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E-Book

Auf Du und Du mit dem König der Diebe

AutorWilli Dommer
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783746041919
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
In einer prekären Lebenssituation heuert Willi Dommer notgedrungen bei einem bundesweit bekannten Paketzusteller an. Sehr früh wird ihm die fragwürdige Lage als "Scheinselbständiger" zum Problem: Auslieferung mit eigenem PKW, Tanken und Reparatur auf eigene Rechnung, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Sozialversicherung, Knebelverträge, die schnell in die Armut führen können. Als kommunikativer, wissbegieriger Mensch führt der ansonsten gebeutelte Bote immer wieder Gespräche mit Kunden und Anwohnern und erfährt viel Interessantes über heimatkundliche Begebenheiten, Kunst und Kultur, die örtliche Sagenwelt, aber auch skurrile Geschichten aus seinem Auslieferungsgebiet im Südschwarzwald. Tipps und Anregungen für Feriengäste inklusive. Das hält ihn zunächst bei der Stange. Zweieinhalb Jahre hält Willi Dommer durch. Im Depot wird es zunehmend unerträglich: überstrenge Sicherheitskontrollen, Beanstandungen wegen Lappalien, Unterstellungen wegen angeblicher Unterschlagung, Androhung von Entlassungen, freche Bemerkungen der Depotbetreiber ("Ihr amen Schlucker"). Etliche Boten werden vor Gericht gezogen und bekommen durchweg Recht. Dazu vierstellige Nachforderungen des Finanzamts trotz geringer Einkünfte. Der Autor wagt den Absprung, lernt für den Taxischein und kündigt. 600 Euro werden ihm vom letzten "Lohn" einbehalten. Wegen angeblichen Sendungsverlusts ... Den Gang zum Gericht spart er sich, denn vor ihm liegt ja nicht das Nichts, sondern eine neue und hoffentlich angenehmere Phase seines Arbeitslebens.

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Leseprobe

Vom Förderband ins Simonswälder Tal


Ich bringe den Scanner zum Auslesen ins Büro und erhalte nach geraumer Zeit die ausgedruckte Orientierungsliste mit allen auszuliefernden Waren, geordnet nach Parzellen, die in ihrer Abfolge in etwa der optimalen Route des Boten entspricht. 62-01 bis 62-06 ist Simonswald, 62-10 bis 62-13 Gütenbach. Derart ausgestattet, machen wir uns auf den Weg ins Simonswälder Tal. Arthur fährt, ich eile mit Paket und Scanner zur jeweiligen Haustür, liefere aus, lasse den Kunden auf dem Display des Scanners eine Unterschrift leisten, haste wieder zurück auf den Beifahrersitz und gebe in den Scanner ein, wer das Päckchen entgegengenommen hat: KS für Kunde selbst, EM für Ehemann, SW für Schwester plus deren Namen, Schwager oder Schwägerin plus deren Namen, SM für Schwiegermutter plus deren Namen oder aber – falls beim Kunden niemand daheim ist – den Namen und die Hausnummer des Nachbarn, der so freundlich war, die Ware anzunehmen.

»Der langgestreckte, mehrkernige Ort Simonswald umfasst nahezu die gesamte gut besiedelbare Talfläche entlang der Wilden Gutach«, ist in »Wikipedia«, der freien Internet-Enzyklopädie zu lesen. »Deren Tal wird teilweise als Simonswälder Tal bezeichnet. Es mündet bei Gutach im Breisgau in das Tal der Elz. Von hier verläuft die Hauptstraße des Ortes in südöstlicher Richtung über 17 Kilometer aufwärts in Richtung Gütenbach und Furtwangen.« Simonswald liegt größtenteils im Talgrund auf etwa 300 Metern über Normalnull. Nach Nordosten und Südwesten zweigen vom Haupttal zahlreiche, teils besiedelte Nebentäler ab: Ettersbach, Haslach, Griesbach, Nonnenbach, Kilpen, Saulache, Zweribach, Herrengarten … In Obersimonswald wird das Tal enger und steigt in Richtung Südosten auf die Schwarzwaldhöhen. Die Gemarkung des Ortsteils Obersimonswald erstreckt sich fast bis zum Gipfel des Brend auf 1150 Metern über dem Meeresspiegel.«

Gegenüber Lehrmeister Arthur versuche ich mit meiner Ortskenntnis zu prahlen. Schließlich wohne ich seit geraumer Zeit in Simonswald und bin mit einer Eingeborenen verheiratet. Schon beim ersten Kunden, im Gasthof »Adler« am Ortseingang, ergibt sich die Chance, Arthur gegenüber den Insider heraushängen zu lassen: Das ist Sigi, der Getti – sprich: Patenonkel –meiner Frau Sonja, erkläre ich, was den Kollegen indes nicht sonderlich zu interessieren scheint. Wenige Straßen weiter, im Herrengraben bei der Imkerei Fritz Hug, versuche ich es erneut: »Hier ist übrigens die Schwester meiner Frau, also meine Schwägerin Andrea verheiratet!« Arthur reagiert nicht die Bohne. In erster Linie will er früh mit der Tour fertig werden. Deshalb spart sich der anzulernende Paketbote auch jedwede Erklärung über die Kapelle auf der steil ansteigenden, lichten Anhöhe hinter der schwippschwägerlichen Imkerei. Keine Perlen vor die Säue, sagt er sich.

Eine Sage aus frühester Zeit berichtet nämlich, dass unter dem Hügel, dem sogenannten »Kopfrain«, eine Kirche verborgen sei und dass einmal ein Hahn herbeikommen werde, der die Spitze freischarren werde. »Eine merkwürdige Sage, deren Sinn kaum zu verstehen ist«, vermerkt Willi Thoma in seinem Buch über »Elztäler Sagen«. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Berg mit Reben bepflanzt gewesen. »Es blieb unserer Zeit vorbehalten«, so der Waldkircher Sagensammler, »den Kern dieser Sage, dass nämlich auf dem Berg eine Kirche oder eine Kapelle stehen würde, Wirklichkeit werden zu lassen.«

Der Eigentümer des Kopfrains, Großvater meines Schwippschwagers Fritz, war 1918 während des Ersten Weltkriegs in den Kämpfen bei Reims schwer verwundet worden. Unter Aufbietung aller Kräfte konnte Andreas Hug sich noch bis zum Verbandsplatz schleppen. In dieser ausweglos erscheinenden Lage tat er ein Gelöbnis: Sollte ihm die Rettung aus dieser furchtbaren Situation und eine glückliche Heimkehr beschieden sein, so werde er auf der Höhe des Kopfrains eine Kapelle bauen. Und so geschah es. Etliche Trauungen sind schon vor dem kleinen Altar vollzogen worden, den Andreas Hug mit der Laubsäge aus dem Holz eines Kirschbaums gearbeitet hat, der zuvor auf dem Kopfrain stand. Und heute noch wird einmal im Jahr eine Messe in der Kapelle gelesen. Auf dem Kapellendach, vor dem kleinen Glockentürmchen sitzt übrigens sinnigerweise ein Hahn.

Kapelle auf dem Kopfrain

Das hätte den Arthur vermutlich kaum interessiert. Ein ganz klein wenig stärker beeindruckt mag er womöglich weiter oben im Tal gewesen sein. Da wollen wir im Dorfkern nach links in die Sonnengasse einbiegen und müssen prompt vor einer Baustelle stoppen. »Kein Problem«, sage ich und lotse den Kollegen zwanzig Meter weiter talaufwärts über den Höflehof. Franz, der »Hefle-Bur«, ist hinter dem Haus mit irgendetwas beschäftigt. Er begrüßt mich und will von den Boten spaßeshalber Maut kassieren. Dabei stellt sich heraus, dass er und Arthur sich entfernt kennen. Der Hefle-Franz ist nämlich Schlagzeuger bei der »Heibihni-Musik«, einer überaus locker musizierenden Formation, bestehend aus ehemaligen und nach wie vor aktiven Mitliedern der »Trachtenkapelle Simonswald«. Die könnten durchaus mal im »Batzenhisle«, einem Ortsteil Waldkirchs, gastiert haben, wo Arthur wohnt.

Zügig bewegen sich die Boten nun in Richtung Obersimonswald: Durch die enge »Brennerkurve« beim Unteren Felsen, wo bis vor einigen Jahren noch eine Aral-Tankstelle betrieben wurde, vorüber an der Bildhauerei Schonhardt. Der Junior Martin, genannt »der Schnitzer«, hat vor Jahren eine ins Dorf integrierte Ausstellung, den sogenannten »Simonswälder Skulpturenweg« initiiert, von dem heute leider nichts mehr zu sehen ist (siehe den Artikel »Kunst unter hohen Tannen« im Anhang). Die Gemeindeverwaltung wollte halt nicht in Kunstwerke investieren –Bezug zum Dorf hin oder her. Weiter geht es, am Oberen Felsen vorbei und zum »Talerhof« im Ibendörfle. Reni, die Tochter des Hauses, ist eine ehemalige Klassenkameradin meiner Frau und unsere beste Freundin. Wie so oft hat sie etwas bei Sportscheck bestellt. Arthur fällt nicht auf, dass an der Hausfront eine hölzerne »Odal-Rune« angebracht ist. Kaum zwei Meter vom großen christlichen Kruzifix entfernt, prangt das alte heidnisch-germanischeZeichen, das in der Blut-und-Boden-Zeit zum Symbol des »Reichsnährstandes« deklariert wurde. Einer Inschrift der Landesbauernschaft Baden ist zu entnehmen, dass die Familie Schwer bereits seit 1705 auf dem Hof ansässig ist. Der 2006 verstorbene »Taler-Karle« wurde häufig zu den umliegenden Bauernhöfen gerufen, um Hautkrankheiten beim Vieh zu kurieren. Niemand wusste so recht, was dabei im Stall vor sich ging. Wollte auch keiner wissen, sonst wirke der Zauber nicht, heißt es.

Viele munkeln etwas vom »Siebten Buch Mosis«. Erste magische Rezeptbücher dieses Titels tauchten im 18. Jahrhundert auf und wurden mit Untertiteln wie »500 erprobte und entschleierte Geheimnisse, Mittel und Ratschläge aus dem Gebiete Haus- und Landwirtschaft« immer wieder neu aufgelegt. Bei diesen Sammlungen magischer Hausrezepte soll es sich um das geheime Wissen jenes Mannes handeln, der laut Altem Testament das Volk Israel aus Ägypten geführt haben und dabei den Pharao und seine Priester mithilfe von Zaubermitteln ausgetrickst haben soll. Aber solche Behauptungen waren lediglich wohlfeile Werbesprüche,Verkaufsargumente. 1956 wurde das Buch verboten und der damalige Verleger Ferdinand Masuch wegen Betruges und Verstoßes gegen das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten verurteilt. Anlass war – laut Wikipedia – ein Hausmittel aus dem Buch, das Syphilispatienten empfahl, sich bis zum Hals in Pferdemist einzugraben und die Krankheit auf diese Weise »auszuschwitzen«.

Es muss sich bei den Behandlungen des »Taler-Bur« Karl um eine Art »Besprechen« oder »Wegsprechen« mit ein wenig Magie gehandelt haben, das übrigens auch bei Menschen wirkt. Viele sind auf diesem Wege schon Warzen und wildes Fleisch losgeworden.

Karl scheint von seiner Mutter in die Geheimnisse des Heilens eingeweiht worden zu sein. Denn Ende der 80er Jahre erzählte seine Schwester Maria, die auf den oberen Nonnenbachhof geheiratet hatte, dem Redakteur des Gütenbacher Heimatblättles, Hans-Peter Wehrle, folgende Geschichte.

»Meine Schwester hatte einen schweren Fahrradunfall. Sie wurde mit dem Rettungshubschrauber nach Freiburg gebracht. Neben vielen Knochenbrüchen hatte sie Hirnblutungen, die in einem Zeitraum von drei Tagen nicht zum Stillstand gebracht werden konnten. Ihre Mutter, die alte Talerhofbäuerin vom Ibendörfle, hat daraufhin Gebete zum Blutstillen gesprochen. Tatsächlich hörten die Blutungen sehr bald auf, die Patientin ist nach einer langen Ohnmacht wieder vollkommen genesen.« Auch ihr Großvater habe bei einer Krankheit helfen können: Er habe »Dädel...

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