Aus den dargestellten Formen der Kongruenzdurchbrechung geht die Vermutung hervor, dass die Kongruenz in der Rechnungslegung nicht durchgängig erfüllt ist. Daher sollen im Folgenden die verschiedenen Rechnungslegungssysteme auf den Umfang möglicher Kongruenzdurchbrechungen untersucht werden. Betrachtet werden dabei die deutsche Rechnungslegung nach HGB sowie die internationalen Rechnungslegungssysteme IFRS und US-GAAP. In allen genannten Systemen kommt es zur erfolgsneutralen Erfassung von Aufwendungen und Erträgen, jedoch ist deren Tragweite höchst unterschiedlich.[23]
Im deutschen Handelsrecht fordert der allgemeine Bewertungsgrundsatz nach § 252 HGB die Übereinstimmung von Eröffnungsbilanzwerten mit den Schlussbilanzwerten des vorhergehenden Geschäftsjahres.[24] Die sog. Bilanzidentität verankert dadurch das Kongruenzprinzip fest in den deutschen GoB. Wie folgende Abschnitte zeigen, ist dieser Grundsatz jedoch nicht immer gegeben.
Die Behandlung eines bei Erstkonsolidierung entstehenden good will kann nach dem deutschen Handelsrecht in zwei Formen erfolgen. So eröffnet § 309 HGB, alternativ zur erfolgswirksamen Erfassung, auch die erfolgsneutrale Verrechnung mit dem Eigenkapital.[25] Da man sich nur auf eine Verrechnung mit den Rücklagen bezieht, stehen sowohl Kapitalrücklage als auch Gewinnrücklage der Konzernmutter selbst sowie die Rücklagen der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen zur Verfügung.[26] Durch das Vorgehen wird die Behandlung des good will vollständig der Konzern - GuV entzogen und die Kongruenzbeziehung zunächst permanent durchbrochen. Erst bei Veräußerung oder Liquidation des Tochterunternehmens wird erneut über die Dauerhaftigkeit der Inkongruenz entschieden. Wird der good will bei Endkonsolidierung nachträglich aktiviert, mindert dieser als Bestandteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten, den Veräußerungserfolg. In Folge läge lediglich eine temporäre Kongruenzverletzung vor.[27]
Grundsätzlich ist die Methode der erfolgsneutralen Verrechnung und aufwandswirksamen Behandlung bei Endkonsolidierung am besten geeignet, um in Verbindung mit entsprechenden Angaben im Konzernanhang, einen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln.[28]
Das Deutsche Rechnungslegungsstandard Committee (DRSC) sah mit der Verabschiedung des DRS 4 jedoch vor, dass der good will, beginnend für Geschäftsjahre nach dem 31.12.2000, zu aktivieren ist und über einen Zeitraum von 20 Jahren linear abgeschrieben wird. [29]
Die Währungsumrechnung von im Ausland ansässigen Tochterunternehmen ist im Handelsrecht nicht explizit geregelt.[30] Lediglich eine Angabe der angewandten Grundlagen für die Umrechnung in Euro, denen Beträge in fremder Währung zugrunde liegen, wird in § 313 HGB verlangt.[31] Mit Verabschiedung des DRS 14 wurde die Behandlung von Währungsumrechnungsdifferenzen nach der Methode der funktionalen Währung empfohlen.[32] Die Methode der funktionalen Währung beinhaltet die Umrechnung von Fremdwährungsgeschäften in die funktionale Währung des Unternehmens. Gewinne und Verluste, die im Rahmen der Umrechnung entstehen, sind erfolgswirksam zu erfassen.[33] Die in der funktionalen Währung aufgestellten Abschlüsse der Unternehmen sind bei Einbezug in den Konzernabschluss in die ggf. abweichende Berichtswährung des Mutterunternehmens umzurechnen. Eine daraus resultierende Umrechnungsdifferenz ist erfolgsneutral in einen Ausgleichsposten des Eigenkapitals einzustellen.[34] Durch die erfolgsneutrale Erfassung wird die clean surplus relation durchbrochen und es liegt eine permanente Kongruenzverletzung vor.
Im Zuge der Globalisierung der Kapitalmärkte und der Harmonisierung der Rechnungslegung veröffentlichen deutsche Unternehmen zunehmend Abschlüsse nach internationalen Standards. Fraglich ist, ob ein Systemwechsel von HGB auf internationale Rechnungslegungsvorschriften ebenfalls als dirty surplus accounting qualifiziert. Grundsätzlich führt die Umstellung der Rechnungslegung von HGB auf internationale Vorschriften zu Änderungen im Vermögensausweis. Aufgrund der verschiedenen Bewertungsmaßstäbe entstehen zwangsläufig Wertunterschiede zwischen der letzten Schlussbilanz nach HGB und der IFRS-Eröffnungsbilanz im darauffolgenden Geschäftsjahr. Gemäß IFRS 1 sind diese Umbewertungseffekte erfolgsneutral in den Gewinnrücklagen, oder wenn angemessen, in alternativer Eigenkapitalkategorie zu erfassen.[35]
An dieser Stelle wird gleich doppelt gegen deutsche Rechnungslegungsgrundsätze verstoßen. Einerseits wird das Anschaffungskostenprinzip infolge einer möglichen Neubewertung der Vermögenswerte durchbrochen, andererseits wird durch deren erfolgsneutrale Behandlung die Bilanzidentität gestört.[36] Im Ergebnis liegt auch hier eine permanente Kongruenzverletzung, also ein dirty surplus accounting vor.
Grundsätzlich existieren im Handelsrecht keinerlei Verpflichtungen, die einen Ausweis von erfolgsneutralen Gewinnen und Verlusten als Teil des Eigenkapitals vorsehen. Es mag insofern begründet sein, dass das relativ dirty surplus - arme Handelsgesetz im Vergleich zur internationalen Rechnungslegung kaum von erfolgsneutralen Vorgängen betroffen ist. Wesentliche Ausnahmen stellen die erfolgsneutrale Erfassung von Währungsumrechnungsdifferenzen sowie die Verrechnung eines Geschäfts- oder Firmenwertes mit den Rücklagen dar. Aus diesem Grund kann das GuV - Ergebnis eines HGB - Abschlusses im Gegensatz zur internationalen Rechnungslegung als Gesamterfolg des Unternehmens bezeichnet werden.[37] Für die genannten Ausnahmen wird bei der Behandlung von Umrechnungsdifferenzen nur eine Angabe der Berechnungsgrundlage verlangt. Ergänzend empfiehlt DRS 14 eine Reihe weiterer Angaben, die sowohl die Berechnung als auch die Erfassung von Währungsumrechnungsdifferenzen erkennbarer machen.[38] Die Behandlung des good will ist nach § 309 HGB nur im Jahr der Verrechnung mit den Rücklagen offen auszuweisen. Eine Aufstellung der insgesamt mit dem Eigenkapital verrechneten good will - Beträge existiert in der deutschen Rechnungslegung nicht.[39] Durch die Erweiterung des § 297 HGB sind zumindest börsennotierte Mutterunternehmen dazu verpflichtet, den Jahresabschluss um einen Eigenkapitalspiegel zu ergänzen.[40] Die Darstellung des Eigenkapitals umfasst die Anfangsbestände der Eigenkapitalpositionen, die um das Gesamtergebnis des Geschäftsjahres und alle Transaktionen mit den Anteilseignern fortgeschrieben werden. Darüber hinaus sollen nach DRS 7 erfolgsneutrale Veränderungen des Eigenkapitals im Eigenkapitalspiegel als übriges Konzernergebnis genannt werden.[41] Konzeptionell entspricht diese Form der Darstellung dem comprehensive income der internationalen Rechnungslegung.[42]
Während das deutsche Handelsrecht grundsätzlich auf dem clean surplus - Konzept aufbaut und Kongruenzverletzungen somit – bis auf die bekannten Ausnahmen – ausgeschlossen sind, wählt die US - amerikanische Rechnungslegung einen Kompromiss.
Rückwirkend betrachtet hat die Konzeption der US - GAAP grundsätzlich zwei verschiedene Regelungen über die Ertrags- bzw. Gewinnerfassung zum Inhalt. Der wesentliche Unterschied beider Konzepte liegt in der Erfassung von unrealisierten Gewinnen und Verlusten im Sinne einer Wertänderung von Vermögen und Schulden.[43] Im Hinblick auf die Erfolgsrealisation ist daher zwischen dem all inclusive income concept und dem current operating performance concept zu unterscheiden.
3.2.1.1 Das All Inclusive Income Concept (AIIC)
Der Konzeption des all inclusive income liegt die Kongruenzbeziehung des clean surplus zu Grunde, d.h. Aufwendungen und Erträge sind unmittelbar erfolgswirksam in der GuV zu erfassen. Damit sieht das AIIC die Summenidentität von Perioden- und Totalerfolg als unabdingbar an und schließt eine Vernachlässigung einzelner Erfolgskomponenten bei der Gewinnermittlung aus.[44] Hintergrund des AIIC ist damit das Bestreben, einen sämtliche Transaktionen umfassenden Erfolg zu ermitteln. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt hauptsächlich in der Eingrenzung von Manipulationsmöglichkeiten des Periodenerfolgs. Darüber hinaus wird gewährleistet, dass die Vermögenswerte nur...