CARL GUSTAV JUNG
(1875 – 1961)
Jung berichtigt Jung
Carl Gustav Jung trat im Jahre 1965 mit mir in Verbindung. Aldous Huxley hatte mir damals gerade sein posthumes Essay »Von Hier Aus« diktiert, in dem er u. a. auch C. G. Jung kritisierte. Jung war darüber sehr ungehalten und beschuldigte meine Helfer und mich, wir hätten das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Er bestand darauf, sein Weltbild sei im wesentlichen richtig, nicht das unsere.
Allmählich aber änderte er seine Meinung und diktierte mir im Jahre 1973 das Bekenntnis »Jung berichtigt Jung«. Erst kürzlich (1976) war ich wieder in Kontakt mit ihm, um absolut sicher zu sein, daß er auch jetzt noch zu seinem »Bekenntnis« steht. Einige seiner Anhänger hatten nämlich geäußert, dieses Diktat könne unmöglich von Jung sein, was er mit einem bedauernden »Es ist von mir« quittierte.
Ehe ich mit dem eigentlichen Diktat dieses Bekenntnisses beginne, möchte ich darauf hinweisen, daß ich nunmehr die in der vorangegangenen Schrift Von Drüben niedergelegten Grundgedanken als den objektiven Gegebenheiten adäquater empfinde als die in meinem Lebenswerk vertretenen. Zu dieser Überzeugung bin ich unabhängig von der Eva Herrmann diktierten Schrift gekommen, und zwar allmählich seit meinem im Jahre 1961 stattgefundenen Übertritt in ein Jenseits, dessen Existenz mich überraschte, da ich es in keiner Weise erwartet hatte. Jedoch war ich mit dem Ablegen meiner irdischen Hülle auch jener irdischen Beschränkung entwachsen, der jeder noch Inkarnierte unterliegt.
Infolgedessen war es mein erster Wunsch, festzustellen, in welchem Maß die von mir vertretenen Anschauungen mit den nun als solche erkannten Tatsachen übereinstimmten. Zunächst schien da keine allzugroße Diskrepanz zu bestehen, doch erwies es sich im Laufe der Zeit, daß der größte Teil dessen, was ich proklamiert hatte, aus Irrtümern bestand. Und mehr als das: ich erkannte, daß ich mich mit einer Schuld beladen hatte, die zu bekennen ich nun diese Gelegenheit ergreife.
Ich hatte mir während meines eben verflossenen Lebens die Aufgabe gestellt, vorzudringen in Gebiete, deren eine moderne Psychologie bedurfte, ohne mir dessen gewahr zu sein, daß mich, gewisse Beschränkungen karmischer5 Natur gefesselt hielten und es mir nicht gestatteten, zu Erkenntnissen zu kommen, die mehr waren als die Früchte einer einseitigen und unklaren Denkweise.
Ich hatte aus den verschiedensten Quellen geschöpft und diesen Stoff, der an sich den Stempel der Wahrheit trug, einem Weltbild einzuordnen versucht, dem es an Klarheit mangelte – wie es manch einer empfand, noch ehe er, wie ich, abwarten mußte, bis ihm der Übergang in eine andere Welt die Augen öffnete.
Es war mir nicht sofort vergönnt gewesen zu sehen, worin meine Fehler bestanden, aber nun ich an die zwölf Jahre hier bin, in einem Zustand, in dem es gestattet ist, mit größerer Klarheit und Objektivität zu urteilen, kristallisieren sich allmählich die Mängel meines gesamten Lebenswerkes heraus. Ohne mir dessen gewahr zu sein, habe ich vieles getan, das der Unehrlichkeit bezichtigt werden könnte, stünde nicht das Erdenleben der meisten unter dem Aspekt der Verblendung und, bei mir, – und erst die Entwicklung meiner letzten diesseitigen Jahre nötigen mir dies Geständnis ab – der Selbstverherrlichung.
Diese Art zu sprechen mag manche meiner Leser befremden, doch bin ich als erwachte Seele ein anderer als der, als den sie mich kannten. Wessen ich mich vor allem zeihe, ist die Tatsache, daß ich mich verschlossen habe vor Dingen, die auf der Hand lagen. Dazu gehören Erlebnisse übersinnlicher Art, denen ich Erklärungen unterschob, die deren wahre Natur in ein falsches Licht setzen, und ich bezichtige mich des Verklausulierens in einer Weise, welches die Akzente des gegebenen Stoffes bis zu dessen Unkenntlichmachung verschob. Ich bezichtige mich ferner einer Unredlichkeit, die mich Material benutzen hieß, ohne jeweils auf seine Provenienz hinzuweisen und dieses Material dergestalt in meinen Text einzuweben, als handele es sich um eigene Erkenntnisse.
Von meinem hiesigen Standpunkt aus gesehen, stellen sich diese nur halbbewußten Verfälschungen anders dar als sie sich einem Lebenden darstellen würden, und es wäre mit beträchtlicher Mühe verbunden, im Einzelnen nachzuweisen, an welchen Stellen in meinem Lebenswerk diese Fehler zu finden sind. Summarisch sei hier nur das Folgende gesagt – und möge es mir gestattet sein, weiter auszuholen, als es zunächst angebracht scheint.
Ich habe mir in einer früheren Existenz etwas zuschulden kommen lassen, das es mir in diesem eben vergangenen Leben unmöglich machte, zu Erkenntnissen höherer Natur zu gelangen. Diese Erkenntnisse, deren ich schon die meisten mein nannte, ehe ich mich wiederverkörperte, waren für mich vorübergehend wie verhangen. Als ein Blinder sollte ich eine Inkarnation durchschreiten, die Buße war für verflossene Untaten. Dennoch war der Tiefe meiner Seele dieses höhere Wissen eingelagert; und so lebte ich einem Verhängnis gemäß, das mich als einen zum Schweigen verurteilten Wissenden veranlaßte, in meiner Bedrängnis das mir Verwehrte zu verkünden und so die Wahrheit zu ersetzen durch eine dem Zeitgeschmack angepaßte und für manche Ohren wohlklingende Pseudowahrheit. Eine Pseudowahrheit oder Lehre, die das überschattete und verdrängte, was mir und vielen meiner Zeitgenossen zum Heil hätte gereichen können.
In meiner Verblendung suchte ich nach etwas, das über Freud, meinen einstmaligen Lehrer und Freund, hinausging und, obzwar das Gebiet, das von der von ihm verkündeten Lehre unberührt geblieben war, ein enormes war und eine legitime Erweiterung dessen, was es lehrte, geboten schien, rückte ich sozusagen seitlich vor, um nicht zu sagen in eine Richtung, von der ich annahm, sie sei die einzig mögliche, die es aber de facto nicht gibt. In der Tiefe war ich mir immer im klaren darüber, wie sehr alles von hier und dort zusammengetragen war, fragmentweise, aus den verschiedensten Quellen, wie es denn auch zum Vorschein kam für schärfer Hinblickende, daß enorme Widersprüche bestanden und alles auseinanderfiel, wenn man meine Lehre verglich mit solchen, denen eine Vision zugrunde liegt, eine Vision, die ein einmaliges Erlebnis war und um das sich dann Einzelheiten rankten, die sozusagen aus dem gleichen Holz waren und aus derselben Wurzel stammten.
Ich lasse dahingestellt, worin Freuds Angaben falsch, und worin sie richtig waren. In seiner Beurteilung des Unterbewußten kam er einer absoluten Wahrheit sehr nahe. In anderen Meinungen hatte er nicht recht oder sagen wir, nur sehr begrenzt recht. Sein Gebiet beschränkte sich auf diesseitige Dinge. Möglicherweise hätte er über diese hinaus einen Weg gefunden, wäre ihm ein längeres Leben beschert gewesen. Er war eine kompakte Erscheinung, ehrlich, mutig, fleißig. Ich hingegen wollte der Menschheit etwas geben, das es nicht gab: eine Erweiterung ihres Horizontes, jedoch in eine Richtung, die ich so lagerte, daß sie ein großer Abstand von allen bestehenden religiösen Begriffen trennte, um nicht ein Publikum zu enttäuschen, daß sich für »modern« und »aufgeklärt« hielt. So befriedigte ich in ihm die Sehnsucht nach Jenseitigem, ohne indes in die Spuren irgendwelcher religiösen Tradition zu geraten. Hierdurch stillte ich zwar nicht eine dem Herzen inhärente Sehnsucht, aber ich befriedigte die intellektuellen Ansprüche derer, die eine aller wirklich religiösen Gehalte bare, etwas mystisch angehauchte Pseudophilosophie begrüßten. Das Unrecht, das ich damit beging, ist unermeßlich, denn auf diese Weise substituierte ich Nichtexistierendes für ein Echtes, etwas, das der Seele Nahrung hätte sein können, durch etwas, das dem vom Zeitgeist genährten Verstand im Verein mit einer vagen Sehnsucht nach etwas Undefinierbarem Genüge leistete. Ich erreichte es, meine Leser dahin zu beeinflussen, daß sie die Dinge mit meinen Augen sahen, und so stehe ich beschämt vor Millionen, denen ich den Weg nach oben verstellte mit Sophistereien, deren Terminologie ein Teil der heute verbreiteten Denk- und Sprechweise geworden ist. Denn das Vokabular, das ich als Vehikel meiner Ansichten schuf, ist inzwischen zur Matrize einer Denk- und Sprechweise geworden, die einer ganzen Generation zum Unheil gereichte. Nichts verführt so sehr wie Schlagworte, denen es eigen ist, dem Denken eine gewünschte Richtung zu geben. Mit einem einzigen Begriff wie z. B. dem der Archetypen – ein Aristoteles entlehnter Ausdruck – habe ich eine reale jenseitige Welt entthront und sie ersetzt durch die Vorstellung, es handle sich um etwas Abstraktes, Subjektives, wenn auch dem Gedankengut der gesamten Menschheit Angehörendes und allen Zugängliches. Ich verfügte, daß das, was ich als einem Gedankengut angehörend bezeichnete – etwa die Gestalt eines Engels – nichts sei als eine zeitlose, wesenlose Idee und keineswegs etwas dem Moment angehörendes Reales; eine Gestalt aus einem Buch und nicht eine Gestalt der Wirklichkeit, mit der man einen Gedankenaustausch pflegen könnte. Und so habe ich diesen Boten höherer Sphären für viele Menschen und auf viele Jahre mit einem einzigen Federstrich den Garaus gemacht. Ich habe eine potentielle Möglichkeit von vornherein als ein der Vergangenheit entstammendes Konzept abgestempelt, und ich habe eine in manchen Fällen durchaus erlebbare, da objektiven Gegebenheiten entsprechende, lebendige Gegenwart in das Reich des Mythos verwiesen.
Dieser Umstand allein genügte, mich nun seit mehr als zwölf Jahren...