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Dietrich Bonhoeffer

Theologe im Widerstand

AutorChristiane Tietz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
ReiheBeck'sche Reihe 2775
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783406738906
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dietrich Bonhoeffr (1906 - 1945) fasziniert bis heute als ein Theologe, der sich in großer Konsequenz - bis hin zur Beteiligung an den Planungen eines Attentats auf Hitler - dem Nationalsozialismus widersetzt hat. Christiane Tietz schildert eindrucksvoll sein Leben und Denken, von Bonhoeffers Kindheit und Jugend über seinen Weg in den kirchlichen und politischen Widerstand bis hin zu seiner Haftzeit, in der seine bewegendsten Texte entstanden sind.

Christiane Tietz ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Zürich sowie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Bonhoeffer-Lehrstuhl im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.

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Leseprobe

2. Von Tübingen zurück nach Berlin, 1923–1927


Zwei Tübinger Semester


Im Frühjahr 1923 begann Dietrich Bonhoeffer sein Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen. Er ging damit an die Universität, an der auch sein Vater studiert hatte, und trat in dessen nichtschlagende Studentenverbindung «Igel» ein. An dieser reizten ihn vor allem die gemeinsamen Gespräche und Unternehmungen, Anfragen an die politische Ausrichtung hatte er wohl nicht. Er verließ den «Igel» allerdings, als dieser 1933 den Arierparagraphen einführte und «nichtarische» Mitglieder ausschloss. In die Tübinger Zeit fiel auch eine zweiwöchige Wehrübung, an der er nach Rücksprache mit den Eltern teilnahm, weil er meinte, «daß es je eher, je besser ist, daß man die Sache hinter sich bringt, um für kritische Lagen ein gesichertes Gefühl zu haben, mithelfen zu können» (DBW 9, 67).

Bonhoeffer hörte in Tübingen bei den bedeutenden Theologen Adolf Schlatter und Karl Heim, besuchte jedoch mit größerem Interesse Veranstaltungen bei dem Philosophen Karl Groos. Die von diesem behandelten Fragen der Erkenntnistheorie sollten ihn für mehrere Jahre nicht mehr loslassen. Doch so richtig begeisterte ihn Tübingen nicht, weshalb er sich schon nach zwei Semestern zur Rückkehr nach Berlin entschloss.

Eine Reise nach Italien


Zuvor jedoch begab er sich mit seinem Bruder Klaus auf eine zweimonatige Reise in den Süden, die für ihn richtungweisende Eindrücke bereithalten sollte. Im Frühjahr 1924 fuhren die beiden zuerst für zweieinhalb Wochen nach Rom. Die Stadt mit ihren antiken und christlichen Denkmälern, gleichzeitig pulsierende moderne Weltstadt, beeindruckte sie tief. Nach einer Messe in Trinità dei Monti, der damals einem Frauenorden zugehörigen Kirche am oberen Ende der Spanischen Treppe, schrieb Dietrich Bonhoeffer in sein Tagebuch, er habe in der Vesper der Novizinnen «Gottesdienst im wahren Sinne» erlebt, «einen unerhört unberührten Eindruck tiefster Frömmigkeit». Die Tagebucheintragung schließt:

Der Tag war herrlich gewesen, der erste Tag, an dem mir etwas Wirkliches vom Katholizismus aufging, nichts von Romantik usw., sondern ich fange, glaube ich, an, den Begriff «Kirche» zu verstehen. (DBW 9, 89)

Diese Bemerkung ist für einen Theologiestudenten überraschend. Sie offenbart, dass für Bonhoeffer zu Beginn seiner theologischen Existenz das reale gemeinsame Leben der Glaubenden als Kirche noch bedeutungslos war. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass in seiner eigenen Familie christlicher Glaube fast völlig ohne Bezug zur institutionellen Kirche gelebt wurde. Erst in Rom wurde Bonhoeffer deutlich – angesichts der Anschaulichkeit der Kirche, zu der Menschen aus aller Welt gehören –, dass für das Christsein die sichtbare Kirche und gemeinsame Gottesdienste wesentlich sind. Die Möglichkeit, in der Kirche die Beichte ablegen zu können und Sündenvergebung zugesprochen zu bekommen, faszinierte ihn. Denn in der Beichte wird konkret erfahrbar, dass der Glaubende nicht allein ist, sondern in einer Gemeinschaft von Glaubenden steht:

Nachmittag Maria Maggiore, großer Beichttag, alle Beichtstühle besetzt und von Betenden umdrängt. Man sieht hier so erfreulich viel ernste Gesichter, bei denen alles, was man gegen den Katholizismus sagt, nicht zutrifft. … Die Beichte muß nicht zur «Skrupulosität» führen … Sie ist … für religiös Weiterblickende die Vergegenständlichung der Idee der Kirche, die sich in Beichte und Absolution vollzieht. (DBW 9, 89 f.)

Der römische Eindruck von der Wirklichkeit der Kirche muss tief gewesen sein. Er führte dazu, dass Bonhoeffer sich sowohl in seiner Dissertationsschrift als auch in seiner Habilitationsschrift mit der Frage beschäftigte, welche Rolle aus evangelischer Sicht die Kirche für den Glauben spielt.

Abb. 2: Dietrich Bonhoeffer als Student in Tübingen, um 1923.

Nach einem Abstecher nach Sizilien und ins nordafrikanische Tripolis fuhren die Brüder über Neapel noch einmal in die italienische Hauptstadt – und dann zurück nach Berlin.

Das theologische Berlin


An der theologischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität lehrten die Großen der damaligen Zeit. Der berühmte Kirchengeschichtler Adolf von Harnack war zwar seit 1921 emeritiert, bot aber noch Seminare für einen kleinen Kreis von Studierenden an, zu dem auch Bonhoeffer eingeladen wurde. Man las Texte aus den ersten christlichen Jahrhunderten. Bonhoeffer war beeindruckt von diesem Altmeister der so genannten Liberalen Theologie. Die Liberale Theologie war seit gut hundert Jahren die vorherrschende Richtung protestantischer Theologie. Sie kritisierte die traditionellen kirchlichen Dogmen und betonte die individuelle Religiosität des Einzelnen. Inhaltlich stand Bonhoeffer Harnacks Grundansatz durchaus skeptisch gegenüber, wurde er doch zeitgleich mit dem Entwurf des großen Kritikers der Liberalen Theologie, Karl Barth, bekannt. Anlässlich der Verteidigung seiner Promotionsthesen vor der Theologischen Fakultät machte Bonhoeffer jedoch deutlich, wie viel er Harnack verdankte: «Zu eng mit meiner ganzen Person verbunden ist das, was ich in Ihrem Seminar gelernt und verstanden habe, als daß ich es je vergessen könnte.» (DBW 9, 477)

Zahlreiche Veranstaltungen besuchte Bonhoeffer beim Lutherforscher Karl Holl und schrieb bei ihm mehrere Seminararbeiten über den Reformator. Neben Karl Barth ist Luther derjenige Theologe, der Bonhoeffer in seinem eigenen Denken am meisten beeinflusst hat. Seine Kritik an Barth hängt oft genau damit zusammen. Die Promotion verfasste Bonhoeffer dann aber bei dem Dogmenhistoriker und Systematischen Theologen Reinhold Seeberg, weil er bei ihm seinem Interesse nachgehen konnte, «halb historisch halb systematisch» (DBW 9, 156) über die Kirche zu schreiben.

Die Gemeinschaft der Heiligen


Als Gegenstand seiner Doktorarbeit wählte Bonhoeffer die Kirche. Schon mit 21 Jahren schloss er seine Studie Sanctorum Communio. Eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche ab; 1930 erschien sie im Druck. Bonhoeffer beschäftigte sich in ihr mit der Sozialität, das heißt der grundsätzlich sozialen Ausrichtung, des Menschen und des christlichen Glaubens. Der Mensch zeichnet sich nach Bonhoeffers Überzeugung nicht primär dadurch aus, dass er ein autonomes Vernunftwesen im Sinne der Aufklärung ist. Er ist vielmehr ein Wesen, das nur in der Begegnung mit einem Anderen, dort, wo er auf seine Verantwortung gegenüber einem Anderen aufmerksam wird, wirklich Mensch ist. Anders gesagt: Wer er ist, erkennt der Mensch erst, wenn ihm ein Anderer gegenübertritt, wenn ihm ein konkretes Du begegnet, das ihn in seiner Hilfe und Zuwendung beansprucht. In diesem Augenblick wird der Mensch zur Person.

Ist der Mensch damit im Kern als soziales Wesen bestimmt, dann muss auch zum Christsein soziale Existenz unverzichtbar hinzugehören. Bonhoeffer ist überzeugt, dass man nicht für sich selbst Christ sein kann, sondern immer nur in der Gemeinschaft der Glaubenden, in der communio sanctorum, der Gemeinschaft der Heiligen. Mehr noch: Nur im Glauben realisiert der Mensch seine soziale Grundanlage umfassend, denn im Glauben vollzieht sich eine völlige Neuorientierung der menschlichen Existenz. Während der Mensch in der Sünde in einer rein fordernden Beziehung zu anderen Menschen steht und sich nur um sich selbst dreht, ist er im Glauben von dieser Selbstbezogenheit frei und offen für den Anderen. Dies ist kein theologisches Ideal, sondern ereignet sich nach Bonhoeffer ganz konkret, eben dort, wo Menschen miteinander Kirche sind, das heißt Gottesdienst feiern, füreinander da sind, für Andere beten und sich gegenseitig Sünden vergeben. Dort realisiert sich, dass alle Christen durch ihren Glauben an Christus immer schon in einer Gemeinschaft stehen.

Bonhoeffer beschreibt in seiner Arbeit die Gemeinschaftsstruktur der Kirche – das war zur damaligen Zeit neu – mit soziologischen Methoden. Er verwendet die Begrifflichkeit der wissenschaftlichen Soziologie, um das Zusammensein von Menschen in der Kirche zu beschreiben. Und doch ist er davon überzeugt, dass die Wirklichkeit der Kirche sich nicht in soziologischen, das heißt empirisch wahrnehmbaren Kategorien erschöpft. Die Kirche ist als geschichtliche Gemeinschaft mit soziologischen Mitteln beschreibbar, aber sie ist «gottgesetzt zugleich» (DBW 1, 79)....

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch2
Über die Autorin2
Impressum4
Inhalt5
Vorwort7
1. Von Breslau nach Berlin, 1906–19239
Familiäre Prägungen9
Kindheit und Jugend in Berlin11
Die Entscheidung zum Theologiestudium12
2. Von Tübingen zurück nach Berlin, 1923–192715
Zwei Tübinger Semester15
Eine Reise nach Italien15
Das theologische Berlin17
Die Gemeinschaft der Heiligen18
«Was ist schöner: Schule oder Ferien?»20
3. Horizonterweiterungen, 1928–193122
Als Auslandsvikar in Barcelona22
Als Assistent in Berlin27
Als Student in New York29
4. Premieren, 1931–193235
Bonhoeffers Begegnung mit Karl Barth35
Erstes ökumenisches Engagement36
Erstes Pfarramt39
Erste Vorlesungen40
«Ich kam zum ersten Mal zur Bibel»43
5. Der beginnende Kirchenkampf, 193346
Hitlers Machtübernahme46
Die Lage der Kirche47
6. Als Auslandspfarrer in London, 1933–193555
Die «Stille des Pfarramts»55
Die illoyalen «Herren Auslandsgeistlichen»56
Bonhoeffers Friedensrede in Fanø59
Rückkehr nach Deutschland62
7. Leiter eines Predigerseminars, 1935–193764
Ein brüderliches Leben64
«Nachfolge»69
Druck auf die Bekennende Kirche73
8. Der Weg in die Illegalität, 1937–194078
Die neue Form des Seminars78
«Gemeinsames Leben»80
Die Krise der Bekennenden Kirche82
Ausweg USA?86
9. Die Zeit der Konspiration, 1940–194390
Vorbereitungen zum Umsturz90
Die «Ethik»93
«Liebes Fräulein von Wedemeyer»97
10. Als Häftling in Berlin-Tegel, 1943–1945102
Eingesperrt102
«Widerstand und Ergebung»106
«Brautbriefe Zelle 92»115
Die letzten Monate120
Epilog: Ein moderner Heiliger?122
Die Rezeption Bonhoeffers nach 1945122
Dietrich Bonhoeffer heute131
Zeittafel135
Die Familie Bonhoeffer139
Literatur141
Bildnachweis142
Personenregister143

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