Die Situation nach Abreise der Expedition
Die Gesamtkosten der Expedition werden mit 80 600 Thalern Courant (Vergleichswert 10–12 Mio. €) angegeben von denen am 28. Juni, als die obige Zahl veröffentlicht wurde, 35 600 bezahlt waren. Der Saldo der Verbindlichkeiten von 45 000 Talern enthielt allerdings 22 600 Taler Heuerzahlungen (kalkuliert für eine zweijährige Reiseperiode) und offenbar auch die 10 000 Taler Garantie, die für den Kauf der Hansa geleistet worden war. Eine Wertstellung der unversicherten Germania war nicht in Anschlag gebracht worden (der Schiffspreis war Teil der Kosten). Der aktuelle Finanzbedarf dürfte demnach bei rund 15 000 Talern gelegen haben.
Das Bremer Comité musste also noch eine erkleckliche Summe zusammenbringen, um die Kosten zu decken. Wie das im Einzelnen vonstattenging, sei hier nur angedeutet (Genaueres s. Krause 1992, S. 196–204). Auf verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ebenen wurden Sammlungsaufrufe erlassen. Unmittelbar nach der Abreise der Expedition wurde ein »Tableau« mit den Porträtphotos der Fahrtteilnehmer, auch über den Buchhandel, angeboten (Preis: 35 Groschen). Der Verlag Georg Westermann bot von sich aus den Druck einer »Brochure« an, dessen Reinertrag dem Expeditionsfond zugutekommen sollte (Preis: 16 Groschen). Dieses Büchlein kam erst Ende Dezember 1869 zum Andruck. Die Auslieferung erfolgte im März 1870.
Vorweggenommen sei, dass die Summe der Aktionen, zu denen auch Benefizvorträge gehörten, ihren Zweck erfüllten. Auf einer Comité-Sitzung am 9. Juli 1870 wurde bekannt gegeben, dass alle Gläubiger der Expedition seit Mai befriedigt waren und dass der Kassenbestand über 3000 Taler betrug.
Die Bremer hatten zuvor, um für die Rückkehr der Expedition gerüstet zu sein, die ja u. a. mit erheblichen Heuerzahlungen verknüpft war, Petermann gebeten, ihnen die Eigentumsrechte an den Schiffen Germania und Grönland zu übertragen. Aber Petermann weigerte sich kategorisch, auch nur über diese Möglichkeit zu reden.
Allerdings ist dieser Vorfall harmlos im Vergleich zu dem, was Petermann zuvor schon alles schon »vom Stapel gelassen« hatte. Er tat alles, um die Expedition, das Bremer Comité und speziell Koldewey zu verunglimpfen. Einem Brief, den Lindeman an Petermann richtete (Briefentw. Dat. 17. 3. 1870, Sta HB), entnimmt man Folgendes: Wenn Sie das Unternehmen, als dessen Leiter Sie in dem auch von Ihnen unterzeichneten öffentlichen Aufruf hingestellt wurden, selbst discreditieren, wer soll sich dann noch dafür interessieren? Ihr Auftreten macht den Eindruck wie jemand der Hand an sich selbst legt. Aber glauben Sie wirklich die Verantwortung für das Unternehmen, so wie es in See gegangen ist, nicht mit zu tragen?
Lindeman hat damit das Problem auf den Punkt gebracht. Aber trotzdem vermied man in Bremen bis zuletzt den offenen Bruch mit Petermann und die damit verbundene juristische Auseinandersetzung. Die Gründe dafür sind mehrschichtig und können hier nur angedeutet werden. Der wesentliche Grund war, dass man Petermanns Prominenz und die Macht, die dieser als Herausgeber und Redakteur der PGM in Händen hielt, »fürchtete«.
Dabei darf man getrost unterstellen, dass die Bremer Polar- Prominenz, bei aller Großzügigkeit, die sie später an den Tag legte, auch finanzielle Aspekte berücksichtigte (Eigentumsrechte an den Schiffen, Übertragung von Sammlungsgeldern). Aber das war nicht der Kern ihres Problems. Wichtig war den Bremern, die Expedition und ihre Teilnehmer nicht zum Spielball einer letztlich auch die hanseatische Ehre betreffende Kampagne werden zu lassen.
Zu den Entwicklungen nach der
Rückkehr der Expedition
Als am 2. September 1970 Kapitän Paul Hegemanns Telegramm aus Kopenhagen mit der Rückkehrmeldung der Besatzung der Hansa beim Bremer Polar-Comité eintraf, war man vorbereitet. Der Besatzung wurde eine Heuer für 15 Monate ausgezahlt und den beiden wissenschaftlichen Begleitern ein Honorar von je 500 Talern bewilligt. (Rechnungsbuch für die Zweite Deutsche Nordpolarfahrt, StA HB, 11/3). Eine Ersatzzahlung für die verloren gegangenen Effekten der Mannschaft leistete die bremische Seemannskasse. Man beachte: Nach geltendem Recht hatte die Besatzung eines havarierten Schiffes ab dem letzten Lade- oder Löschhafen nur insoweit Anspruch auf Heuerzahlungen, als Erlöse aus dem Havaristen oder dessen Ladung vorhanden waren. Im vorliegenden Falle hätte Bremerhaven als letzter Hafen gegolten, und die Besatzung wäre, da eine Totalhavarie vorlag, leer ausgegangen!
Am 12. September traf die Germania in Bremerhaven ein. Die Freude über die glückliche Heimkehr der Polarforscher war ungetrübt. Zielstrebig ging man daran, die Expedition geschäftlich abzuwickeln und wissenschaftlich auszuwerten.
Auf einer spontanen Sitzung des Comités wurden die dringendsten reedereigeschäftlichen Belange (Heuerzahlungen, Hafenkosten etc.), geregelt. Auf weiteren Treffen wurde über Maßnahmen zur wissenschaftlichen Auswertung der Expedition beraten; Inventuren wurden durchgeführt und Maßnahmen zur verbesserten Konservierung der organischen Proben getroffen. Um andere dringende Arbeiten kümmerte sich der Naturwissenschaftliche Verein in Bremen, und als erster wissenschaftlicher Mitarbeiter bot sich der Hamburger Bürgermeister Dr. Kirchenpauer an, die Bryozoen und Hydroiden zu bearbeiten.
Geliehene wissenschaftliche Instrumente wurden den Eigentümern zurücküberwiesen, expeditionseigene Instrumente zur Kontrolle zur Seewarte nach Hamburg geschickt. Die Reparatur der Kesselanlage der Germania wurde zurückgestellt.
Der überaus tüchtige Jurist und Historiker Dr. Hermann A. Schumacher (1839–1890) hatte schon länger darauf gedrungen, das Comité in eine rechtsfähige Körperschaft umzuwandeln. Auf einer Sitzung am 17. September 1870 wurde der Beschluss zur Gründung eines Vereins gefasst, die bereits am 19. September erfolgte. Der Bremer »Verein für die deutsche Nordpolarfahrt« wird im Folgenden stets als »Polarverein« bezeichnet, was ein authentisches Kürzel darstellt, da dieser Ausdruck auch in den zeitgenössischen Publikationen benutzt wurde. Die Aufgaben des Polarvereins wurden in §§ 1 und 2 vorgestellt:
§ 1 … Verwertung der Resultate der 1. und 2. deutschen Nordfahrt und eine eventuelle Fortsetzung der Nordpolarforschungen.
§ 2 … Conservirung und Ordnung der Sammlungen und sonstigen Resultate der Expedition; Bildung der Gelehrten-Commission; Herausgabe des officiellen Hauptwerkes über das ganze Unternehmen; Feststellung der gemeinsam zu entwerfenden Karte und ähnlicher Arbeiten …
Der § 4 lautete: Dem Verein werden die sämmtlichen vorhandenen Wertobjekte der Expedition, namentlich die Schiffe ›Germania‹ und ›Grönland‹ nebst Inventar, der Erlös aus dem Proviant, ferner die Sammlungen, Bücher, Aufzeichnungen, Geldmittel, zu Eigenthum übertragen und nimmt derselbe von diesen Gegenständen Besitz. Der Verein übernimmt alle von der Expedition bisher eingegangenen Verbindlichkeiten als seine eigenen.
Man war ursprünglich davon ausgegangen, dass das Expeditionswerk, sowohl der erzählende als auch der wissenschaftliche Teil, unter der Regie von August Petermann im Perthes Verlag erscheinen würde. Petermann wurde als der eigentliche Ausrichter der Expedition gesehen. So war es, bei allen Differenzen, ganz korrekt, dass die Mitglieder des neu etablierten Vereins Petermann als Vorsitzenden wünschten.
Da Petermann zur Vereinsgründung nicht erschienen war, reiste Lindeman nach Gotha, um ihn zum Beitritt zu bewegen, konnte aber nur berichten, dass jener es abgelehnt habe, sich dem neuen Verein ohne Weiteres anzuschließen, vielmehr von Bedingungen sprach, die er in Bezug darauf zu stellen habe. Nach eingehender Diskussion wurde einstimmig beschlossen, den Verein auch ohne Petermann fortzusetzen. Bemühungen des Polarvereins, die finanziellen Belange der Expedition zu regeln, ignorierte Petermann bis zum Mai 1871. Er interessierte sich aber für die Ergebnisse der Expedition und versuchte, einzelne Expeditionswissenschaftler zu kontaktieren.
Eine Affäre besonderer Art bahnte sich Ende Oktober 1870 an. Aus der österreichischen Presse erfuhr man: Se. Majestät der Kaiser hat, wie gemeldet wird, dem Ansuchen des Urhebers der deutschen Nordpol-Expedition, Herrn Petermann in Gotha, das werthvollste Entdeckungsobject, ein großer, vielleicht ganz Grönland durchschneidender Fjord, unterm 73. Grad nördlicher Breite gelegen, den Namen ›Kaiser-Franz-Joseph-Fjord‹ führe, gern willfahrt. Die Empörung über diesen Vorfall war nicht nur bei den Mitgliedern groß, sondern weit verbreitet. Petermann, um eine Erklärung gebeten, schwieg. Stattdessen meldete sich Payer, der jedenfalls die strittige Namensgebung inszeniert hatte:
Daß Sie unseren Kaiser nicht würdig, oder seine Theilnahme an der Expedition nicht ausreichend...