Es regnet in Strömen. In Plastikplanen eingehüllt bin ich dennoch bis auf die Haut nass. Der Fahrtwind ist kalt und lässt die Augen tränen. Seit vier Stunden hocke ich nun im Bilgenwasser einer Piroge. Wir tuckern mit Vollgas auf dem Sangha stromab nach Süden, der Republik Kongo entgegen. Noch befinden wir uns zwischen der Zentralafrikanischen Republik und Kamerun. Bayanga liegt hinter uns. Die Piroge ist schmal, ein besserer Einbaum, dem ein Außenborder ans Heck gehängt wurde. Vor mir hocken hintereinander aufgereiht sechs Afrikaner. Unter ihnen zwei Typen in Fantasieuniformen, die für Söldner oder Milizionäre gehalten werden können. Eine Frau kauert ganz vorn. Ihr schwappen von Zeit zu Zeit Bugwellen ins Gesicht. Im Wasser, das sich mit Dieselöl angereichert hat und stinkt, liegt unser Gepäck. Ich ziehe einen Plastikfetzen über den Kopf, versuche zu schlafen, das gelingt nicht. Stattdessen lasse ich Revue passieren, was in Bayanga geschah: Spätabends wurde der Ort erreicht. Im Hospiz kümmerte sich ein Notdienst um Ngoma. Während ein Teil seiner Familie ins BaAka-Dorf bei der Bantu-Siedlung zog, blieb Mutoma mit Kind und ihren Eltern im Krankenhaus. Alex organisierte für den nächsten Tag den Pirogentransport. Nun rückte auch für uns die Stunde des Abschieds heran. Er musste zurück nach Yaoundé. Ich in den Süden zum Kongo, will mich ein Stück auf Henry Morton Stanleys Spuren begeben, des Mannes, der David Livingstone suchte, schließlich fand und der für Leopold II., König der Belgier, das riesige Gebiet Kongo ›aufbereitete‹. Afrikas dunkles Herz scheint sich im Bürgerkrieg zu zerfleischen und von allen guten Geistern verlassen zu sein.
Mich lässt der Gedanke an die Zukunft der Pygmäen nicht los. Mögen es achtzigtausend sein, die in der grünen Lunge Zentralafrikas leben, bedroht von Kettensägen, Harvestern, Rohstoffsuchern, Landnehmern und Investmentmultis. Alle rücken erbarmungslos heran. Beschnitten in ihrem Lebensraum, fremden Einflüssen ausgesetzt, verlieren die Waldmenschen ihre Identität, finden sich wieder, entwurzelt, versklavt in den Slums großer Städte. Wo sie den Bodensatz der Ärmsten der Armen bilden. Doch wie kann die immer bemühte Weltgemeinschaft die letzten Naturgesellschaften vor dem Untergang bewahren? Durch hermetisch abgeriegelte Gebiete? Durch einen Menschenzoo? Durch behutsame Integration? Es ist das Fehlen probater Lösungen, was so tieftraurig macht.
Ich riskiere einen Blick auf den Fluss, der sich von Regenwald und Mangroven umsäumt gen Süden wälzt, um dann nach sechshundert Kilometern im Sumpf bei Mossaka den Kongo zu speisen. Rechts liegt auf Kamerungebiet der Nationalpark Lobéké, auch ein Refugium für Elefanten- und Gorillabeobachtungen. Links wird jetzt der Regenwald von Sandstrand mit anschließenden Gebäuden verdrängt. Wir haben Lidjombo am zentralafrikanischen Ufer des Flusses erreicht. Im Ort ist Waschtag. Eine Hundertschaft Frauen steht knietief im Wasser, schrubbt Hosen, Hemden, Unterwäsche. Unser Steuermann lässt den Motor aufheulen, damit ihm die Waschfrauen Platz zum Anlegen machen. Es nieselt aus grau verhangenem Himmel. Steifbeinig begeben wir uns an den Strand. Eine Meute Mopedfahrer rauscht heran, wittert ein Geschäft. Ich stehe ratlos herum, muss erst checken, was da abgeht.
»He, Mann, das sind die Taxis hier«, ruft mir einer der Söldner zu. »Hotel Diba hat vielleicht noch was frei. Lidjombo is’n heißes Pflaster, ha, ha.«
Damit schwingt er sich auf den Sozius eines Mopeds. Ab geht’s. Ich mache es ihm nach. Schnell wird klar, warum die Taxis nur zwei Räder haben. Der Knüppeldamm, der zum Flussufer führt, ist katastrophal. Eventuell noch mit einem Panzer befahrbar. Wie ein Klammeraffe hänge ich auf der Sitzbank, auf dem Rücken hüpft der Rucksack, der Fahrer balanciert durch Furchen, an Trichtern vorbei und prescht durch einen quirligen Ort, der auf den ersten Blick nur aus Bars und Gotteshäusern aller Religionen besteht. Abgesehen von Ansammlungen heruntergekommener Häuser und Müllberge. Ziemlich am Ende von Lidjombo kratzt mein tollkühner Fahrer eine Rechtskurve und stoppt vor einem Eisentor mit dem verrosteten Schild »Diba«. Das Tor ist noch angelehnt, da kurz zuvor jemand hineingeschlüpft sein muss. Von einer eineinhalb Zentner Mami, grell geschminkt und mit Haaren wie ein Bettvorleger, werde ich kritisch gemustert. Nach Zahlung einer Vorkasse von achtzig Dollar führt mich ein spindeldürrer Schwarzer in eine Kammer: fensterlos, ohne Waschbecken, weder mit Tisch noch Stuhl, dafür einem Lager, mit Sicherheit weniger hygienisch als das bei den BaAka. Immerhin, ich habe eine Unterkunft. Mit Grausen denke ich an morgen, spätestens dann sind die Einreiseformalitäten für den Kongo zu überstehen. Ein gültiges Visum kann ich wenigstens vorweisen.
Hunger meldet sich. Ich begebe mich in einen ungemütlichen Raum, in dem von der Wand ein Fernseher flimmert und plärrt. Auf Plastikgestühl hocken Bantu und schaufeln sich Spaghettiberge hinein. Dachte ich’s mir doch, in einer Ecke sitzen die beiden Landsknechte aus dem Boot. Der mir den Tipp gab, grinst breit, winkt mich heran. Ich zögere. Ob das der richtige Umgang ist? Was soll schon passieren? Ich begrüße die beiden und lasse mich nieder. Sie stellen sich mit Moïse und Kasinga vor. Moïse ist redselig. Tiefschwarz, Glatze, rundes Gesicht mit Schmucknarben, zynische Mundwinkel. Ein Bild, das gut einen Steckbrief zieren könnte. Der andere hat etwas feinere Gesichtszüge. Einen Gebrauchtwagen würde ich ihm dennoch nicht abkaufen. Ist es als vertrauensbildende Maßnahme zu bewerten, dass sie erzählen, Unteroffiziere einer Armee zu sein? Welcher bleibt ein Geheimnis. Sie seien auf dem Weg nach Brazzaville. Sehr mysteriös, die Stadt liegt im Kongo. Das trifft sich aber nicht schlecht, die Hauptstadt der Republik Kongo ist auch mein Etappenziel. Moïse beugt sich vor, sodass ich seinen sauren Atem rieche.
»Holz, Diamanten, Gold? Was führt Sie hierher?«
Ich verstehe nicht gleich. Er grinst dreckig.
»Weiße sind selten hier. In kleinen Grüppchen tauchen mal Touristen auf, die in die Parks gehen. Alleinreisende haben Geschäfte im Sinn, trübe Geschäfte. Dies ist ein idealer Platz dafür.«
Aha, denke ich. So zwischen Zentralafrika und dem Kongo lässt sich trefflich schmuggeln oder alles Mögliche verschieben.
»Na, rücken Sie schon raus, was sind ihre Absichten?«, fragt Kasinga in einem Ton, der mir nicht gefällt.
Ich antworte: »Land und Leute, die Geschichte des Kongo …«
»Mann, sagen Sie’s doch gleich: Journalist, Spion!«, erklärt Moïse und fixiert mich mit stechenden Augen.
Schon bedaure ich, mich mit den Burschen eingelassen zu haben. Wir bestellen etwas zu essen. Ich versuche die Situation zu entspannen und ordere drei 33-Export. Bier, das die Afrikaner hier gern trinken. Moïse schlägt mir auf die Schulter, entblößt ein Raubtiergebiss zu einem Lachen und meint:
»Nichts für ungut, Mann, sollte ein Witz sein. – Sind Sie eigentlich offiziell eingereist?«
Schon wieder so eine Anspielung.
»Selbstverständlich!«
»Nur so ‘ne Frage. Bei Grenzformalitäten können wir Ihnen helfen.«
Die beiden werden immer geheimnisvoller. Oder war das eben eine Falle? Teller mit Nudeln, Soße, Kochbananen, Zwiebeln und das Bier werden gebracht.
»À votre santé!«, brummen die beiden. War das ernst gemeint?
Nach einer Weile sagt Kasinga, man wolle noch etwas durch den Ort gehen. Wenn ich Lust habe, könne ich mich anschließen. Allein herumzulaufen, sei in Lidjombo nicht ratsam. Natürlich beschleicht mich Skepsis. Die beiden haben die Statur mittlerer Gorillas, könnten mir höchst unangenehm werden, sollten sie Böses im Schilde führen. Andererseits bin ich nach Afrika gereist, um nahe am Geschehen zu sein, und dazu gehört nun mal etwas Risiko. Sicherheitshalber greife ich in die Hosentasche und prüfe das Vorhandensein des Pfefferspraydöschens.
»Gut, ich bin dabei, machen wir uns auf«, verkünde ich frei heraus.
Auf der Hauptstraße empfängt uns quirliges Leben und schreiende Musik. Tapfer ruft ein Muezzin gegen den Krach zum Gebet. Wir wenden uns nach rechts, passieren Bars, in denen Männer und Frauen Bier trinken und gelangweilt einer Fernsehsendung folgen. Für verruchtes Nachtleben ist es noch zu früh. Hinter einer Kirche der Siebten-Tags-Adventisten führt der Weg in eine Senke. Der Ort ist zu Ende. Vor uns befindet sich eine Kohlenhalde. Beißender, schwarzer Qualm quillt aus unzähligen Schloten über bauchigen Öfen. Dazwischen wuseln barfüßige Arbeiter, die Holz heranschleppen, um die Öfen zu beschicken. Ein skurriles Bild schwarzer, rauchender Erde, das an einen Vulkanausbruch erinnert. Ich zücke meine kleine Kamera, will die eindrucksvolle Holzkohlenproduktion aufnehmen. Eine Schar Arbeiter winkt mit der Faust. Nein, sie drohen, sogar äußerst aufgebracht. Moïse stellt sich vor mich.
»Keine Fotos. Die Leute werfen mit Steinen, zerschlagen Ihre Kamera!«, mahnt er.
»Warum das?«
»Die fürchten um ihren Arbeitsplatz. Vor nicht langer Zeit haben Umweltschützer Aufnahmen gemacht und kritische Berichte in Frankreich und anderswo veröffentlicht. Auf Fremde reagieren die Arbeiter höchst aggressiv«, warnt der Söldner.
Wir schlendern weiter und geraten an ein mit hohem Stacheldrahtzaun abgesichertes Areal, auf dem sich Pyramiden von Holzstämmen und Bretterstapel befinden. Von Westen her donnern pausenlos Trucks heran, beladen mit uralten Stämmen, und verschwinden auf dem Hochsicherheitsgelände eines großen Sägewerks.
»Fotografieren verboten«, erinnert Kasinga.
Ich versuche zu ergründen, wer das Werk...