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Krebsbüchlein. Ameisenbüchlein

Pädagogische Schriften I

AutorChristian G Salzmann
VerlagReichl Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783876677163
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Von allen Fehlern und Untugenden ihrer Kinder müssen die Eltern den Grund in sich selbst suchen. Das ist das Symbolum, das Fundament, auf dem Salzmann seine Pädagogik, als Ergebnis einer jahrelangen Beobachtung seiner eigenen Kinder und Zöglinge, aufgebaut hat. Die hier im Krebsbüchlein gebrachten anschaulichen Beispiele einer 'unvernünftigen Erziehung' helfen uns, unser eigenes Verhalten anderen gegenüber zu reflektieren und bringen uns und damit auch unsere Kinder ein gutes Stück voran auf dem Weg zur Vollkommenheit. Denn Kinder beurteilen uns weniger nach unseren Worten, als vielmehr nach unserem Sein, nach unserem Tun. Wollen wir also unsere Kinder gesund, froh, aufmerksam und friedfertig sehen, so müssen wir zuerst einmal dafür Sorge tragen, daß wir selbst zum lebendigen Vorbild dieser Eigenschaften werden - sonst wären alle unsere Worte und Ermahnungen vergebliche Liebesmüh. Salzmann, Jahrgang 1744, Gründer des weltberühmten Erziehungsinstituts in Schnepfenthal, war durchaus ein Mann der Tat, und die Tathandlung steht in seiner Art der Erziehung vor jeder nur gedächtnismäßigen Stoffaneignung. Gesunderhaltung, Maßhalten, Ausbildung der Denk- und Urteilsfähigkeit und damit wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sind die Leitlinien seiner Erziehung. Im Ameisenbüchlein heißt es sinngemäß: Außerdem können die Eltern noch auf eine andere Belohnung rechnen, dies ist - die eigene Veredlung. Die Eltern sollten stets die Pflicht mit Wärme empfehlen können, ohne über dieselbe täglich nachzudenken und ihren Wert zu fühlen, ohne selbst Muster der Pflichterfüllung zu sein? Sie sollten mit ihren Kindern leben können, deren scharfes Auge jeden Fehler bemerkt, ohne dieselben abzulegen? Wenn wir uns ernstlich bestreben, unsere Kinder gut zu erziehen, zu veredeln, werden wir selbst veredelt. Mit dem Krebsbüchlein und dem Ameisenbüchlein werden die populärsten Werke Salzmanns miteinander vereint.

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Leseprobe

VORREDE

Ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, daß einmal eine Gesellschaft christlicher Europäer, die sich, der Handlung wegen, in einer bengalischen Stadt niedergelassen hatten, an einem Freudentage, unter Trompeten- und Paukenschall, geschmaust, getrunken, gescherzt, gelacht und gesprungen habe, unterdessen daß die braune Bürgerschaft von Teuerung und Hunger gepeinigt wurde, Scharen halber Leichen in den Gassen umherwankten, zum Teil an der Schwelle des Freudenhauses niederfielen, röchelten und starben, ohne daß nur einer von der fröhlichen Gesellschaft von diesem jämmerlichen Anblick den geringsten Eindruck auf sein Herz empfunden hätte. Bei dieser Gelegenheit wurde die Frage aufgeworfen: woher es doch kommen müsse, daß der Europäer, sobald er auf Ostindiens heißen Boden käme, seine Natur so verändere, und die zärtliche Teilnehmung an seiner Nebenmenschen Leiden, die er insgemein mit aus seinem Vaterlande brächte, mit barbarischer Fühllosigkeit vertausche?

Der Grund hiervon ist so schwer nicht zu finden. Boden und Himmelsstrich sind hieran unschuldig. Das Vorurteil vielmehr, diese fruchtbare Mutter des meisten Jammers, gebiert auch diese Fühllosigkeit. Wenn einmal durch ein, bei der Nation herrschendes Vorurteil, eine gewisse Klasse Menschen zur Unterjochung verdammt ist, und die Vorrechte der Menschheit ihr entrissen sind: dann nimmt in kurzer Zeit das Herz eines jeden Bürgers eine solche Härte an, daß es dem Winseln, den Tränen und Konvulsionen dieser Menschenart zusehen kann, ohne dabei viel mehr, als bei den Verzuckungen eines gewürgten Stiers zu empfinden. In den Ländern, die wir nur in der Absicht besuchen, um uns mit ihren Schätzen zu bereichern, sind nun einmal durch ein, die Menschheit entehrendes Vorurteil, den Landesbewohnern die Rechte der Menschheit entwunden, und den Europäern das unumschränkte Recht, sie zu mißhandeln, zugestanden worden. Dies Vorurteil atmet der Europäer ein, sobald er seinen Fuß vom Schiffe auf das Land setzt, und fühlt bald die Wirkung davon an seinem Herzen.

Es würde mir leicht sein, mehrere Exempel von ähnlicher Fühllosigkeit gegen die Leiden einer gewissen Menschenart, aus allerlei Jahrhunderten und Himmelsstrichen, zusammenzubringen. Aber wozu diese Weitläufigkeit, da wir solche Exempel in der Nähe haben können? Wir leben in einem gemäßigten Himmelsstrich, und viele von uns sind, seit etlichen Jahren, so empfindsam geworden, daß sie der Floh dauert, dessen Wonneleben sie abkürzen müssen. Gleichwohl hat doch auch bei uns das Vorurteil eine gewisse Gattung der Menschheit zur völligen Unterjochung verdammt, und ihren Beherrschern eine unumschränkte Freiheit, sie nach eigener Willkür zu behandeln, zugestanden. So wie die ersten Chrsiten alles Unglück, das sich im römischen Reich ereignete, entgelten mußten: so müssen auch diese gemeiniglich allen Verdruß empfinden, der in ihrer Vorgesetzten Häusern entsteht, ohne daß sie sich verantworten dürfen. Sie werden oft in Gesellschaften zur Beschimpfung aufgestellt, und haben keine Erlaubnis, deswegen zu klagen; man haut sie mit Ruten, oft ohne etwas verwirkt zu haben; oft martert man sie mit langsamen Qualen zu Tode, und die meisten ihrer empfindsamen Mitbürger hören ihr Geschrei, sehen sie gepeinigt werden, ohne hierin etwas Unbilliges zu finden.

Diese, unter dem Druck seufzende Menschenart sind Kinder, und ihre Unterdrücker die Eltern. Die Mißhandlungen, die sie in den meisten Häusern ausstehen müssen, sind bis zum Bejammern groß; und gleichwohl sind die meisten unserer Zeitgenossen schon so sehr an dergleichen Anblicke gewöhnt, daß sie das unschuldigste Kind können gepeitscht sehen, und sein Jammergeschrei anhören, dem Sarge eines andern, das durch väterliches oder mütterliches Vorurteil hingerichtet wurde, folgen, ohne dabei an Ungerechtigkeit zu denken.

Vielen Kindern wird, in den ersten Jahren ihres Lebens, die Gesundheit ihres Körpers und ihrer Glieder durch der Eltern Schuld entrissen, indem diese ihnen teils durch die Erzeugung das Gift mitteilen, das sie durch ihre Ausschweifungen in ihr Blut gebracht haben, teils durch Vorurteile und Sorglosigkeit ihre Gesundheit zerstören. Deswegen glaube ich, ohne die Sache zu übertreiben, behaupten zu können: daß in keinem barbarischen Raubnest so viel verstümmelte Sklaven umherwandeln, als in einer mittelmäßigen polisierten Stadt Sieche und Gebrechliche, die durch ihrer Eltern Schuld das wurden, was sie sind.

Die Mittel, die Gesundheit der Kinder zu erhalten, sind in den meisten Häusern so verkehrt, so augenscheinlich ihrer Gesundheit und ihrem Leben nachteilig, daß ich nicht zuviel sage, wenn ich behaupte, daß die meisten Kinder, die das Jahr hindurch zu Grabe getragen werden, der Eltern Vorurteil getötet habe.

Die Strafen, die diese kleinen, schutz- und wehrlosen Menschen, fast täglich ausstehen müssen, sind meistenteils ungerecht. Wenngleich der Ungeheuer äußerst wenige sind, die in der Wut ihre Kinder blutig und ungesund schlagen, so haben doch die wenigsten Kinder die Züchtigungen, die sie ausstehen müssen, verdient, sie leiden also Unrecht, und jeder Rutenschlag, den man, ohne ihn verdient zu haben, erdulden muß, ist Ungerechtigkeit.

Da sitzt eine Mutter, im Kreise ihrer Freundinnen, und stellt gegen ihre kleine Familie eine öffentliche Klage an, malt ihren Eigensinn, Halsstarrigkeit, Bosheit, Trägheit, Unordnung mit den schwärzesten Farben ab; dort steht ein Vater, vor seinem achtjährigen Sohne, und hält ihm eine lange Strafpredigt, die ein Gewebe von den bittersten Vorwürfen und den pöbelhaftesten Schmähungen ist; ein anderer peitscht seine Kinder, wegen allerhand Ungezogenheiten, die er an ihnen bemerkt hat. Wie aber, Freunde, wenn ihr den Kindern die Fehler und Unarten, die ihr an ihnen bemerkt, selbst beigebracht hättet, wäre es da nicht ungerecht, wenn ihr sie deswegen so hämisch behandeln wolltet? Wenn ihr erst euren Kindern gewisse Fehler beibrächtet, und sie hernach deswegen bestrafen solltet, daß sie dieselben so gut begriffen haben, wäre das nicht grausam?

Und dies ist ganz gewiß. Der Grund von allen Fehlern, Untugenden und Lastern der Kinder ist meistenteils bei dem Vater oder der Mutter, oder bei beiden zugleich, zu suchen. Es klingt dies hart, und ist doch wahr.13

Der Mensch zeugt immer Kinder, die seinem Bilde ähnlich sind. Das Gehirn, Blut, Bein und Fleisch des Kindes sind von seinen Eltern entsprossen. Wenn nun die Eltern fehlerhaft, an Leib oder Seele, oder an beiden zugleich, krank sind: so müssen notwendig alle diese Krankheiten den Früchten ihres Leibes mitgeteilt werden. Der heftige Hang zu gewissen Lastern, die unbändige Bosheit, der Eigensinn, die Halsstarrigkeit, die unordentliche Lüsternheit, die übermäßige Sinnlichkeit, die Verdrossenheit, selbst die Dummheit, wovon die meisten Kinder bald dieses, bald jenes mit aus der Windel bringen, sind augenscheinlich Mitgaben von Vater oder Mutter.

Wer ferner Familien beobachtet hat, wo nicht eine vorzüglich gute Kinderzucht herrscht, der wird bemerkt haben, daß die Fehler der Kinder sich mit den Jahren vermehren und vergrößern. Wie unschuldig lächelt das zweijährige Karlchen, und wie hämisch sieht der zehnjährige Leopold aus! Diese Anmerkung ist so durchgängig als wahr angenommen, daß man in vielen Häusern diejenigen Jahre, da der Verstand des Kindes sich zu regen pflegt, da also die Besserung desselben merklicher werden sollte, die Flegeljahre (man verzeihe mir diesen Ausdruck!) nennt. Und also muß es auch wohl noch Ursachen geben, die nach der Geburt die Fehler des Kindes vermehren und vergrößern. Und diese sind meistenteils wieder nirgends anders, als in den Eltern zu suchen.

Erstlich in ihrem Exempel. Das Kind, das seines Verstandes noch nicht mächtig ist, kann nicht anders, als nachtun, was es von anderen sieht und von anderen hört. Wollte man das Gegenteil von ihm verlangen: so käme mir dies ebenso widersinnig vor, als wenn ein guter Deutscher, der nie eine fremde Sprache sprach, von seinem Sohne, der an seiner Seite aufwächst, verlangen wollte, daß er nicht deutsch, sondern französisch sprechen sollte; und, wenn er dies nicht könnte, ihm deswegen Vorwürfe machen und sagen wollte: du ungeschickter Bube! Sieh nur, wie andere Kinder so gut französisch sprechen! und du – in deinem Leben wird nichts aus dir werden. Und nun betrachte man das Exempel, das viele Eltern ihren Kleinen geben! Sie zanken, und verlangen von ihren Kindern Friedfertigkeit; sie kommen oft trunken nach Hause, und dringen bei ihnen auf Mäßigkeit; sie erzählen ihre Jugendsünden, und schlagen drein, wenn die Kinder dieselben ebenfalls begehen; sie klagen über die Arbeit, preisen die Müßiggänger glücklich; und murren, wenn die Kinder gegen die Arbeit Abneigung bezeigen; sie erlauben sich alle die Ausschweifungen, um derentwillen sie ihre Kinder züchtigen. Eltern, die solche Exempel geben, können wohl nicht leugnen, daß sie die vornehmsten Lehrmeister sind, von denen Kinder ihre Untugenden gelernt haben.

Zweitens im Mangel der Aufsicht. Sie klagen oft, daß sie ihren Kindern die beste Erziehung gäben, und doch verspürten sie bei ihnen keine Früchte davon. Wenn man aber diese Erziehung näher beleuchtet: so ist sie weiter nichts als ein Unterricht, den sie denselben täglich ein paar Stunden entweder selbst geben oder durch andere geben lassen. Im übrigen überlassen sie die Kleinen sich selbst, gestatten ihnen, mit den rohesten Kindern umzugehen, übergeben sie dem Gesinde, sind entweder auf ihre Geschäfte so eifrig oder halten so viele Gesellschaften, nehmen an allen Lustbarkeiten so vielen Anteil, daß ihre Kinder den größten Teil ihrer Jugendjahre, ganz ohne Aufsicht, unter Leuten von verdorbenen Sitten zubringen....

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