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Die Zeit Constantins des Großen

AutorJacob Burckhardt
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl641 Seiten
ISBN9788026815914
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Die Zeit Constantins des Großen' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Die Zeit Constantins des Großen ist erstes Hauptwerk von Jacob Burckhardt. Diese Epoche verstand er als notwendigen Übergang von der Antike zum Christentum und als Grundlage der mittelalterlichen Kultur verstand (vgl. Spätantike). Burckhardt sah Kaiser Konstantin im Unterschied zur seinerzeit vorherrschenden Sichtweise recht negativ, als einen reinen Machtpolitiker, dessen Hinwendung zum Christentum nur politischen Überlegungen geschuldet gewesen sei. Jacob Christoph Burckhardt (1818-1897) war ein Schweizer Kulturhistoriker mit Schwerpunkt Kunstgeschichte.

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Leseprobe

Zweiter Abschnitt

Diocletian Das System seiner Adoptionen Seine Regierung



Die Vorbedeutungen waren erfüllt, und die Orakel hatten recht behalten, als der Sohn dalmatinischer Sklaven, die dem römischen Senator Anulinus gehört hatten, etwa neununddreissigjährig den Thron der Welt bestieg. Von ihrer Heimat, dem kleinen Dioclea unweit Cattaro, hatten Mutter und Sohn ihren Namen erhalten; nur nannte sich jetzt Diokles, »der Zeusberühmte«, den Römern zuliebe mit vollerer Endung Diocletianus47, ohne deshalb die Beziehung auf den höchsten der Götter aufzugeben, an welchen auch sein neuer lateinischer Beiname, Iovius, erinnert.

Von seinen Kriegstaten, seiner Regierung und seinem so sehr bestrittenen Charakter wird weiterhin die Rede sein müssen; uns beschäftigt zunächst die ganz eigentümliche«Weise, in welcher er seine Kaisergewalt auffasst und zu sichern, zu teilen, zu vererben sucht.

Die letzten Kaiser waren zum Teil durch gewaltsamen Tod an jeder Verfügung über die Krone verhindert worden, zum Teil hatten sie wissentlich den Generalen die Entscheidung überlassen; dass endlich Carus ohne weiteres seine Söhne als Reichserben aufgestellt hatte, war vielleicht einer der entscheidenden Gründe ihres Unterganges gewesen. Diocletian, der von seiner Gemahlin Prisca, wie es scheint, nur eine Tochter, Valeria, hatte, musste natürlich auf einen andern Ausweg denken. Vielleicht hätte er bei ruhigem Zustande des Reiches jede Entscheidung verschoben, allein die heftigsten Stürme drängten von aussen heran, und im Innern war seit Carus alles voller Usurpatoren, die eigene Regierung Diocletians im Grunde nicht ausgenommen, wenn sie auch die Anerkennung des Senates erhalten haben mochte. Wie war hier zu helfen?

Was Diocletian tat, verrät einerseits einen hohen, durchdringenden Geist, andererseits aber erscheint es sonderbar und rätselhaft.

Die Erfahrung des letzten Jahrzehntes hatte gezeigt, dass auch die tüchtigsten Regenten, die Retter des Reiches, dem gemeinen verräterischen Mord und dem Soldatenaufruhr unterliegen mussten. Die grossen Generale, aus welchen ihre Umgebung bestand, konnten es nicht hindern, und einzelne wollten auch wohl nicht, weil ihr Ehrgeiz, wenn auch mit Schaudern, auf den Thron hinblickte. Auf die Länge wäre unausbleiblich ein Zustand wie zur Zeit des Gallienus und der Dreissig Tyrannen wieder eingetreten, wozu es im Jahre 285 schon allen Anschein hatte, und das Reich wäre von neuem in Stücke gegangen, vielleicht auf immer. Diocletian ergriff das wahre Gegenmittel; er umgab sich mit Nachfolgern und Mitregenten. Damit war der Usurpation des Ehrgeizes Ziel und Zweck verrückt, dem Lageraufruhr der Erfolg sehr erschwert. Denn wenn bloss einer der Kaiser oder Caesaren fiel, wenn es nicht gelang, an einem Tag die zwei oder vier Herrscher etwa in Nikomedien, Alexandrien, Mailand und Trier zugleich aufzuheben und zu ermorden, so gab es für die vereinzelte Gewalttat unfehlbar einen oder mehrere Rächer; alle Guten wussten sofort, an wen sie sich anzuschliessen hatten, und brauchten sich nicht mehr in besinnungslosem Schrecken der ersten besten Soldatenwahl in die Arme zu werfen. Der zweite sehr grosse Vorzug von Diocletians Massregel war die Teilung der Reichsarbeit, die nun mit Ruhe und Besinnung, nach festen gemeinsamen Planen unternommen und im Ganzen glorreich durchgeführt werden konnte.

Rätselhaft aber kömmt uns das künstliche System dieser Adoptionen vor. Der einfachste Ausweg, obenhin betrachtet, wäre es offenbar gewesen, wenn Diocletian eine begabte Familie von mehrern Brüdern adoptiert und in die Provinzen und Regierungsaufgaben verteilt hätte. Was dem Hause des Carus zum Teil durch Schuld Carins misslungen war, konnte jetzt viel eher gelingen, nämlich der Übergang aus dem wechselvollen Caesarismus48 in eine erbliche Dynastie, auf welche am Ende jede monarchische Herrschaft mit Notwendigkeit hindrängt. Oder fürchtete er, selber von einer auf diese Weise erhobenen Familie beiseite geschoben zu werden? Ein so imposanter Mensch lässt sich nicht ohne weiteres beseitigen. Mochte er den Banden des Blutes in dieser zerfallenen Zeit keine sittliche Wirkung mehr zutrauen? Er selbst hat nachher die Caesaren zu Schwiegersöhnen der Imperatoren gemacht. Musste er möglichst viele Ehrgeizige durch die Adoption oder die Hoffnung darauf zu befriedigen suchen? Er wusste besser als sonst jemand, dass man gerade die Gefährlichsten nie zufriedenstellt, auch lag es gar nicht in seinem Wesen, sich sonderlich um aller Welt Zufriedenheit und Beistimmung zu bemühen. Fasst man aber die einzelnen Tatsachen und ihre nachweisbaren oder vermutlichen Motive näher ins Auge, so lässt die lückenhafte Überlieferung zwar manches unerklärt, doch leitet sie vielleicht im ganzen auf die richtige Spur.

Angesichts des gallischen Bauernkrieges erhebt Diocletian noch im Jahr 285 seinen Kriegsgenossen Maximian zum Caesar und im folgenden Jahre zum Augustus49; das Verhältnis der Adoption drückt sich schon in dessen Beinamen Herculius aus, der vom Sohne des Zeus entlehnt ist. Nachdem beide sechs Jahre lang rastlos gegen Barbaren, empörte Provinzen und Usurpatoren an allen Enden des Reiches gekämpft, ohne dasselbe unter sich förmlich geteilt zu haben, erheben sie (292) zu Caesaren die Feldherrn Galerius und Constantius Chlorus, wobei es ausdrücklich von Diocletian ausgesprochen wird, »es sollten fortan immer zwei Grössere im Staat sein, als Herrscher, und zwei Geringere, als Helfer«50. Maximians Sohn, Maxentius, wird ohne Umstände übergangen51, dafür aber ein neues, künstliches Band der Pietät geknüpft, indem die Caesaren die Töchter der Imperatoren heiraten müssen, Galerius die Valeria, Constantius die Theodora, letztere strenge genommen nur die Stieftochter Maximians52. Die Caesaren waren in der Schule des Aurelian und Probus gebildet, Constantius von hoher Geburt und mütterlicherseits der Grossneffe des Claudius Gothicus; Galerius dagegen ein riesiger Hirtensohn, der nur um so lieber sich verlauten liess, dass seine Mutter von einem göttlichen Wesen in Schlangengestalt oder gar wie Rhea Silvia von Mars geschwängert worden. Jetzt gab es vier Höfe, Verwaltungen und Armeen; über Gallien und Britannien waltete Constantius, über den Donaulanden nebst Griechenland Galerius, dem Maximian waren Italien, Spanien und Afrika, dem Stifter ihrer Macht endlich Thracien, Asien und Ägypten vorbehalten. Über zwölf Jahre dauerte unter so verschiedenen und zum Teil so rohen Menschen die merkwürdigste Eintracht53, die vollends unerklärlich wird, wenn man sieht, wie der eine in den Gebieten des andern mitregiert und Heere anführt, und wie wenig Diocletian zum Beispiel den leidenschaftlichen Galerius in Gegenwart ganzer Heere schont. Was von ihm kömmt, die schwierigsten Kriegspläne, die bedenklichsten Befehle, alles wird mit kindlicher Unterwürfigkeit vollzogen; keinen Augenblick wird daran gezweifelt, dass er die Seele des Ganzen ist. »Sie sahen empor zu ihm«, sagt Aurelius Victor, »wie zu einem Vater oder höchsten Gott; wie viel dies aber heissen will, wird erst klar, wenn man all den Familienmord von Romulus bis auf unsere Tage daneben hält.«

Die wahre Feuerprobe des Gehorsams bestand in der Folge der Mitkaiser Maximian, als Diocletian, nach zwanzigjähriger Doppelregierung, ihn zu der schon längst abgeredeten gemeinschaftlichen Abdankung nötigte (305). Maximian fügte sich54, obwohl mit grossem Widerwillen; er liess es geduldig geschehen, dass auch diesmal bei der Ernennung zweier neuer Caesaren (an der Stelle der zu Kaisern beförderten Galerius und Constantius) sein Sohn Maxentius übergangen wurde, und dass er selbst, der alte Sieger über Bagauden, Germanen und Mauren, bei der Caesarenwahl gar nichts zu sagen hatte; Diocletian hatte dieselbe ausschliesslich seinem Adoptivsohn Galerius vorbehalten55, welcher einen getreuen Offizier, Severus, zum Caesar des Westens und seinen Neffen, Maximinus Daza, zum Caesar des Ostens erhob. Dem Constantius Chlorus ging es ähnlich wie dem Maximian; obwohl zur Kaiserwürde avanciert, musste er sich statt eines seiner Söhne den Severus als eventuellen Caesar gefallen lassen, wobei die christlichen Autoren56 ganz unnützerweise seine bescheidene Mässigung rühmen.

In einer nicht viel später verfassten Schrift57 werden die persönlichen Beweggründe dieser Staatsaktionen dramatisch ausgesponnen. Schon Gibbon erkannte, dass wir hier keine reine Geschichte, sondern die Erzählung eines erbitterten Feindes vor uns haben, der namentlich darin irregeht, dass er die abdankenden alten Imperatoren durch Galerius terrorisiert darstellt. Ein höchst merkwürdiger Zug aber58 ist wohl nicht ersonnen: es wird dem Galerius die Absicht beigelegt, einst nach zwanzigjähriger Herrschaft, wenn die Thronfolge auf lange hinaus geordnet sein würde, abzudanken, gleich Diocletian. Der Autor hält dies für einen freiwilligen Entschluss, den er bei seinem glühenden Hasse gegen Galerius wahrscheinlich nur ungerne berichtet; wenn uns aber nicht alles trügt, so haben wir es hier mit einem vorgeschriebenen und sehr wesentlichen Hauptgesetz des diocletanischen Systems zu tun, welches die Zeitgenossen nur stückweise erraten haben. Diese Festsetzung einer zwanzigjährigen Dauer des Herrscheramtes bildet den Schlußstein und Regulator des Ganzen. Sie sollte den Adoptionen und Thronfolgen den Stempel des Unabwendbaren, Notwendigen aufdrücken.

Gleich im folgenden Jahre (306) wird freilich dies ganze System durchbrochen und unheilbar gestört durch die Usurpation der beseitigt geglaubten Kaisersöhne: Constantin (der Grosse) erbt mit...

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