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Die Ursprünge der modernen Welt

Geschichte im wissenschaftlichen Vergleich

AutorJames A. Robinson, Klaus Wiegandt
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl688 Seiten
ISBN9783104001272
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Tempelruinen von Angkor Wat, die Pyramiden der Maya -Spuren einstmals blühender Kulturen. Warum nahm die Geschichte auf den verschiedenen Kontinenten einen so unterschiedlichen Verlauf? Der amerikanische Evolutionsbiologe Jared Diamond, der Politikwissenschaftler James Robinson und weitere renommierte Wissenschaftler ziehen historische Vergleiche und spüren den Kräften nach, die Geschichte in Bewegung versetzen.

James A. Robinson, geboren 1960,  ist Politik- und Wirtschaftswissenschaftler und Professor  an der Harvard University. Er ist der weltweit führende Experte für  Entwicklungshilfe, Lateinamerika und Afrika. Er arbeitete in Botswana, Mauritius, Sierra Leone und Südafrika. 2024 wurde er gemeinsam mit Daron Acemoglu und Simon Johnson mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Klaus Wiegandt ist Stifter und Vorstand des »Forums für Verantwortung«. Im Fischer Taschenbuch Verlag hat er bereits zahlreiche Bücher zum Thema Nachhaltigkeit herausgegeben.

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Leseprobe

Die Arten der Antworten


Wie können wir Antworten auf die oben gestellten Fragen geben? Welche Art der Erklärung stellt uns zufrieden? Die Gelehrten haben verschiedene Ansätze entwickelt, von denen einige in diesem Band vorgestellt werden. Eine grundlegende Dichotomie findet sich dabei zwischen so genannten proximaten und fundamentalen oder ultimaten Erklärungen. [3]Eine andere Dichotomie besteht zwischen Erklärungen, die Faktoren der Umwelt und der Geographie betonen, und denen, die auf soziale und kulturelle Umstände setzen.

Ich möchte diese Unterscheidungen durch die Betrachtung von zwei historischen Episoden illustrieren. Die Erste handelt von der berühmtesten Epoche mit anhaltendem Reichtum in der Geschichte, der Expansion der griechischen Stadtstaaten zwischen 800 und 300 vor Christus. Die Zweite betrifft das weniger bekannte wirtschaftliche Wachstum, das in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara – in der Sub-Sahara – als Folge der Ausbreitung von Feldfrüchten aus der Neuen Welt wie etwa Mais und Maniok in den Jahren nach 1500 zustande gekommen ist.

Wir richten unseren Blick zuerst auf das antike Griechenland, für das uns die Forschungen des Archäologen Ian Morris zur Verfügung stehen. [4]Dem Zusammenbruch der Minoischen und Mykenischen Gesellschaften um 1200 vor Christus folgte das dunkle Zeitalter Griechenlands. Mit den Jahren um 800 vor Christus begann jedoch eine Periode anhaltenden ökonomischen Wachstums. Morris schätzt aufgrund von Hinweisen auf die Lebenserwartung und die Größe der Häuser, dass das Pro-Kopf-Einkommen um 300 vor Christus 50100 % höher lag als fünfhundert Jahre vorher, was ein Wachstum von 0,07 oder 0,14 % pro Jahr ausmacht. Während dies im Vergleich zum Wachstum in England im Verlauf der industriellen Revolution gering erscheint – zwischen 1820 und 1920 ging es auf der Insel um 1,2 % pro Jahr aufwärts –, muss das griechische Wachstum für eine vormoderne Gesellschaft als schnell eingestuft werden. Der rasche ökonomische Aufschwung fiel zusammen mit einer großen Expansion der Bevölkerung, die von weniger als eine Million auf mehr als vier Millionen kletterte, mit zunehmender Urbanisation und natürlich mit einem unglaublichen Aufblühen von Literatur, Philosophie und Kunst, die alle viel zur Gestaltung der nachfolgenden Welt beitrugen.

Wie können wir diesen immensen Aufschwung erklären? Ein Ökonom würde beginnen, nach Produktionsfaktoren Ausschau zu halten. Wenn das Einkommen einer Gesellschaft steigt, dann muss der Ausstoß von Gütern und Dienstleistungen nach oben gegangen sein, was bedeutet, dass die Dinge, die zu diesem Output geführt haben, mehr geworden sein müssen. Die Schlüsselfaktoren der Produktion, die zu Zuwächsen in der Pro-Kopf-Produktion führen, sind neben dem »physikalischen« und »menschlichen Kapital« auch die Herstellungstechnologien. Unter dem »physikalischen Kapital« verstehen die Ökonomen die verfügbaren Maschinen, Werkzeuge, Gebäude und generell die »produzierten Mittel der Produktion«, zu denen in einer agrarischen Gesellschaft das angesammelte Saatgut gehört. Unter »menschlichem Kapital« verstehen die Ökonomen die Fertigkeiten, die Ausbildung und das Wissen, mit dem die Menschen ausgerüstet sind. Die Technologie der Produktivität deckt all das ab, das die Menge an Ausstoß beeinflusst, der mit einem gegebenen Kapitalvorrat möglich ist.

Was wissen wir von diesen Faktoren bei den alten Griechen? Die traditionelle Sichtweise besagt, dass zwar die Technologie sich in dieser Periode wenig änderte, dass sich aber die Produktivität aufgrund der Handelserweiterung steigerte. Zu dieser Expansion des Handels kam es sowohl um die Ägäis und das weitere Mittelmeer herum (mit griechischen Gemeinden in Sizilien zum Beispiel) als auch zwischen den Städten und dem Land, und diese Situation ermöglichte eine zunehmende Arbeitsteilung, die Adam Smith (1776) als Herzstück der Produktivitätssteigerung sieht. [5]Die Arbeitsfertigkeit des Menschen nahm auch zu. Zwischen 775750 vor Christus erfanden die Griechen ein neues Schriftsystem, und es gibt Hinweise darauf, dass möglicherweise bis zu 10 % der Population am Ende der betrachteten Periode damit umgehen konnten. Wir wissen nur wenig über die Akkumulation des physikalischen Kapitals, es scheint aber plausibel, dass der Bestand an Werkzeugen wie etwa einem Pflug zunahm, selbst wenn ihr Design sich nicht änderte.

Wir könnten somit sagen, dass Griechenland expandierte, weil es seine Produktivität erhöhte und Kapital ansammelte. Mit schriftkundigeren und produktiveren Arbeitern, denen mehr Werkzeuge zur Verfügung standen und die dank ihrer Spezialisierung mehr hervorbrachten, nahm der Output pro Person zu. Solch eine Erklärung liefert ein passendes Beispiel für eine proximate Erklärung in der Form, die Robert Solow 1957 neu in die Ökonomie eingeführt hat. [6]Doch solch eine proximate Erklärung führt zu der nächsten Frage, warum dies alles in Griechenland eintrat. Warum konnten die Griechen eine neue Schrift erfinden, Kapital ansammeln und die Produktivität steigern, während der Rest der Welt nicht weiterkam? Hierauf versucht man auf der nächsten Ebene – der ultimaten oder fundamentalen – zu antworten. Jared Diamond liefert ein einleuchtendes Beispiel dafür in seiner Diskussion der spanischen Eroberung des Inkareiches. [7]Einer der Hauptvorteile der Spanier bestand in ihrer besseren Technologie mit besseren Waffen, Schiffen und Schwertern aus Stahl. Dies liefert einen Teil der proximaten Erklärung für den Sieg der Spanier. Eine ultimate Erklärung muss verständlich machen, wie es den Spaniern gelungen ist, diese viel bessere Technologie und die dazugehörigen Waffen zu bekommen.

Fundamentale Erklärungen klingen »tiefer« als proximate, aber beide haben ihre Bedeutung, und es gilt, sorgfältig nach den grundlegenden Ursachen zu suchen. Proximate Erklärungen sind zum einen sinnvoll, weil sie einen Hinweis darauf geben, welche ultimate Erklärung nützlich sein könnte. So wird zum Beispiel ein großer Teil der ökonomischen und sozialen Theorie von der Idee beeinflusst, dass der technologische Wandel die Haupttriebkraft in Bezug auf den sozialen Wandel und die Änderungen im Lebensstandard ist. [8]Und doch zeigt ein proximates Verstehen der ökonomischen Änderungen im antiken Griechenland, dass eine Betonung von fundamentalen Faktoren, die technischen Wandel induzieren, in diesem Kontext irreführend ist. Wie der Beitrag von Webster in diesem Band am Beispiel der Zeit der klassischen Maya zeigt, war das antike Griechenland nicht der einzige Ort, an dem große Änderungen in sozialer Komplexität mit nur geringem technischem Wandel eintraten.

Grundlegende Erklärungen müssen zudem vorsichtig verwendet werden. Auf den ersten Blick scheint die Unterscheidung zwischen proximat und ultimat der Trennung zu entsprechen, die Sozialwissenschaftler zwischen endogenen und exogenen Variablen ziehen. Endogene Variable sind das, was eine Theorie erklären will – in der obigen Erörterung von Griechenland besteht die wesentliche endogene Variable im Einkommen oder im Pro-Kopf-Verbrauch. Einige Parameter liegen fest, und sie werden genutzt, um die zu erklären, die es nicht sind. Solche feststehenden Variablen sind die exogenen, was zu der Frage führt, was man in einer Theorie der Bestimmung des Pro-Kopf-Einkommens so nennen könnte. Die bisherige Diskussion legt nahe, dass damit die Kapitalanhäufung gemeint sein könnte. Aber die Perspektive der fundamentalen Erklärung besagt, dass wir auch die Kapitalanhäufung als endogen betrachten sollten, da wir sie benötigen, um etwas anderes zu erklären. Wenn wir uns von proximaten zu fundamentalen Theorien bewegen, ist das so, als ob wir die Schalen einer Zwiebel lösen. Das scheint den Gedanken nahezulegen, dass das, was proximate Theorien als exogen betrachten, unbefriedigend ist, dass wir uns mehr Mühe geben müssen, um die eigentlichen exogenen Variablen zu finden, mit denen sich das Pro-Kopf-Einkommen erklären lässt.

Doch wenn wir eine Schale von der Zwiebel entfernt haben, warum sollen wir an dieser Stelle aufhören? Warum nicht weitermachen? Was ist denn wirklich grundlegend? Das kann nur ein Faktor sein, der exogen in dem Sinne ist, dass er vollkommen außerhalb der Reichweite menschlicher Einflussmöglichkeiten liegt. Oder kann etwas, das Menschen ändern können und also potenziell endogen ist, zugleich auch fundamental sein? Die Antwort, die die meisten Gelehrten, die den fundamentalen Ansatz erbarmungslos verfolgen, geben, besteht in dem Hinweis, dass es eine einzelne grundlegende Erklärung für die vergleichende Geschichte gibt: Unterschiede in den Einkommen oder den sozialen und politischen Institutionen rühren von Unterschieden in der Ausstattung mit Geographie und Umwelt in den verschiedenen Teilen der Welt her. Tatsächlich löst der zitierte Morris das Rätsel des griechischen Ökonomiewachstums, indem er postuliert, dass es die zugrunde liegende Geographie des antiken Griechenland war, die den Seehandel und das Bevölkerungswachstum ansteigen ließ, die dann die dazugehörige relative ökonomische Leistungsstärke erklären können.

Die Gelehrten, die diesen Ansatz anwenden, verdanken der Theorie der Evolution sehr viel, die auf Charles Darwin zurückgeht. Zu den berühmten Beispielen der Evolution zählen die Finken der Galapagos-Inseln. Als Darwin auf diesen...

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