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E-Book

Die Welt als Keks und Krümel

Viel und wenig im Leben Philosophisches Sachbuch

AutorBoris Ferreira
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783732227822
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Was alles geschieht, wenn wir unser Leben bejahen wollen. Ein leichtes, aber ernstes Buch über die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Boris Ferreira Philosophie-Studium in Lissabon, Heidelberg und Wuppertal Dissertation über Stimmung Steuerberater-Berater Künstler Familienvater Tagebuchschreiber

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Leseprobe

Teil 2: Flut und Felsen


Strand


Von der Freude am Steigen und dem Absturz ins Nichts

In meiner Kindheit habe ich oft meine Sommerferien an einem Strand verbracht, zu dem ein großer Teil meiner Großfamilie regelmäßig fuhr. Ein Onkel von mir hatte eine kleine Yacht, und einer der Höhepunkte des Tages war jeden Vormittag, dass alle Cousins (und Cousinen, aber es gab nur sehr wenige davon) auf die Yacht durften. Die sah dann aus wie ein Flüchtlingsboot, so voll (oder so klein) war sie. Für ein oder zwei Stunden wurde eine Runde vor der Küste gedreht, manchmal mit einem Halt in einer Bucht, zum Tauchen (wovor ich Angst hatte). Die Yacht war wie gesagt klein, so dass das Ruderbötchen, mit dem insbesondere die Tanten zwischen Strand und Yacht transportiert wurden, während der Fahrt einfach an einem Tau hinter der Yacht herbaumelte. Für mich als Kind war es das Tollste, in diesem Bötchen zu sitzen und, etwa zehn Meter hinter dem Hauptboot, während der Fahrt geschleppt zu werden. Es war eine Motoryacht, und auf der Heckwelle ließ sich wunderbar reiten – links und rechts die Welle rauf, möglichst hoch.

Einmal bin ich über die Welle geraten und ins Jenseits gekippt. Ich möchte nicht in der Haut meiner Mutter stecken, als sie sich irgendwann nach mir umdrehte und nur das unbemannte Bötchen im Spiel der Heckwelle hüpfen sah. Die Yacht kehrte um, und ich wurde gerettet. Aber ich glaube noch zu erinnern, wie die Küste so weit weg war, die Wasseroberfläche so unermesslich breit erstreckt, die urplötzliche Einsamkeit panisch und lähmend zugleich.

Ich glaube nicht, dass dieses Ereignis traumatisch war. Aber es bleibt mir ein gutes Bild für die Nähe zwischen spannender Spitze und Sturz in einen Bereich jenseits aller Blicke.

Flut


Von der Erfahrung der Formlosigkeit als einem Extrem, vor dem mein Streben flieht. Überschwemmungsflut als dritte Metapher

Mir als zurückgelassenem Kind war die Entfernung zur Küste zu groß, als dass ich eine Verbindung dazu hätte aufbauen können; die Wassermasse des Meeres ist grundsätzlich nicht zu fassen; die anderen waren mit der Yacht schnell entschwunden; und so wandelte sich die Situation schnell in ein formloses bedrohliches Einerlei.

Das Formlose ist das, das sich nicht fassen lässt, das insofern auch keine Verbindung zu ihm ermöglicht – geschweige denn, dass es Halt gewähren oder ermöglichen würde. Das Amorphe hat in der Geschichte meist Horror ausgelöst.

Dass das Amorphe keinen Halt ermöglicht, ist natürlich nur ein Problem, wenn ich nicht sowieso einen Halt habe – aber wer hat den schon, dauerhaft?

Wenn ich mir Überschwemmungsbilder der von Monsunregen betroffenen Gebiete anschaue, trifft mich – neben dem Mitleid und dem Horror vor dem Verderben – die Orientierungslosigkeit in diesem breiigen Einerlei dieser Kilometer grau-brauner Masse aus Wasser, Ästen, Utensilien, Tierkadavern. (Wäre man in einem Hubschrauber, als gerade Geretteter oder nur als Zuschauer, hätte man vielleicht keine Orientierung, aber das würde einen nicht stören, man hätte seinen Halt von woanders her.)

Wie das einsame Kind im Atlantischen Ozean zu weit entfernt von der Küste stelle ich mir vor, dass man in der Überschwemmung schnell vereinsamt – ganz auf sich geworfen ist. (Es geht hier nun um meine Phantasie und die Kraft dieses Bildes; ich erhebe keinerlei Anspruch darauf, die Erfahrung eines Überschwemmungsopfers wiederzugeben.) Das Ich aber pocht vielleicht wie das Herz eines erschreckten Kleintiers und meldet sich dadurch – nahezu alles ist diese Meldung –, aber diese Meldung hat kaum Inhalt, da sie keine Grenze findet. Das Ich steht (oder schwimmt) alleine da – nicht in einer Abgrenzung zu irgendetwas, denn das andere ist zu amorph. Das Ich ist dringlich da, pochend und einsam auf sich selbst geworfen, aber es ist ein breiiges und dumpfes, amorphes Ich. Meine Grenze gibt es nicht. Um mich herum nichts Fassbares, wenigstens nichts, das Halt geben würde, und so gibt es auch gar keinen Zwischenraum zwischen mir und anderem.

Nehmen wir das nun ohne die Dramatik des Ertrinkens. Es muss nicht der graue Fluss des Alltags sein. Aber oft genug erfahre ich mich in einer formlosen Unbedeutsamkeit – niemand sieht mich (auch ich mich selbst nicht), ich werde nirgendwo gespiegelt, ich fühle mich nullig. Ich bin verirrt an einem Ort, an dem noch nicht einmal meine Schritte mehr zurückhallen.

Einsam, ohne Kontur, grau-unförmig, ist es mir durch den Mangel an fassbarem Gegenüber wiederum zu eng: Ich habe keine Grenze, in der ich mich in einer bestimmten Distanz zu der Welt erfahre, spüre. Das ist eins der Extreme, von denen ich – das Streben in mir – wegstrebe: ein Zuwenig an Form, an Gestalt, das mich nach einer Formung, einer greifbaren Gestalt streben lässt.

Felsen


Über das andere Extrem, Illusion der Bewältigung und Zerschellen am Felsen der Aufgabe als Varianten des Überfordertseins. Felsen als vierte Metapher. Neurotisch anmutende Bedenken

Ist das entgegengesetzte Extrem dann die vollendete Formung, oder gar ein Zuviel an Form? Das müssen wir noch klären.

Spüren wir zunächst den Elementen unserer Erfahrung nach. Ich strebe hinauf, hoch ins Elysium, will herausgenommen werden aus der grauen Flut der Unbedeutsamkeit, getroffen von Sonnenstrahlen, die die Goldmedaille um meinen Hals an sich zieht.

Die Betrachtung gilt jetzt nicht dem, was ich mir als Ziel vorstellen mag, der elysischen Ruhe. Wir sprechen jetzt von meinem Streben als einer Bewegung aufwärts, nach vorne, weg und heraus aus dem dumpfen Unförmigen. Da ist nun Luft, viel kalter Sauerstoff, bis zur Hyperventilation – aber mit Risiko.

Als wer oder was bin ich überhaupt unterwegs? Nehmen wir an, ich habe ‚mich‘ irgendwie genommen und navigiere nun nicht mehr in der unförmigen Masse, sondern in einem schnellen Fluss, gar im Meer. Kann ich das überhaupt?

Vielleicht habe ich, nur um der amorphen Unbedeutsamkeit zu entkommen, eine so große Flagge auf mein Bötchen gesteckt, dass es kaum vor dem Kentern zu bewahren ist (ein großes Unternehmen, für das ich arbeite, ein Buch, das ich schreiben will). Ich bin Söldner in einem Heer geworden, nur um irgendwer zu sein, irgendwo dazuzugehören, eine Etikette tragen zu können, eine Gestalt zu haben. Nun bin ich zwar nicht mehr einsam in der Unförmigkeit, dafür aber einsam und allein eingespannt in eine Aufgabe, die mich zu erdrücken droht.

Vielleicht ist der Verbund von mir und meiner gewählten Flagge nicht steuerbar und ich werde an den Felsen zerschellen – die Aufgabe ist zu groß für mich, umgekehrt: Ich bin ihr nicht gewachsen.

Vielleicht ist mein Steuern und Segeln nur ein Traum – das Wasser der Badewanne, in der ich schwimme, wird plötzlich ausgelassen, mit dem harten Aufplumpsen auf dem Boden werde ich wie in einem Comic zuerst geweckt und dann den Ausfluss hinuntergespült.

Wenn ich nur Spiegelbild eines Modells bin, aber schlecht spiegele – weil ich z.B. vor lauter Zittern die Reflexionsfläche zerrüttele –, den Anforderungen des Modells nicht gewachsen bin, dann bin ich sehr schnell nichts.

Vielleicht ahne ich, dass ich nur im Traum schwimmen kann, und es nur eine erschleichende List ist, den anderen vorzumachen, ich würde mich über Wasser halten. Ich bin also noch dieser Badeschaumschlägerei schuldig und werde umso mehr auf die Felsen der harten Wirklichkeit geschleudert.

Strohhalm


Über die Schwierigkeit, dass graue Formlosigkeit und gewaltige Überforderung nirgendwo abzulesen sind, da sie nur in unserer Erfahrung gegeben sind und zwar in wandelbarer Weise. Zurück also zur Frage, wer wir sind und wie wir uns finden

Während jeder sehen kann, ob ein Überschwemmungsopfer zu ertrinken droht oder ein Alpinist abgestürzt ist, handelt es sich hier im Text glücklicherweise nur um Metaphern. Es sind Bilder für Extreme, zwischen denen mein Streben sich bewegt, hin- und herpendelt (mein Streben nach etwas, von dem wir noch nicht genau wissen, was es ist).

Inwiefern nun ich mich vom Ertrinken in Unbedeutsamkeit oder vom Zerschellen an einer zu großen Aufgabe bedroht erfahre – das ist primär nur in ebendieser meiner Erfahrung sichtbar, nirgendwo sonst.

Es ist also aussichtslos, die genannten Extreme an irgendwelchen Tatbeständen festmachen zu wollen. Es sind vielmehr Bedrohungen für uns, so wie wir uns – d.h. unser gesamtes Unterfangen – gerade vorfinden. Sie sind somit in einer noch zu klärenden Weise relativ zu der Weise, in der wir uns jeweils befinden, den gesamten Haushalt unserer Kräfte – der als Mobile beschrieben wird. Und somit landen wir auch hier wieder bei der Frage, wer da das ‚ich‘ ist und wie wir uns erfahren.

Ähnliches hatten wir schon bei der Beschreibung von Hier und Mehr als Richtungen der Veränderbarkeit gefunden – dass das, was als zuwenig oder zuviel erfahren wird, nicht berechnet werden kann und sich von Moment zu Moment neu definieren kann. Auch in diesem Fall war die Verbindung zwischen mir, dem Hier und dem Mehr eher unklar.

Dennoch handelt es sich hier nicht nur um eine Wiederholung. Denn nun fragen...

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