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E-Book

Digitale Theologie

Gott und die Medienrevolution der Gegenwart

AutorJohanna Haberer
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641161330
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Die digitale Revolution hat unser Denken dramatisch verändert. Wir betreten mit dieser Technik einen neuen Lebensraum, in dem herkömmliche Regeln nicht gelten und die Gesellschaften lernen müssen, neue Normen auszuhandeln. Der Umgang mit Texten und anderen traditionellen Autoritäten verändert sich, und damit auch ethische Fragestellungen aus christlicher Perspektive. Zum Beispiel: Wer ist mein Nächster?

Es wird ein langer Weg, bis die herkömmliche Wissenschaft von Gott diesen neuen Lebensraum nach theologischen Kriterien einordnen und deuten kann. Dieses Buch möchte einen Anfang machen.

Johanna Haberer, geb. 1956, ist evangelische Theologin und Professorin für Christliche Publizistik an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In der ARD sprach sie vier Jahre lang das Wort zum Sonntag.

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Leseprobe

BIBLISCHE EINSICHTEN

Die heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments werden in der modernen Theologie in ihren historischen Zusammenhängen gelesen und eröffnen damit neue Räume des Verstehens in der damaligen und der heutigen Zeit. Die Schriften waren aber ausgehend von ihrer historischen Verortung immer auch prägend für die zwischenmenschliche und die gesellschaftliche Kommunikation. Wie Menschen sich in ihren sozialen und kommunikativen Räumen bewegen und welchen Regeln sie dabei folgen, das prägen religiöse und kulturelle Modelle.

Beteiligung und Befähigung

Rollenmuster

Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. (Joël 3,1)

In der biblischen Welt, in der Rollenmuster festgelegt waren, in der Mann und Frau und König und Knecht und Priester und Prophet ihre festen gesellschaftlichen Positionen einnahmen, taucht wie ein leuchtender Pfad immer wieder das Motiv des göttlichen Geistes auf, der alle Menschen gleichermaßen in einen geistbegabten Zustand versetzt. Allen gemeinsam sind dann Einsichten, Visionen und Träume. Es ist ein biblisches Motiv, das die Idee einer hierarchiefreien Kommunikation wachhält und die Idee, dass alle Menschen das Recht und die Begabung haben, sich an den Träumen und Visionen einer künftigen Welt und eines künftigen Zusammenlebens zu beteiligen. Diese Ideen haben auch die Reformatoren inspiriert, wenn sie vom Priestertum aller Gläubigen sprachen und die Überzeugung vertraten, dass die Auslegung des Evangeliums in das tägliche Leben keine Sache der Autoritäten sei, sondern die Sache eines jedes Einzelnen. Sie waren der Überzeugung, dass die göttliche Wahrheit des Evangeliums immer wieder in einer gemeinsamen Suchbewegung aller Gläubigen aufscheint.

Von dieser Idee der Beteiligung aller her gedacht, ist eine Technologie, die Menschen miteinander hierarchiefrei vernetzt, die Erfüllung einer großen Vision. Mit einem Mouseclick könnte man nun Gleichberechtigung schaffen, die Kommunikationsrechte aller in dieser so ungerechten Welt verwirklichen.

Man könnte die Diskursräume öffnen und die Menschen dazu befähigen, ihre Träume miteinander zu teilen.

Man kann sogar behaupten, die Idee hinter der Netztechnologie verwirklicht eine biblische Vision und realisiert ein biblisches Muster für gelingende zwischenmenschliche Kommunikation. Es ist der Traum derer, die das Weltwissen allen zugänglich machen wollen, die Basisdemokratie und zivile Einmischung für ein Überlebensmittel künftiger Gesellschaften halten. Es ist der gemeinsame Traum derer, die glauben, Kreativität müsse geteilt werden und die guten Ideen der Menschheit gehörten allen. Zu diesem Traum von Partizipation zählt unmittelbar die Überzeugung, dass Menschen befähigt werden können, mit diesen veränderten Formen der Kommunikation umzugehen. Denn Kommunikation ist immer auch ein Teil der kulturellen Bildung.

Es ist ein gigantischer Lernprozess, in den die modernen Gesellschaften eintreten, damit man als Bewohner des neuen digitalen Lebensraums nicht zum Spielball undurchschaubarer Gesetzmäßigkeiten und Programme wird. Es müssen also die fremden algorithmischen Logiken erlernt und die Spielregeln und Sprachen verstanden werden, damit die Menschen beurteilen und beherrschen können, welche Informationen über sie in diesem neuen Lebensraum kursieren. Denn zur Beteiligung aller gehört auch die Fähigkeit, die Grundlagen der Kommunikation, deren »Geist« und deren Regelwerke zu verstehen.

Wenn es wahr ist, dass jede Religion immer auch bestimmte Formen von Kommunikation hervorbringt, dann muss nach den Mustern der biblischen Mastererzählung für Christen ein dringendes Anliegen sein, für eine hierarchiefreie und selbstbestimmte Kommunikation einzutreten und die Menschen dazu zu befähigen.

Dienende Macht – Kritik der Macht

Du bist der Mann! (2 Sam 12,7)

Es sind Paare, die Weltgeschichte geschrieben haben: König David und Nathan, sein Prophet, Johannes der Täufer und Herodes, Jesus und Pilatus, der römische Statthalter. Kurz: die Konstellation des Machthabers und seines kritischen Gegenübers. Diese Konstellation ist ein weiteres Muster für gesellschaftliche Kommunikation und ihre Bedingungen.

Die biblische Tradition geht grundsätzlich davon aus, dass jegliche politische Macht von Gott geliehene Macht ist und zum Dienst am Gemeinwohl eingesetzt werden muss. Und so inszeniert das Masterdokument der jüdisch-christlichen Kultur wiederholt eine Figur des Gegenübers von politischer Macht und deren Kritik.

Der König und der Prophet: In ungezählten Varianten wird die Geschichte erzählt, wie Machthaber die ihnen anvertraute und damit geliehene Macht zu eigenen Zwecken missbrauchen. Da schwängert ein König die Frau seines treuesten Offiziers, da bereichert sich die Oberschicht auf Kosten der Armen, da lässt ein römischer Statthalter sehenden Auges einen Unschuldigen kreuzigen – um des öffentlichen Friedens willen.

Diese Konstellation hat prägenden Einfluss auf die christliche Vorstellung von Macht genommen und hat auch in der Reformation in ihrer medialen Kritik an den römischen Autoritäten eine entscheidende Rolle gespielt. Macht muss in allen gesellschaftlichen Formationen kritisierbar sein und kritisiert werden.

Wir haben in den modernen Gesellschaften für diese Kritik die Institutionen von Presse und Medien eingerichtet und sichern grundgesetzlich die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft. Die Rollen der alttestamentarischen Propheten, die im Blick auf den Zustand der Gesellschaft informiert und inspiriert Konsequenzen für künftige Entwicklungen beschreiben, bekleiden heute Journalisten, Künstler und Schriftsteller. Dieses Muster im Gegenüber von Macht und Kritik hat sich kulturell und gesellschaftlich bewährt und muss auch in den neuen digitalen Lebensräumen Wirksamkeit entfalten.

Oberflächlich betrachtet ermöglicht ja eine so egalitäre Technik wie die Netztechnik die Kritik aller an jedem. Tatsächlich aber haben sich in den vergangenen Jahren Machtstrukturen von Internetmonopolisten herausgebildet, die bei allen Transparenzversprechen die Alleinherrschaft über Daten und Kommunikationsprozesse von Menschen an sich reißen. Diese geradezu unheimliche Macht ist deshalb so schwer kritisierbar, weil es eines neuen Expertentums dazu bedarf, überhaupt die Mechanismen zu verstehen, mit denen die neuen Netzkonzerne Geld verdienen und die Informationen priorisieren. Auch die Aufgaben eines kritischen Journalismus sind von diesen Datenorganisatoren und Informationssortierern betroffen. Es muss Aufgabe von Christen und anderen Bürgern sein, aus der Erfahrung eines Gegenübers von Macht und deren Kritik, Macht zu begrenzen und einzudämmen.

Wahrheit und Zensur

Der schrieb darauf, so wie ihm Jeremia vorsagte, alle Worte, die auf der Schriftrolle gestanden hatten, die Jojakim, der König von Juda, im Feuer hatte verbrennen lassen; und es wurden zu ihnen noch viele ähnliche Worte hinzugetan. (Jer 36,33)

Zu dieser Dramaturgie eines Gegenübers von politischer Macht und deren kritischer Kontrolle, von veröffentlichter Wahrheit und dem Versuch, diese zu unterdrücken, gehört auch der prophetische Bericht über die erste dokumentierte Bücherverbrennung. Der Prophet Jeremia zeichnet sich durch eine besonders hartnäckige Regierungskritik aus. Er geißelt die Privilegien der Oberschicht und ihre religiöse Heuchelei, den Verrat an den Armen, die soziale Ungerechtigkeit, die Täuschung der freigelassenen Sklaven und eine Bündnispolitik, die nur dem eigenen Machterhalt dient. Sehr genau wird nun geschildert, wie Jeremia seine Machtkritik im Namen Gottes und der unterdrückten Menschen Satz für Satz diktiert und vom Schreiber Baruch sorgfältig niederschreiben lässt. Diese Schriftrolle mit den Drohworten gegen die Regierung und die Untergangsszenarien für die Bevölkerung wird zunächst dem Kabinett vorgelegt und gelangt schließlich vor den König. Dieser zeigt, was er von den Wahrheiten im Namen Gottes hält, indem er diese »Zeitung« mit den dunklen Prognosen für seine Regierung vor den Augen aller verbrennt und die Verhaftung des Propheten und seines Schreibers anordnet. Es ist Gott selbst, der Jeremia auffordert, an einem versteckten Ort seine bedrohliche Zeitanalyse erneut zu diktieren und in die Öffentlichkeit zu tragen.

Zensur dient immer der Unterdrückung von Kritik und dem Machterhalt der Herrschenden. Das biblische Muster im Umgang mit staatlicher Zensur zeigt auf, dass – in Gottes Namen – die Wahrheit dem, der sie ausspricht, gefährlich werden mag, dass sie aber letztlich nicht unterdrückt werden kann.

Die digitalen Lebenswelten haben auf der einen Seite ganz neue massenhafte Formen von Kritik erfahrbar werden lassen. Sie haben weiter das Problem aufgezeigt, dass es nicht einfach ist, diese Kritik politisch strukturiert, konstruktiv und fruchtbar werden zu lassen. Sie haben aber auf der anderen Seite furchterregende, flächendeckende Abhör- und Zensurmaßnahmen Platz greifen lassen. Menschen werden belauscht, überwacht und mithilfe einer Technik, die der Meinungsfreiheit in höchstem Maße dienen könnte, mundtot gemacht. Dies gehört zu den Paradoxien im gesellschaftlichen Umgang mit diesen neuen Lebensräumen, die schier unbegrenzte Freiheitspotenziale bergen und zugleich neue Formen der Zensur und der Unterdrückung mit sich bringen.

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