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Die Welt der Gothics

Spielräume düster konnotierter Transzendenz

AutorAxel Schmidt, Klaus Neumann-Braun
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl335 Seiten
ISBN9783531909806
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
In der modernen Gesellschaft finden okkulte und satanistische Praktiken und Vorstellungen nach wie vor Akzeptanz in der Bevölkerung. Allerdings sind neben die bekannten Formen der geschlossenen Gruppenorganisationen (Loge, Orden) neue, offene Formen, die medien- und musikvermittelten Jugendszenen, getreten. Das Buch wendet sich in diesem Zusammenhang exemplarisch der deutschen 'Gothic-Szene' zu und untersucht in synchroner Perspektive deren Gruppenstrukturen, typische Habitusformationen von Gruppenmitgliedern sowie die Passungskonstellationen und Integrationsdynamiken von Szene und Mitgliedern. Darüber hinaus werden typische Vergemeinschaftungsformen und Deutungsmuster, wie sie innerhalb der Kultur der Gothics vorherrschend sind, auf religionssoziologische Theorieentwicklungen bezogen.

Prof. Dr. Klaus Neumann-Braun ist Ordinarius für Medienwissenschaft an der Universität Basel/Schweiz.

Dr. Axel Schmidt ist Assistent am Institut für Medienwissenschaften der Universität Basel/Schweiz.

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Leseprobe
4 Die ‚schwarze‘ Musik (S. 257-258)

Judith Platz

Musik vermag Symbol- und Stilgemeinschaften zu schaffen, dient dem Ausdruck eines jeweiligen Lebensgefühls und ist somit ein wichtiges Bindeglied zwischen Lebensvorstellungen, Interessen und Freizeitverhalten von Jugendszenen. In der klassischen Cultural Studies-Forschung, besonders bei den Arbeiten von John Clarke, Stuart Hall und Dick Hebdigde, und neueren Forschungen zu Jugendkulturen, beispielsweise durch Dieter Baacke und Wilfried Ferchhoff, sind diese Zusammenhänge detailliert herausgearbeitet sowie die Begrifflichkeit der ‚Szene‘ für solche Symbol- und Stilgemeinschaften etabliert worden.

Innerhalb der Gemeinschaft der so genannten ‚Gothic‘-, ,Gruftie‘- oder schlicht ‚schwarzen‘ Szene werden Parties mit entsprechender Beschallung aufgesucht, Konzert- und Festivalbesuche besitzen Eventcharakter zum Treffen Gleichgesinnter und Musikmagazine fungieren als Szene-Organe. Die in der schwarzen Szene gehörten Musikrichtungen sind sehr unterschiedlich in ihrer Ausprägung: Die Palette reicht von zarten Balladen über düstere, schnelle Gitarren-Songs, Mittelaltermusik, Avantgarde, verzerrte Industrial-Sounds und vieles mehr. Die meisten Musikgruppen und Künstler sind allein innerhalb der schwarzen Szene prominent, den Weg in die offiziellen Hitparaden oder den Rundfunk finden nur wenige.

4.1 Die Wurzeln der dunklen Musik

Musikalisch kann Düsternis auf mehrere Arten erzeugt werden: Das bekannteste und wichtigste Mittel ist die Verwendung der Tonart Moll bzw. von Moll- Harmonien. Zur Schaffung einer düsteren, dunklen Atmosphäre können außerdem dienen: der Einsatz von Disharmonien bzw. Dissonanzen, metallischen oder ungewohnt schrägen Klängen, viel Hall und Echo zur Schaffung einer (klang-)räumlichen Unsicherheit und die Betonung des Bassbereiches sowie von Tönen aus tiefen Oktaven gegenüber Höhen bzw. ‚hohen‘ Tönen. Gerne findet sich eine (romantisch-)schwermütige Stimmung in Kompositionen der klassischen E-Musik – ‚ernste Musik’ –, lauscht man beispielsweise Werken von Johann Sebastian Bach, Ludwig van Beethoven, Richard Wagner oder Gustav Mahler.

Ebenso sind auch in der U-Musik – ‚Unterhaltungs-Musik’ – zahlreiche melancholische Varianten zu finden: Neben der in jeder Musikrichtung üblichen Form der Ballade sei vor allem erinnert an den frühen, wehmütigen Blues der 1930er Jahre (z.B. ‚Delta Blues‘) oder nachfolgende Blues-Varianten (z.B. ‚Slide Guitar Blues‘) und natürlich an das französische Chanson, speziell der 1950er und 1960er Jahre, auch in Zusammenhang mit thematischen Motiven des Existenzialismus. Die zeitlich näher liegenden Wegbereiter für die ‚schwarze Musik‘ waren allerdings in den 1970er Jahren Glam-Rock und Psychedelic-Rock à la King Crimson, Pink Floyd und The Doors.

Auch hier sollen Musik, Styling und Anmutung ein Lebensgefühl ausdrücken. So trifft man auch ganz konkret auf Künstler, deren musikalisches Schaffen als eine Art Initialzündung gewirkt hat: z.B. David Bowie, Kraftwerk, The Velvet Underground oder Bauhaus. Die sich zunächst in der musikalischen Dimension durchgesetzte Belegung mit dem Begriff ‚Gothic‘ kann retrospektiv an bestimmten Äußerungen festgemacht werden: 1978 beschrieb im englischen Fernsehsender BBC der damalige Manager der Band Joy Division, Anthony H. Wilson, deren Sound als ‚Gothic‘.Die Musikerin und Sängerin Siouxsie Sioux verwendete für den neuartigen Stil ihrer Band Siouxsie & The Banshees ebenfalls den Begriff ‚Gothic‘. Diesen übernahmen Musikzeitschriften wie ‚Sounds‘ und ‚New Musical Express‘ dankbar und machten so die ganze Musikrichtung unter diesem Namen populär. Der Ursprung des musikalischen Phänomens ‚Gothic‘ liegt demnach in Großbritannien.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Danksagung9
Einleitung10
1 Anlage der Studie24
1.1 Szeneethnographie als zentraler methodischer Zugangsmodus24
1.2 Forschungslogischer Aufbau der Studie37
1.3 Erhebungs- und Auswertungsmethodiken41
1.4 Gesamtanlage und Durchführung der Studie52
2 Stand der Forschung61
2.1 „Die Symbolik des Todes und des Bösen in der Jugendkultur“ – die Studie von Werner Helsper (1992)63
2.2 Aktuelle Literatur – die schwarze Szene heute72
2.3 Einordnung der Studien in die vorliegende Untersuchung81
3 Die Szene heute84
3.1 Feldberichte84
3.2 Interviewanalysen104
4 Die ‚schwarze‘ Musik253
4.1 Die Wurzeln der dunklen Musik253
4.2 Die Genrebildung und -benennung innerhalb der schwarzen Musik260
4.3 Abschließende Bemerkung283
5 Fazit: Religion, Identität, Postmoderne, Gothic284
5.1 Religionsbegriff285
5.2 Religion unter den Bedingungen der Modernisierung293
5.3 Gothic – Spielräume düster konnotierter Transzendenz305
Literaturverzeichnis322

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