1. Vitamin D
Rundum gesund mit der Kraft der Sonne
Lange Zeit galt Vitamin D als das klassische »Knochenvitamin«, und seine medizinische Bedeutung lag vor allem in der Prävention und Therapie der Knochenkrankheiten Rachitis bei Kindern und Osteomalazie bei Erwachsenen. Die aktuellen Erkenntnisse der weltweiten Vitamin-D-Forschung sind spektakulär und lassen das »Sonnenvitamin« in einem ganz neuen Licht erstrahlen.
Wofür wir Vitamin D brauchen
Wie eine überwältigende Anzahl wissenschaftlicher Studien aus den letzten 50 Jahren belegt, wird Vitamin D in unserem Körper nicht nur für den Knochenstoffwechsel, sondern auch für die reibungslose Funktion fast aller Zellen und Organe benötigt. Die Gesundheit der Blutgefäße, des Herzmuskels und der Skelettmuskulatur, der Bauchspeicheldrüse und der meisten anderen Organe sowie die intakte Funktion des Immunsystems – all das ist auf eine optimale Versorgung mit Vitamin D angewiesen. Eine unzureichende Versorgung oder gar ein Vitamin-D-Mangel erhöht folglich unser Krankheitsrisiko erheblich.
Nach Berechnungen des Vitamin-D-Forschers Prof. Dr. Armin Zittermann vom Herz- und Diabeteszentrum NRW könnten durch die Verbesserung der Vitamin-D-Versorgung der deutschen Bevölkerung im günstigsten Fall Gesundheitskosten von bis zu 37,5 Milliarden Euro pro Jahr (!) eingespart werden. Zum Vergleich: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums beliefen sich die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr 2016 allein auf 38,5 Milliarden Euro!
Einfaches Beispiel: Erkältungskrankheiten
Infektionen der oberen Atemwege (zum Beispiel grippale Infekte) zählen zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt und verursachen hohe Kosten aufgrund von Arbeitsausfällen. Erwachsene sind durchschnittlich drei- bis viermal pro Jahr, Kleinkinder sogar bis zu 13-mal betroffen. Lange hat man in der Wissenschaft gerätselt, warum Grippe- und Erkältungswellen immer in der sonnenarmen Jahreszeit über unser Land schwappen. Aktuelle Studien liefern nun einen neuen Erklärungsansatz: den das Immunsystem schwächenden Vitamin-D-Mangel. Eine unzureichende Versorgung mit Vitamin D erhöht im Herbst und Winter bei Jung und Alt erheblich die Anfälligkeit für Infektionen der oberen Atemwege.
Vitamin D senkt die Infektiosität von Erkältungsviren, indem es unter anderem die Produktion von körpereigenen Antibiotika steigert. Die Ergebnisse von zwei aktuellen Metaanalysen aus den Jahren 2013 und 2016 zeigen, dass die Supplementierung von Vitamin D bei Kindern und Erwachsenen das Risiko für Atemwegsinfektionen signifikant um 35 Prozent reduziert. Deshalb sollte man besonders im Winter und Frühjahr an die Einnahme von Vitamin D denken.
Vom Sonnenvitamin zum Sonnenhormon
Sonnenlicht ist als Urquelle der Vitamin-D-Synthese für unser allgemeines körperliches und geistiges Wohlbefinden unverzichtbar. Wir Menschen brauchen das Sonnenlicht auch zur Kontrolle unserer inneren Uhr, die unter anderem unsere Stimmung reguliert. Und über 90 Prozent unseres Tagesbedarfs an Vitamin D könnten wir im Prinzip durch einen maßvollen Umgang mit der Sonne ohne Sonnenschutzmaßnahmen abdecken.
Wir Westeuropäer können zumindest in den sonnenreichen Monaten Mai bis September genügend Vitamin D über unsere Haut bilden (siehe »Wie kommt es zu dem Mangel?«).
So wirkt Vitamin D
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Es fördert eine gesunde Schwangerschaft und die gesunde Entwicklung des ungeborenen Kindes,
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kräftigt die Knochen und die Muskulatur, senkt das Risiko beziehungsweise schwund«),
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senkt die allgemeine und kardiovaskuläre (durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedingte) Sterblichkeit,
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stärkt die Gefäße und die Herzmuskelleistung,
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wirkt erhöhten Blutdruckwerten entgegen,
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unterstützt das Immunsystem, hilft bei Allergien und verringert das Risiko für Atemwegsinfekte,
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mindert das Krebsrisiko (zum Beispiel Brust- und Darmkrebs) und unterstützt den Erfolg einer schulmedizinischen Krebstherapie,
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senkt das Risiko für Typ-1-Diabetes, verbessert die Glukoseverwertung und den Stoffwechsel bei Typ-2-Diabetes,
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hilft bei Autoimmunerkrankungen wie multipler Sklerose, Morbus Crohn oder Hashimoto-Thyreoiditis,
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schützt bei Nervenerkrankungen die Nervenzellen (zum Beispiel Vorbeugung von ADHS, Alzheimer, Depressionen, Parkinson) und
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hebt das allgemeine psychische und physische Wohlbefinden.
Vitamin D wird im Körper umgewandelt
Die körpereigene Synthese des Sonnenhormons Vitamin D verläuft in mehreren Schritten aus seiner Vorstufe Cholesterin. Dreh- und Angelpunkt ist die Leber, das wichtigste Stoffwechselorgan und die zentrale »Chemiefabrik« unseres Körpers. Streng genommen ist Vitamin D kein Vitamin im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr ein Hormonvorläufer, ein sogenanntes Prohormon, das der menschliche Körper mithilfe der Sonne in der Haut aus Cholesterin bilden kann. Anschließend wird Vitamin D (Cholecalciferol, Ergocalciferol) in der Leber, den Nieren und zahlreichen anderen Zellsystemen über die Speicherform 25(OH)D in seine hormonaktive Form 1,25-Dihydroxy-Vitamin D, kurz 1,25(OH)2D, umgewandelt. 1,25(OH)2D wird schließlich über spezifische Andockstellen, die sogenannten Vitamin-D-Rezeptoren (VDR), in die Zellen eingeschleust. Hier setzt es Signalkaskaden in Gang, die bis in den Zellkern hineinwirken und die Funktion zahlreicher Gene sowie eine Vielzahl von Stoffwechselprozessen regulieren können.
Der Vitamin-D-Rezeptor ist in fast jeder Körperzelle zu finden. Nach aktuellen wissenschaftlichen Schätzungen stehen sogar an die 6000 der 23 000 Gene des Menschen direkt oder indirekt unter der Kontrolle von 1,25(OH)2D.
Darüber hinaus unterstützt 1,25(OH)2D über eine Wechselwirkung mit den Vitamin-D-Rezeptoren die Bildung der Mitochondrien. Im Zellkern fördert 1,25(OH)2D über die VDR die Ausbildung von Genen, die mitochondriale Proteine codieren. Auch die mitochondriale Dynamik und Enzymfunktion (zum Beispiel die mitochondriale
Atmungskette) werden durch 1,25(OH)2D reguliert. Der Einfluss des 1,25(OH)2D dringt also bis in die kleinste Zelleinheit vor, mit enormen Auswirkungen auf den Energiehaushalt des gesamten Körpers.
Aufnahme über die Nahrung
Wir können Vitamin D in einem geringen Maße auch über die Nahrung zuführen. Die fotochemische Bildung von Vitamin D erfolgt nämlich nicht ausschließlich beim Menschen, sondern zum Beispiel auch bei einigen Algen. Bereits vor über 500 Millionen Jahren haben Planktonarten Vitamin D hergestellt. Da Fische über den Verzehr von Plankton Vitamin D aufnehmen, sind fette Seefische eine besonders gute Nahrungsquelle für Vitamin D. Für Vegetarier gestaltet sich Aufnahme von Vitamin D durch die Nahrung etwas komplizierter, denn Obst und Gemüse enthalten nur sehr geringe Mengen (siehe dazu auch hier).
Der Vitamin-D-Spiegel – Barometer der Gesundheit
Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte der 25(OH)D-Spiegel im Blutserum mindestens zwischen 30 und 60 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) liegen, um langfristig negative Folgen eines Vitamin-D-Mangels für die Gesundheit zu vermeiden. So ist eine normale Kalziumverwertung aus der Nahrung – nach Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Robert Heaney – erst ab einem Wert von 32 ng/ml beziehungsweise 80 Nanomol pro Liter (nmol/l) zu erwarten. Naturvölker in äquatorialen Ländern haben natürlicherweise sogar einen 25(OH)D-Spiegel von 50 bis 90 ng/ml. Als optimal für die menschliche Gesundheit und zur Vorbeugung degenerativer Erkrankungen und Infektionskrankheiten gilt derzeit ein 25(OH)D-Status zwischen 40 und 60 ng/ml beziehungsweise zwischen 100 und 150 nmol/l.
Niedrigere Werte erhöhen die Krankheitsanfälligkeit und verschlechtern die Lebensqualität. 25(OH)-D-Spiegel unter 20 ng/ml sind Kennzeichen eines ausgeprägten Vitamin-D-Mangels, und bei Werten zwischen 21 und 29 ng/ml liegt ein moderater, aber therapiebedürftiger Vitamin-D-Mangel vor.
25(OH)D ist also das Barometer und der »Goldstandard« für die Vitamin-D-Gesundheit. Daher ist es wichtig, dass man seinen Vitamin-D-Status vom (Haus-)Arzt über eine labormedizinische Bestimmung des 25(OH)D-Werts im Blutserum kontrollieren lässt, denn das ist der wichtigste medizinische Laborparameter (kennzeichnende Messgröße) zur Beurteilung der Vitamin-D-Versorgung eines Menschen.
Blutwerte von Vitamin D
25(OH)D-Spiegel im Blutserum |
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Optimale Versorgung | 40–60 ng/ml |
Unzureichende Versorgung | < 30 ng/ml |
Vitamin-D-Mangel | < 20 ng/ml |
Notwendige Vitamin-D-Zufuhr pro Tag
Für einen gesunden Vitamin-D-Status müssen regelmäßig 40 bis 60 IE (Internationale Einheiten) Vitamin D pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag über alle Quellen (Sonne, Nahrung, Nahrungsergänzungsmittel) aufgenommen werden. Diese Empfehlung gilt für gesunde, normalgewichtige Erwachsene und Jugendliche. Beispiel: Eine gesunde Person mit einem Körpergewicht von 70 Kilogramm hat gemäß dieser Empfehlung einen regelmäßigen Tagesbedarf von 3000 bis 4000 IE Vitamin D. Bei kranken Menschen kann der Vitamin-D-Bedarf höher sein.
Vitamin-D-Mangel ist weitverbreitet
Bei den Deutschen tritt, wie bei den meisten Nordeuropäern, ein Vitamin-D-Mangel sehr häufig auf. Gesundheitspolitiker und...