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Kapitel 2
Gewollt und geliebt!
Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.
Irenäus von Lyon
Geliebt! – Immer noch atme ich tief durch, wenn ich diese Aussage über mein Leben höre. Denn für mich ist dieser Zuspruch alles andere als selbstverständlich. Ich habe meine liebenswerten und starken Seiten, mit denen ich ganz passabel und vorzeigbar bin – durchaus. Aber ich kann auch anders. Ich kann anstrengend, schwierig und kontrollierend sein. Manchmal kann ich richtig fies und ungerecht werden. Ich kann dichtmachen, mich abwenden und dem anderen die kalte Schulter zeigen oder mich komplett in meinen Emotionen vergaloppieren. Ich kann in einem Moment sehr selbstüberzeugt sein und im nächsten ein Häufchen Elend, das nach etwas Lob und Anerkennung lechzt. Ich kann rachsüchtig und stolz sein.
Und manchmal, wenn diese unangenehmen und dunklen Seiten aus mir hervorbrechen und andere Menschen mich auf diese Weise kennenlernen, dann packt mich die nackte Angst, ob ich dieses Mal den Bogen nicht überspannt habe. Ob mein Mann, meine Kinder oder gute Freunde und Mitarbeiter sich nicht doch irgendwann von mir abwenden werden und sagen: „Jetzt reicht’s! Das Maß ist voll!“ Ob nicht doch irgendwann der Punkt kommt, wo der andere geht – weil ich zu weit gegangen bin. Weil ihre Liebe mich nicht aushält.
Ich weiß – und das wird wohl der Grund für meine Angst sein –, dass mir mit Menschen so etwas tatsächlich passieren könnte. Weil es eben Menschen sind und ihre Liebesfähigkeit daher auch begrenzt ist.
Der Einzige, bei dem ich diese Angst nicht habe, ist Jesus. Ich habe bei ihm absolut keine Angst, dass er sich irgendwann vielleicht doch von mir abwenden wird. Ich kenne niemanden, der mich so bedingungslos liebt wie er. Er wird tatsächlich niemals gehen und wird mich niemals alleinlassen. Auch wenn ich es noch so sehr vermasselt habe.
Das Verrückte dabei ist: Ich käme nie auf die Idee, diese bedingungslose Liebe auszunutzen. Im Gegenteil: Diese absolute Sicherheit, die ich bei Jesus erlebe, macht mir Mut, Schädliches loszulassen und Sünde zu überwinden. Spornt mich an, alles für ihn zu geben, was ich habe und zu geben vermag. Diese Liebe zaubert das Beste und Schönste in mir hervor!
Die Überschrift Geliebt! steht aber nicht nur über meinem Leben, sondern über dem Leben eines jeden Menschen. Warum ich das mit großer Gewissheit und aus tiefster Überzeugung sagen kann? Für die Antwort müssen wir einen Blick in die Bibel werfen („… ohne Bibel geht da nix!“) und nachforschen, wie alles begann. Müssen uns ansehen, was es mit dieser Liebe Gottes auf sich hat und ob sie tatsächlich so tragfähig und belastbar ist wie von mir geschildert. So tragfähig, dass wir das Leben, welches uns anvertraut wurde, auf diesem Fundament aufbauen können.
Eine der wichtigsten Grundaussagen über unser Leben finden wir in einer der beiden Erzählungen über die Erschaffung des Menschen.
Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Dann legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
Und Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und behüte.
1. Mose 2,7-9.15
Wie alles begann
Mit sehr viel Liebe zum Detail, mit wunderschönen und aussagekräftigen Bildern wird in der Schöpfungserzählung das Wesentliche dessen, was unser Leben ursprünglich ausmacht, entfaltet. Der eigentliche Grund, warum wir leben, ist Gott. Gott will uns! Was für eine großartige Überschrift über unserem Leben: Ich bin gewollt!
Je nachdem, wie unser Leben verläuft, müssen wir in unserem Lebensbuch immer wieder zu diesem Anfang zurückblättern und uns die Überschrift „Von Gott gewollt“ erneut vergegenwärtigen. Denn wir alle kennen Situationen, in denen wir uns ungewollt und überflüssig fühlen. „Ob ich da bin oder nicht, interessiert doch keine Sau“ – diese Aussage eines Jugendlichen mag etwas drastisch klingen, spiegelt aber ein Lebensgefühl wider, was uns durchaus auch als Erwachsene ab und an überfallen kann. Befinden wir uns gerade in einer sehr erfüllenden Phase und werden gebraucht oder haben wir eine wichtige Aufgabe, die uns Bedeutung verleiht, dann mag dieses Gefühl in den Hintergrund treten. Aber haben wir den Eindruck, irgendwie nutzlos zu sein, dann fühlen wir uns einsam. Werden wir von Menschen zurückgewiesen, ist diese „Keine Sau interessiert sich für mich“-Stimmung ganz schnell wieder da. Für uns und unser Wohlgefühl ist es eben existenziell wichtig, gewollt zu sein. Deshalb versuchen wir unsere Beziehungen, unser Leben und Arbeiten so zu gestalten, dass dieses „Du bist gewollt“ an vielen Stellen erfahrbar wird. Und das ist gut so! Letztlich steckt jedoch in diesem Bedürfnis eine Ursehnsucht nach Gott und er ist auch der Einzige, der diese Sehnsucht mit seinem „Ich will dich“ wirklich stillen kann.
Dieser Gott, der nun den Menschen erschafft, ist nicht irgendein Gott, sondern der Gott, der sich seinen Menschen später vorstellt. Im hebräischen Grundtext steht hier statt „Gott, der Herr, formte den Menschen“ „Jahwe Elohim formte den Menschen“.
Elohim war die ganz allgemeine Bezeichnung für Gott. Jahwe hingegen war der Name Gottes, mit dem er sich später auch Mose vorgestellt hat. Auf die Frage von Mose, wie er ihn denn nennen solle, antwortete Gott: „Ich bin Jahwe“, was so viel bedeutet wie: Ich bin der „Ich bin, der ich bin“ oder der „Ich bin da“ oder, besser noch: der „Ich bin für dich da“ (2. Mose 3,13-15). Denn Gottes Dasein in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ja, darüber hinaus auch außerhalb von Raum und Zeit war nie etwas Abstraktes, sondern manifestierte sich in der Geschichte und suchte immer die liebende Beziehung zu uns Menschen. Bis heute! Sein Dasein war und ist handfest in seinem „Für uns sein“ erlebbar.
Der, der sagt: „Ich will dich“, schmeißt uns also nicht einfach ins Leben und überlässt uns dann desinteressiert unserem Schicksal. Wenn er mit uns spricht, dreht er uns nicht den Rücken zu, sondern ist uns zugewandt, schaut uns aufmerksam an und hört uns interessiert zu. Sein Reden und Handeln in unserem Leben ist auf unser Wohl ausgerichtet. Gott ist unser Verbündeter, der uns fördern und unterstützen will und der an unserer Seite kämpft. Auf diese Überschrift müssen wir uns im Laufe unseres Lebens immer wieder zurückbesinnen.
Von Staub und Sehnsucht
Dieser „Ich bin für dich da“, der will, dass der Mensch ins Leben gerufen wird, formt nun aus der Erde des Ackerbodens einen Menschen. Das hebräische Wort, welches hier mit „Ackerboden“ übersetzt ist, lässt sich besser mit dem Wort „Staub“ wiedergeben. Der Mensch wurde aus Staub geformt. Bei dem Wort „Ackerboden“ könnte man noch an nahrhafte, vielleicht lehmhaltige und gut formbare Erde denken. Da bringt der Boden gewisse Qualitäten mit, die das Modulieren des Menschen unterstützen oder erleichtern. Aber Staub? Staub zerrinnt zwischen den Fingern. Staub ist Staub-trocken, ihm fehlen Substanz und Voraussetzungen, um daraus etwas zu gestalten. Staub pustet, wischt oder fegt man weg. Er ist der Inbegriff von Vergänglichkeit. Zerfällt etwas zu Staub, ist nichts Substanzielles mehr übrig. Staub ist eigentlich … nichts.
Was für eine Einsicht über den Menschen! Wir bringen in diesen Schöpfungsvorgang nichts mit und leisten keinen eigenen Beitrag. Alles, was wir haben, und alles, was wir sind, haben und sind wir ausschließlich durch den „Ich bin für dich da“. Wir sind Abhängige, die ohne Gott überhaupt nicht existieren können. Da bleibt kein Raum für unangebrachten Stolz oder sich selbst auf die Schulter klopfende Eitelkeit, aber umso mehr für Staunen und Dankbarkeit. Aus Staub etwas zu formen – das bringt nur Gott fertig!
Und jetzt hält er dieses kleine Staubmännchen in den Händen und bläst ihm ganz vorsichtig den Lebensatem in die Nase. Wie viel Zärtlichkeit, wie viel Vorsicht und wie viel Achtsamkeit schwingen dabei mit! Durch den Lebensatem Gottes wird der Mensch ein lebendiges Wesen. Hier steht eigentlich: „So wurde der Mensch zu einer lebendigen Seele.“ Dieses Wort „Seele“ meint im Hebräischen in seiner Grundbedeutung die Kehle oder den Schlund eines Lebewesens und damit seine Bedürftigkeit, sein Angewiesensein und seine Verletzlichkeit. Wir sind wie junge Vögel, die ständig ihren Schnabel aufsperren, den Eltern ihre offene Kehle hinhalten und erwarten, dass da immerfort etwas hineingestopft wird.
Ich finde, dieses Bild ist sehr passend, trifft es doch unser Lebensgefühl nur zu gut! Wir leben unser Leben immer mit einer ganz tiefen Bedürftigkeit und ständigen Sehnsucht nach Erfüllung und Sättigung. Diese Sehnsucht tragen wir in uns, weil Gott sie in uns hineingelegt und uns so geschaffen hat. Deswegen sind unsere Sehnsucht nach Leben und unser Verlangen nach Erfüllung in sich niemals etwas Schlechtes, sondern gehören wesensmäßig zu unserem Menschsein. Wir sollten uns davor hüten, unsere Sehnsüchte und Bedürfnisse zu verdrängen oder zu verleugnen. Im Gegenteil: Je stärker sich...