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Du entscheidest!

Reiten mit gutem Gewissen

AutorChristin Krischke
VerlagCadmos Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783840463686
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Kann eine Reitweise, die vor 250 Jahren populär war, in die heutige Zeit transportiert werden? Wie sähen die Großmeister historischer Reitkunst wie Antoine de Pluvinel oder Francois Robichon de la Guérinière das 'Vorwärts-Abwärts'? Ist Reitsport überhaupt noch zeit- und tierschutzgemäß? Die Direktorin der Fürstlichen Hofreitschule in Bückeburg, Christin Krischke, beantwortet diese und viele andere interessante Fragen mit anekdotenreichem Fachwissen und räumt mit Vorurteilen und angestaubten Konventionen auf.

Christin Krischke gelangte gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang über das Westernreiten und ihre Liebe zum Berberpferd zur historischen Reitkunst. Sie leitet gemeinsam mit ihrem Mann mit der Hofreitschule Bückeburg eine Art lebendiges Pferdemuseum. Sie ist die Stimme der Fürstlichen Hofreitschule, als Moderatorin in den Vorführungen und Seminaren tätig, oder trägt als Referentin und Korrespondentin die Erkenntnisse aus 25 Jahren Historienforschung und experimenteller Archäologie im Sattel in die Reiterwelt. Zudem setzt sie sich als internationale Richterin für Berberpferde für den Erhalt dieser seltenen Rasse ein.

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Leseprobe

Du
entscheidest, wer Dich schult

Reitlehrer heute

Gesunder Menschenverstand und einige Menschenkenntnis sind die einzigen Hilfsmittel, die einem bei der Suche nach dem richtigen Ausbilder zur Verfügung stehen, denn keines der bestehenden Gütesiegel ist repräsentativ genug, den Schüler vor Unbill zu feien.

Die meisten Reitlehrer unserer Zeit lassen sich in drei Kategorien einteilen:

1.) Die Abspuler, die ewig gestriges Wissen täglich wiederkäuen und von einer Floskel zur nächsten hangeln.

2.) Dann sind da die Opportunisten, die in ihrer Reitweise obenauf mitschwimmen und sich als die Krone der Schöpfung verstehen. Sie sind verantwortlich für die ständige Abstraktion und Pervertierung der abgelieferten Bilder und Methoden und für den Verlust jeden Skrupels.

3.) Und andere tun sich als Weltverbesserer hervor, lassen sich etwas ganz Neues einfallen. Sie feilen ihr Leben lang mit zahlenden Versuchskaninchen (Reitschülern) daran, das Rad neu zu erfinden. Bis sie sich gen Lebensabend doch wieder in den Fußstapfen eines Vorgängers wiederfinden und resignieren. Von solchen hört man oft absichtlich umständliche Erklärungen, die wie die Geheimsprache einer Glaubensgemeinschaft wirken. So wird der Eindruck erweckt, man habe es hier mit einem Herren des Themas, einem echten Könner zu tun. Der Dozent täuscht damit entweder darüber hinweg, dass seine Lehre simpel, oder dass sie in sich unlogisch ist. Er will gar nicht verstanden werden, es genügt, wenn der Reitschüler zahlt und in Anbetung verharrt. Perfiderweise stecken viele der Auf-den-Leim-Gegangenen in einer Art Sucht fest. Sie verschließen ihre Augen vor den gut gemeinten Ratschlägen ihrer Umwelt und bleiben unbelehrbar, um nicht zugeben zu müssen, dass sie viel Zeit und, noch viel schlimmer!, viel Geld vergeudet haben.

Ausbilder, denen es weniger ums Geld geht als um nachhaltig gute Resultate, sind selten. Vielleicht wäre es sinnvoll, Reitunterricht und Reitbespaßung zu unterscheiden. Dann kannst Du selbst entscheiden, ob Du Wissen oder Unterhaltung suchst, und den Reitlehrer danach auswählen.

Weil sich im Leben eines Reiters unweigerlich Fehler einschleichen und potenzieren und weil Methoden und Ansichten auf fest getretenen Spuren aushärten und die Vielfalt schwindet, ist es unverzichtbar, dass sich selbst die erfahrensten Reitlehrer immer wieder auf die Finger schauen lassen. Du kannst den Ausbilder Deiner Wahl durch ein paar Fragen dazu, wann er sich wo zuletzt hat schulen lassen, darauf abklopfen, ob Du maßgeschneiderten Unterricht von ihm erwarten darfst oder doch nur Einheitsbrei.

Ausbildungsbetriebe

Die fatalen Zusammenhänge zwischen gedankenloser Weitergabe von Halbwissen und frühem Pferdeverschleiß sind nicht zu verheimlichen. Die Pferdewirte und Reitlehrer, denen die reiterliche Zukunft der ambitionierten Jugend anvertraut wird, lernen ihr Handwerk im Hauruckverfahren und in einer Mühle aus Sportlobby und Arbeitskraftausbeutung. Es gab eine Zeit, in der wir in der Hofreitschule unsere Auszubildenden dem Lehrwesen der FN und der Landwirtschaftskammer anvertraut haben.122 Wenn unsere Elevinnen in der Berufsschule erzählten, dass sie zu sechst 26 Pferde betreuen, dann ernteten sie neidische Blicke von Klassenkameraden und verächtliche Kommentare der Zulassungskommission der Landwirtschaftskammer:

»Derart verweichlicht werden sie in der harten Realität der Sportreiterwelt nie bestehen können.«

Wie konnte es so weit kommen, dass sich in genau solchen Pferdefabriken der Sportreiterwelt ein einzelner geschundener Pferdewirt um 40 bis 80 Pferde zu kümmern hat? Als erste Anlaufstelle für Reiteinsteiger wird hier gleich zu Anfang das grundverkehrte Bild vom garstigen, unwilligen Gaul und dem tapferen, handgreiflichen Dompteur Reitlehrer vermittelt. Wie viel mehr zum Reiten gehört, als nur im Sattel zu bleiben, das bleibt vielen Reitschülern jahrelang ein Mysterium.

Mechanisches rechts Ziehen für Rechtskurve suggeriert dem Reiter, das Pferd funktioniere nach Art eines Fahrrads. Bei braven Lehrpferden kann so etwas das Gefühl des Reitenkönnens auslösen, das zu leichtsinnigen Aktionen und falscher Selbsteinschätzung führt. In der Psychologie gibt es ein Wort für die Wahrnehmungsstörung, sich als Meister eines Metiers zu verstehen, obwohl man ein inkompetenter Anfänger ist: den Dunning-Kruger-Effekt123. Mir begegnet dieses Phänomen sehr häufig: In Internetforen wimmelt es nur so von Selbstüberschätzern und Respektlosen.

Reitunterricht

Aber da brave Lehrpferde rar sind und der mürrische Regelfall in dunklen, miefigen Boxen sein unbefriedigendes Dasein fristet, kommt es auch ohne Leichtsinn zu manch bösem Zwischenfall. Das Vertrauen in die Berechenbarkeit des Partners Pferd wird im Keim erstickt. Man erlernt mehr Kontrolle, bessere Zwangsmethoden und- mittel und vor allem unnachgiebiges Durchsetzen der menschlichen Interessen. Ausbinde- und Schlaufzügel sind Werkzeuge, mit denen heute gedankenlos und prophylaktisch jedem Lehrpferd (und vielen anderen Pferden) der Kopf in eine unnatürliche Haltung gezwungen wird. Leider ist es gängige Praxis, Reitanfänger auf Pferde mit Stoßzügeln zu setzen und ihnen Zügel in die Hand zu geben. Ich muss mich hinter Baucher verstecken, wenn ich so etwas sehe: Er sprach so treffend vom »Rasiermesser in der Hand eines Affen«. So ist das Niveau der landläufigen Reitausbildung auf einer zwar seit Jahrhunderten beklagten, aber augenscheinlich jetzt wahrlich erreichten Talsohle angekommen. Der Tacho manches achtjährig verschlissenen Lehrpferdes hat mehr km aufzuweisen als Pluvinels 24-jähriger Le Bonite im Reitkunstunterricht mit dem französischen König.

Unpassendes Sattelzeug, fest verschnürte Zäume und Hilfszügel, stramm bandagierte Beine124 pflastern den Weg des reitbaren Untersatzes. Die Ratschläge der Reitlehrer erschöpfen sich nicht selten in Anweisungen wie »Nimm die Zügel kürzer«, »Der muss den Hals mehr krumm machen« oder »Tritt dem Bock doch mal in die Rippen«.

Viele Reitschulen kämpfen am Existenzminimum, weil eine Reitstunde mitunter für zehn Euro zu haben ist, damit sie sich jeder leisten kann (»Geiz ist geil«). Wenn hier wirklich qualifizierte Lehrer am Werk wären, warum verlangen sie für ihre Dienstleistung nicht genauso viel wie ein Automechanikergeselle oder -meister? Warum sollte er sechs Reitschüler unterrichten müssen, um eine Stunde lang sein Auto reparieren lassen zu können? Mich würde ein so niedrig angesetzter Preis immer stutzig machen, und mir wäre mein Geld zu schade für den Murks, den ich dafür bekomme. Aber ich habe mich ja auch in anderen Bereichen für Qualität vor Preis entschieden.

Die Motivation und die Versammlungsbereitschaft sind für den Genussreiter wesentlich wichtiger als die Rasse oder die Ganggewaltigkeit. Sabine Eidenhammer mit Fjordpferd Doolittle. (Foto: Sabine Oettel)

Lehrpferd oder Schulpferd?

Ich will mich hier von den Negativbeispielen lösen und versuchen zu beschreiben, wie man im Dschungel der Genusslosreiter zu einem erbaulichen Reiten finden kann. Steigen wir ein, an dem Punkt, wo wir nach Longenunterricht (bitte ohne Zügel und ohne Ausbinder) schon oben bleiben, aber noch keine feine Hilfengebung kennen. Ich empfehle jedem, in dieser Phase nur noch ein Pferd zu reiten. Am besten ein eigenes und am besten ein sehr erfahrenes. Wenn man einen Marathon laufen möchte, beginnt man mit drei oder fünf km Training. Wenn man reiten lernen möchte, lernt man zunächst ein Pferd zu reiten. Wenn das gelingt, geht man weiter. Such Dir Dein erstes Lehrpferd sorgfältig aus. Und auch wenn Du schon ewig reitest und umsteigen möchtest auf Leichtigkeit und Genussreiterei, mach es Dir leicht und wähle ein Pferd, das Dir das Lernen leicht macht.

Menschennah und menschenfern

Man kann die Domestikationsbemühungen der frühneuzeitlichen Menschen in Bezug auf Pferde in große Herde fern des Menschen und kleiner Bestand nah am Menschen unterscheiden. Die großen Pferdeherden in der Mongolei weisen ein halbzahmes Verhalten auf, sie weiden um die Behausungen der Nomaden. Sie bleiben in der Nähe, weil immer einige Herdenmitglieder angebunden sind. Ähnlich den halbzahmen Rentieren der Tschuktschen, einem Volksstamm im Nordosten Russlands. Wenn diese Tiere einmal mit dem Wurfseil gefangen wurden, stellen sie schnell jeden Widerstand ein und lassen sich beladen, einspannen oder reiten. Zurück in die Herde entlassen, verwildern sie sofort wieder und nutzen ihre Wildtierinstinkte zum Überleben in der kargen Landschaft.

Für die nahe am Menschen gehaltenen Pferde der nordafrikanischen Nomaden waren die natürlichen Instinkte teilweise von Nachteil. Stets an den Beinen gefesselt oder in der Behausung in einem Pferch eingestallt, wurde der Fluchtinstinkt züchterisch unterdrückt und machte einer Instinktkontrolle Platz. Am Verhalten heutiger Pferde kann man recht gut erkennen, wie lange ihre Vorfahren auf ihre natürlichen Instinkte angewiesen waren, ehe der Mensch ihnen den Kampf ums Überleben ersparte. Und es gibt Pferderassen, die bekannt sind für...

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