jahre“ gelebt hat.

Acht Jahre statt acht Monate – dieses Wort fährt der Mutter wie ein Schwert durch die Seele. „Ja, wenn der kleine Michael wenigstens acht Jahre leben hätte dürfen“, denkt sie bitter, „das wäre ein Trost!“ Aber nicht einmal ein Jahr war ihm gegönnt. Schon nach acht Monaten war es mit ihm zu Ende. Und wiederum erfüllt sich das uralte Wort des Propheten: Eine Mutter weint um ihr Kind und will sich nicht trösten lassen.

Mit der Trauer sind nicht nur Mütter vertraut. Mit diesem Problem haben es alle Menschen zu tun. Ausnahmslos alle. Keiner kann sich ihm entziehen. Früher oder später ist jeder damit konfrontiert. Jeden Augenblick kann es aktuell werden. Von heute auf morgen kann es mich treffen. Sei es in der Form, dass ich selber der Trauernde bin und den Verlust eines Menschen zu beklagen habe, der mir viel bedeutet hat. Oder sei es, dass ein Mensch, der mir nahesteht, einen solchen Verlust erlitten hat, und ich nun gefordert bin, ihn in seiner Trauer zu begleiten, ihm beizustehen, ihm zu helfen, so gut es geht – falls es überhaupt geht.

Oft erlebt man in solchen Momenten eine große Hilflosigkeit. Man möchte gern helfen, fühlt sich aber selber genauso hilflos wie die Person, der man helfen will. Man weiß nicht, was man sagen soll. Es verschlägt einem die Sprache. Es bleibt einem im wahrsten Sinne des Wortes „die Spucke weg“.

Was sagt man zu einem Menschen, der einen tragischen Schicksalsschlag erlitten hat? Womit kann man ihn trösten? Ist es überhaupt möglich, mit Worten Trost zu spenden?

Das waren nur einige der Fragen, die Martin Gutl und mich beschäftigt haben, als wir seinerzeit darangegangen sind, gemeinsame Texte zu schreiben. Gutl war eben erst Studentenseelsorger geworden, und ich – der um sechs Jahre Jüngere – befand mich in der Schlussphase meines Studiums, da lernten wir einander kennen. Bald stellte sich heraus, dass wir etwas Bestimmtes gemeinsam hatten: Jeder von uns hatte begonnen, Texte ähnlicher Art über Themen ähnlicher Art zu schreiben – und so kamen wir auf die Idee, wir sollten versuchen, ein Buch miteinander zu schreiben.

Und jetzt?


Einer der ersten Texte, die auf diese Weise entstanden sind, bezog sich auf einen konkreten Fall – auf den plötzlichen Tod einer jungen Frau.

Jung war sie.

Vital war sie.

Intelligent war sie.

Tolerant war sie.

Hilfsbereit war sie.

Lehrerin war sie.

Studentin war sie.

Mutter war sie.

Christin war sie.

In einer großen Kurve
stießen die Autos zusammen.

Nach ein paar Stunden im Spital
war sie tot.

Achtundzwanzig Jahre alt
war sie.

Und jetzt?

Josef Dirnbeck / Martin Gutl4

Martin Gutl hatte die Tote, von der in diesem Text die Rede ist, persönlich gekannt. Er erzählte mir von dieser achtundzwanzig Jahre alten Familienmutter, die bereits im Berufsleben stand und nun auch noch ein Studium angefangen hatte. Aber jetzt war ihr Leben plötzlich zu Ende, weil sie das Opfer eines Verkehrsunfalls wurde und ihren schweren Verletzungen erlag, nachdem man sie aus dem zerbeulten Autowrack geborgen und ins Krankenhaus verfrachtet hatte. Gutl war tief erschüttert. „Es ist schrecklich, wenn du so etwas erlebst“, sagte er, „wenn du sehen musst, wie ein viel versprechendes Leben mit einem Schlag ausgelöscht worden ist.“

Nun ist es ja keineswegs so, dass solche Geschichten eine Seltenheit wären oder dass uns Vorfälle dieser Art immer im gleichen Ausmaß nahegehen würden. Tag für Tag sterben Menschen, die Opfer von Unfällen geworden sind – und nicht jedes Mal reagieren wir mit gleicher Betroffenheit. Außerdem gibt es unzählige Fälle, die weitaus tragischer und spektakulärer verlaufen. Warum ging uns dieser Unfalltod damals so sehr unter die Haut?

In erster Linie natürlich wegen der persönlichen Bekanntschaft, die zwischen dem Studentenseelsorger und der tödlich Verunglückten bestand. Hinzu kam, dass wir selber in jener Zeit ebenfalls noch so jung waren wie die Verstorbene oder – wie in meinem Fall – noch nicht einmal so alt. Der Gedanke lag also nahe, dass wir uns sagten: Das, was ihr passiert ist, hätte genauso gut jedem von uns passieren können.

Doch auch solche Überlegungen sind nichts Außergewöhnliches. Eigentlich denkt man so etwas in solchen Situationen ganz automatisch. Der springende Punkt war, dass es hier etwas gab, das uns theologisch herausforderte.

Die Frage nach dem Sinn


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