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E-Book

In diesem Alter noch ein Kind?

Das Glück der späten Schwangerschaft

AutorChristine Biermann
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451334313
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Mutter mit 40 - geht das denn? Ja, denn 'späte' Mütter haben häufiger als befürchtet unkomplizierte Schwangerschaften und gehen das Kinderkriegen meist entspannter an. Die Autoren, beide erfahrene Frauenärzte und selbst 'späte Eltern', haben beobachtet, wie gut sogenannte Risikoschwangerschaften tatsächlich verlaufen und wollen 'reifen Eltern' Mut machen. Mit vielen Interviews und Erfahrungsberichten.

Dr. med Christine Biermann arbeitet seit über 20 Jahren als Frauenärztin in Hamburg und hat sich in jahrelanger Praxis mit dem Phänomen 'späte Schwangerschaft' beschäftigt und ihre Erkenntnisse zu Papier gebracht.

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Leseprobe

1.Paul, ein Kind alter Eltern


Wie die Zeit vergeht!


Paul ist acht Jahre alt. In der Schule lernt er die Uhr. Der große und der kleine Zeiger laufen im Kreis, und die zwölf Ziffern teilen jeden Tag in scheinbar gleiche Zeitstückchen. Wie seine Lehrerin und seine Eltern weiß auch Paul, dass die Zeit in Wirklichkeit manchmal langsam vergeht und mitunter schnell, so schnell, dass sie einem geradezu davonrennt. Und auch Paul möchte, dass die Uhr hin und wieder stehen bleibt: Abends, wenn Mama ihm im Bett vorliest oder wenn der Papa noch eine Geschichte vom Ritter Gawain erzählt.

Paul rechnet. Das ist sein Lieblingsfach. Frau Reuter, seine freundliche, strenge Lehrerin, die kurz vor der Pension steht, unterstützt ihn dabei mit Humor. Jetzt ist Papa 57 und Mama 50. Wenn also Paul 23 Jahre alt ist, wie seine jüngsten Geschwister, Til und Marie, dann ist Mama 65 und Papa ist 72. Und wenn er selbst so alt ist wie seine ältesten Geschwister, Benjamin oder Jurek oder Mia, dann ist Papa fast so alt wie Opa, der vor drei Jahren mit 79 gestorben ist.

Paul rechnet und vergleicht und macht sich Gedanken über seine Eltern, über ihr Alter und was danach kommt.

Paul sagt: »Papa, du bist noch nicht alt.« Mama und Papa sehen nicht so alt aus. Und Paul weiß auch, warum: »Weil sie nämlich keine Zigaretten rauchen.«

Vielleicht werden sie 100 oder 120. Jedenfalls sterben sie noch nicht. Und seiner Mama hat er gesagt, dass sie schön aussieht. Daran wird sie noch lange denken.

Sein Papa hat allerdings schon bedrohlich wenige Haare auf dem Kopf. Nun, da kennt Paul welche, die jünger sind und schon eine Glatze haben: »Das ist nicht so schlimm.«

Nur neulich musste Paul schnell weghören. Als Mama ihn nachmittags aus dem Schülerladen abholt, fragt die achtjährige Nadine: »Ist das deine Oma?« Lars, der Erzieher, hört das und scheint von solcher Frage peinlich getroffen. Die Lage wird nicht besser, als er ihre Neugier tadelt: »So was sagt man aber nicht, Nadine!«

Kann man Mama wirklich für eine Oma halten?

Pauls Eltern kennen das schon. Im Kindergarten fragte vor ein paar Jahren auch eine (neue) Erzieherin: »Mama und Papa oder Oma und Opa?« Die Eltern haben ein bisschen gelacht, die Sache richtiggestellt und die Geschichte den Freunden erzählt.

Und Paul? Hat er Angst um seine Eltern? Dass sie sterben, weil sie älter sind? Hat er, wie die Psychoanalytiker das nennen, »Verlustängste«, die ihn womöglich anfällig machen für Neurosen?



Die Eltern sind gesund. Wie bei vielen älteren Eltern heutzutage ist ihr »gefühltes Alter« rund zehn Jahre niedriger. Sie freuen sich über den Kleinen, über seine Lebhaftigkeit, seine Zärtlichkeit, seine Bemerkungen über das Leben. Sie können viel über »das Paulchen« lachen. Und sie scheinen mehr Gelassenheit an den Tag zu legen als damals bei den anderen. Natürlich auch deshalb, weil sie vieles »auf der Reihe« haben, was oft mit 30 noch nicht da ist: Ein interessanter Beruf, soziale Sicherheit, Lebenserfahrung und eine gute Liebesbeziehung. Die Eltern leben zusammen. Das erleichtert vieles. Keiner muss die seelischen und organisatorischen Mühen des mehr oder weniger Alleinerziehens auf sich nehmen. Pauls Vater ist auch klar, dass er deutlich mehr als 15 Minuten pro Tag mit Kind und Haushalt zu tun hat. Pauls Mama hat durch Beharrlichkeit, Geschick und Glück für Paul einen Platz im Schülerladen ergattert, so dass die Betreuung für den Nachmittag gesichert ist. Sonst wäre die Berufstätigkeit ein größeres Problem.

Wenn Paul (»Ich bin der Letzte«) zuhause ist, hat einer der Eltern Zeit für ihn. Er bekommt mit dem, was er tut und sagt und meint, viel Aufmerksamkeit.

Zu viel Aufmerksamkeit?


Wenn die Eltern abends auf dem Sofa sitzen und dem Paulchen milde lächelnd beim Spielen zusehen, kann es sein, dass sie über sich lachen müssen: Ein bisschen Oma und Opa. Wenn sie begeistert zuhören, weil Paul ihnen etwas aus der Zeitung vorliest und wenn ihr eigenes Gespräch verstummt – »Ist er nicht süß?« –, dann ahnen sie, dass er mehr Aufmerksamkeit bekommt als damals die anderen. Und wenn sie nicht aufpasst, lässt es die Mama zu, dass das Paulchen sie mitten im Satz unterbricht.

Haben Ältere womöglich die Neigung ihr Kind zu verziehen?

Als wir eine erfahrene Hamburger Kinder- und Jugendpsychotherapeutin befragen, was wohl das Problem von Kindern alter Eltern sein könnte, antwortet sie spontan: »Zu viel Aufmerksamkeit!« Sie weiß das aus ihrer Erfahrung als Therapeutin und späte Mutter:

»Wenn sie älter geworden sind, können Eltern den Kindern viel von ihrer eigenen Ausgeglichenheit, Stabilität und Warmherzigkeit geben. Sie erkennen ihr Kind und können ihm auch Grenzen setzen. Aber wenn sie selber schon ausgebrannt und lustlos sind, spielen die Eltern kaum mehr mit dem Kind. Das Kindliche wird lästig. Und wenn die Eltern selbst keine eigenen Bedürfnisse mehr haben, gerät das Kind in den Mittelpunkt ihres Lebens. Es nimmt an allem Erwachsenen teil: sitzt in vornehmen Restaurants und mit im Theater. Das Kind wird dabei nicht gefordert, sondern es wird als kleiner Erwachsener überfrachtet und überfordert. Die Alten bedrücken das Kind mit ihrer ständigen ›Aufmerksamkeit‹.«

Das gibt’s. Natürlich nicht nur bei alten Eltern.

Ein bekannter Hamburger Psychoanalytiker, der in seinem Beruf mit den Folgen von verkorkster Erziehung zu tun hat, findet: »Eine interessante Frage, ob Kinder alter Eltern anders oder auffällig sind. Darüber gibt es meines Wissens gar keine wissenschaftliche Untersuchung. Wenn ich aber an Patienten mit alten Eltern denke, fallen mir einige ein: Wenn die Eltern keine Zeit, keine Kraft und keine Lust mehr hatten, sich mit den Kindern zu beschäftigen, mit ihnen zu spielen, wird die spielerische Fantasie nicht geweckt.«

Aber gilt das nicht auch für Jüngere?

Ein wärmendes Öfchen


Über die besonderen Sorgen und Ängste bei so einem »wertvollen« Kind macht sich der »späte Peter« mit 59 Jahren (»Früher war ich einfach zu jung für ein Kind.«) schon jetzt Gedanken. Er wird demnächst das erste Mal in seinem Leben Vater: »Dieses Kind ist meine letzte Chance. Vermutlich werde ich besonders ängstlich sein, dass dem Schatz meines Lebens etwas passiert.«

Die Kinder können zum Glanz, zum Sonnenschein, zum wertvollsten Teil ihrer alten Eltern werden.

Jurek Becker, damals 56, Schriftsteller und mit 50 noch einmal liebender Vater geworden, bekannte dankbar: »Er ist ein Antidepressivum.« Die Eltern empfanden das späte Kind als »wärmendes Öfchen«.

Mit 50 sind sie Krankheit und Tod näher als mit 30. Ängste vor Verlust könnten auch die Kinder erleben. Ein Grund für Depressionen?

Werden Kinder vor lauter elterlicher Sorge ängstlich, mutlos oder hochmütig? Unsympathisch? Neurotisch?

In Gesprächen mit Therapeuten und Psychiatern bekamen wir dazu keine eindeutigen Antworten. Sie konnten bei Tests und Therapien keine deutlichen Tendenzen erkennen.

Natürlich hängt das – ob alt oder jung – vor allem von der Persönlichkeit der Eltern ab. Wenn sie selbst Freude am Leben und Freude am Kind haben, wird ihm das nicht die Entwicklung verderben.

Paul der Letzte


War Paul geplant?

Wir, die Autoren dieses Buches, könnten antworten: »Ja und nein.«

Paul, von dem wir hier erzählen, ist unser Kind, das letzte, ein gemeinsames. Als er kam, war seine Mama 42 und der Papa 49.

Wir, seine Eltern, sind beide Gynäkologen. Vor zehn Jahren haben wir schon einmal ein Buch über die Vor- und Nachteile der »späten Schwangerschaft« geschrieben. Seitdem hat sich in der Medizin und bei uns manches geändert.

Damals war Paul noch nicht da. Wir hatten beide eine Ehescheidung hinter uns. Herr Raben hatte zwei Kinder, Sohn Jurek und Tochter Mia mitgebracht, Frau Biermann gleich drei, Benjamin und die Zwillinge Til und Marie. Wir lebten zusammen mit den Fünfen, die alle in der Pubertät waren.

Frau Biermann wollte gern noch ein Kind: »Ein kleines, eins zusammen mit Ralph.«

Herr Raben genoss gerade die Ruhe, die nach dem jahrelangen Hin und Her des Familienbruchs in das gemeinsame Leben eingekehrt war. Er jedenfalls war zögerlich. Warum? Nicht, weil er sich »in diesem Alter« zu alt fühlte. Nicht, weil er bei einer »späten Schwangerschaft« als Gynäkologe etwa gleich an Behinderung und Geburtskomplikationen denken musste.

Ganz einfach wegen der Unbequemlichkeit, die auf ihn zukäme, hatte er Bedenken: »Alles noch mal von vorn?«

Familienplanung, das wissen die Leute oft erst später, ist eine unsichere Sache. Mann und Frau können sich nicht wirklich darauf verlassen. Es kann viel schiefgehen: Sowohl bei der Planung eines Kindes als auch bei der Verhütung.

Frau Biermann befürchtete im Mai 1995 bereits verfrühte Wechseljahre bei sich selbst, als die Regel mehrere Monate wegblieb und sie sich ziemlich erschöpft fühlte. Eine Hormonanalyse bei einem bekannten Hamburger Endokrinologen schien diesen Verdacht zu bestätigen:

E2 (Östrogene) niedrig, FSH (follikelstimulierendes Hormon) erhöht, also Verdacht auf »erschöpfte Ovarien« und beginnendes Klimakterium.

Keine Regel mehr? Soll das schon alles gewesen sein? Irgendwie zu früh mit 41! Das wollte das Gynäkologenpaar so nicht hinnehmen.

Als Ärzte, deren Vorliebe seit Jahren der Behandlung...

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