27Kapitel 1: Neue Chefs braucht das Land!
28Die Digitale Transformation verlangt von Unternehmen und Managern, sich neu zu erfinden, liebgewordene Gewohnheiten und Denkweisen aufzugeben und sich dem Druck des Neuen anzupassen. Großkonzerne wie Mittelständler müssen sich öffnen, ihre Geschäftsprozesse und selbst ihr komplettes Geschäftsmodell unter die Lupe nehmen und herausfinden, wo durch die Digitale Transformation Veränderungsbedarf entsteht. Und sie müssen bereit sein, sich notfalls von Liebgewordenem zu trennen, und den Mut zu haben, auch mal ganz neue Wege zu gehen.
Eine der wichtigsten Aufgaben, die auf deutsche Manager wartet, ist die angefangene Vernetzung zu Ende zu führen. Viele Unternehmen haben in der Vergangenheit viel Geld in „Insellösungen“ gesteckt – Systeme, die zwar in sich funktionieren, die aber keinen Anschluss an den Rest des Unternehmens haben. So kommt es immer wieder zu Medienbrüchen, die Zeit, Geld und Ärger kosten. Es gilt, in den kommenden Jahren Brücken zwischen diesen digitalen Inseln zu bauen und so das alte Versprechen der Unternehmens-IT einzulösen: die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Mit der Digitalen Transformation einher geht ein massiver Umbruch in der Arbeitsorganisation, auf die deutsche Unternehmer denkbar schlecht vorbereitet sind. Homeoffice oder flexible Arbeitszeitmodelle sind nicht vorgesehen. Hier bahnt sich aber ein potenzieller Konflikt an mit den Mitgliedern der nachrückenden „Generation Y“, die gewohnt ist, ganz anders, nämlich autonom und selbstbestimmt zu arbeiten und zu kommunizieren. Unternehmen müssen sich für diese jungen Talente schmücken, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen, als künftige Arbeitgeber infrage zu kommen. Der demografische Wandel droht, in Deutschland eine Arbeitsmarktkatastrophe ungekannten Ausmaßes auszulösen, auf die Unternehmen mit Flexibilität und neuen, netzwerkartigen Strukturen reagieren müssen.
Digitale Transformation ist also ein ganzheitlicher Veränderungsprozess, und er erfordert ganzheitliches Denken. Damit ist sie eindeutig in der Chefetage einer Organisation angesiedelt.
29Warum tun sich manche Unternehmen so schwer, mit den Veränderungen des Digitalzeitalters zurechtzukommen, und warum sind andere erfolgreich? Warum ist Apple heute mehr wert als GE, Wal-Mart, GM und McDonald’s zusammen? Warum gibt es kein einziges deutsches Unternehmen, dass es mit den „Big 4“ – Apple, Google, Facebook und Amazon – aufnehmen kann? Schlafen sie in den deutschen Vorstandsetagen? Ist der deutsche Unternehmer besonders zukunftsresistent? Sind die Deutschen ein Volk von Technik-Muffeln, und was bedeutet das für die Zukunft des Standorts Deutschland und den Wohlstand in diesem Land?
Diese und andere Fragen müssen heute am Anfang eines Diskurses um die sogenannte „Digitale Transformation“ stehen. Sie verlangt von Unternehmen und Managern, sich neu zu erfinden und sich dem Druck des Neuen anzupassen. „Disruptive“ Mitbewerber drängen in den Markt und verdrängen etablierte Marktführer in atemberaubendem Tempo. Welcher Hahn kräht heute noch nach Nokia, dem einstigen Giganten des Mobiltelefons; vier Jahre brauchte Apple nach Einführung des iPhone im Jahr 2007, um Nokia als Spitzenreiter abzulösen. 2014 wurde die Handysparte von Nokia an Microsoft verscherbelt, die zwei Jahre später endgültig den Stecker zogen und den unrentablen Geschäftsbereich einstellten.
Geschäftsmodelle gehören auf den Prüfstand!
Langsam wird klar: Jedes Unternehmen muss sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen, seine Art, mit Kunden zu kommunizieren, sein Marktverständnis und seine Arbeitsabläufe. Das betrifft alle Bereiche des Unternehmens, vom Vertrieb bis zum Einkauf, vom Marketing bis zur Logistik, von der Fertigung bis zum Personalwesen. Aber sind deutsche 30Führungskräfte bereit dazu, sich und ihr Unternehmen notfalls neu zu erfinden?
Zweifel sind angebracht.
„Manche Hunde glauben, der Knochen komme zum Hund, und man muss sie zum Jagen tragen“, beschrieb der frühere Chief Technology Officer von IBM und heutige Erfolgsautor Gunther Dueck („Das Neue und seine Feinde“) die Situation in den deutschen Chefetagen in einem Kommentar zur ersten Auflage dieses Buchs. Nicht, dass sich große wie kleine Unternehmen in Deutschland nicht mit den Fragen der digitalen Zukunft beschäftigen würden. Nur: Es bleibt allzu oft beim Nachdenken und beim Diskutieren. 58 Prozent der Unternehmen in Deutschland hatten sich einer Studie der Crisp Research AG zufolge 2015 höchstens theoretisch mit der Digitalisierung ihres Geschäfts auseinandergesetzt.
Aber auch auf die Mitarbeiter kommen Herausforderungen zu, für die die meisten nur schlecht oder überhaupt nicht gerüstet sind. Der autonome Mitarbeiter von morgen wird ein qualifizierter Mitarbeiter sein müssen. Für Mittelmaß ist in der digitalen Wirtschaft kein Platz. Doch statt den Weg in die digitale Zukunft beherzt mitzugehen, bunkern sich Arbeitnehmervertreter ein. Gewerkschaften klammern sich an den Acht-Stunden-Tag und bekämpfen jeden Versuch, beispielsweise Wochenarbeitskonten einzuführen, wie es die fortschreitende Digitalisierung sowie neue Arbeitsmodelle zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie eigentlich längst möglich und wünschenswert machen würden.
Das Ganze hat einen Grund: Was die Menschen im Zeitalter der Digitalen Transformation unmittelbar erleben und am eigenen Leib empfinden, ist die Beschleunigung und damit verbunden die Angst, nicht mehr mithalten zu können, vollkommen erschöpft und überfordert zu sein. Jeder Manager fühlt sich heutzutage überfordert. Strenggenommen haben sich Manager schon immer überfordert gefühlt, weil sie immer am Limit gearbeitet haben, jedenfalls wenn sie gut waren. Spitzenmanager, 31wie Steve Jobs oder Larry Ellison, dagegen fühlten sich vermutlich niemals überfordert, weil sie auf ihrem beruflichen Surfbrett stabil stehen und wissen, wie man auf der Welle reitet. Überfordert fühlt sich der ganze Rest, also in diesem Zusammenhang vor allem Angehörige des mittleren Managements, weil sie das umsetzen müssen, was als Ergebnis der digitalen Beschleunigung und Veränderung auf sie einprasselt.
Und die Zeit drängt: „Die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland hängt entscheidend davon ab, wie zügig und gut es gelingt, die klassische Produktion zu digitalisieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln“, sagte Bitkom-Vorstand Deutschlandchef des IT-Dienstleisters Atos Winfried Holz auf der Cebit 2015. Wer sich jetzt nicht mit dem Thema auseinandersetze, könne den Anschluss verpassen, warnte er.
Deutsche Manager reden zwar viel über Digitalisierung und Vernetzung, tun aber zu wenig. Das ist teils der typischen „deutschen Angst“ geschuldet: Angst vor dem Versagen, Angst vorm Scheitern. „Bevor ich etwas falsch mache, mache ich lieber gar nichts“, so das unausgesprochene Credo vieler Führungskräfte hierzulande. Doch leider bremst diese Haltung beim Übergang von einer analogen zu einer digitalen Welt, weil sie verhindert, dass die notwendigen Weichen gestellt werden. Andere Länder sind da mutiger – nicht nur die Amerikaner, sondern vor allem auch die Asiaten.
Es liegt aber auch daran, dass deutsche Unternehmer und Manager an ihren eingeführten und bewährten Prozessen hängen, was in gewissem Maße verständlich ist. Immerhin hat Deutschland in der Vergangenheit ja auch vieles richtig gemacht, sonst stünde die deutsche Wirtschaft nicht dort, wo sie heute ist. Aber das Ausruhen auf verwelkte Lorbeeren wird in Zukunft nicht mehr genügen, wenn wir vorne mitmischen wollen.
32Warten auf den Mittelstand
Der Mittelstand ist bekanntlich das pochende Herz der deutschen Wirtschaft. Aber wie sieht es dort in punkto Digitalisierung aus? Das kommt natürlich ganz darauf an, wie man „Mittelstand“ definiert. Die Robert Bosch GmbH mit ihren fast 300.000 Beschäftigten bezeichnet sich selbst als das „größte Mittelstandsunternehmen der Welt“, und sie gehören tatsächlich zu den Vorreitern der Digitalen Transformation in diesem Land. Aber je kleiner der Betrieb, desto schwieriger wird es mit der Einführung digitaler Systeme und Prozesse.
Ja, es gibt kleine Handwerker, die die Zeichen der Zeit verstanden haben. Laut Hagebau-Report sind die sogenannten „mobilen Generalisten“ in den vergangenen zehn Jahren so stark gewachsen wie sonst keine andere Sparte. Es handelt sich dabei meistens um ausgebildete Handwerksmeister, die keine feste Werkstatt mehr haben, aber ein breites Spektrum an Dienstleistungen anbieten. Ihre Kunden suchen sie meist per Facebook. Es gibt angeblich schon mehr als 120.000 von ihnen. Viele bilden sogar aus.
Auch klein- und mittelständische Unternehmen müssen kurzbis mittelfristig mit massiver Veränderung rechnen. Vor allem wird sich das Verhältnis zwischen Kunde und Anbieter auf den Kopf stellen. Waren Unternehmen bisher gewohnt, die Botschaften zu formulieren, die nach draußen gingen, gibt heute der Kunde die Themen vor. Er diskutiert mit seinen Freunden auf Facebook oder per Twitter über das Unternehmen und seine Produkte. Er informiert sich bei Bloggern oder auf Empfehlungsportalen über die verschiedenen Angebote. Und bis er in dem Webshop oder in das stationäre Ladengeschäft des Anbieters kommt, hat er seine Kaufentscheidung längst getroffen.
Darauf müssen sich Anbieter, ob große oder kleine, erst einstellen. Der Kunde ist heute wirklich König, und zwar ein mächtiger Despot. Nur wer es schafft, sich zu seinem Hoflieferanten zu machen,...