SIGTRYGG SILKBEARD
ca. 970–1042
Alles begann mit den Wikingern und einem gerissenen König, der verbissen um Dublin kämpfte und sogar nach Rom pilgerte. Er hinterließ eine normannische Kathedrale, das älteste Gebäude der Stadt.
Blickt man vom Wood Quay ( ? E 5) am Fluss Liffey nach Süden, so versperren einem zwei hässliche weiße Büroblocks die Sicht – ein düsteres Kapitel in der Architekturgeschichte der Stadt. Hier landeten im Jahr 841 die Wikinger, bauten einen Hafen und gründeten eine Siedlung: Dyfflin oder Dubh Linn. Der Name, der im Laufe der Zeit zu Dublin wurde, bedeutet: schwarzer Teich. Die Wikinger hatten diese Stelle ausgewählt, weil hier die Liffey am leichtesten zu überqueren ist. Darauf deutet auch der irische Name der Stadt hin: Baile Átha Cliath, die Stadt an der Hürdenfurt.
Archäologen hatten seit Ende der 1960er-Jahre am Wood Quay die Fundamente der Siedlung freigelegt. Sie fanden die Überreste der Straßenmauer, Straßen, Feuerstellen, Arbeitsgeräte von teilweise organischer Substanz, Spielsachen. Es war die bedeutendste Ausgrabung zur Erforschung der Wikingerzeit. Doch die Dubliner Stadtverwaltung ließ sich nicht beeindrucken. Trotz Massendemonstrationen, höchstrichterlicher Entscheidungen und Appellen von Wissenschaftlern aus aller Welt wurden die Büroblocks gebaut und begruben das wichtigste Zeugnis von Dublins Frühgeschichte unter sich. Die Archäologen kletterten auf die Lastwagen, mit denen der Bauschutt abtransportiert wurde, und durchsuchten ihn nach Artefakten, um zu retten, was noch zu retten war.
Diese Artefakte sind im National Museum of Ireland 20 ( ? H 6) ausgestellt. Im ersten Stock in der Kildare Street dokumentieren die Ausstellungsstücke die Ära der Wikinger in Irland von 800 bis 1150. Im Mittelpunkt stehen die Funde von Wood Quay. Die Ausstellung enthält auch Beispiele von religiösen Edelmetallarbeiten aus dem 11. und 12. Jahrhundert, die zum Ende der Wikingerzeit eine Verschmelzung ihrer Kunst mit dem irischen Stil belegen.Als Ersatz für das Original am Wood Quay spendierte die Stadt »Dublinia« 10 ( ? E 5), eine interaktive Ausstellung. »Reisen Sie zurück in das Dublin der Wikingerzeit«, fordern die Prospekte auf. »Ziehen Sie die Wikingerkleidung an, besuchen Sie ein enges und verrauchtes Wikingerhaus.«
Die Wikinger waren in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts von der Orkney-Inselgruppe im Norden Schottlands gekommen und erkannten die strategische Bedeutung der Gegend. 841 bauten sie ihren ersten Hafen, unternahmen von hier aus Beutezüge und trieben Handel mit den Nachbarn. Im Laufe der Zeit vermischten sie sich immer mehr mit den keltischen Ureinwohnern, gingen Ehen mit ihnen ein und übernahmen ihre Bräuche.
Einer der Wikinger war Sigtrygg II. Silkbeard Olafsson. In irischen Texten taucht er meist als Sitric oder Sitrick auf. Er kam um 970 in Dublin auf die Welt, sein Vater war Olaf Cuarán, der König von York und Dublin, seine Mutter war Gormflaith, die Tochter des Königs von Leinster. Danach war sie mit Máel Sechnaill, dem Hochkönig von Irland, verheiratet. Scheidungen waren in Irland damals üblich, bevor sie jahrhundertelang verboten waren und erst 1995 durch Volksentscheid wieder legalisiert wurden. Auch Sigtryggs Vater hatte einen älteren Sohn mit einer anderen Frau: Glúniairn, das »eiserne Knie«, war von 980 bis 989 König von Dublin.
MAL GEWANN SIGTRYGG, MAL DIE ANDEREN
Ob Sigtrygg sein Nachfolger wurde, ist ungewiss, weil es nur wenige Aufzeichnungen gibt. Möglicherweise kam zunächst sein Rivale Ivar von Waterford an die Macht, doch der wurde spätestens 993 von Sigtrygg verjagt. Es folgten Jahre der Kriege, Eroberungen und Rückeroberungen. Dublin war aufgrund des relativen Reichtums der Stadt ein attraktives Angriffsziel. So musste Sigtrygg sich Verbündete suchen. Er fand einen in Máel Mórda, seinem Onkel mütterlicherseits und König von Leinster, nördlich von Dublin. Im Jahr 999 besiegten die beiden Sigtryggs Cousin Donnchad mac Domhnaill, den König von Leinster, und sperrten ihn in ein Verlies in Dublin. Doch als sie sich im selben Jahr mit Brian Boru, der inzwischen Hochkönig war, anlegten, zogen sie in der Schlacht von Glenmama den Kürzeren.
Nach seinem Sieg griff Brian Boru Dublin an, plünderte die Stadt und schlug Sigtrygg in die Flucht. Die führte ihn zunächst nach Norden, aber als die dort angesiedelten Stämme ihm Hilfe verweigerten, kehrte er nach Dublin zurück und unterwarf sich Brian Boru, der ihn wieder als Herrscher in Dublin einsetzte. Um den Frieden mit Brian Boru zu festigen, heiratete Sigtrygg dessen Tochter aus erster Ehe, Sláine. Brian Boru wiederum heiratete Sigtryggs Mutter Gormflaith, nachdem Olaf Cuarán gestorben war und sie sich von ihrem zweiten Ehemann, Máel Sechnaill mac Domnaill, getrennt hatte. Brian Boru wurde dadurch Sigtryggs Stief- und Schwiegervater. Dank der Heiratspolitik erfreute sich Dublin einer ausgedehnten Friedenszeit, während Sigtryggs Soldaten in der Armee Brian Borus kämpften und Rache an den Stämmen nördlich von Dublin nahmen, die Sigtrygg ihre Hilfe verwehrt hatten.
Aus jener Zeit stammt auch die »Sigtryggsdrápa«, eine isländische Sage, die Gunnlaug Illugason zu Ehren Sigtryggs verfasst hat, von der aber nur Fragmente erhalten geblieben sind. Sigtrygg wollte sich dafür mit Schiffen und Gold erkenntlich zeigen, überlegte es sich jedoch anders und schenkte dem Poeten statt dessen einen neuen Anzug.
Um 1010 ließ sich Brian Boru von Gormflaith scheiden, woraufhin sie versuchte, ihren Sohn gegen ihn aufzuwiegeln. Der suchte sich Verbündete auf Orkney. Graf Sigurd von Orkney zögerte zunächst, gegen Brian Boru in den Krieg zu ziehen, willigte jedoch ein, nachdem Sigtrygg ihm versprochen hatte, dass er Gormflaith heiraten und Hochkönig von Irland werden könne. Dasselbe versprach Sigtrygg allerdings auch Bróðir von der Isle of Man. Am Karfreitag, dem 23. April 1014, kam es zur Schlacht bei Clontarf, heute ein Stadtteil Dublins im Norden. Sigtrygg blieb während der Schlacht in seiner Garnison in Dublin. Brian Borus Truppen gewannen zwar die Schlacht, doch er selbst sowie Sigurd und Bróðir starben auf dem Schlachtfeld.
Damit hatte sich zwar das Problem des doppelten Versprechens für Sigtrygg gelöst, doch die Macht der Wikinger war gebrochen. Als Dublin 1015 von der Pest heimgesucht wurde, ergriff Brian Borus Nachfolger, Máel Sechnaill, die Gelegenheit und brannte Dublins Vororte nieder. Sigtrygg zog danach noch in einige Schlachten, doch nach Máel Sechnaills Tod im Jahr 1022 entstand ein Machtvakuum, das mehrere Stammeskönige füllen wollten. Um ihre Ambitionen zu verfolgen, benötigten sie die finanziellen Mittel, und die waren nur in Dublin zu holen.
Die Stadt geriet unter wiederholte Attacken, und als Sigtryggs Sohn Olaf 1029 als Geisel genommen wurde, musste der Vater einen hohen Preis in Gold und Vieh zahlen. Dennoch erholte er sich wieder, und in den 30er-Jahren des 11. Jahrhunderts gelang es ihm sogar, seinen Machtbereich bis nach Wales auszudehnen. 1035 ließ er Ragnall, den König von Waterford und Enkel seines ersten Rivalen Ivar, in Dublin hinrichten. Doch ein Jahr später verließ ihn sein Glück auf den Schlachtfeldern, er wurde von Echmarcach mac Ragnaill, dem König der schottischen Inseln, zum Rücktritt gezwungen und starb 1042 im Exil an einem unbekannten Ort. Seine sechs Kinder – eines mit seiner Frau Sláine, fünf mit anderen Frauen – waren allesamt vor ihm gestorben, meist auf dem Schlachtfeld. Lediglich seine einzige Tochter Cellach starb im selben Monat wie ihr Vater eines natürlichen Todes.
SILKBEARD REISTE NACH ROM
Das Monument, das Sigtrygg hinterlassen hat, ist die Christ Church Cathedral 6 ( ? E 5). Er war 1028 nach Rom gereist; nach seiner Rückkehr stiftete er die Kathedrale, die zunächst aus Holz gebaut wurde. 1180 ersetzten die Normannen sie durch eine steinerne Kirche. Sie ist heute das älteste Gebäude der Stadt und die einzige von den Wikingern gegründete Kathedrale in Irland und Großbritannien. Obwohl Irland überwiegend katholisch ist, sind beide Kathedralen Dublins – Christ Church und die St Patrick’s Cathedral 28 ( ? E 6/7) – heute protestantisch.
Von der alten normannischen Kathedrale ist nur die Krypta erhalten. Im südlichen Querschiff findet man ebenfalls Reste des romanischen Baus. Die Nordwand des Mittelschiffs ist noch das Original aus dem 13. Jahrhundert, die übrige Kirche wurde in den 1870er-Jahren restauriert. Bemerkenswert ist der Fußboden aus Bildkacheln, die im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild...